Urteil des OLG Oldenburg vom 28.11.2002

OLG Oldenburg: werbung, verbraucher, rabatt, befristung, geschäftstätigkeit, geschäftsbetrieb, abschaffung, geschäftsverkehr, unterbrechung, währung

Gericht:
OLG Oldenburg,
Typ, AZ:
Urteil, 1 U 107/02
Datum:
28.11.2002
Sachgebiet:
Normen:
UWG 1 7 Abs 1
Leitsatz:
Die Bewerbung und Gewährung eines 20 %igen Rabatts auf alle Waren eines Einzelhändlers verstößt
nicht gegen das Verbot übertriebenen Anlockens (§ 1 UWG - Fallgruppe Kundenfang).
Deuten aus der Sicht des angesprochenen Publikums weder die Werbung noch sonstige Umstände
auf ein einmaliges Ereignis hin, kann allein aus der im Übrigen zulässigen Rabattgewährung in Höhe
von 20 % nicht auf eine Veranstaltung außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsverkehrs
(Sonderveranstaltung i.S.d. § 7 UWG) geschlossen werden.
Volltext:
Oberlandesgericht Oldenburg
1 U 107/02
13 O 372/02 Landgericht Osnabrück
Verkündet am 28. November 2002
..., Justizangestellter
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
U r t e i l
Im Namen des Volkes
In dem Rechtsstreit
... P... GmbH & Co. KG, ...,
Verfügungsbeklagter und Berufungsklägerin,
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte ...,
gegen
Verein zur W... d. b. I. d. E. O...-E... e.V. ...,
Verfügungsklägerin und Berufungsbeklagte,
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte ...,
hat der 1. Zivilsenat auf die mündliche Verhandlung vom 21. November 2002 durch die Richter ..., ... und ... für
Recht erkannt:
Auf die Berufung der Verfügungsbeklagten wird das am 30. August 2002 verkündete Urteil der 13. Zivilkammer (1.
Kammer für Han-delssachen) des Landgerichts Osnabrück geändert.
Der Antrag des Verfügungsklägers auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.
Der Verfügungskläger trägt die Kosten des Rechtstreits.
Gründe:
I.
Die Verfügungsbeklagte betreibt bundesweit Sonderpostenmärkte. Sie warb im Juni 2002 in Zeitungsanzeigen für
den Verkauf des von ihr vorgehaltenen Warensortiments mit der Ge-währung eines 20 % igen Rabatts auf alle
Waren.
Die Parteien streiten um die wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit dieser Werbeaussagen und der in der Folgezeit
durchgeführten Geschäftstätigkeit. Der Verfügungskläger, ein Interessen-verband des Einzelhandels, hat
insbesondere gemeint, die beworbenen Aktion der Verfü-gungsbeklagten sei unter dem Gesichtspunkt einer
Sonderveranstaltung i.S.d. § 7 Abs. 1 UWG unzulässig und hat Unterlassungsanträge gestellt.
Das Landgericht hat die Verfügungsbeklagte antragsgemäß auf der Grundlage eines Versto-ßes gegen § 7 Abs. 1
UWG verurteilt.
Mit ihrer Berufung begehrt die Verfügungsbeklagte eine Abänderung des angefochtenen Ur-teils aus Rechtsgründen
und beantragt eine Zurückweisung des Verfügungsantrags.
Zur Sachverhaltsdarstellung wird im Übrigen auf die tatsächlichen Feststellungen des Land-gerichts in dem
Tatbestand und den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO
n.F.).
II.
Die Berufung ist begründet.
Die beanstandete Werbung der Verfügungsbeklagten und deren Vollzug durch Gewährung der angekündigten Rabatte
i.H.v. 20 % ist weder unter den Gesichtspunkten der zu § 1 UWG entwickelten Fallgruppen des unzulässigen
Anlockens bzw. der Marktstörung noch als Son-derveranstaltung i.S.d. § 7 Abs. 1 UWG wettbewerbswidrig.
Soweit es für diese Beurteilung auf die Wirkung der Werbung auf den angesprochene Ver-kehrskreis ankommt,
vermochte der Senat dies selbst zu berurteilen, weil seine Mitglieder dem maßgeblichen Adressatenkreis selbst
angehören. Beurteilungsmaßstab ist das Leitbild eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und
verständigen Verbrauchers (EuGH NJW 1998, 3183) unter Berücksichtigung der nach der Rechtsprechung des BGH
(GRUR 2000, 619 – Orient-Teppichmuster) gebotenen differenzierten Wertungen nach angebotenem Produkt, der Art
und Weise des Angebots sowie der Wahrnehmungssituation.
1. Die beanstandete Werbung verstößt nicht unter dem Gesichtspunkt des übertriebenen An-lockens gegen § 1
UWG (Kundenfang).
Das Versprechen von Preisnachlässen oder zusätzlichen Wertzuwendungen ist ein grundsätz-lich zulässiges und
auch tragendes Werbemittel zur Förderung des Leistungswettbewerbs. Mit den guten Sitten im Wettbewerb sind
solche Praktiken nur dann nicht zu vereinbaren, wenn der umworbene Verbraucher in unsachlicher Weise verleitet
wird, seine Kaufentscheidung statt nach Preiswürdigkeit und Qualität der angebotenen Ware danach zu treffen, ob
ihm beim Kauf besondere zusätzliche Vergünstigungen gewährt werden (BGH GRUR 1999, 755 – Alt-
kleidersammlung).
Der hier in Rede stehende 20 % ige Rabatt hat keine so starke Anlockwirkung, dass dadurch bei einem nicht ganz
unwesentlichen Teil der angesprochenen Verbraucher die Rationalität der Nachfrageentscheidung vollständig in den
Hintergrund tritt. Die Werbung mit einem Preisnachlass von 20 % stellte im Juni 2002, dem hier maßgeblichen
Zeitpunkt, keine außer-gewöhnliche Besonderheit dar. Seit Abschaffung des RabattG und der ZugabeVO mit Wir-
kung zum 25. Juli 2001 wirbt der Einzelhandel zunehmend mit massiven Preisnachlässen durch Rabatte, die das
Angebot der Verfügungsbeklagten nicht selten noch erheblich über-steigen. Dies ist eine grundsätzlich zulässige und
gewollte Folge der Reformgesetzgebung, die in ihren gewöhnlichen Erscheinungsformen zudem breite Akzeptanz
sowohl auf Verbraucher- als auch auf Anbieterseite findet.
2. Für den begründeten Vorwurf der Bewirkung einer lauterkeitsrechtlich relvanten Marktstö-rung (zu den
Unterfallgruppen: Baumbach / Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., § 1 UWG, Rn. 856 ff) gibt es keine
Anhaltspunkte.
3. Die Verfügungsbeklagte hat auch keine nach § 7 Abs. 1 UWG verbotene Sonderveranstal-tung beworben und
durchgeführt. Die Werbung der Verfügungsbeklagten vom 19. Juni 2002 mit dem Zusatz „Wir feiern unsere 160.
Filiale“, zu deren Unterlassung sich die Verfügungs-beklagte außerprozessual verpflichtet hat, ist nicht Gegenstand
dieses Rechtsstreits.
a) Das Sonderveranstaltungsverbot des § 7 Abs. 1 UWG erfaßt solche außerhalb des gewöhn-lichen
Geschäftsbetriebs stattfindenden Verkaufsveranstaltungen des Einzelhandels, die we-der Ausverkäufe noch
Räumungsverkäufe sind, der Beschleunigung des Warenabsatzes die-nen und aus der Sicht des Publikums
besondere Preisvorteile bieten, soweit es sich dabei nicht um Sonderangebote i.S.d. § 7 Abs. 2 UWG handelt.
Der Ausnahmefall eines Sonderangebots liegt hier wegen der Angebotserstreckung auf das gesamte Sortiment
ersichtlich nicht vor. Denn Sonderangebote beziehen sich typischerweise nur auf einzelne nach Güte oder Preis
gekennzeichnete Waren (BGH WM 1998, 1092, 1093 – Geburtstagsangebot).
Es ist ferner davon auszugehen, dass das grundsätzliche Verbot anderer als der gesetzlich er-laubten
Sonderveranstaltungen durch § 7 Abs. 1 UWG unbeschadet der aktuellen rechtspoliti-schen Diskussion um eine
Deregulierung des Gesamtbereichs der Verkaufsveranstaltungen (Fezer, WRP 2001, 989, 1001 ff.) als geltendes
Recht zu beachten ist. Daran hat insbesondere die Abschaffung der sondergesetzlichen Rabatt- und
Zugaberegelungen nichts geändert; denn der Reformgesetzgeber hat die Verkaufsveranstaltungsbestimmungen des
UWG bewusst auf-recht erhalten. Zwingend zu beachtende gegenläufige europarechtliche Vorgaben bestehen nicht.
Der vorliegende Fall gibt keinen Anlass, grundsätzlich darüber zu befinden, ob und in wel-chem Ausmaß der durch
den Fortfall der spezialgesetzlichen Rabatt- und Zugaberegelungen bewirkte Wertewandel eine Änderung der
herkömmlichen Dogmatik des Verkaufsveranstal-tungsrechts ermöglicht oder gar erfordert. Dies kann unentschieden
bleiben, weil die bewor-bene Aktion der Verfügungsbeklagten bereits aus anderen Gründen keine Sonderveranstal-
tung i.S.d. § 7 Abs. 1 UWG ist.
b) Das Verbot des § 7 Abs. 1 UWG soll dem Schutz der Verbraucher, der Konkurrenten und der Wahrung der
Interessen der Allgemeinheit an der Wahrung der Funktionsfähigkeit des Leistungswettbewerbs dienen, indem es
Gefahren entgegenwirkt, die nach traditioneller Sicht wie folgt beschrieben werden:
Zum einen ist der vom Einzelhändler verfolgte Umsatzförderungszweck nicht zwangsläufig mit der Gewährung von
(echten) Preisvorteilen verbunden. Da der Verbraucher gerade dies jedoch typischerweise erwartet, kann eine
übermäßig unsachgemäße Beeinflussung seiner Entscheidungen bewirkt werden. Zum anderen droht bei
unbeschränkter Zulassung von „Son-derveranstaltungen“ eine spiralenhaft-inflationäre Ausweitung mit der Folge
eines massiven Marktverdrängungskampfs. Denn solche Veranstaltungen schaffen erfahrungsgemäß nicht
unerhebliche Marktvorteile für den Veranstalter durch eine massive Umlenkung von Käufer-strömen und auf der
anderen Seite damit korrespondierende wirtschaftliche Nachteile für die Konkurrenten, was wiederum die
Mitbewerber zu gleichartigen Maßnahmen mit der Gefahr wirtschaftlicher gegenseitiger Übersteigerungen
veranlassen kann.
Maßgebliches Merkmal einer Sonderveranstaltung ist die durch das zeitlich befristete Ange-bot von Preisvorteilen
geprägte Außergewöhnlichkeit des beworbenen Ereignisses. Das ist der Fall, wenn eine Verkaufsveranstaltung
außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs liegt, also der regelmäßige Geschäftsverkehr unterbrochen wird.
Entscheidend ist die von der Bran-chenüblichkeit geprägte Verkehrsauffassung aus der Sicht der Werbeadressaten
auf der Grundlage des gesamten Erscheinungsbildes.
Im Streitfall hat die Verfügungsbeklagte ihre übliche Geschäftstätigkeit aus der Sicht des von der Werbung
angesprochenen Publikums nicht unterbrochen. Sie hat die von ihr üblicherwei-se angebotenen Waren zu üblichen
Geschäftszeiten in ihren üblichen Geschäftsräumen ange-boten und damit ihren regelmäßigen Geschäftsverkehr
fortgesetzt. Allein die Ankündigung und Gewährung von Preisvorteilen in Form 20 % iger Rabatte auf das gesamte
Sortiment ist bei der gebotenen Gesamtschau der Umstände nicht geeignet, den Anschein einer Unterbre-chung des
regelmäßigen Geschäftsverkehrs zu erwecken.
Das Angebot von Preisvorteilen durch erlaubte Preisgestaltungsmittel ist grundsätzlich dem gewöhnlichen
Geschäftsbetrieb zuzuordnen. Hier hat sich die Verfügungsbeklagte keiner un-erlaubten Mittel bedient. Sie hat
zunächst lediglich die ihr nach Fortfall des Rabattgesetzes eröffneten freien Gestaltungsmöglichkeiten genutzt.
Anhaltspunkte für eine verschleierte Her-absetzung der Allgemeinpreise (vgl. Baumbach / Hefermehl, a.a.O., § 1
RabattG, Rn. 19, 22) sind nicht ersichtlich; dies behauptet auch der Verfügungskläger nicht.
Allein die Tatsache der Gewährung hoher Rabatte der hier gegebenen Größenordnung indi-ziert keine Unterbrechung
der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit. Der durchschnittlich infor-mierte und selbst der oberflächlich und flüchtig
handelnde Verbraucher ist – wie bereits zu 1. ausgeführt – mittlerweile an solche Vorteile gewöhnt und sieht einen 20
% igen Rabatt nicht als außergewöhnliche Besonderheit an.
Auch die sonstigen Umstände des Falles geben keine tauglichen Anhaltspunkte dafür, dass die Verfügungsbeklagte
eine nach § 7 Abs. 1 UWG verbotene Sonderveranstaltung beworben und durchgeführt hat.
Ob – wie zum Teil in Rechtsprechnung und Literatur angenommen wird – die Rabattgewäh-rung unbefristet sein
muss (was eher zweifelhaft sein dürfte), braucht nicht entschieden zu werden, denn der Fall einer Befristung des
beworbenen Angebots, namentlich unter Heraus-stellung von zeitlich begrenzt gewährten Preisvorteilen, bei dem
angenommen wird, dass der Verkehr regelmäßig von einer außergewöhnlichen Aktion ausgeht (BGH GRUR 1979,
781 – Radikal gesenkte Preise; 1984, 590 – Sonderangebote auf 3000 qm), liegt nicht vor. Eine sol-che Befristung
wurde weder angekündigt noch ergibt sich ein entsprechender Anschein aus den sonstigen Umständen.
Das Landgericht hat gemeint, die Befristung und damit die Ausnahme des beworbenen Ange-bots vom gewöhnlichen
Geschäftsbetrieb ergebe sich daraus, dass die Verfügungsbeklagte – verständlicherweise in Anbetracht der
Abmahnungen – seit Juli 2002 die beanstandete Wer-bung aufgegeben hat. Dem ist nicht zu folgen, weil nicht die
objektive Dauer der Vorteilsge-währung sondern das Verständnis der mit der werbenden Ankündigung
angesprochenen Ver-braucher maßgeblich ist (Gesamterscheinungsbild der Verkaufsaktion, wie sie sich nach ihrer
werb-lichen Ankündigung dem Publikum darstellt – BGH GRUR 1997, 476 f - Geburtstagswerbung II). Denn die
Sonderveranstaltungen gewinnen ihren spezifischen Effekt der Umleitung von Kundenströmen gerade aus der
werbend herausgestellten „Einmaligkeit“, die es aus der Sicht der Kunden zu nutzen gilt.
Wegen der Maßgeblichkeit des äußeren Erscheinungsbildes spielt die Frage, ob Rabatte dieser Größenordnung
grundsätzlich oder von der Verfügungsbeklagten bei normaler Kalkulation aus betriebswirtschaftlichen Gründen nur
kurzfristig angeboten werden können, für die Beur-teilung der Vorstellungen des an dieser Frage ohnehin kaum
interessierten Publikums keine relevante Rolle. Es ist jedenfalls nicht evident, dass die Verfügungsbeklagte ihre
beworbenen Vorteilsgewährungen allenfalls kurzfristig gewähren kann.
Das Landgericht hat ferner ein Indiz für eine Unterbrechung des gewöhnlichen Geschäftsver-kehrs darin gesehen,
dass sich die beanstandete Werbung von der gewöhnlichen Werbung der Verfügungsbeklagten unterscheide. Auch
dieses Argument ist nicht überzeugend. Man kann der Verfügungsbeklagten nicht verwehren, neue Marktstrategien
einzuführen, die sich im Üb-rigen im Rahmen der von der Rechtsordnung gebilligten Ziele halten (vgl. BGH GRUR
1998, 585 – Lager-Verkauf). Die Entscheidung für die Werbung mit Rabattvorteilen muss zwangs-läufig irgendwann
erstmals umgesetzt werden; das kann man logischerweise nicht allein mit Hilfe des Arguments untersagen, dass der
Anbieter in dieser Weise noch nicht geworben ha-be.
Im Hinblick auf das Argument der besonderen Schutzbedürftigkeit mittelständischer und kleiner
Einzelhandesbetriebe ist darauf hinzuweisen, dass das wettbewerbsrechtliche Lauter-keitsrecht grundsätzlich
strukturpolitisch neutral ist und allenfalls dann im Interesse der All-gemeinheit auch mittelbar Gruppeninteressen
schützt, wenn die Funktionsfähigkeit der Wett-bewerbsordnung gefährdet ist. Der Schutz des Mittelstandes gegen
einen im Übrigen legiti-men Leistungswettbewerb findet auf der Grundlage des UWG nicht statt.
5. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO. Eine Vollstreckbarkeitsentscheidung ist entbehrlich, weil eine
Revision nicht statthaft ist (§ 542 Abs. 2 ZPO).
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