Urteil des OLG Oldenburg vom 16.03.1994

OLG Oldenburg: verletzung der anzeigepflicht, rücktritt, fotokopie, fristbeginn, lebensversicherungsvertrag, unterlassen, briefkasten, datum, krankenversicherer

Gericht:
OLG Oldenburg, 02. Zivilsenat
Typ, AZ:
Urteil, 2 U 203/93
Datum:
16.03.1994
Sachgebiet:
Normen:
BGB § 126 ABS 1, VVG § 20 ABS 1, VVG § 43, VVG § 44
Leitsatz:
1. Kein rechtzeitiger Rücktritt nach § 20 VVG bei Übersendung einer Fotokopie trotz vereinbarter
Schriftform 2. Zum Zeitpunkt der Kenntnis im Sinn von § 20 VVG
Volltext:
Der Rücktritt ist nicht rechtzeitig erfolgt. Gemäß § 20 Abs. 1 VVG kann der Rücktritt nur innerhalb eines Monats
erfolgen gerechnet von dem Zeitpunkt, in welchem der Versicherer von der Verletzung der Anzeigepflicht Kenntnis
erlangt hat. Zugegangen ist der Rücktritt der Beklagten dem Kläger erst am 19. oder 23.4.1991. Am 19. oder
23.4.1991 ist ihm das Originalschreiben der Beklagten zugestellt worden. Soweit Mitarbeiter der Beklagten am
15.4.1991 eine Fotokopie dieses Schreibens in den Briefkasten des Klägers geworfen haben, reicht dies für einen
ordnungsgemäßen Rücktritt mangels orginärer Unterschriften nicht aus
(§ 12 ALB86, § 126 Abs. 1 BGB). Zwar kann ein Rücktritt gemäß § 20 VVG grundsätzlich formlos erfolgen, jedoch
ergibt sich aus § 12 der hier vereinbarten Allgemeinen Bedingungen für die kapitalbildende Lebensversicherung
(ALB86), daß Mitteilungen des Versicherers, zu denen auch die Rücktrittserklärung gehört (vgl. Benkel/Hirschberg,
Berufsunfähigkeits- und Lebensversicherung § 12 ALB Rn. 20), schriftlich zu erfolgen haben.
Am 19. oder 23.4.1991 war die Monatsfrist des § 20 Abs. 1 VVG schon abgelaufen.
Die "Bezirksleitung" der Beklagten in der Person des Versicherungs- agenten B. hatte bereits 1990 davon Kenntnis,
daß der Kläger psychisch behandelt worden war. B. hat als Zeuge bei seiner Vernehmung vor dem Landgericht
bekundet, der Kläger habe ihm das Schreiben vom 22.11.1989 nach dem Rücktritt des zum selben Konzernverbund
wie die Beklagte gehörenden Krankenversicherers vom Krankenversicherungsvertrag in die Hand gedrückt.
Zurückgetreten ist der Krankenversicherer mit Schreiben vom 30.8.1990. Da B. sowohl im Zusammenhang mit dem
Abschluß des Krankenversicherungsvertrags als auch des Lebensversicherungsvertrags bei der Antragsaufnahme
am selben Tag tätig geworden war, hatte er, auch wenn sich die Erklärung des Klägers nur auf den
Krankenversicherungs- vertrag bezog, mit der Entgegennahme des Schreibens vom 22.11.1989 zugleich Kenntnis
von der psychischen Erkrankung in Bezug auf den Lebensversicherungsvertrag. Diese war damit angezeigt. B. war
"Auge und Ohr" der Beklagten, sie muß sich seine Kenntnis zurechnen lassen (BGH VVGE § 44 VVG Nr. 1). Von
diesem Zeitpunkt an hätte die Beklagte Rückfrage halten können, seit wann die Erkrankung bestand und welches
Risiko für sie damit verbunden war. Ihr war vor Augen geführt, daß ein Rücktritt wegen (Anzeige)-
Obliegenheitsverletzung ernstlich in Betracht kommen konnte. Die Beklagte hätte sich danach abschließend Klarheit
über ihre Rücktrittsberechtigung verschaffen können. Wenn sie es unterlassen hat, die zur Vervollständigung ihrer
Kenntnisse für geboten erachteten Rückfragen einzuholen, kann sie den Fristbeginn dadurch nicht unterlaufen (vgl.
BGH, VersR 93, 1089 = VVGE § 20 Nr. 1).