Urteil des OLG Oldenburg vom 14.01.2010

OLG Oldenburg: härte, unterhaltspflicht, leistungsfähigkeit, versorgung, begriff, geschwister, entlastung, erfüllung, demenz, unterhaltsbeitrag

Gericht:
OLG Oldenburg, 14. Zivilsenat
Typ, AZ:
Urteil, 14 UF 134/09
Datum:
14.01.2010
Sachgebiet:
Normen:
BGB § 1601, BGB § 1603, SGB XII § 94, SGB XII § 62
Leitsatz:
(1) Betreut ein Kind einen pflegebedürftigen Elternteil kann er seine Unterhaltspflicht durch die damit
in Natur erbrachten Unterhaltsleistungen erfüllen. Daneben besteht dann kein Anspruch auf eine
Geldrente. Damit entfällt ein zivilrechtlicher Unterhaltsanspruch, der auf den Träger der Sozialhilfe
übergehen könnte.
(2) Erbringt ein Kind erhebliche Leistungen zur häuslichen Pflege, stellt sich die Inanspruchnahme auf
ergänzenden Barunterhalt zugleich als unzumutbare Härte iSv. § 94 Abs. 3 Nr. 2 SGB XII dar. Dies
gilt insbesondere dann, wenn der Leistungsträger durch die familiäre Pflege weitere Leistungen
erspart, die das von ihm nach § 64 SGBXII zu zahlende Pflegegeld noch deutlich übersteigen.
Volltext:
OBERLANDESGERICHT OLDENBURG
Im Namen des Volkes
Urteil
14 UF 134/09
16 F 244/09 UK Amtsgericht Wilhelmshaven Verkündet am 14. Januar 2010
…, JAe
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Familiensache
G...,
Beklagte und Berufungsklägerin,
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt …
gegen
Stadt W..., vertreten durch den Oberbürgermeister…
Kläger und Berufungsbeklagter,
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwältin …
hat der 14. Zivilsenat - 5. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Oldenburg durch den Vorsitzenden
Richter am Oberlandesgericht …, den Richter am Oberlandesgericht … und den Richter am Amtsgericht … auf die
mündliche Verhandlung vom
17. Dezember 2009
für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Wilhelmshaven – Familiengericht – vom 12.08.2009
geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
I.
Die Klägerin nimmt die Beklagte aus übergegangenem Recht auf Erstattung von Unterhaltsansprüchen für die Mutter
der Beklagten, Frau I..., in Anspruch.
Die 1915 geborene Mutter der Beklagten lebt seit 2005 in einem Seniorenheim. Sie ist nahezu erblindet und leidet
zunehmend an Demenz. Da die Renteneinkünfte der Mutter in Höhe von 801,46 Euro nicht ausreichen um die
monatlichen Kosten für das Seniorenheim abzudecken, gewährt die Klägerin der Mutter der Beklagten Hilfen in Höhe
von insgesamt 702,13 Euro monatlich. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus 562,13 Euro an Hilfeleistungen und
einem Pflegegeld von 140,00 Euro. Mit ihrem Schreiben vom 07.03.2008 hatte die Klägerin die Beklagte
aufgefordert, Auskunft über ihre Einkommens und Vermögensverhältnisse zu erteilen.
Die Klägerin hat danach die Beklagten auf Zahlung eines monatlichen Betrages in Höhe von 105,81 Euro seit März
2008 in Anspruch genommen, für die Zeit von März 2008 bis April 2009 mithin auf insgesamt 1.481,34 Euro. Darüber
hinaus macht die Klägerin ab Mai 2009 monatlich laufend 105,81 Euro geltend.
Hierzu hat sie vorgetragen, dass die Beklagte diesen Betrag aufbringen könne, da sie selbst zwar nur über ein
Renteneinkommen von rund 1.190 Euro verfüge, zusammen mit der Rente ihres Ehemannes sich aber ein
Familieneinkommen von rund 3.110 Euro ergäbe. Von den beiden Brüdern der Beklagten sei einer leistungsunfähig,
der andere könne allenfalls 19,06 Euro aufbringen.
Das Amtsgericht Wilhelmshaven – Familiengericht – hat die Beklagte mit Ausnahme der Zinsforderung
antragsgemäß verurteilt.
Gegen das der Beklagten am 07.09.2009 zugestellte Urteil richtet sich ihre am 05.10.2009 eingegangene und am
09.11.2009 begründete Berufung.
Unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens wendet sich die Beklagte dagegen, dass die
Klägerin die Einkommensverhältnisse ihrer Geschwister nicht hinreichend dargelegt und ihre eigenen
Dienstleistungen für die Mutter nicht berücksichtigt habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Amtsgerichts Wilhelmshaven vom 12.08.2009 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung.
II.
Die zulässige Berufung ist begründet.
Der Klägerin steht kein Anspruch auf Ersatz der von ihr für die Mutter der Beklagten getragenen Kosten zu. Mangels
eigener Rechte könnte sie einen Anspruch nur durchsetzen, wenn die Mutter von ihrer Tochter gemäß §§ 1601ff
BGB ergänzend Barunterhalt in der geltend gemachten Höhe verlangen könnte. Denn nur ein zivilrechtlich
bestehender Anspruch kann zu einem Anspruchsübergang nach § 94 SGBXII führen (BGH FamRZ 2004, 1370.
Schellhorn in Schellhorn/Schellhorn/Holm, SGBXII, 17. Aufl. § 94 Rn. 51). Daran fehlt es jedoch, weil die Beklagte
ihre Unterhaltspflicht durch die erbrachten Naturalleistungen umfassend erfüllt und damit keinen zusätzlichen
Barunterhalt schuldet. Die Frage, ob die Geschwister der Beklagten ebenfalls noch zu Unterhaltsleistungen
herangezogen werden könnten, kann daher auf sich beruhen. Die Klage hätte aber auch dann keinen Erfolg, wenn
man von einem Anspruch auf ergänzenden Barunterhalt ausgeht, weil ein Übergang des Anspruchs dann daran
scheitert, dass dies als eine für die Beklagte unbillige Härte im Sinne von § 94 Abs. 3 Nr. 2 SGBXII anzusehen
wäre.
Im Einzelnen gilt Folgendes:
1) Für die Mutter der Beklagten besteht nach den Berechnungen der Klägerin ein Barbedarf von zurzeit 1.363,45
Euro. Dieser Bedarf ist in Höhe von 801,46 Euro durch die Renteneinkünfte der Mutter der Beklagten und in Höhe
von 561,99 Euro durch nicht weiter aufgeschlüsselte Sozialleistungen der Klägerin gedeckt. Daneben leistet die
Klägerin monatlich weitere 140,00 Euro, die nach den Erörterungen in der mündlichen Verhandlung als Pflegegeld
gemäß § 64 SGBXII gezahlt werden.
Soweit die Klägerin und ihr folgend das Amtsgericht, einen Unterhaltsanspruch und die Leistungsfähigkeit der
Beklagten im Umfang des geltend gemachten Anspruchs bejaht haben, kann dem nicht gefolgt werden.
a) Das Amtsgericht hat bei zusammengerechneten Einkünften von 3.110 Euro nach der Abzug der
Selbstbehaltssätze von 1.050,00 Euro und 1.400,00 Euro einen Überschuss von rund 660 Euro zugrunde gelegt, von
dem anteilig auf die Beklagte 255 Euro entfielen, so dass sich eine Leistungsfähigkeit jedenfalls in Höhe der
Klageforderung ergäbe (vgl. zur Berechnung Eschenbruch/Klinkhammer Der Unterhaltsprozess 5.Aufl. Kapitel 2 Rn.
95). Eine solche vereinfachende, schematische Berechnung ist bedenklich, weil sie nur die finanzielle
Leistungsfähigkeit im Blick hat. Diese ließe sich vorliegend von vornherein nur bejahen, weil der Ehemann der
Beklagten über ein höheres Einkommen als sie selbst verfügt. Abweichend von den gesetzlich auf die individuellen
Unterhaltsbeziehungen zwischen Verwandten beschränkten Ansprüche könnte erst die Bemessung der
Leistungsfähigkeit anhand des dadurch höheren Familieneinkommens die Zahlung von Elternunterhalt ermöglichen
(vgl. MünchKomm/Born 5. Aufl. § 1601 Rn. 27. Hauß, Elternunterhalt 2. Aufl. Rn. 252h ff. Schürmann FamRZ 2004,
446). Dabei wäre zu erwägen, ob in dieser Situation nicht bereits ein Unterhaltsrückgriff bei einem Einkommen, das
unterhalb des Grenzbetrages nach § 43 Abs. 2 S. 1 SGBXII, § 16 SGBIV liegt, zu einer Einschränkung in der
Lebensführung der Familie führt. Denn für eine Differenzierung nach den Leistungen zur Grundsicherung im Alter
oder Hilfe zur Pflege ist kein sachlicher Grund zu erkennen (vgl. Udsching, Schnittstellen zwischen Sozial und
Unterhaltsrecht, in Brühler Schriften zum Familienrecht Band 16, S. 39), zumal es sich nunmehr um einen
bedarfsdeckend ausgestalteten Teil des Sozialrechts handelt (Schellhorn aaO. SGBXII § 42 Rn. 15). Dies kann
jedoch auf sich beruhen. Entscheidend ist vielmehr, dass eine schematisch auf die Einkommensverhältnisse
verengte Betrachtung den tatsächlichen Unterhaltsbeziehungen zwischen der Beklagten und ihrer Mutter nicht
gerecht wird.
b) Die von der Klägerin übernommenen Leistungen decken nur einen Teil des Unterhaltsbedarfs der der Mutter der
Beklagten ab. Deren Unterhaltsbedarf beschränkt sich nicht auf die Erfüllung der von der Klägerin getragenen
finanziellen Aufwendungen. Die Mutter der Beklagten ist in einer Einrichtung für ´betreutes Wohnen´ mit der
Pflegestufe II untergebracht. Die Beklagte hat unwidersprochen schriftsätzlich ausgeführt und nochmals im
Senatstermin ausführlich geschildert, dass ihre Mutter dort zwar morgens und abends von Pflegekräften der A...
gewaschen wird und an der Gemeinschaftsverpflegung teilnimmt. Im Übrigen müsse sich ihre Mutter aber selbst
versorgen und auch die Wohnung selbst reinigen. Da ihre nahezu vollständig erblindete Mutter diese Tätigkeiten
nicht mehr leisten könne, übernehme sie diese Arbeiten. Sie betreue und versorge ihre an zunehmender Demenz
leidende Mutter seit Jahren nahezu täglich jeweils für mehrere Stunden. Ohne diese Versorgungs und
Pflegeleistungen wäre ihre Mutter auf eine stationäre Vollzeitpflege angewiesen. Dass die Beklagte die detailliert
geschilderte regelmäßige Unterstützung bei der Köperpflege, den täglichen Hausarbeiten sowie bei Behördengängen
und Arztbesuchen leistet, hat die Klägerin nicht in Abrede genommen. Die Notwendigkeit einer zusätzlichen
Unterstützung folgt zudem unmittelbar aus dem von der Klägerin gezahlten Pflegegeld (§ 64 Abs. 5 SGBXII).
Zwar ist eine Unterhaltsrente grundsätzlich in Geld zu leisten (§ 1612 Abs. 1 S. 1 BGB). jedoch kann Unterhalt auch
in Natur erbracht werden, wenn sich die Beteiligten auf eine andere Art der Leistung einigen (§ 1612 Abs. 1 S. 2
BGB. vgl. MünchKomm/Born 5 Aufl. § 1612 Rn. 20f. Palandt/Diederichsen 69. Aufl. § 1612 BGB Rn. 6). Eine solche
Einigung kann stillschweigend erfolgen. Die Leistung von Unterhalt in Natur wird – wie vorliegend – bei intakten
Familienverhältnissen den Bedürfnissen beider Seiten eher gerecht, als die Reduzierung auf reine Geldzahlungen.
Sie bedeutet nicht nur für den Verpflichteten eine Entlastung von Zahlungspflichten (vgl. dazu MünchKomm/Born
5.Aufl. zu § 1612 Rn. 22), sondern begünstigt zugleich den Berechtigten, weil sie ein flexibles Eingehen auf seine
jeweiligen Bedürfnisse sowie den wichtigen Erhalt familiärer Bindungen ermöglicht. Die aus familiärer Verbundenheit
persönlich erbrachte Pflege und Betreuung erweist sich daher über eine reine Kostenersparnis hinaus als eine für alle
Beteiligten sinnvolle Gestaltung. In der Entgegennahme der Leistungen liegt gleichzeitig eine auch die Klägerin
bindende Einigung über die Art der Unterhaltsgewährung.
c) Mit der Übernahme eines erheblichen Teils der tatsächlichen Versorgung erfüllt die Beklagte umfassend die von
ihr zu erwartende Unterhaltspflicht. Die zusätzliche Leistung von Barunterhalt würde die ohnehin belastete
Lebenssituation der Beklagten weiter einschränken, so dass die Mutter unter Beachtung der durch § 1603 Abs. 1
BGB gezogenen Grenzen von ihrer Tochter nicht noch zusätzlich Barunterhalt verlangen könnte. Dass damit ein Teil
der anfallenden Kosten ungedeckt ist und von der Klägerin übernommen werden muss, erweitert die Unterhaltspflicht
der Beklagten nicht. Es ist grundsätzlich verfehlt, wenn die Klägerin auf das für die von der Beklagten erbrachten
Leistungen gezahlte Pflegegeld von 140 Euro verweist und deshalb diese Haushaltsdienstleistungen für
unterhaltsrechtlich unbeachtlich ansieht. Dabei beachtet die Klägerin nicht, dass sie an die tatsächlichen
Verhältnisse gebunden ist. Es kann auch nicht die Rede davon sein, dass hieraus eine zum Nachteil öffentlicher
Kassen getroffene Vereinbarung folgt.
Der von der Beklagten übernommene tatsächliche Aufwand lässt sich durch das der Mutter gezahlte Pflegegeld
nicht angemessen honorieren. Das Pflegegeld ist gerade nicht dazu bestimmt, den tatsächlichen Pflegeaufwand
finanziell abzugelten. Es soll vielmehr den Pflegebedürftigen in die Lage versetzen, die vielfältigen mit der Pflege
verbundenen Aufwendungen zu tragen und sich darüber hinaus auch den Pflegepersonen gegenüber erkenntlich zu
zeigen. Im Bereich der unentgeltlichen häuslichen Pflege dient es als Motivationshilfe und Aufwandspauschale, die
von den tatsächlichen wirtschaftlichen Belastungen unabhängig ist (Krahmer in LPKSGBXII 8: Aufl. § 64 Rn. 8).
Damit verfolgt das Gesetz das Ziel, die Bereitschaft zur häuslichen Pflege zu unterstützen und zu fördern
(Schellhorn aaO. § 64 SGBXII Rn. 11). Dieses Ziel würde verfehlt, wenn man die durch die Pflege und Betreuung in
ganz erheblichem Umfang erbrachten Leistungen nicht als das respektieren würde, was sie zugleich sind: die
Erfüllung einer Unterhaltspflicht. Dass die Mutter der Beklagten ohne deren Versorgung in eine wesentlich teurere
Einrichtung mit Vollzeitpflege wechseln müsste, ist unbestritten. Damit entlastet die Beklagte die Klägerin von
Leistungen, die über den in diesem Verfahren geltend gemachten Unterhaltsbeitrag hinausgehen.
Mit der Erbringung der Naturalleistungen entfällt zugleich die Verpflichtung zur Zahlung einer zusätzlichen Geldrente,
da sonst der nach den konkreten Verhältnissen angemessene eigene Lebensbedarf der Beklagten nicht mehr
gewährleistet wäre. Somit fehlt es vorliegend an einem überleitungsfähigen Anspruch.
2.) Die Klage wäre aber auch dann unbegründet, wenn man gleichwohl noch von einem der Beklagten gegenüber
bestehenden Anspruch auf ergänzenden Barunterhalt ausgehen würde. Die Inanspruchnahme der Beklagten wäre
zwar nicht nach § 1611 Abs. 1 BGB unbillig, da sich diese Vorschrift nur auf das Unterhaltsverhältnis berührende
Verfehlungen des Berechtigten erstreckt. Ein bestehender Anspruch könnte jedoch gemäß § 94 Abs. 3 Nr. 2 SGB
XII SGB nicht auf die Klägerin übergehen, da dies für die Beklagte eine unbillige Härte im Sinne dieser Vorschrift
bedeuten würde.
Über die Anwendung dieser Vorschrift hat der Senat zu entscheiden (§ 94 Abs. 5 SGBXII).
a) Der Begriff der unbilligen Härte im Sinne des § 94 Abs. 3 Nr. 2 SGB XII stellt einen unbestimmten Rechtsbegriff
dar, die Anwendung der Vorschrift selbst unterliegt dabei keinem Ermessen. Ob die Voraussetzungen gegeben sind,
haben die Gerichte umfassend nachzuprüfen, zumal nicht zu erkennen ist, dass die Klägerin selbst eine inhaltliche
Prüfung anhand der konkreten Verhältnisse vorgenommen hat.
b) In der Sache folgt der Begriff der ´unbilligen Härte´ den sich wandelnden Anschauungen in der Gesellschaft (vgl.
OLG Hamm Urteil vom 06.08.2009, 2 UF 241/08) und ist zur Regelung atypischer Fälle gedacht, bei denen das
Ergebnis nach den Regelvorschriften zu unbefriedigenden Ergebnissen führen würde (vgl. OLG Koblenz FamRZ
2001, 1237, 1238). Dem Begriff unterfallen vor allem soziale, über das Unterhaltsverhältnis hinauswirkende
Umstände, da die familiären Beziehungen und wirtschaftlichen Verhältnisse bereits vorab im Rahmen des
zivilrechtlichen Unterhaltsanspruchs zu prüfen sind (vgl. Münder u.a. SGB XII 8.Aufl. § 94 Rn. 46. Grube/Wahrendorf
SGB XII 2.Aufl. § 94 Rn. 28. Fichtner/Wenzel SGB XII 4. Aufl. § 94 Rn.45. OLG Hamm a.a.O.). Eine unbilligen
Härte im Sinne des Sozialrechts ist daher dann anzunehmen, wenn mit der Inanspruchnahme soziale Belange
vernachlässigt werden müssten (vgl. BVerwG Urteil vom 27.03.1968, BVerwGE 29, 229, 235). In diesem Sinne ist
insbesondere regelmäßig dann von einer unbilligen Härte auszugehen, wenn der Verpflichtete für den Berechtigten in
nennenswertem Umfang Pflegeleistungen erbracht hat und/oder diese aktuell auch weiterhin leistet (vgl. OLG
Kobelenz a.a.O.. BVerwG a.a.O. Bd. 29,S. 235. Münder a.a.O. Rn. 47 m.w.N.). Zusätzliche Bedeutung haben auch
die innerfamiliären Beziehungen (BGH FamRZ 2003, 1478, 1470). Dies gilt nicht erst dann, wenn durch die
Verfolgung von Ansprüchen seitens der Verwaltungsbehörden der Verbleib des Hilfeempfängers im Familienverband
gefährdet wäre. Vielmehr kann es auch genügen, wenn hierdurch entgegen den Intentionen des Gesetzgebers die
familiäre Betreuung und Versorgung von Familienangehörigen in unbilliger Weise belastet wird. Gerade in den Fällen,
in denen ein Angehöriger in einem weit über das geschuldete Maß hinaus seine Unterhaltspflichten durch Betreuung
und Pflege eines Angehörigen erfüllt, muss die Belastung mit zusätzlichen Geldzahlungen als unbillige Härte
erscheinen (vgl. Münder aaO. Rn. 47) – insbesondere dann, wenn hierdurch den öffentlichen Kassen höhere
Ausgaben erspart werden, als sie im Wege des Rückgriffs durchgesetzt werden könnten
c) Unter diesen Voraussetzungen bestehen keine Zweifel, dass sich ein Übergang des Anspruchs für die Beklagte
als eine unzumutbare Härte darstellt. Die Beklagte bereits seit Jahren in erheblichem Umfang Pflegeleistungen
erbracht und tut dies auch weiterhin. Damit ermöglicht sie es ihrer Mutter, in ihrem bisherigen Umfeld zu verbleiben
ohne in ein erheblich teueres Pflegeheim umziehen zu müssen. Zugleich erspart sie zusätzliche Hilfeleistungen für
die Berechtigte, die den geltend gemachten Anspruch offensichtlich noch übersteigen müssten. Eine andere
Beurteilung hätte zudem das widersinnige Ergebnis, dass über den Unterhaltsanspruch wirtschaftlich ein
wesentlicher Teil des von der Klägerin aus diesem Grund gezahlten Pflegegeldes zurückfließen würde. Dabei handelt
es sich jedoch um eine nicht abzurechnende Pflichtleistung, die nach dem Gesetz sowohl auf Seiten des
Empfängers als auch auf Seiten des Pflegenden nicht als Einkommen anzurechnen sind (§ 82 Abs. 1 S. 1 SGBXII).
Es wäre unbillig, diese gesetzgeberische Wertung durch einen Unterhaltsregress zu umgehen.
Die Inanspruchnahme auf zusätzliche Geldzahlungen müsste die Beklagte darüber hinaus auch deshalb als
besonders unbillige Härte empfinden, weil sie alle Belastungen allein zu tragen hat: Von ihren ebenfalls grundsätzlich
zum Unterhalt verpflichteten Geschwistern hat sie nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin keine Entlastung zu
erwarten – ein von der Klägerin bei der Verfolgung des Regressanspruchs nicht bedachter Gesichtspunkt.
Selbst wenn ein Unterhaltsanspruch noch bestehen sollte, konnte dieser nicht auf die Klägerin übergehen.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Es bestehen keine Gründe, die Revision zuzulassen
… … …