Urteil des OLG Oldenburg vom 20.03.1996

OLG Oldenburg: waffe, hund, abgabe, berufsunfähigkeit, beendigung, unfallversicherung, aufwand, absicht, wild, beweismittel

Gericht:
OLG Oldenburg, 02. Zivilsenat
Typ, AZ:
Urteil, 2 U 273/95
Datum:
20.03.1996
Sachgebiet:
Normen:
VVG § 61
Leitsatz:
Vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalls Berufsunfähigkeit durch Selbstverletzung mit
Flintenschuß.
Volltext:
Gemäß § 3 Ziff. 1 c) der vereinbarten BB-BUZ ist vom Versiche-
rungsschutz ausgeschlossen die Berufsunfähigkeit, die durch eine
absichtliche Selbstverletzung verursacht ist. Eine solche absicht-
liche Selbstverletzung des Klägers steht zur Überzeugung des Se-
nats fest.
Für den behaupteten Unfallhergang gibt es keine Zeugen. Es sind
keine sonstigen Beweismittel oder Indizien vorgetragen oder er-
sichtlich, die denknotwendig zwingend für die Unfalldarstellung
des Klägers ... (oder) ... zwingend gegen den vom Kläger behaupte-
ten Unfallhergang sprechen. Die Überzeugung des Senats von der ab-
sichtlichen Selbstverletzung gründet auf einer gewichtenden Abwä-
gung der für und gegen den Kläger sprechenden Umstände und Beweis-
ergebnisse. Sie ergeben ein derartiges Übergewicht zu Lasten des
Klägers, daß ernsthafte Zweifel nicht verbleiben.
Gegen die Richtigkeit seiner Unfallschilderung spricht, daß der
Kläger nicht erklärt, warum er gestürzt ist, warum sich die Schüs-
se gelöst haben, wie seine linke Hand vor die Mündungen der Flinte
gelangt ist und wieso nur Mittelfinger und Daumen und nicht der
Zeigefinger verletzt worden sind.
Der Kläger hat zuerst in seiner detaillierten Darstellung des Ge-
schehens 03.10.1987, also kurz nach dem Vorfall, für die er nach
seinen Angaben zwei Stunden benötigt hat, schriftlich niederge-
legt, daß ihn sein Hund zu Boden gerissen habe. Davon ist er bei
seiner Anhörung am 05.10.1990 wieder abgerückt, indem er erklärt
hat, er wisse nicht, ob er ausgerutscht sei oder der Hund ihn um-
gerissen habe, er meine, daß der Hund gezogen habe.
Die jetzige Einlassung des Klägers ist aufgrund der Situation
nicht glaubhaft. Denn nach seiner Darstellung pirschte er sich auf
glitschigem Ackerboden, der mit Rapsstoppeln bewachsen war, und
bis zu den Knöcheln im aufgeweichten Schlickboden einsinkend in
gebückter Haltung an die Enten heran, als er nach etwa 10 Schrit-
ten hinfiel. Auch wenn er sich auf das zu jagende Wild konzen-
trierte, ist anzunehmen, daß er sich gleichzeitig gerade wegen der
widrigen Bodenverhältnisse, mit dem Hund an der Leine und in ge-
bückter Körperhaltung, auch auf das mühselige Gehen selbst konzen-
trieren mußte. Es ist deshalb nur schwer vorstellbar, daß er nicht
gemerkt haben will, ob er auf dem tiefen Boden ausgerutscht ist
oder sein Hund ihn zu Fall gebracht hat.
Der Senat hat bedacht, daß der Kläger infolge Zeitablaufs bei der
mündlichen Verhandlung vielleicht tatsächlich nicht mehr sicher
wußte, ob er nun ausgerutscht oder von seinem Hund zu Fall ge-
bracht worden war, und in Erwägung gezogen, ob nicht die Schilde-
rung vom 03.10.1987 richtig war. Gegen den dort geschilderten
Handlungsablauf streiten indessen erhebliche Argumente. Zwar haben
die Sachverständigen L, I und B ausgeführt, daß unzureichend wie
gut ausgebildete Hunde plötzlich ihren Gehorsam vergessen und
flüchtendem Wild nachsetzen können; in die Wertung einzubeziehen
sind aber auch die Ausführungen der Sachverständigen W und Z da-
hin, daß ein Jäger in der Regel gerade diese Unberechenbarkeit
seines tierischen Jagdgefährten kennt. Dem Kläger müssen daher in
der behaupteten, bei einer Entenjagd auch nicht einmaligen Jagdsi-
tuation derartige Eigenheiten seines schon länger geführten Hundes
bekannt gewesen sein, so daß er von einem plötzlichen Lospreschen
des Hundes schwerlich so überrascht gewesen sein kann, daß dieser
ihn umzureißen vermochte. Daran bestehen auch deshalb Zweifel,
weil er angegeben hat, daß der Hund durch die Leine gestoppt und
er durch diesen Stopp zu Fall gebracht worden sei. Nach den Fest-
stellungen des Sachverständigen W war die Leine von der rechten
Schulter des Klägers bis zur Metallschlaufe der Halsung etwa 1,40
m lang. Zweifelhaft erscheint, ob der Hund bei dieser geringen
"Anlaufstrecke" überhaupt hinreichend Zugkraft aufbauen konnte, um
den Kläger zu Fall zu bringen, auch wenn vielleicht wegen der Kör-
perhaltung und der Bodenverhältnisse nicht sehr viel Energie nötig
war. Dem Kläger wäre aber immer eine gewisse Reaktionszeit nach
dem für ihn sichtbaren Lospreschen des Tieres verblieben, in der
er reflexartig auf die zu erwartende Zugwirkung der Hundeleine
hätte reagieren und einen Sturz vermeiden können.
Es kommt hinzu, daß der Kläger niemals dargestellt hat und auch
jetzt nicht erklärt, wo sich seine linke Hand vor dem Sturz be-
fand. Aufgrund der Körperhaltung und der gesamten, die körperli-
chen und geistigen Kräfte stark fordernden Situation - rechte Hand
an der sonst klappernden Patronentasche, Waffe über die linke
Schulter gehängt, Hund angeleint, bis zu den Knöcheln im Schlick -
ist nicht anzunehmen, daß der linke Arm gleichsam nutzlos herab-
hing. Naheliegend ist, daß die linke Hand in einer derartigen Si-
tuation entweder die an der Schulter herabhängende Waffe fixiert
oder den Hund festgehalten hat. Für den zweiten Fall ist nicht an-
zunehmen, daß der Hund den Kläger zu Fall bringen konnte, für den
ersten Fall ist nach den Ausführungen des Sachverständigen W nicht
erklärbar, wie dann die Hand vor die Mündungen der Waffe gelangen
konnte, und angezweifelt werden muß dann auch, daß die Flinte dem
Kläger überhaupt von der Schulter rutschen und zu Boden fallen
konnte. Da bei einem Sturz eine freie Hand auch oft reflexartig zu
Boden geht, erscheint fraglich, warum sich der Kläger nicht mit
der linken Hand abstützen konnte. Hätte er den Sturz mit der lin-
ken Hand abgefangen, ist nicht erklärbar, wie die Hand dann vor
die Mündungen der Flinte geraten konnte.
Der Kläger vermag nicht zu erklären, warum sich die Schüsse gelöst
haben. Das könnte theoretisch auf ein nicht weiter aufklärbares
Knalltrauma (Gutachten X v. 26.11.1992 Bl. 3) zurückzuführen sein.
Dagegen spricht aber die sonstige Detailliertheit der Unfallschil-
derung des Klägers, so daß weiter Zweifel an seiner Darstellung
bestehen. Zudem sprechen wesentliche andere Beweisergebnisse und
Indizien gegen eine ungewollte Schußabgabe. Entgegen der Unfall-
darstellung des Klägers rutschte der Gewehrriemen bei den mehrfa-
chen Demonstrationsversuchen vor dem Sachverständigen W nicht von
der Schulter und fiel zugleich die Flinte auf den Erdboden; viel-
mehr glitt nur vereinzelt der Riemem von der linken Schulter und
zwar lediglich in die linke Ellenbeuge. Daß der Kläger in einer
Jagdsituation, in der er jeden Moment auf abstreifende Enten re-
agieren mußte, die Waffe überhaupt noch über die Schulter trug
statt im Anschlag in der linken Hand, ist nicht plausibel; der
Sachverständige W hat das ausgeführt. Erst recht nicht nachvoll-
ziehbar ist, worauf der Sachverständige ebenfalls hingewiesen hat,
daß der Kläger die an der Schulter hängende Waffe in dieser Lage
nicht wenigstens mit der linken Hand festgehalten hat. Im Ver-
gleich zu der vom Kläger behaupteten Sachlage, in der er die Waffe
nur an der linken Schulter hängen hatte, würde ein Festhalten der
an der Schulter hängenden Waffe mit der freien linken Hand seine
Reaktionszeit auf plötzlich hochgehende Enten unter Umständen ent-
scheidend verkürzt haben. Zudem ist beim Gehen in gebückter Hal-
tung im knöcheltiefen Schlickboden aufgrund der Bewegungsabläufe
nicht anzunehmen, daß der Kläger die Waffe mühelos unter dem lin-
ken Arm eingeklemmt fixieren konnte; das Festhalten der Flinte mit
der freien linken Hand, wenn sie nicht den Hund hielt, drängte
sich bei der Vorgehensweise des Klägers auf.
Dies gilt um so mehr, weil die Waffe schußbereit, d.h. gespannt
und entsichert war, da sich ansonsten die Schüsse nicht gelöst ha-
ben können. Auch darauf hat der Sachverständige W hingewiesen. Es
ist nicht glaubhaft, daß der Kläger, nachdem er, in der Hocke sit-
zend, die Flinte schußbereit vor der Brust gehalten hatte, sich
die gespannte und entsicherte Waffe um die linke Schulter gehängt
hat, um sich weiter anzupirschen, und zwar ohne die Waffe mit der
nach seiner Unfallschilderung doch freien linken Hand zu fixieren,
obwohl sie so relativ leicht angesichts der gebückten mühseligen
Gehweise bei einem Ausrutschen auf den glatten, nassen und tiefen
Boden hätte fallen können und obwohl auch sonst der Kläger mit der
freien Hand oder seiner Ausrüstung und seiner Bekleidung die Abzü-
ge der lediglich mit dem Arm fixierten Waffe hätte auslösen kön-
nen.
Hat der Kläger hingegen doch mit der linken Hand die Waffe fest-
gehalten, ist seine Schußverletzung nach den Ausführungen des
Sachverständigen W bei dem geschilderten Sturz auszuschließen.
Auch gegen ein unbeabsichtigtes Lösen der Schüsse sprechen mehrere
Umstände. Nach dem Gutachten der D wie nach dem Gutachten des
Sachverständigen Y löste die Waffe nicht aus, wenn sie bei den
Fallversuchen aus unterschiedlichen Höhen (bis 1 m) auf die
Schaftkappe oder in zahlreichen Variationen seitlich fallengelas-
sen oder umgekippt wurde, und zwar nach den Versuchen der D auf
einen Hartgummiklotz. Lediglich wenn zuvor versucht worden war,
bei gesicherter Waffe die Abzüge zu betätigen, hat der Sachver-
ständige Y in zwei Fällen jeweils bei einem Fall aus 50 cm Höhe
festgestellt, daß es zur Zündung der Patronenhülse in einem Lauf
kam. Ein vorheriges Durchziehen der gespannten, noch gesicherten
Waffe wird aber vom Kläger nicht behauptet; es ist auch kein Grund
ersichtlich, warum er die Abzüge seiner gesicherten Waffe hätte
durchziehen sollen. Danach ist es sehr unwahrscheinlich, daß die
Waffe schon durch den behaupteten Sturz, zudem auch noch auf einen
die Fallwirkung abfedernden, knöcheltief aufgeweichten Ackerboden,
ausgelöst hat und das auch noch doppelt.
Daß eine Flinte durch eine Rapsstoppel ausgelöst werden kann, er-
scheint grundsätzlich möglich, aber nur dann, wie der Sachverstän-
dige I ausgeführt hat, wenn sie im richtigen Winkel so auf den Ab-
zug trifft, daß sie dessen Widerstand überwindet. Gegen diese Ur-
sache für das Auslösen der Waffe spricht hier, daß bei den Sturz-
demonstrationen vor dem Sachverständigen W die Flinte aufgrund des
Gewichts einzelner Waffenteile, z.B. des Schlosses, und zudem sta-
bilisiert durch den unter der Flinte angebrachten und von der
Schulter abgleitenden Gewehrriemen mit dem Abzugsbügel nach oben
auf den Boden fiel, so daß die Abzüge schwerlich von Rapsstoppeln
getroffen worden sein können. Der Sachverständige hat das ausge-
führt. Da beide Flintenläufe ausgelöst haben, müßten auch beide
Abzüge von je einer Rapsstoppel im richtigen Winkel getroffen wor-
den sein. Das hält der Senat ebenfalls für sehr unwahrscheinlich.
Es ist auch nicht anzunehmen, daß die Waffe nach dem ersten Schuß
gedoppelt, d.h. selbsttätig aufgrund des Rückstoßes den zweiten
Schuß ausgelöst hat. Sowohl bei den Untersuchungen der D als auch
des Sachverständigen Y doppelte die Flinte des Klägers nicht.
Gegen den Hund als Auslöser der Schüsse sprechen außer den bereits
oben dargestellten Zweifeln, daß der Hund überhaupt plötzlich los-
gestürmt ist, der Umstand, daß die sich dann spannende, 1,40 m
lange Halteleine das Tier zunächst dort fixiert haben muß, wo die
Leine befestigt war, nämlich an Kopf oder Hals, während der übrige
sich noch bewegende Körper in einer Schleuderbewegung der Hinter-
läufe sich in die urprüngliche Laufrichtung fortbewegt haben muß,
also eher noch weiter von dem mit der Waffe zu Boden stürzenden
Kläger weg. Der Sachverständige W hat dies erläutert. Ein Über-
schlagen des Tiers hat er entgegen der in der Berufungserwiderung
geäußerten Ansicht nicht angenommen. Nichts spricht dafür, daß -
wie der Kläger auch nur vermutet - der Hund durch den Ruck am
Hals, wo ihn die Leine festhielt, als Folge seines Sturzes zurück-
gerissen worden und in die Abzüge getreten ist. Wenn der lospre-
schende Hund den Kläger mit der Leine umgerissen hat, muß die Lei-
ne nach einem Ruck für das Tier zunächst nachgegeben haben bis zu
einem zweiten Ruck, als der Kläger liegenblieb. Es ist nicht er-
klärbar, wie das Tier dabei noch zurückgerissen worden und in die
Abzüge der Waffe getreten sein könnte, zumal es dann auch in beide
Abzüge getreten sein müßte, und zwar gleichzeitig, weil der Kläger
einen Doppelschuß gehört haben will. Da auch noch zu berücksich-
tigen ist, daß nach den Feststellungen des Sachverständigen W die
Waffe bei den Sturzversuchen mit dem gegen ein Hineintreten in die
Abzüge schützenden Abzugsbügel nach oben fiel, ist - wie das auch
der Sachverständige Z angenommen hat - insgesamt gesehen davon
auszugehen, daß der Hund die Schüsse nicht ausgelöst hat.
Der Kläger hat nirgendwo erklärt, wie seine linke Hand vor die
Mündungen der Flinte gelangt sein soll. Der Sachverständige Z hat
ausgeführt, bei den Demonstrationen des Sturzes durch den Kläger
habe die Waffe weit vor der linken Hand gelegen, der Kläger habe
nachzugreifen versucht. Der Sachverständige W hat dargelegt, der
Kläger habe bei der Augenscheinseinnahme durch das Landgericht bei
seinen mehrfachen Sturzversuchen nicht demonstriert, wie seine
Hand vor die Waffe gelangt sein kann. Der Senat verkennt nicht,
die Berufungserwiderung weist auf diesen Punkt zu Recht hin, daß
sich ein identischer Sturz kaum demonstrieren läßt, sei es auf-
grund der veränderten Bodenverhältnisse, der Verletzung und der
sonstigen Beschwerden des Klägers bei den Rekonstruktionsversuchen
oder sei es auch deshalb, weil der Kläger vielleicht unbewußt ganz
anders reagierte, weil er bewußt fiel, anders als bei einem plöz-
lichen, nicht vorhersehbaren Sturz. Gegen den Kläger spricht aber
gleichwohl, daß er nicht einmal den Versuch unternommen hat, die
Funktion seiner linken Hand unmittelbar vor und nach dem Sturz zu
erklären. Daß er nach dem Sturz nach seiner Waffe gegriffen habe,
wie er es nach dem Gutachten Z bei den Rekonstruktionsversuchen
getan hat, ist seiner an sich sonst sehr detaillierten Darstellung
des Geschehens vom 03.10.1987 nicht zu entnehmen und deshalb auch
nicht anzunehmen. Er hat auch nicht die Ausführungen des Sachver-
ständigen B aufgegriffen, der ein instinktives Nachgreifen bei
stürzenden Jägern beobachtet haben will, die ihre Waffe vor dem
Eindringen von Fremdkörpern in die Läufe hätten schützen wollen.
Aufgrund der seit Jahren bekannten nachteiligen Gutachten schon
des Sachverständigen Z, in erster Linie aber des Sachverständigen
W, der gerade auch wegen der nicht erklärten Funktion der linken
Hand vor und nach dem Sturz seiner Darstellung nicht geglaubt hat,
wäre das Verhalten des Klägers nicht zu verstehen, wenn seine Un-
falldarstellung richtig wäre. Sein Verhalten ist auch deshalb auf-
fällig, weil er bei anderen von den gerichtlichen Sachverständigen
vorgenommenen Bewertungen versucht hat, diese mit nicht unerhebli-
chem ideellen und vermutlich auch materiellen Aufwand mit Privat-
gutachten zu bekämpfen, beispielsweise die Vorbehalte des Sachver-
ständigen Z gegen das Verletzungsmuster der Finger aufgrund der
nahe beieinander liegenden Läufe durch die Privatgutachten T und
X, die die Drehbewegung einer Waffe bei der Schußabgabe erläutert
haben.
Der Kläger hat auch nicht erklärt, wieso es gerade zu diesem Ver-
letzungsmuster gekommen ist, bei dem zwar Mittelfinger und Daumen,
nicht aber der dazwischenliegende Zeigefinger verletzt worden
sind. Dem Sachverständigen Z ist darin zu folgen, daß diese Ver-
letzung nicht erklärbar ist, wenn die linke Hand bereits auf dem
Erdboden auflag, als die Schüsse fielen. Wie er dargelegt hat,
treffen im Sturz die Finger im Reflex voll ausgebreitet und neben-
einander liegend auf dem Erdboden auf. Die Läufe der Waffe liegen
aber wesentlich näher beieinander als die Verletzungen von Zeige-
finger und Daumen, so daß der Zeigefinger hätte getroffen werden
müssen. Selbst wenn die Flinte nach dem ersten Schuß aufgrund des
Rückstoßes eine Drehbewegung vollzogen hat, wie die Sachverständi-
gen T und X angenommen haben, ist nicht erklärbar, wie dann die
Schmauchpartikel an die Greifseite des linken Zeigefingers gelangt
sind und wie dort die Hitzeschäden entstanden sein können. Denn
auch der linke Zeigefinger hätte bei natürlicher Haltung der Hand,
die aufgrund eines Sturzes reflexartig zu Boden geht, auf dem Erd-
boden aufliegen müssen, die Geschosse hätten dann über den Zeige-
finger hinweggehen müssen und nicht, wie die vorgenannten Spuren
ausweisen, an der Beugeseite des Zeigefingers entlang.
Der Kläger kann daher nicht bei auf dem Erdboden aufliegender Hand
getroffen worden sein; darauf weist auch die Erklärung für das
Verletzungsmuster hin, die der Sachverständige W in der Fotoserie
zu seinem Gutachten aufgezeigt hat. Danach sind die Verletzungen
möglich, wenn die Waffe teilweise mit den Läufen in der Hand lie-
gend - Mündung zwischen Ringfinger und Mittelfinger - abgefeuert
wird und gleichzeitig Daumen und Mittelfinger aneinandergedrückt
und der Zeigefinger hochgehalten werden. Hierbei werden dann Mit-
telfinger und Daumen vom unteren Lauf getroffen, während der obere
Lauf unter dem Zeigefinger hinwegfeuert und dort Verbrennungen und
Schmauchspuren verursacht. Der Senat hält diese Haltung der Waffe
und diese Stellung der Finger bei dem vom Kläger behaupteten Un-
fall für ausgeschlossen; denn der Kläger trägt selbst nicht vor,
er habe die Läufe während der Schußabgabe in der Hand gehalten
oder auch nur berührt. Aus der Demonstration des Sachverständigen
W folgt zugleich, daß sich das Verletzungsmuster nicht ergeben ha-
ben kann, wenn die Hand auf dem Boden auflag und nur der Zeigefin-
ger abgespreizt war oder sich die Hand mit irgendwie abgespreizten
Fingern, nicht auf dem Boden aufliegend, vor den Mündungen der
Flinte befunden hat. Bei Abgabe eines Doppelschusses hätten sich
dann andere Verletzungsmuster ergeben. Selbst wenn eine Schußabga-
be in der vom Sachverständigen W demonstrierten Fingerstellung
nicht wie dort aufgezeigt aus der Hand, sondern vor der gesamten
Hand erfolgt wäre, hätten sich an den Beugeseiten am linken Ring-
finger und am kleinen Finger - wie am Zeigefinger - Schmauchparti-
kel und Verbrennungen feststellen lassen müssen. Dr. med. M , der
den Kläger im Kreiskrankenhaus A operiert hat, hat in seinem
Schreiben an den Sachverständigen Z nicht über entsprechende Spu-
ren am Ringfinger und kleinen Finger der linken Hand berichtet.
Die Angaben des Klägers dahin, seine Hand sei vorher von ihm
selbst oder von seiner Ehefrau oder vom Kreiskrankenhaus B gerei-
nigt worden, sind ungenau. In seiner detaillierten Stellungnahme
vom 03.10.1987 heißt es lediglich, er habe sich zuhause den Ver-
band abgenommen, das Ausmaß seiner Verletzungen gesehen, seine
Ehefrau habe ihn zur Krankenhausambulanz B gefahren, dort habe der
diensthabende Arzt die Hand untersucht. In der mündlichen Verhand-
lung am 25.10.1995 hat er ausgeführt, er oder seine Ehefrau hätten
seine Hand bei der Erstversorgung mit warmen Wasser gewaschen. In
seiner Berufungserwiderung heißt es, das Kreiskrankenhaus B habe
die Wunde gesäubert und geröntgt. Da Dr. med. M gleichwohl noch
Schmauchspuren am linken Zeigefinger festgestellt hat, ist wenig
wahrscheinlich, daß gleiche Spuren vom linken Ring- und kleinen
Finger beseitigt worden sind. Verbrennungen am Ring- und kleinen
Finger wie am Zeigefinger hätte der Arzt auch trotz einer Reini-
gung feststellen müssen, da sie durch eine Reinigung der Hand na-
turgemäß nicht entfernt werden können.
Indiziencharakter für die Absicht, unberechtigt Versicherungs-
leistungen in Anspruch nehmen zu wollen, können auch die wirt-
schaftlichen Verhältnisse und das "Versicherungsverhalten" des
Versicherten haben (OLG München VerR 1986,379; OLG Bamberg, VerR
1981,74; OLG Karlsruhe r + s 1994, 476). Sie haben es auch im vor-
liegenden Fall.
So war der Kläger bei Jahresumsatzerlösen von rd. 200.000 DM/Jahr
mit Bankkreditschulden von rd. 600.000 DM im Jahr 1985, rd.
500.000 DM im Jahr 1986 und und rd. 535.000 DM im Jahr 1987 und
Sachkreditschulden aus Abzahlungskäufen von rd. 100.000 DM außer-
ordentlich hoch belastet. Die Verringerung der Bankkreditschulden
von 1985 auf 1986 beruht entgegen der Darstellung in der Beru-
fungserwiderung offensichtlich nicht nur auf einer guten Ertrags-
lage des Betriebs, sondern in Höhe von 30.000 DM auch auf einem
Darlehenserlaß des Vaters des Klägers. Ungewöhnlich hoch bei der
Art des Betriebs und der o.g. Höhe der Umsätze erscheinen auch die
in der Regel hoch verzinslichen Kreditbelastungen über Girokonten,
nämlich 1985 in Höhe von ca. 35.000 DM, 1986 in Höhe von ca.
66.000 DM und 1987 in Höhe von ca. 71.000 DM. Die Jahresgewinne im
Jahr 1985 in Höhe von rd. 25.000 DM, im Jahr 1986 in Höhe von rd.
17.000 DM und im Jahr 1987 in Höhe von rd. 13.000 DM sind vor dem
Hintergrund der Kreditbelastungen, der Umsätze und der Betriebs-
größe als äußerst gering zu werten, das Einkommen des Klägers bei
täglich 12-14 Stunden Arbeitseinsatz lag unterhalb des Verdienstes
eines ungelernten Arbeiters. Aus einem Unfall der behaupteten Art
konnte der Kläger hingegen eine Rente in Höhe von 6.446,38 DM/Monat
(bei Umrechnung auf Monate) erwarten, ferner eine einmalige In-
validitätsentschädigung in Höhe von 20 % von 900.000 DM = 180.000
DM. Bei seinen schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen hatte er
für eine absichtliche Selbstverletzung ein erhebliches Motiv.
Vor dem Hintergrund seiner Belastungen und der Ertragslage seines
Betriebs erscheint außerdem der vom Kläger betriebene Aufwand für
seine Versicherungen übersetzt. Wenn auch Vorsorge gegen die Risi-
ken eines Unfalls oder einer Berufsunfähigkeit geboten war, ist
beim Kläger zu berücksichtigen, daß jede Prämienbelastung sich au-
ßerordentlich belastend auf sein ohnehin knapp bemessenes Einkom-
men auswirkte. Wie sich aus den Vertragsdaten ergibt, unterhielt
der Kläger bis April 1987 gleichzeitig die Versicherungen bei der
N, bei der Beklagten zu 1), bei der Beklagten zu 2), bei der F
und bei der W. Sein Berufsunfähigkeitsrisiko war bei der Beklagten
zu 1) mit einer Jahresrente von rd. 77.000 DM, sein Invaliditäts-
risiko durch Unfall bei den anderen genannten Versicherern mit
insgesamt 2,467 Mio. DM bei Vollinvalidität abgesichert. Aufgrund
der Beendigung der Versicherungsverträge mit der F und der W sank
die Absicherung des Invaliditätsrisikos auf 900.000 DM vor dem Un-
fall. Es mag zutreffend sein, daß der bis April 1987 von Kläger
herbeigeführte Versicherungsumfang darauf zurückzuführen war, daß
er beabsichtigte, die bei der Beklagten zu 1) abgeschlossene Ver-
sicherung zu kündigen. Diese Kündigung nahm er jedoch am 4.11.
1986 wieder zurück. Er führte dann zwar - nach seinen Angaben fol-
gerichtig - die Beendigung des Versicherungsschutzes mit der F und
der W herbei; trotz der nun noch bei den Beklagten und der N und
der E bestehenden Versicherungen ließ er sich dann aber doch noch
am 24.6.1987 auf seine Anfrage Angebote für den Abschluß einer Le-
bensversicherung mit Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung unter-
breiten, die er bei der Beklagten zu 1) schon unterhielt. Eine Er-
klärung hierfür ist weder vorgetragen oder ersichtlich, mit einer
erneuten Umstrukturierung seiner Versicherungen läßt sich das Ver-
halten nicht erklären. Bei den schlechten wirtschaftlichen Ver-
hältnissen des Klägers ist sein Streben nach einer hohen Absiche-
rung des Unfall- und Berufsunfähigkeitsrisikos ein Indiz für eine
langfristig geplante beabsichtigte Selbstverletzung. Dem steht
nicht entscheidend entgegen, daß - wie das Landgericht gemeint hat
- sich der Kläger lohnenswert einen weiterhin bestehenden Versi-
cherungsschutz bei der W gegen Mehrprämie hätte erkaufen können.
Aus dem Schreiben dieses Versicherers vom 08.04.1987 ergab sich
deutlich - "Wir können uns nicht vorstellen, daß Sie zu dieser er-
normen Prämienerhöhung bereit sind, den Vertrag fortzuführen" -,
daß dieser Versicherer in erster Linie an einer Vertragsbeendigung
interessiert war. Aus der Sicht des Klägers waren im Leistungsfall
in geringem zeitlichen Abstand zu diesem Vorgang mit diesem Versi-
cherer Schwierigkeiten zu befürchten, die es ratsam erscheinen
lassen konnten, das Angebot auf Vertragsaufhebung anzunehmen. Daß
der Kläger sich mit der vorhandenen Risikoabdeckung eines Unfalls
nicht begnügte, zeigen seine o.g. Bemühungen bei der H, obwohl er
anderseits bereits im August 1986 im Fall der bei der N unterhal-
tenen Unfallversicherung auf Krankenhaustagegeld mit Genesungsgeld
und Übergangsentschädigung verzichtet hatte, um Prämien zu sparen.
In die Gesamtschau aller für und gegen den Kläger sprechenden In-
dizien einzubeziehen sind schließlich weitere Umstände. Es ist
nicht zu verkennen, daß der Kläger die Vorstellung gehabt haben
kann, als Masseur allein mit einer Verletzung von Mittelfinger und
Daumen eine Invaliditätsentschädigung, vor allem aber erhebliche
Renteneinkünfte wegen Berufsunfähigkeit erzielen zu können. Soweit
dem die Berufungserwiderung entgegenhält, der Kläger habe doch
durch eine Verletzung von Zeigefinger und Daumen eine "wesentlich
höhere Berufsunfähigkeitsminderung" erreichen können, überzeugt
dieser Einwand nicht. Lediglich die Gliedertaxe der nur auf eine
einmalige Entschädigung gerichteten Unfallversicherung ist bei ei-
ner Verletzung von Daumen und Zeigefinger höher, für die finanzi-
ell wesentlich ergiebigere Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung
reicht u.U. die zugefügte Verletzung.
In diesem Zusammenhang spricht gegen einen Unfall auch, daß nur
die linke und nicht die für einen Rechtshänder wie den Kläger sehr
viel wichtigere rechte Hand verletzt worden ist. Von der linken
Hand ist auch nur der für deren Funktion relativ unwichtige Mit-
telfinger erheblich, der wichtigere Daumen aber nicht so erheblich
und der sehr wichtige Zeigefinger überhaupt nicht verletzt worden.
Soweit das Landgericht ausgeführt hat, der Kläger sei für den Fall
einer absichtlichen Selbstverletzung mittels der Schrotflinte ein
hohes Gesundheitsrisiko eingegangen, was für ihn spreche, hat die-
ses Argument kein erhebliches Gewicht. Wie der Sachverständige W
anhand der Lichtbilder über das Zustandekommen eines Verletzungs-
musters nach Art des Klägers aufgezeigt hat, ist bei einer derar-
tigen Handhabung einer Schrotflinte das Gesundheitsrisiko bei Nah-
schüssen durchaus kalkulierbar; das Risiko ist zudem zu den damit
zu erzielenden wirtschaftlichen Vorteilen ins Verhältnis zu set-
zen.