Urteil des OLG Köln vom 23.01.2003

OLG Köln: leichtes verschulden, in betrunkenem zustand, fahrbahn, schweres verschulden, ampel, verdienstausfall, mitverschulden, strassenverkehrsrecht, entlastungsbeweis, lebenserfahrung

Oberlandesgericht Köln, 14 U 32/02
Datum:
23.01.2003
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
14. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
14 U 32/02
Vorinstanz:
Landgericht Bonn, 9 O 466/01
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Bonn
vom 05.06.2002 (9 O 466/01) teilweise abgeändert und wie folgt neu
gefasst:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger
1.493,00 EUR nebst 4% Zinsen ab dem 06.11.1998 zu zahlen.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz werden dem Kläger zu 85%
und den Beklagten als Gesamtschuldner zu 15% auferlegt, die Kosten
des Berufungsverfahrens dem Kläger zu 15% und den Beklagten als
Gesamtschuldner zu 85%.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
G r ü n d e
1
I.
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Die Parteien streiten um Schadenersatzansprüche des Klägers nach einem
Verkehrsunfall am 07.06.1998 gegen 2 Uhr nachts in C, an dem der Kläger als
Fußgänger beteiligt war, der Beklagte zu 1) als Fahrer eines gemieteten PKWs (P) und
die Beklagte zu 2) als Haftpflichtversicherung des bei ihr versicherten PKWs.
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Wegen des der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalts und der angefochtenen
erstinstanzlichen Entscheidung wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen,
durch das die Klage abgewiesen worden ist.
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Mit der Berufung lässt der Kläger den erstinstanzlich geltend gemachten
Schmerzensgeldanspruch fallen und beschränkt sich auf die Geltendmachung von 2/3
(= 1.994,05 EUR) des ihm nach seinem Vortrag entstandenen Verdienstausfalles nebst
4% Zinsen. Er hält das Ergebnis der Beweisaufnahme des Landgerichtes für nicht
zutreffend, wonach die für ihn maßgebliche Fußgängerampel nicht grün und die für den
Beklagten zu 1) maßgebliche Ampel nicht rot gewesen sein soll. Das sei weder durch
den Zeugen I, noch durch das Gutachten des Sachverständigen Q bewiesen, noch
durch die sonstigen vom Landgericht herangezogenen Umstände wie die
Schadenspuren am PKW sowie die angebliche widersprüchlichen bzw. unzutreffenden
Aussagen von ihm und dem Zeugen I zum zeitlichen Ablauf des Abends vor dem Unfall
und zu seinem Alkoholkonsum.
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Die Beklagten verteidigen das Urteil. Sie halten den Anspruch für verjährt und
behaupten weiterhin, die Ampel sei für den Beklagten zu 1) grün gewesen. Mangels
jeden Verschuldens des Beklagten zu 1), so meinen sie, handele es sich um ein
unabwendbares Ereignis bzw. trete jedenfalls die Betriebsgefahr zurück. Dem
gegenüber sei dem Kläger ein schweres Verschulden anzulasten, da er die Fahrbahn in
betrunkenem Zustand bei für ihn roter Ampel überquert habe. Darüber hinaus bestreiten
sie die Höhe des geltend gemachten Verdienstaufalles.
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II.
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Die zulässige Berufung des Klägers hat teilweise Erfolg. Der mit der Berufung nunmehr
(in Höhe von 2/3) geltend gemachte Anspruch auf Ersatz des Verdienstausfalles ist in
Höhe von 50% des dem Kläger insgesamt entstandenen Schadens begründet.
Maßgeblich ist dafür folgendes:
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Anspruchsgrundlage des vom Kläger geltend gemachten Verdienstausfallschadens ist §
18 StVG, wonach der Fahrer eines Kraftfahrzeuges grundsätzlich zum Ersatz des
Schadens verpflichtet ist, der beim Führen des Fahrzeuges entstanden ist. Dabei
handelt es sich um eine Verschuldenshaftung mit umgekehrter Beweislast, d.h. das
Verschulden des Fahrzeugführers wird vermutet, solange er sich nicht entlastet, dass er
die gewöhnliche verkehrserforderliche Sorgfalt angewandt hat (vgl. Hentschel,
Strassenverkehrsrecht, 36. Auflage, § 18 RZ 1 ff. m.w.N.). Dieser Entlastungsbeweis ist
den Beklagten nicht gelungen. Die Aussage des Beklagten zu 1) gegenüber der am
Unfallort eingetroffene Polizei, "die Lichtzeichenanlage zeigte für mich grün" ist vom
Kläger bestritten worden. Auch die Erklärung des Beklagten zu 1) in der Verhandlung
vor dem Strafgericht "ich bin mir sicher, dass ich grün hatte, sonst wäre ich bei diesem
schlechten Wetter nicht so schnell gefahren" ist kein ausreichender Beweis.
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Ebenso wenig ist selbst dann, wenn man es mit dem Landgericht als bewiesen ansieht,
dass die Ampelanlage für den Kläger, d.h. die Fußgängerampel, nicht grün gezeigt hat -
dazu näher noch unten -, daraus zu folgern, dass die Ampel für den Beklagten zu 1)
dann nicht rot gezeigt hat. Dieser Rückschluss ist deshalb nicht zwingend, weil es
durchaus Ampelphasen gibt, in denen sowohl die Fußgängerampel als auch die für den
Fahrzeugverkehr rot zeigt, um nämlich dem Fußgängerverkehr, der in der Endphase
grün gestartet ist, das gefahrlose Verlassen der Fahrbahn zu ermöglichen. Eine solche
gleichzeitige Rotschaltung beider Ampeln ist gerade bei einer breiten Fahrbahn wie im
vorliegenden Fall von nicht ganz kurzer Dauer.
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Zutreffend wird in der Berufungsbegründung auch darauf hingewiesen, dass die
weiteren vom Landgericht herangezogenen Umstände ebenfalls nicht den
erforderlichen Entlastungsbeweis für den Beklagten zu 1) erbringen, dass er nämlich
nicht bei für ihn roter Ampelschaltung gefahren ist. Weder der Alkoholkonsum des
Klägers - mit einem unstreitigen Blutalkoholgehalt von 1,93 Promille -, noch seine
Bekundungen im übrigen bzw. die des Zeugen I zu den Begleitumständen des Unfalls
sind geeignet, auch nur irgendetwas zur Aufklärung insoweit beizutragen. Dasselbe gilt
für die Schäden am Fahrzeug des Beklagten zu 1): Soweit die Parteien darüber streiten,
ob der Kläger aus der Sicht des Beklagten zu 1) von links nach rechts die Strasse
überquert hat, was nach dem Gutachten des Sachverständigen Q dem Schadensbild
zuzuordnen wäre, oder aber von rechts nach links - wie der Kläger behauptet -, so ist
dies für die Frage der Ampelschaltung ohne Bedeutung. Denkbar wäre im übrigen -
ohne dass es hier darauf ankommt -, dass der Kläger gemäss seiner Schilderung
zunächst von rechts kam, aber auf der Fahrbahn umgekehrt ist oder sich umgedreht hat,
weil er auf den unstreitig zurückgebliebenen Zeugen I wartete.
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Im Ergebnis ist damit davon auszugehen, dass sich die Beklagten nicht gegenüber der
Behauptung des Klägers, der Beklagte zu 1) sei bei Rot über die für ihn maßgebliche
Ampelanlage gefahren, entlastet haben.
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Gegenüber dem vermuteten Verschulden des Beklagten zu 1) ist allerdings ein
Mitverschulden des Klägers gemäss § 254 BGB zu berücksichtigen. Dies ist von der
Beklagtenseite zu beweisen, und zwar sowohl dem Grunde als auch - im Rahmen der
Abwägung der beiderseitig anzulastenden Verursachungsbeiträge - dem Gewicht nach
(vgl. Hentschel, aaO, § 9 StVG RZ 25 m.w.N.).
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Nachzuweisen ist dem Kläger nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme erster Instanz
und nach den im übrigen feststehenden Umstände nicht, dass er die Fahrbahn bei für
ihn roter Ampel betreten hat. Für eine solche Feststellung gibt es keine Zeugenaussage
und sprechen keine sonstigen Umstände. Allein die Darstellung des Beklagten zu 1), er
sei sich sicher, bei grün gefahren zu sein, erbringt angesichts des Bestreitens des
Klägers nicht den notwendigen Beweis.
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Ein leichtes Verschulden ist dem Kläger indessen deshalb anzulasten, weil er sich trotz
grün geschalteter Ampel nicht vergewissert hat, dass die Fahrbahn frei von etwaigem
KfZ-Verkehr war. Denn einen Fußgänger trifft trotz grünen Lichts der für ihn geltenden
Ampel die Obliegenheit, sich vor dem Betreten der Fahrbahn durch einen beiläufigen
Blick nach den Seiten zu vergewissern, dass er diese gefahrlos überqueren kann. Erst
danach darf er auf die Beachtung seines Vorranges vertrauen (vgl. BGH VRS 31, 3;
Heidelberger Kommentar zum Strassenverkehrsrecht, § 37 RZ 61).
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Darüber hinaus spricht der Beweis des ersten Anscheins für eine schuldhafte
Mitverursachung des Unfalls durch den Kläger, und zwar über ein nur leichtes
Verschulden hinausgehend. Dies deshalb, weil der Kläger die Fahrbahn mit einem
Blutalkoholgehalt von 1,93 Promille überquert hat; denn stößt einem erheblich
alkoholisierten Fußgänger auf der Fahrbahn unter Umständen, die ein Nüchterner hätte
meistern können, einen Unfall zu, so spricht der Anschein für eine Mitursächlichkeit der
Trunkenheit und damit zugleich für ein Mitverschulden am Unfall (vgl. DAR 56,128;
Hentschel, aaO, § 9 StVG RZ 15 und § §24 StVO RZ 54). Davon ist im vorliegenden Fall
auszugehen. Denn nach der allgemeinen Lebenserfahrung ist anzunehmen, dass ein
Fußgänger im nüchternen Zustand das Fahrzeug des Beklagten zu 1) wahrgenommen
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und bemerkt hätte, dass sein Vorrang als Fußgänger nicht berücksichtigt würde. Da die
Fahrbahn an der Unfallstelle gut einsehbar ist und da sich der Beklagte zu 1) mit
unverminderter Geschwindigkeit näherte, hätte sich der Kläger im nüchternen Zustand
im Zweifel darauf eingestellt und den Beklagten zu 1) passieren lassen.
Zusammenfassend ist damit auf Seiten des Beklagten zu 1) von einem vermuteten
Verschulden auszugehen und auf Seiten des Klägers von einem Beweis des ersten
Anscheines für eine schuldhafte Mitverursachung des Unfalls. Unter Abwägung der
beiderseitigen Verschuldensbeiträge erscheint die Teilung des Schadens auf
Klägerseite angemessen, d.h. eine Haftungsquote der Beklagten von 50%.
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Hinsichtlich der Schadenshöhe ist von den Angaben des Klägers zu seinem
Verdienstausfall auszugehen, die auch das Landgericht im PKH-Beschluss vom
05.03.2002 zugrundegelegt hat, d.h. von monatlich 1.300,00 DM als monatlichen
Verdienstausfall für 4 1/2 Monate unstreitiger Arbeitsunfähigkeit. Das ergibt einen
Gesamtschaden von 5.840,00 DM, von dem die Beklagten als Gesamtschuldner die
Hälfte, das sind 2.920,00 DM = 1.493,00 EUR zu erstatten haben. Soweit die Beklagten
erstinstanzlich bestritten haben, dass der Kläger unfallbedingt überhaupt einen
Verdienstausfall erlitten habe, weil er in den betreffenden Monaten auch ohne Unfall
keiner entgeltlichen Tätigkeit nachgegangen wäre, folgt der Senat dem nicht. Denn nach
den vorgelegten Unterlagen hat der Kläger in den vergangenen Jahren regelmässig
Aushilfstätigkeiten mit unterschiedlichen Einkünften wahrgenommen, die auf einen
durchschnittlichen Verdienst von 1.300,00 DM monatlich schließen lassen.
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Der Anspruch des Klägers ist auch nicht verjährt; denn die dreijährige Verjährungsfrist
gemäss § 852 Abs. 1 BGB a.F. ist in der Zeitspanne vom 27.07. - 02.09.1998 sowie vom
22.10.1998 - 12.01.1999 gehemmt gewesen. Dazu wird auf die zutreffenden
Ausführungen im PKH-Beschluss des Landgerichts vom 05.03.2002 verwiesen, denen
sich der Senat anschließt.
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Soweit die Beklagten die Auffassung vertreten, die Frist sei längstens nur bis zum
05.11.1998 gehemmt gewesen, nicht aber bis zum 12.01.1999 und sei mithin bei
Klageeinreichung bereits abgelaufen gewesen, folgt der Senat dem nicht. Das
Schreiben der Beklagten zu 2) vom 10.11.1998 beinhaltet keine endgültige ablehnende
Erklärung zu den vom Kläger geltend gemachten Ansprüchen, was zur Beendigung der
Verjährungshemmung erforderlich gewesen wäre (vgl. BGH NJW - RR 1991, 470, 472).
Zwar wird in diesem Schreiben - wie bereits in der Vorkorrespondenz - darauf
hingewiesen, dass ein Schadensersatzanspruch des Klägers nicht bestehe und speziell
die zwischenzeitlich erfolgte Aussage des Zeugen I keinen Anlass gebe, die Sachlage
anders zu beurteilen. Gleichzeitig wird jedoch mitgeteilt, dass der Vorgang nunmehr in
der Hauptverwaltung der Beklagten zu 2) weiter bearbeitet werde und dass der dortige
Sachbearbeiter sich infolge Urlaubs frühestens im Dezember mit der Sache befassen
könne. Damit aber ist die Ablehnung von Schadensersatzansprüchen gerade nicht
endgültig erklärt worden, sondern unter den Vorbehalt einer erneuten Prüfung durch den
Sachbearbeiter der Hauptverwaltung gestellt worden. Erst mit dessen ablehnender
Anwort vom 12.01.1999 ist daher die Hemmung der Verjährung aufgehoben worden mit
der Folge, dass die Ansprüche bei Klageeinreichung noch nicht verjährt waren.
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Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286, 288 BGB.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92, 100 Abs. 4 ZPO, die Entscheidung zur
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vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 708 Nr. 10 ZPO.
Streitwert für das Berufungsverfahren: 1.944,05 EUR
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