Urteil des OLG Köln vom 21.11.2007

OLG Köln: auszahlung der versicherungsleistung, anzeige, rechtsgeschäftsähnliche handlung, original, rechtsschein, urkunde, abtretung, willenserklärung, besitz, vollstreckung

Oberlandesgericht Köln, 13 U 21/07
Datum:
21.11.2007
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
13. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 U 21/07
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 15 O 249/06
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 15. Zivilkammer des
Landgerichts Köln vom 21. Dezember 2006 - 15 O 249/06 - abgeändert
und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 88.974,75 € nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
11.03.2006 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der
Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden
Betrages leistet.
G r ü n d e :
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I.
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Die Klägerin verlangt von der Beklagten Zahlung des Rückkaufswertes einer ihr zur
Sicherheit abgetretenen Lebensversicherung. Wegen der Einzelheiten des
erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes einschließlich der gestellten Anträge wird auf
den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
Ergänzend ist festzuhalten, dass die Kopie der Freigabeerklärung vom 01.06.2005,
welche der Beklagten vor Auszahlung der Versicherungsleistung von 88.974,75 € an
die Versicherungsnehmerin Frau S. vorlag, keine Originalunterschrift aufgewiesen hat.
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Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 21.12.2006 (Bl. 115 ff. GA), auf das im
Übrigen wegen der rechtlichen Würdigung durch die Zivilkammer Bezug genommen
wird, mit der Begründung abgewiesen, die Beklagte habe schuldbefreiend an die
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Versicherungsnehmerin H. S. gezahlt. Zugunsten der Beklagten greife die Vorschrift des
§ 409 Abs.1 Satz 1 BGB ein, denn die Klägerin habe dadurch, dass sie Herrn S. eine
unterzeichnete Kopie des Freigabeschreibens zugesandt habe, einen ihr
zurechenbaren Rechtsschein gesetzt. Das Schreiben sei zwar - weil Kopie - keine
Urkunde i.S.d. § 409 Abs.1 Satz 2 BGB, es sei aber als Anzeige der Abtretung i.S.d.
Satz 1 dieser Vorschrift anzusehen.
Mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung macht die Klägerin im
Wesentlichen geltend, die Kopie der Freigabeerklärung enthalte bereits keine Anzeige
i.S.d. § 409 Abs.1 Satz 1 BGB und erst recht nicht eine solche der Klägerin an die
Beklagte; hieran vermöge auch die Tatsache nichts zu ändern, dass die Kopie eine -
ebenfalls kopierte - Unterschrift enthalten habe. Die Kopie sei weder von der Klägerin
noch auf deren Veranlassung an die Beklagte übersandt worden. Soweit die Kammer
dies damit zu überbrücken versuche, dass sie auf allgemeine Rechtsscheingrundsätze
zurückgreife, sei dies fehlerhaft, denn durch eine ausdrücklich als solches bezeichnete
Kopie werde kein Rechtsschein hervorgerufen. Zudem werde durch den Rückgriff auf
allgemeine Rechtsscheingrundsätze die klare Systematik der gesetzlichen Regelung
ausgehebelt, denn § 409 Abs.1 Satz 1 BGB setze gerade voraus, dass die Anzeige der
Abtretung vom Altgläubiger stamme.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte unter Abänderung des am 21.12.2006 verkündeten Urteils des
Landgerichts Köln - 15 O 249/06 - zu verurteilen, an sie 88.974,75 € nebst Zinsen
in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.03.2006 zu
zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Dabei vertritt sie
insbesondere die Auffassung, für die Anwendung des § 409 Abs 1 Satz 1 BGB reiche es
aus, dass die Erklärung von der Klägerin selbst in Verkehr gebracht worden und - auf
welchem Wege auch immer - ihr, der Beklagten zugegangen sei.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Vorbringens im
Berufungsrechtszug wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
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II.
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Die Berufung ist begründet, der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch zu, denn
die Beklagte ist durch Auszahlung der Versicherungsleistung an Frau S. von ihrer
Leistungspflicht der Klägerin gegenüber nicht befreit worden.
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Die Voraussetzungen des § 409 Abs.1 Satz 2 BGB hat das Landgericht angesichts der
Tatsache, dass es sich bei der der Beklagten übersandten Freigabeerklärung vom
01.06.2005 nicht um das Original, sondern um eine - auch nicht original unterzeichnete -
Kopie gehandelt hat, zu Recht verneint. Da die diesbezüglichen Darlegungen auch von
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der Beklagten nicht in Frage gestellt worden sind, verzichtet der Senat auf ergänzende
Ausführungen.
Die Voraussetzungen des § 409 Abs.1 Satz 1 BGB sind entgegen der Ansicht des
Landgerichts und der Beklagten ebenfalls nicht erfüllt. Zutreffend ist zwar, dass in der
Vorlage der Fotokopie einer Urkunde eine Anzeige i.S. dieser Vorschrift liegen kann
(vgl. MünchKomm/Roth, BGB, 5. Aufl., 2007, § 409 Rz.7), erforderlich für ein Eingreifen
dieser Norm ist aber nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut, dass die Abtretung der
Schuldnerin von der Gläubigerin - hier also von der Klägerin - angezeigt worden ist.
Dies hat die insoweit beweispflichtige Beklagte bereits nicht substantiiert dargelegt.
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Bei der Anzeige i.S.d. § 409 Abs. 1 Satz 1 BGB handelt es sich nach ganz herrschender
Auffassung um eine rechtsgeschäftsähnliche Handlung, die Vorschriften über
Willenserklärungen finden damit grundsätzlich entsprechende Anwendung (vgl. nur
Palandt/Grüneberg, BGB, 66. Aufl., § 409 Rz.3). Im Gegensatz zur Urkunde i.S.d. § 409
Abs.1 Satz 2 BGB ist die Anzeige nicht an eine bestimmte Form gebunden. Trotz
Formfreiheit setzt der rechtsgeschäftsähnliche Charakter der Anzeige i.S.d. § 409 Abs.1
Satz 1 BGB hinsichtlich des objektiven Tatbestandes ebenso wie der objektive
Tatbestand einer Willenserklärung die Äußerung eines auf die Herbeiführung einer
Rechtswirkung gerichteten Willens voraus. Die Anzeige muss vom wahren Gläubiger
stammen, den neuen Gläubiger erkennen lassen (BGHZ 100, 36 [46]) und - wie eine
empfangsbedürftige Willenserklärung - mit Willen des wahren Gläubigers in den
Rechtsverkehr eingebracht worden sein (Prütting/Wegen/Weinreich/Müller, BGB, 2.
Aufl., § 409 Rz.2; Palandt/Grüneberg, a.a.O., § 409 Rz.3; vgl. zur Willenserklärung,
Palandt/Heinrichs, a.a.O., § 130 Rz.4); ein genereller Entäußerungswille ist insoweit
nicht ausreichend, vielmehr muss gerade die Anzeige an den Schuldner vom Willen des
Gläubigers getragen werden (MünchKomm/Roth, a.a.O., § 409 Rz.6;
Staudinger/Busche, BGB, 2005, § 409 Rz.15). Auf abhanden gekommene Erklärungen
findet § 409 Abs.1 Satz 1 BGB nach zutreffender Auffassung keine Anwendung (vgl.
Staudinger/Busche, a.a.O., § 409 Rz.15 und 22; MünchKomm/Roth, § 409 Rz.6;
Soergel/Zeiss, BGB, 12. Aufl., § 409 Rz.4).
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Vorliegend war das von der Klägerin an den Notar übersandte Original der
Freigabeerklärung zwar ebenso wie die den Versicherungsnehmern übersandte Kopie
an die Beklagte adressiert, auch ließ sie den neuen Gläubiger erkennen. Die insoweit
darlegungs- und beweisbelastete Beklagte (vgl. PWW/Müller, a.a.O., § 409 Rz.5) hat
jedoch schon nicht dargelegt (und darüber hinaus keinen Beweis angetreten), dass die
Klägerin die Freigabeerklärung ihr gegenüber willentlich entäußert hat, die Beklagte hat
sich vielmehr zu den Umständen der Übersendung der Kopie, insbesondere dazu, von
wem sie die Kopie der Freigabeerklärung erhalten hat, nicht erklärt. Soweit die Beklagte
meint, die Frage, wie sie in den Besitz der Kopie gelangt sei, habe für den Ausgang des
Rechtsstreits keine Relevanz, da auch der von Dritten herbeigeführte Zugang der Kopie
der Freigabeerklärung zum Eingreifen des § 409 Abs.1 Satz 1 BGB führe, vermag der
Senat dem nicht zu folgen. Zwar besteht grundsätzlich auch die Möglichkeit, die
Anzeige i.S.d. § 409 Abs. 1 Satz 1 BGB durch einen Boten überbringen oder von einem
Vertreter aussprechen zu lassen (MünchKomm/Roth § 409 Rz.5); auch derartiges lässt
sich dem Vorbringen der Beklagten jedoch nicht entnehmen. Angesichts dessen bedarf
keiner Vertiefung, ob vorliegend in der ausdrücklich als Kopie gekennzeichneten
Erklärung, die der Beklagten seinerzeit vorgelegen hat, überhaupt eine Anzeige i.S.d. §
409 Abs.1 Satz 1 BGB zu sehen ist.
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Zugunsten der Beklagten greifen auch allgemeine Rechtsscheingrundsätze nicht ein.
Dahinstehen kann, ob diese Grundsätze neben den speziellen Regelungen der §§ 407
ff. BGB anwendbar sind, denn die Beklagte kann sich angesichts der Gesamtumstände
nicht auf einen allgemeinen Rechtsschein berufen. Da die Beklagte dazu, wie sie in den
Besitz der Kopie der Freigabeerklärung gelangt ist, keinerlei Angaben gemacht hat, geht
der Senat entsprechend dem Vorbringen der Klägerin davon aus § 138 Abs. 3 ZPO,
dass sie die Freigabeerklärung vom 01.06.2005 nicht von der Klägerin oder dem Notar,
sondern erst einige Monate später von dritter Seite erhalten hat. Schon diese Umstände
hätten für die Beklagte Anlass sein müssen, vor der Auszahlung der
Versicherungssumme bei der Klägerin nachzufragen. Berücksichtigt man ferner, dass
für die Beklagte aufgrund des Zusatzes "Kopie" auf der Freigabeerklärung deutlich
erkennbar war, dass von dieser Urkunde auch ein Original existierte, bestehen für einen
Rechtsschein zugunsten der Beklagten keinerlei tragfähige Anknüpfungspunkte. Der
Beklagten musste sich vielmehr die Frage geradezu aufdrängen, warum ihr von dritter
Seite lediglich eine Kopie und nicht das ebenfalls an sie adressierte Original übersandt
worden war. Dass sie die Versicherungsleistung gleichwohl ohne weitere Nachprüfung
an Frau S. ausgezahlt hat, kann nur als grob leichtfertig eingestuft werden.
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III.
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Aus den vorstehenden Ausführungen folgt zugleich, dass kein Grund i.S.d. § 543 Abs.2
ZPO besteht, die Revision zuzulassen. Die Tatsache, dass eine höchstrichterliche
Entscheidung der Frage, ob die Anzeige an den Schuldner gemäß § 409 Abs.1 Satz 1
BGB vom Willen des Gläubigers getragen werden muss, nicht vorliegt, führt entgegen
der Ansicht der Berufung nicht dazu, dass der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung
zukommt; auch erfordert die Fortbildung des Rechts keine Entscheidung des
Revisionsgerichts. Die - in der Literatur soweit ersichtlich ohnehin nicht streitige - Frage
beantwortet sich vielmehr nach allgemeinen Grundsätzen. Anlass, insoweit besondere
Leitsätze für die Auslegung des § 409 BGB aufzustellen, besteht nicht.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen im Übrigen beruhen auf den §§ 91 Abs. 1, 708
Nr. 10, 711 ZPO.
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Berufungsstreitwert: 88.974,75 €
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