Urteil des OLG Köln vom 14.03.2017

OLG Köln (strafkammer, selbstanzeige, steuerhinterziehung, betrag, umfang, arbeitnehmer, zeuge, höhe, abgabe, stgb)

Oberlandesgericht Köln, 1 Ss 574-575/79
Datum:
28.08.1979
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
1. Strafsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 Ss 574-575/79
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit seinen Feststellungen aufgehoben. Die
Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die
Kosten beider Revisionen, an eine andere Strafkammer des
Landgerichts Aachen zurückverwiesen.
G r ü n d e :
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Das Schöffengericht hat den Angeklagten D. wegen Steuerhinterziehung in zwei Fällen
zu einer Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 100,00 DM, den Angeklagten P.
wegen Steuerhinterziehung zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 100,00 DM
verurteilt. Durch das angefochtene Urteil sind die Berufungen beider Angeklagten mit
der Maßgabe verworfen worden, dass der Angeklagte D. wegen Steuerhinterziehung zu
einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 90,00 DM, und der Angeklagte P. wegen
Steuerhinterziehung zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 90,00 DM verurteilt
werden. Soweit der Verurteilung durch das Schöffengericht auch der gegen den
Angeklagten D. erhobene Vorwurf zugrundelag, als Geschäftsführer der inzwischen in
Konkurs geratenen Firma "I.-D." (GmbH) in den Monaten Oktober und November 1974
Lohnsteuer in Höhe von 9.241,10 DM einbehalten zu haben, ist das Verfahren vorläufig
gem. § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden.
2
I.
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Die Strafkammer ist von folgenden Feststellungen ausgegangen:
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Beide Angeklagten führen gemeinsam als Mitinhaber in A. das Restaurant "D." in der
Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts seit dem 05.04.1975. In diesem
Zeitraum wurden von den Angeklagten insgesamt 9 Arbeitnehmer mit Steuerkarte
beschäftigt; diese Arbeitnehmer wurden auch bei der AOK. angemeldet, ebenfalls
wurden für sie die Sozialversicherungsbeiträge abgeführt. Von diesen Arbeitnehmern
wurden vier nur aushilfsweise beschäftigt. Darüber hinaus arbeiteten in dem Restaurant
noch zahlreiche Aushilfskräfte, die überwiegend nur kurzfristig beschäftigt waren.
Obwohl ihnen die Verpflichtung hierzu bekannt war, gaben die Angeklagten im Zeitraum
seit Geschäftseröffnung - 05.04.1975 - bis zum 31.10.1976 keinerlei
Steueranmeldungen über die von ihnen einbehaltenen Lohnsteuern ab und führten die
während dieses Zeitraums einbehaltenen Lohnsteuern in Höhe von mindestens
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18.600,00 DM nicht an das Finanzamt ab. Sie nahmen es zumindest billigend in Kauf,
jedenfalls in dieser Höhe Lohnsteuer im vorgenannten Zeitraum zu hinterziehen.
Nachdem das Finanzamt im Laufe des Jahres 1976 mehrfach die Abgabe der
monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen bei den Angeklagten angemahnt hatte,
begann der etwa im September 1976 von den Angeklagten mit der Wahrnehmung ihrer
steuerlichen Belange beauftragte Steuerbevollmächtigte F. sich um die nachträgliche
Abgabe der Lohnsteueranmeldungen zu bemühen. Anläßlich einer auf der
Umsatzsteuerstelle des Finanzamts A.-Stadt am 05.11.1976 geführten Besprechung
über Umsatzsteuerangelegenheiten der beiden Angeklagten bemerkte der Steuerbev. F.
"beiläufig", daß die Angeklagten auch noch etwa 18.000,00 DM an Lohnsteuer
nachträglich anzumelden und abzuführen hätten. Daraufhin wurde eine
Lohnsteueraußenprüfung angeordnet, die am 08.11.1976 begann. Der Zeuge F. hatte
zu Beginn der Lohnsteueraußenprüfung am 08.11.1976 die Lohnsteueranmeldungen
nachgefertigt und vollständig zur Hand, diese wurden jedoch von den Lohnsteuerprüfern
nicht mehr angenommen. Die Lohnsteuerprüfung stellte den Gesamtbetrag der nicht
angemeldeten und nicht abgeführten Lohnsteuer mit 34.170,95 DM fest. Die
Angeklagten und der Zeuge F. erkannten das Prüfungsergebnis an, der anerkannte
Betrag ist mittlerweile auch nachentrichtet worden.
Die Voraussetzungen einer strafbefreienden Selbstanzeige gem. § 395 RAO a.F. im
Zusammenhang mit der Bemerkung des Zeugen F. vom 05.11.1976 über die noch
nachzuentrichtende Lohnsteuer hat die Strafkammer als nicht gegeben angesehen. Es
habe insoweit an genügend vollständigen Angaben über Art und Umfang der
hinterzogenen Lohnsteuern gefehlt, auch habe sich aus der Mitteilung des Zeugen F.
am 05.11.1976 kein Hinweis auf den Zeitraum der Lohnsteuerverkürzung ergeben.
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Die Revisionen der Angeklagten wenden sich mit der Sachrüge gegen die Verurteilung
wegen Steuerhinterziehung und machen geltend, die Strafkammer habe die
Voraussetzungen der strafbefreienden Selbstanzeige nach § 395 RAO a.F. bzw. § 371
AO 1977 zu Unrecht verneint.
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II.
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Die Rechtsmittel haben (vorläufigen) Erfolg. Hinsichtlich der Voraussetzungen einer
strafbefreienden Selbstanzeige gem. § 395 Abs. 1 RAO (in dieser, im übrigen mit § 371 I
AO 1977 inhaltgleichen, Fassung anzuwenden gem. § 2 Abs. 1 StGB) sind die
Feststellungen der Strafkammer sachlich-rechtlich unvollständig.
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1. Zutreffend geht die Strafkammer davon aus, daß der Tatbestand einer
gemeinschaftlichen von beiden Angeklagten begangenen fortgesetzten
Steuerhinterziehung in der Begehungsform der Steuerverkürzung nach §§ 392
Abs. 1 RAO a.F., 25 Abs. 2 StGB erfüllt wäre. Hinsichtlich der Verpflichtung der
Angeklagten zur Abgabe der Lohnsteueranmeldungen und Abführung der
Lohnsteuer war auszugehen von der Vorschrift des § 41 a EStG (eingefügt durch
das EStReformgesetz vom 05.08.1974 - BGBl I S. 1769, anzuwenden ab
01.01.1975). Danach hatten die Angeklagten als Arbeitgeber spätestens am
zehnten Tage nach Ablauf eines jeden Lohnsteuer-Anmeldungszeitraums
2. dem zuständigen Finanzamt eine Steuererklärung einzureichen, in der die Summe
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der im Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum einzubehaltenden und zu
übernehmenden Lohnsteuer angegeben ist, und
3. die in diesem Zeitraum insgesamt einbehaltene und übernommene Lohnsteuer an
das zuständige Finanzamt abzuführen.
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Dabei ist Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum grundsätzlich der Kalendermonat (§ 41 a
Abs. 2 S. 1 EStG). Die entsprechenden Anmeldungs- und Zahlungsverpflichtungen
der Angeklagten ergaben sich damit erstmals im Monat Mai 1976 bezüglich des
Anmeldungszeitraums April 1976. Die objektive Lohnsteuerverkürzung trat zu dem
genannten Fälligkeitszeitpunkt bereits dadurch ein, daß die Angeklagten die
Anmeldung der Lohnsteuerbeträge unterließen (Franzen-Gast-Samson,
Steuerstrafrecht, 2. Aufl., § 370 AO Rz. 171; BayObLG NJW 64, 2171). Die
Strafkammer hat zutreffend den insgesamt verkürzten Lohnsteuerbetrag (18.600,00
DM) aufgrund eigener Prüfung festgestellt und sich nicht darauf beschränkt, etwa von
dem Ergebnis der Lohnsteuerprüfung ausgehend den dort ermittelten Betrag als
erwiesen anzunehmen. Keinen Bedenken begegnen auch die Feststellungen der
Strafkammer zum Vorsatz der Angeklagten in Ansehung der durch Nichtanmeldung
und -abführung bewirkten Lohnsteuerverkürzung. Die Kammer hat im einzelnen die
näheren Umstände gewürdigt, aufgrund deren die vor dem Zeugen F. mit der
Wahrnehmung der steuerlichen Angelegenheiten beauftragten
Steuerbevollmächtigten bzw. -berater gehindert waren, die Lohnsteueranmeldungen
zu bewirken. Wenn die Strafkammer unter Würdigung dieser Umstände zu der
Überzeugung gelangt ist, daß die Angeklagten bei entsprechendem Willen ihre
lohnsteuerlichen Verpflichtungen hätten erfüllen können, sie es daher (im Sinne des
bedingten Vorsatzes) zumindest billigend in Kauf nahmen, die Lohnsteueranmeldung
nicht abzugeben und die einbehaltenen Lohnsteuern nicht abzuführen, so war die
Überzeugungsbildung der Strafkammer nicht zu beanstanden und ließ Rechtsfehler
nicht erkennen. Im übrigen gehörte zum Vorsatz der Steuerhinterziehung auch nicht
der Wille, die geschuldeten Lohnsteuerbeträge dem Finanzamt endgültig
vorzuenthalten (s. BayObLG aaO).
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1. Hingegen halten die Ausführungen des angefochtenen Urteils zu den
Voraussetzungen einer strafbefreienden Selbstanzeige nach § 395 I RAO a.F.
einer Nachprüfung nicht stand.
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Der Annahme einer Selbstanzeige würde zunächst nicht entgegenstehen, daß der
Zeuge F. die Bemerkung hinsichtlich der nachzuentrichtenden Lohnsteuern nur
"beiläufig" gemacht hat. Denn die Selbstanzeige erfordert keine bestimmte Form,
kann daher auch mündliche erfolgen (OLG Hamburg NJW 70, 1385, 1386; OLG
Hamm DB 61, 968; Franzen-Gast-Samson Rz. 44 zu § 371 AO).
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Was aber den notwendigen Inhalt der Selbstanzeige angeht, so ist vorliegend vom
Merkmal der unterlassenen Angaben des § 395 I RAO auszugehen und darauf
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abzustellen, was der Steuerpflichtige bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner
steuerlichen Offenbarungspflichten schon früher hätte tun müssen (BGHSt 12, 100 f.;
Franzen-Gast-Samson Rz. 34 zu § 371 AO). Der Inhalt einer Selbstanzeige hatte sich
daher vorliegend nach dem Umfang der in § 41 a EStG näher bestimmten
Erklärungspflichten der Angeklagten zu richten. In einem gleichgelagerten Fall führt
der BGH zu den Voraussetzungen der Strafbefreiung nach § 395 RAO unter
Berücksichtigung des damals die Lohnsteueranmeldung regelnden § 44 LStDV aus
(Urt. v. 05.09.1974 in NJW 1974, 2293 f.):
"Nach § 44 LStDV hat der Arbeitgeber die einbehaltenen Lohnsteuerbeträge
für die näher bezeichneten, sich nach der Höhe der abzuführenden Steuern
richtenden Zeiträume jeweils in einem Betrag anzumelden. Von ihm wird
weder verlangt, daß er die Beträge nach Arbeitnehmern aufschlüsselt, noch
daß er die gezahlten Bruttolöhne angibt. Auf Grund derartiger Angaben könnte
das Finanzamt ohnehin nicht feststellen, ob die Lohnsteuern richtig
einbehalten und vollständig abgeführt worden sind. Braucht aber der
Arbeitgeber die einbehaltenen Lohnsteuern für jeden Abführungszeitraum nur
in einem Betrag anzumelden, so erfüllt er das Berichtigungserfordernis des §
395 AO, wenn er dem Finanzamt erklärt, daß er die für bestimmte Zeiträume
einbehaltene Lohnsteuer nicht oder, wie hier, nicht vollständig angemeldet
und abgeführt habe, und wenn er diejenige Beträge angibt, die er nach seiner
Ansicht hätte abführen müssen."
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Daraus ergibt sich, daß die Strafkammer an den Inhalt einer Selbstanzeige zu hohe
Anforderungen gestellt hat, soweit sie beanstandet, daß die Erklärung des Zeugen F.
vom 05.11.1976 eine Aufschlüsselung darüber vermissen ließ, für wieviele und
welche Arbeitnehmer der genannte Lohnsteuerbetrag von etwa 18.000,00 DM
einbehalten worden war, weiterhin detaillierte Angaben über die insgesamt
ausgezahlten Bruttolöhne sowie den darin enthaltenen Anteil von Arbeitsentgelten für
kurzfristig in geringem Umfang gegen geringes Entgelt beschäftigte Arbeitnehmer in
der Erklärung des Zeugen F. fehlten.
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Die Angabe des Zeugen F., daß die Angeklagten auch noch etwa 18.000,00 DM
Lohnsteuer nachträglich anzumelden und abzuführen hätten, könnte somit eines der
beiden wesentlichen Erfordernisse einer Selbstanzeige im vorliegenden Fall erfüllen.
Denn die Strafkammer geht davon aus, daß die Summe der verkürzten
Lohnsteuerbeträge dem vom Zeugen F. genannten Betrag entspricht. Soweit die
Strafkammer die tatsächliche Steuerverkürzung um 600,00 DM höher als den vom
Zeugen F. angegebenen Betrag feststellt, würde dies einer Strafbefreiung in vollem
Umfang nicht entgegenstehen, da die Fehleinschätzung nur geringfügig ist (OLG
Frankfurt NJW 62, 974; Erbs-Kohlhaas Anm. 4 zu § 395 RAO). Dies gilt auch
deswegen, weil dem Steuerpflichtigen, wenn er sich bei Erstattung der Selbstanzeige
nur geringfügig zu seinem Vorteil verschätzt, Gelegenheit gegeben werden muß, die
genauen Beträge festzustellen, wenn nicht das Finanzamt selbst sie ohne
Schwierigkeiten ermitteln kann (BGH aaO NJW 74, 2294).
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Soweit die Strafkammer das weitere Erfordernis einer hier wirksamen Selbstanzeige -
Angabe des Zeitraums der anzumeldenden und abzuführenden Lohnsteuerbeträge -
verneint, weil sich hierauf kein Hinweis aus der Bemerkung des Zeugen F. ergeben
habe, sind die Feststellungen des angefochtenen Urteils sachlich-rechtlich
unvollständig. Es bleibt nämlich offen, ob sich bei näherer Prüfung des der
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Beurteilung der Strafkammer unterliegenden Sachverhalts der Zeitraum der
Lohnsteuerverkürzung aus den Gesamtumständen ergeben hätte. In dieser Richtung
drängten sich weitere Erörterungen auf. Wenn etwa die Besprechung des Zeugen F.
vom 05.11.1976 über Umsatzsteuerangelegenheiten der Angeklagten ebenfalls den
gesamten Zeitraum seit Eröffnung des Restaurants "D." betraf und hierbei zu Tage
kam, daß die Angeklagten ihre Voranmeldeverpflichtungen während dieses
Zeitraumes nicht oder nur unvollständig erfüllt hatten, konnte die Bemerkung des
Zeugen F., die Angeklagten hätten "auch noch ... Lohnsteuer nachträglich
anzumelden und abzuführen", die schlüssige Erklärung enthalten, daß sich die
Summe der nachträglich anzumeldenden und abzuführenden Lohnsteuer auf den
gesamten Zeitraum seit Eröffnung des Restaurants "D." bezog - und damit auf den
hier in Rede stehenden Tatzeitraum. Ob sich der Zeitraum der Lohnsteuerverkürzung
gelegentlich der Besprechung des Zeugen F. vom 05.11.1976 aus den
Gesamtumständen ergab, wird daher in der erneuten Hauptverhandlung zu prüfen
sein.
Soweit der Zeuge F. zu Beginn der Lohnsteueraußenprüfungen die
Lohnsteueranmeldungen nachgefertigt und zur Hand hatte, um sie den
Lohnsteuerprüfern zu übergeben, konnten allerdings die Wirkungen einer
strafbefreienden Selbstanzeige nicht mehr eintreten, weil nun die Sperrwirkung des §
395 Abs. 2 Nr. 1 a) RAO wirksam geworden war, wovon die Strafkammer mit Recht
ausgeht.
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III.
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Für die zu neue Hauptverhandlung wird ergänzend auf folgendes hingewiesen:
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Sollte die Strafkammer zur Annahme einer strafbefreienden Selbstanzeige gelangen,
wird zu prüfen sein, ob die Angeklagten die nach den neu zu treffenden
Feststellungen verkürzten Steuern innerhalb der ihnen gesetzten angemessenen
Frist nachentrichtet haben. Insoweit kommt § 371 Abs. 3 AO 1977 mit dem Erfordernis
einer "angemessenen" Frist als das mildere Gesetz (§ 2 Abs. 3 StGB) gegenüber §
395 Abs. 3 AO a.F. zur Anwendung, der hinsichtlich der Länge der Frist keine nähere
Bestimmung aufweist.
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Gegebenenfalls muß dargelegt werden, aufgrund welcher Erwägungen bei beiden
Angeklagten bei einem Nettoeinkommen von monatlich etwa 2.000,00 DM ein
Tagessatz von 90,00 DM zugrundezulegen sei.
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