Urteil des OLG Köln vom 21.12.2005

OLG Köln: internationale zuständigkeit, wiedereinsetzung in den vorigen stand, gerichtsstand des erfüllungsortes, gerichtliche zuständigkeit, cisg, lieferung, handelsbrauch, agb, mitgliedstaat

Oberlandesgericht Köln, 16 U 47/05
Datum:
21.12.2005
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
16. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
16 U 47/05
Vorinstanz:
Landgericht Köln, 30 O 237/04
Tenor:
pp.
I.
1
Der Klägerin wird auf ihren Antrag vom 6.10.2005 hinsichtlich der Frist zur
Berufungsbegründung auf ihre Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt,
da sie nach ihrem ausreichend glaubhaft gemachten Vorbringen ohne Verschulden
verhindert war, die am 29.9.2005 abgelaufene Frist einzuhalten.
2
II.
3
Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts
Köln vom 16.6.2005 (30 O 237/04) gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Es
besteht Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu innerhalb einer
Frist
seit Zugang dieses Beschlusses.
4
Die zulässige Berufung hat nach dem gegebenen Sachstand keine Aussicht auf Erfolg.
Da die zugrunde liegende Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und eine
Entscheidung durch Urteil auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherheit
einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist (vgl. § 522 Abs. 2 Nr. 2 und 3 ZPO),
soll über das Rechtsmittel durch Beschluss entschieden werden.
5
Das Landgericht hat die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen, weil seine
internationale Zuständigkeit nicht gegeben ist. Die dagegen mit der Berufung
gerichteten Einwendungen der Klägerin sind unbegründet.
6
Die internationale Zuständigkeit bestimmt sich im vorliegenden Fall nach der
Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die
Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom
22.12.2000 (EuGVVO), die trotz des bereits 2000/2001 geschlossenen Vertrages
gemäß Art. 60 Abs. 1, 66 Abs. 1, 76 Satz 1 EuGVVO Anwendung findet, weil die Klage
nach ihrem Inkrafttreten am 1. März 2002 eingereicht und zugestellt worden ist.
7
1.
8
Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ergibt sich nicht aus einer
Gerichtsstandsvereinbarung gemäß Art. 23 EuGVVO. Eine solche ist zwischen den
Parteien nicht wirksam getroffen worden.
9
a.
10
Soweit es um eine Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 23 Abs. 1 Satz 3 Buchstabe a
EuGVVO geht, bezieht sich der Senat zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen auf
die zutreffenden, von der Klägerin mit der Berufungsbegründung auch nicht
angegriffenen Ausführungen des Landgerichts.
11
b.
12
Das Landgericht ist aber auch zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin das
Bestehen eines Handelsbrauchs (Art. 23 Abs. 1 Satz 3 Buchstabe c EuGVVO) nicht
ausreichend dargelegt hat.
13
Die wirksame Vereinbarung eines deutschen Gerichtsstandes nach dieser Vorschrift
erfordert - trotz der gegenüber den anderen Alternativen der Vorschrift erleichterten Form
- eine Willenseinigung zwischen den Parteien, die allerdings vermutet wird, wenn die
weiteren dort genannten Voraussetzungen vorliegen (Geimer/Schütze/Auer, Int.
Rechtsverkehr, Art. 23 EuGVVO Rdn. 94). Im kaufmännischen Verkehr reicht es unter
Umständen aus, wenn die andere Partei weiß oder wissen musste, dass der
Vertragspartner nur unter seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen abschließt, wenn
und soweit diese Einheitsbedingungen einer Branche sind. Die Allgemeinen
Geschäftsbedingungen müssen dann gegebenenfalls bei Annahme nicht vorliegen.
Dass es sich um solche Einheitsbedingungen handelt, hat die Klägerin jedoch nicht
dargelegt. Es geht vielmehr nicht um Standardbedingungen einer Branche, sondern
lediglich um ihre eigenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Für diese gelten daher
die allgemeinen Einbeziehungsvoraussetzungen; nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofes zur Einbeziehung von AGB im UN-Kaufrecht (BGH NJW 2002,
370, 372) müssen sie dem Vertragspartner des Verwenders übersandt oder anderweitig
zugänglich werden.
14
Die Zuständigkeit des Landgerichts Köln kann auch nicht auf den von der Klägerin
behaupteten internationalen Handelsbrauch gestützt werden. Das würde zunächst
erfordern, dass es nicht nur bei deutschen Unternehmen, sondern auch in anderen
Ländern üblich ist, bei internationalen Verträgen AGB zu verwenden, die eine
Gerichtsstandsklausel über die internationale Zuständigkeit enthalten. Das behauptet
die Klägerin aber selbst nicht; ihr Vortrag bezieht sich ausdrücklich nur auf deutsche
Unternehmen. Vor allem kann aber durch den Inhalt nicht wirksam in den Vertrag
einbezogener allgemeiner Geschäftsbedingungen kein Handelsbrauch begründet
werden. Es widerspricht dem Grundsatz des guten Glaubens im internationalen Handel
(Art. 7 Abs. 1 CISG) sowie der allgemeinen Kooperations- und Informationspflicht der
Parteien, dem Vertragspartner eine Erkundigungsobliegenheit hinsichtlich der nicht
übersandten Klauselwerke aufzuerlegen und ihm die Risiken und Nachteile nicht
bekannter gegnerischer Allgemeiner Geschäftsbedingungen zu überbürden (BGH
a.a.O.). Was dem Grundsatz des guten Glaubens widerspricht, kann aber nicht
Handelsbrauch sein.
15
2.
16
Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte lässt sich auch nicht aus dem
besonderen Gerichtsstand des Erfüllungsortes gemäß Art. 5 Nr. 1 Buchst. b EuGVVO
herleiten. Nach dieser Vorschrift kann eine Person, die ihren (Wohn-)Sitz im
Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates hat, in einem anderen Mitgliedstaat verklagt
werden, und zwar, wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den
Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung
erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre. Nach Buchst. b) des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO ist 2 im
Sinne dieser Vorschrift und sofern nichts anderes vereinbart worden ist, der
Erfüllungsort der Verpflichtung für den Verkauf beweglicher Sachen der Ort in einem
Mitgliedstaat, an dem sie nach dem Vertrag geliefert worden sind oder hätten geliefert
werden müssen.
17
Sowohl der vereinbarte Erfüllungsort als auch der tatsächliche Lieferort liegen im
vorliegenden Fall entgegen der Auffassung der Klägerin nicht in Deutschland, sondern
am Ort des geplanten Bauwerks in Spanien. Nach erfolgter Lieferung ist der tatsächliche
Auslieferungsort maßgebend, d.h. der Ort der realen Aushändigung der Sache an den
Käufer, und zwar unabhängig davon, wer den Transport organisiert und bezahlt hat. Der
tatsächliche Erfüllungsort der Lieferpflicht befindet sich dort, wo der Käufer den
körperlichen Gewahrsam an der Ware erlangt hat (Geimer/Schütze/Auer, Art. 5 EuGVVO
Rdn. 64; MünchKommZPO/Gottwald, 2. Aufl. (2002) Art. 5 EuGVVO Rdn. 5;
Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 5 EuGVVO Rdn. 86; Kropholler, Art. 5 Rdn. 40; Hau,
IPRax 2000, 354, 358). Der zuständigkeitsbegründende Erfüllungsort deckt sich mit dem
Bestimmungsort. Dem stehen - entgegen der Ansicht des Klägers - auch systematische
Erwägungen nicht entgegen, insbesondere nicht das Verhältnis zu Art. 15 ff. EuGVVO.
Diese betreffen nur den Kauf beweglicher Sachen auf Teilzahlung und sehen bezüglich
der Gerichtspflichtigkeit des Verbrauchers eine ausschließliche Zuständigkeit vor.
Daher ist aus der von der Klägerin herangezogenen Formulierung der Vorschrift
("Erfüllungsort ist der Ort, an
dem
Auffassung nichts Gegenteiliges herzuleiten.
18
Eine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte kommt im vorliegenden Fall daher
nur in Betracht, wenn ein anderer Ort als Erfüllungsort wirksam vereinbart worden ist.
Dass das nicht bereits durch eine Einbeziehung der AGB der Klägerin erfolgt ist, ergibt
sich aus dem Vorstehenden. Die Klägerin beruft sich allerdings darauf, dass die
Parteien sich dadurch stillschweigend über einen anderen Erfüllungsort geeinigt hätten,
dass sie zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses übereinstimmend von der Anwendbarkeit
des UN-Kaufrechts hier: Art. 57 Abs. 1 Buchstabe a CISG) ausgegangen seien. Aus
dem CISG ergebe sich aber, dass die vereinbarte Zahlung am Ort der Niederlassung
des Verkäufers zu erbringen sei; deshalb sei dieser Ort der hier maßgebliche
Erfüllungsort. Das ist aber schon deshalb unzutreffend, weil die Vereinbarung eines von
der nunmehr maßgeblichen Gesetzeslage abweichenden Erfüllungsortes eine
bewusste Rechtswahl nicht nur zugunsten des UN-Kaufrechts, sondern auch eines
solchen Erfüllungsortes erfordert. Eine solche liegt aber nicht vor, denn die Parteien sind
lediglich (weil sie es nicht abbedungen haben) stillschweigend davon ausgegangen,
dass das CISG anwendbar sei. Darin liegt aber keine Abweichung von dem dispositiven
Gesetzesrecht durch einen privatautonomen Willensakt und damit keine Vereinbarung.
Eine Erfüllungsortvereinbarung liegt nicht vor, wenn der gesetzliche Erfüllungsort nur
bestätigt wird, sondern nur dann, wenn er abgeändert werden soll.
19
Die Regelung des Art. 57 Abs. 1 Buchstabe a CISG ist entgegen der Auffassung der
Klägerin nicht dann, wenn der Vertrag vor Inkrafttreten der EuGVVO abgeschlossen
worden ist, im Rahmen des Art. 5 EuGVVO vorrangig. Das gilt auch, wenn man
annimmt, dass die Parteien mit der Vereinbarung über den Erfüllungsort gar nicht den
gesetzlichen Erfüllungsort ändern wollten, sondern nur eine Zuständigkeitsvereinbarung
im Auge hatten. Denn dann liegt ein "Missbrauchsfall" vor: Da eine "Vereinbarung", die
nur auf die gesetzlichen Vorschriften verweist, den gesetzlichen Leistungsort gar nicht
berührt, handelt es sich tatsächlich um eine echte Zuständigkeitsvereinbarung im Sinne
des Art. 23 EuGVVO, die wiederum den Formanforderungen genügen muss (LG Trier,
Urt. v. 8.1.2004 - 7 HK.O 134/03 - IHR 2004, 115, 116; Geimer/Schütze, Europäisches
Zivilverfahrensrecht Art. 5 EuGVVO Rdn. 47 bis 49). Eine solche abstrakte
Erfüllungsortvereinbarung wäre aus den oben genannten Gründen formunwirksam.
Außerdem kann nicht angenommen werden, dass der Kläger mittels seiner Allgemeinen
Geschäftsbedingungen einerseits die - nach seiner Ansicht überflüssige - Wahl des
deutschen Rechts einschließlich des CISG ausdrücklich bestimmt, andererseits aber auf
eine ausdrückliche Erfüllungsortvereinbarung verzichtet hat, da diese als
Selbstverständlichkeit nicht hätte geregelt werden müssen, und sich insofern auf eine
konkludente Vereinbarung verlassen hat.
20
Auch der gemäß Art. 5 Nr. 1 Buchst. b EuGVVO nachrangig zu berücksichtigende
tatsächliche Lieferort liegt nicht in Deutschland. Abgestellt wird auf den Ort der
Erbringung der vertragscharakteristischen Leistung (Senat, Urt. v. 14.3.2005 - 16 U
89/04 - RIW 2005, 778, 779; Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 5 EuGVVO Rdn. 85).
21
Bezieht man das normative Element zur Bestimmung des Erfüllungsortes im Art. 5 Nr. 1
Buchst. b EuGVVO mit ein, der auf die Lieferung "nach dem Vertrag" abstellt (vgl. dazu
Eltzschig, IPRax 2002, 491, 495; Kropholler, Art. 5 EuGVVO Rdn. 40) ist Lieferort
ebenfalls Bilbao. Denn das Angebot der Klägerin bestimmt ausdrücklich im Text, dass
die Depoteinrichtung nach Bilbao transportiert und dort montiert werden soll und die
Kosten für Transport und Montage von der Klägerin übernommen werden. Ob die
Übernahme der Transportkosten durch die Klägerin allein als Vereinbarung einer
Bringschuld zu verstehen ist (vgl. dazu Senat, Urt. v. 16.7.2001 - 16 U 22/01 - OLG
Report 2002, 37), kann dahinstehen. Denn ist im Vertrag vorgesehen, dass der
Verkäufer das zu erstellende Produkt am Sitz des Käufers zu errichten hat, so ergibt sich
jedenfalls daraus die stillschweigende Vereinbarung, dass auch der Lieferort am Sitz
des Käufers liegt (OLG München RIW 2000, 712, 713; OLG Celle IPRax 1985, 284, 288;
Staudinger/Magnus, CISG (2005), Art. 31 EuGVVO Rdn. 33; Honsell, UN-KaufR (1997),
Art. 31 EuGVVO Rdn. 44; Magnus, ZEuP 2002, 523, 534). Der Vertrag enthält dann eine
Vereinbarung dahingehend, dass ein Fernkauf und damit eine Bringschuld vorliegt (vgl.
dazu OLG Celle IPRax 1985, 284, 287). Nach dem Angebot der Klägerin hatte diese die
Depoteinrichtung in Bilbao zu montieren, woraus sich ergibt, dass die Klägerin ihre
vertraglichen Verpflichtungen gegenüber der Beklagten erst in Bilbao als dem Ort der
Endabnahme erfüllen konnte.
22