Urteil des OLG Köln vom 08.02.2000

OLG Köln (Gefährdung, Kreuzung, Omnibus, Fahrzeug, Fahrverbot, Beweisantrag, Anhalten, Nummer, Glaubwürdigkeit, Subjektiv)

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
1
2
3
4
5
6
Aktenzeichen:
Oberlandesgericht Köln, Ss 51/00 (B) 23 B
08.02.2000
Oberlandesgericht Köln
1. Strafsenat
Beschluss
Ss 51/00 (B) 23 B
Das angefochtene Urteil wird mit den getroffenen Feststellungen
aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung -
auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht
Gummersbach zurückverwiesen.
G r ü n d e :
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Ordnungswidrigkeit gemäß
den §§ 37 Abs. 2, 49 Abs. 3 Nr. 2 StVO zu einer Geldbuße von 250,00 DM und zu einem
Fahrverbot von einem Monat verurteilt. Das Amtsgericht hat folgende Feststellungen
getroffen:
"Am 28.01.1999 befuhr der Betroffene gegen 08.05 Uhr mit seiner Ehefrau mit seinem
Pkw Audi .. - .. ... die H.straße in Gummersbach und musste verkehrsbedingt an der
Straßenkreuzung H.straße/W.-B.-Allee noch vor der Lichtzeichenanlage halten. Direkt
hinter dem Betroffenen befand sich der Pkw mit den Zeugen W. und H. , der ebenfalls
anhalten musste.
In den Kreuzungsbereich war bereits ein Omnibus eingefahren, um nach links
abzubiegen. Da der Omnibus jedoch den vorrangigen geradeaus fahrenden Gegenverkehr
passieren lassen musste, versperrte er für den ihm nachfolgenden Verkehr den
Kreuzungsbereich. Der Betroffene musste so noch vor der Lichtzeichenanlage warten. Erst
als die Lichtzeichenanlage auf "Rot" umsprang, räumte der Omnibus die Kreuzung. Ohne
auf die für ihn noch sichtbare Lichtzeichenanlage zu achten, fuhr der Betroffene sodann in
den Kreuzungsbereich ein und bog nach rechts in die W.-B.-Allee ab. Zu dem Zeitpunkt, als
der Betroffene die Lichtzeichenanlage passierte, zeigte diese bereits seit 2 bis 3 Sekunden
"Rot". Eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer trat jedoch nicht ein."
In der Beweiswürdigung hat das Amtsgericht u. a. ausgeführt:
"Zur Erforschung der Wahrheit hielt es das Gericht gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG nicht
erforderlich, dem von der Verteidigung gestellten Beweisantrag nachzugehen, ob zum
Tatzeitpunkt vor der Lichtzeichenanlage eine Haltelinie auf der H.straße war. Zum einen
trifft dies keine Aussage darüber, ob der Betroffene die Lichtzeichenanlage bei "Rot"
passiert hat oder nicht. Zum anderen ist dieser Beweisantrag auch nicht geeignet, die
Überzeugung des Gerichts von der Glaubwürdigkeit der Zeugen W. und H. zu erschüttern,
die beide im Hauptverhandlungstermin bekundeten, sie meinten zwar, dass sich dort zum
Tatzeitpunkt noch eine Haltelinie befunden hätte, waren sich bei Nachfrage aber nicht
7
8
9
10
11
sicher. Diese Unsicherheit haben sie im Termin eingeräumt."
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des
angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht. Die
Feststellungen des Amtsgerichts sind materiell-rechtlich unvollständig und ermöglichen
dem Rechtsbeschwerdegericht nicht die Überprüfung, ob das Amtsgericht rechtsfehlerfrei
von einer groben Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers (§ 25 Abs. 1 Satz 1
StVG) ausgegangen ist.
Dem Zusammenhang der Urteilsgründe kann entnommen werden, dass das Amtsgericht
den Tatbestand der laufenden Nummer 34.2 der BKatV angenommen hat, also einen
Rotlichtverstoß "bei schon länger als einer Sekunde andauernden Rotphase eines
Wechsellichtzeichens" seinem Rechtsfolgenausspruch zugrunde gelegt hatte. Bei diesem
Tatbestand sieht die BKatV eine Regelbuße von 250,00 DM und ein Regelfahrverbot von
einem Monat vor, so dass nach § 2 Abs. 1 Satz 1 BKatV eine grobe Pflichtwidrigkeit im
Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG indiziert wird.
In der Rechtsprechung ist inzwischen allgemein anerkannt, dass für die Berechnung der
Rotlichtdauer grundsätzlich der Zeitpunkt maßgebend ist, in dem das Fahrzeug des
Betroffenen die Haltelinie überfährt (BayObLG NZV 1994, 200; OLG Düsseldorf VRS 95,
133; OLG Hamm DAR 1999, 226; SenatsE NZV 1995, 327 = VRS 89, 470; NZV 1998, 297
= VRS 95, 136; NZV 1998, 472 = VRS 95, 424). Es bedarf daher der Feststellung, ob vor
der Lichtzeichenanlage eine Haltelinie vorhanden war (OLG Düsseldorf VRS 95, 133) und -
falls dies der Fall war - der Feststellung, wie lange das Rotlicht beim Überfahren der
Haltelinie schon andauerte (SenatsE NZV 1998, 472 = VRS 95, 424). An diesen
Feststellungen fehlt es im angefochtenen Urteil, da das Amtsgericht offenbar der Ansicht
war, dass es auf den Zeitpunkt ankommt, zu dem der Betroffene "die Lichtzeichenanlage
bei Rot passiert hat".
Auf den Zeitpunkt des Vorbeifahrens an der Lichtzeichenanlage kann es nur ankommen,
wenn keine Haltelinie vorhanden ist. Für diese Fallgestaltung ist in der Rechtsprechung
zwar umstritten, ob das Vorbeifahren an der Lichtzeichenanlage oder das Einfahren in den
durch die Lichtzeichenanlage geschützten Bereich der entscheidende Bezugspunkt ist (vgl.
hierzu BGH DAR 1999, 463 = NJW 1999, 2978 = NStZ 1999, 512 = NZV 1999, 430;
Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 35. Aufl., § 37 StVO Rdnr. 61 - jeweils m.w.N.),
wobei aus den in der Senatsentscheidung vom 15.03.1994 - Ss 84/94 (NZV 1994, 330 =
VRS 87, 147) - dargelegten Gründen der erstgenannten Ansicht der Vorzug zu geben sein
dürfte. Solange nicht feststeht, dass im vorliegenden Fall eine Haltelinie fehlte, bedarf diese
Frage keiner abschließenden Entscheidung.
Sollte der Betroffene die Haltelinie bei Grün überfahren haben und erst dann wegen der
versperrten Kreuzung angehalten haben, so ist zu beachten, dass auch in diesem Fall ein
qualifizierter Rotlichtverstoß im Sinne der Nr. 34.2 BkatV vorliegen kann, wenn der
Betroffene bei schon länger als einer Sekunde andauernder Rotphase in die Kreuzung
einfährt (BGH DAR 1999, 463 = NJW 1999, 2978 = NStZ 1999, 512 = NZV 1999, 430). In
einem solchen Fall bedarf es dann jedoch, um dem jeweiligen Einzelfall gerecht zu
werden, auch unter Berücksichtigung der indiziellen Wirkung des Regelbeispiels der Nr.
34.2 BkatV der sorgfältigen Prüfung, ob das Fahrzeug mit dem Einfahren in den
Kreuzungsbereich seine Pflichten "grob" im Sinne des § 25 StVG verletzt hat (BGH a.a.O.).
Sollte der Betroffene nicht schon die Haltelinie bei mehr als einer Sekunde Rotlicht
überquert haben, bedarf es daher dieser Einzelfallprüfung, an der es bisher fehlt.
12
13
14
15
16
Zu der gebotenen Einzelfallprüfung wird auf folgendes hingewiesen:
Der Tatrichter ist an die Indizwirkung des Regelbeispiels nicht gebunden. Ihm bleibt
vielmehr, im Rahmen einer Gesamtwürdigung unter Abwägung der Umstände des
Einzelfalls in objektiver und subjektiver Hinsicht zu bestimmen, ob das gesamte Tatbild
vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle in solchem Maß abweicht,
dass das Fahrverbot unangemessen wäre, mithin eine unverhältnismäßige Reaktion auf
objektiv verwirklichtes Unrecht und subjektiv vorwerfbares Verhalten darstellt (BVerfG DAR
1996, 196 = NJW 1996, 1809; SenatsE VRS 92, 228; 92, 279; 97, 381). Insbesondere zu
Nr. 34.2 BkatV ist anerkannt, dass nur besonders schwerwiegende Rotlichtverstöße unter
diese Regelung fallen (SenatsE NZV 1994, 41; NZV 1994, 330 = VRS 87, 147; VRS 92,
228; VRS 92, 279; VRS 97, 381).
Wenn unter den besonderen Umständen des Einzelfalls eine abstrakte Gefährdung
anderer Verkehrsteilsnehmer auszuschließen ist, liegt kein Regelfall vor (ständige
Senatsrechtsprechung vgl. SenatsE VRS 97, 381 m.w.N.). Da der Grund für die in Nr. 34.2
BkatV enthaltene Regelung die mit dem bezeichneten Verkehrsverhalten im allgemeinen
verbundene abstrakte Gefährdung ist (vgl. Verkehrsblatt 1991, 702, 704; SenatsE NZV
1994, 330 = VRS 87, 147), weicht ein Fall, in dem eine abstrakte Gefährdung anderer
Verkehrsteilnehmer auszuschließen ist, so sehr vom Regelfall ab, dass ein Abweichen von
der Regelsanktion geboten ist (vgl. OLG Hamm DAR 1996, 469; SenatsE VRS 97, 381).
Die Erörterung der Frage, ob eine abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer
ausgeschlossen ist, drängt sich insbesondere auf, wenn ein Betroffener vor der Kreuzung
zunächst anhält und dann trotz andauernden Rotlichts nach rechts abbiegt (vgl. OLG
Düsseldorf VRS 97, 447; SenatsE NZV 1994, 330 = VRS 87, 147; VRS 92, 228). Bei der
Beurteilung, ob es sich um einen besonders schwerwiegenden Rotlichtverstoß im Sinne
der laufenden Nr. 34.2 BkatV handelt, ist auch zu berücksichtigen, dass durch ein grünes
Pfeilschild das Rechtsabbiegen nach Anhalten trotz Rotlichts erlaubt werden kann, also in
der Regel ein solches Verhalten wesentlich weniger gefahrenträchtig ist als andere
Rotlichtverstöße (vgl. SenatsE NZV 1994, 330 = VRS 87, 147).
Wenngleich aufgrund der bisher getroffenen Feststellungen davon auszugehen ist, dass
der Betroffene jedenfalls gegen § 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 7 StVO verstoßen hat, muss das
Urteil insgesamt aufgehoben werden, da die Frage, ob es sich um einen qualifizierten
Rotlichtverstoß oder nur um einen einfachen Rotlichtverstoß handelt, den Schuldumfang
betrifft und die hierzu zu treffenden Feststellungen untrennbar mit den Schuldfeststellungen
verknüpft sind (vgl. OLG Düsseldorf NZV 1999, 94 = VRS 95, 439; SenatsE VRS 92, 228
und Beschluss vom 04.12.1998 - Ss 571/98 (B) -.