Urteil des OLG Karlsruhe vom 22.01.2016

psychotherapeutische behandlung, eltern, unterkunftskosten, vergewaltigung

OLG Karlsruhe Beschluß vom 22.1.2016, 20 UF 109/14
Übergang des Unterhaltsanspruchs auf Sozialleistungsträger - Einschränkung
für Unterkunftskosten; Beschränkung des Unterhaltsanspruchs wegen
vorsätzlicher schwerer Verfehlung
Leitsätze
Von den Unterkunftskosten mit Ausnahme der Kosten für Heizungs- und
Warmwasserversorgung des in einem Heim lebenden und Hilfe zum Lebensunterhalt
oder Grundsicherung beziehenden Unterhaltsberechtigten unterliegen gemäß §§ 94
Abs. 1 S. 6, 105 Abs. 2 SGB XII 56% nicht der Rückforderung und stehen damit einem
Anspruchsübergang nach § 94 SGB XII entgegen (BGH FamRZ 2015, 1594). Dies ist
rechnerisch in der Weise durchzuführen, dass der nicht der Rückforderung
unterliegende Wohnkostenanteil wie Wohngeld behandelt wird und somit den
rechnerischen Unterhaltsbedarf vermindert.
Die Einschränkung des Anspruchsübergangs nach §§ 94 Abs. 1 S. 6, 105 Abs. 2
SGB XII greift nicht ein, wenn dem Unterhaltsberechtigten ausschließlich
Sozialleistungen nach dem 7. Kapital des SGB XII (Hilfe zur Pflege) gewährt wurden
(Abgrenzung zu BGH FamRZ 2015, 1594).
Zur Beschränkung des Anspruchs auf Elternunterhalt gemäß § 1611 BGB wegen
früherer Verletzung der elterlichen Pflicht zu Schutz und Beistand für ein in den 60er
Jahren zum Opfer einer innerfamiliären Vergewaltigung gewordenes Mädchen.
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Amtsgerichts -
Familiengericht - Bruchsal vom 11.04.2014, Az. 3 F 359/13, in Ziffer 1 abgeändert, im
Kostenpunkt aufgehoben und wie folgt neu gefasst:
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, an den Antragsteller 922,00 EUR
nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen
Basiszinssatz ab 14.06.2013 zu zahlen. Der weitergehende Antrag wird
abgewiesen.
2. Die weitergehende Beschwerde der Antragsgegnerin wird zurückgewiesen.
3. Von den Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen tragen der Antragsteller 44%
und die Antragsgegnerin 56%.
4. Die sofortige Wirksamkeit des Ausspruchs zu Ziffer 1 wird angeordnet.
5. Der Verfahrenswert wird für das Beschwerdeverfahren auf 1.770 EUR festgesetzt.
6. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
1 Der Antragsteller - Bezirk Oberfranken, Sozialverwaltung - begehrt aus
übergeleitetem Recht von der Antragsgegnerin Elternunterhalt für die Mutter der
Antragsgegnerin, R. S., für den Zeitraum 1. Juni 2012 bis 30. Juni 2013.
2 Die Mutter der Antragsgegnerin ist am ...1923, die Antragsgegnerin am ...1954
geboren. Die Antragsgegnerin wuchs als Kind im Haushalt ihrer Eltern mit 4
(teilweise Halb-)Geschwistern auf. Im Alter von 12 oder 13 Jahren wurde sie von
ihrem etwa 2 Jahre älteren Bruder im gemeinsamen Kinderschlafzimmer
vergewaltigt. Sie empfing hierbei ein Kind. Dies wurde erst im fünften oder
sechsten Schwangerschaftsmonat offenbar. Nach Einschaltung der
Jugendbehörde kam die Antragsgegnerin in ein Mutter-Kind-Heim, wo sie am
...1967 ihr Kind entband. Der Sohn ist schwer behindert.
3 Die Antragsgegnerin kehrte sodann in den elterlichen Haushalt zurück. Der Sohn
der Antragsgegnerin wurde im Haushalt aufgezogen, vorwiegend betreut durch die
Großmutter der Antragsgegnerin und durch die Antragsgegnerin selbst. Dritten
gegenüber wurde die Mutterschaft der Antragsgegnerin verheimlicht; es wurde
erzählt, dass das Kind vom Bruder stamme und die Kindesmutter sich nicht um
das Kind kümmere.
4 Die Vaterschaftsfeststellung und die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen
für das Kind erfolgte erst nach Volljährigkeit der Antragsgegnerin auf deren
Betreiben durch Urteil des Amtsgerichts Erlangen vom ...1974.
5 Die Antragsgegnerin schloss im Jahr 1968 die Volksschule ab. Sie absolvierte
anschließend bei der Fa. S. eine Anlern-Ausbildung und war sodann dort als
Bürogehilfin tätig. Später wechselte sie zur Sparkasse, dann zur Stadt E., wo sie
1976 bis 1977 erfolgreich die Ausbildung zur Verwaltungsfachangestellten
durchlief.
6 Im Jahr 2005 wurde die Antragsgegnerin wegen Erwerbsunfähigkeit verrentet. In
diesem Zusammenhang wurde das von der Antragsgegnerin vorgelegte
Gutachten der So. Klinik erstattet, auf welches wegen der Einzelheiten Bezug
genommen wird. Mit psychischen Beeinträchtigungen der Antragsgegnerin befasst
sich auch eine Stellungnahme des sachverständigen Zeugen Dr. Rö. vom ...2008
gegenüber dem Sozialgericht Karlsruhe.
7 Die zuvor in M wohnhafte Mutter der Antragsgegnerin, R. S., wurde am 30.4.2012
im Seniorenzentrum „K“ in L (etwa 10 km vom M entfernt) aufgenommen. Sie war
bis einschließlich März 2013 in Pflegestufe I, sodann in Pflegestufe II eingestuft.
Die vom Pflegeheim in Rechnung gestellten Beträge und die hierauf in
Anrechnung gebrachten Leistungen der Pflegeversicherung ergeben sich aus den
zur Akte gereichten Monatsabrechnungen.
8 Der Antragsteller gewährt R. S. seit 30.4.2012 Sozialhilfe durch die Übernahme der
durch eigenes Einkommen und Vermögen sowie die Leistungen der
Pflegeversicherung nicht gedeckten Kosten des Seniorenheims. Im Einzelnen wird
Bezug genommen auf den Leistungsbescheid vom 12.12.2012 und auf die
Zusammenstellung der Leistungen des Antragstellers in Anl. 2 zum Schriftsatz vom
6.11.2013. Mit Schreiben vom 29.5.2012 zeigte der Antragsteller der
Antragsgegnerin die Leistungserbringung an. Mit Schreiben vom 17.12.2012
wurde der Übergang eines gegen die Antragsgegnerin bestehenden
Unterhaltsanspruchs auf den Antragsteller geltend gemacht.
9 R. S. verfügte im verfahrensgegenständlichen Zeitraum über eine Rente der
gesetzlichen Rentenversicherung. Ab 01.07.2011 belief sich diese auf netto (nach
Abzug von Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrag) 992,84 EUR, ab 01.07.2012
auf netto 1.014,52 EUR. Sie verfügte außerdem über eine Pensionszahlung der S.
Pensionsfonds AG von monatlich 78,49 EUR. Schließlich erbrachte die gesetzliche
Pflegeversicherung Leistungen. Ein Anspruch auf Wohngeldbezug bestand auf
Grund zu hohen Eigeneinkommens der R. S. nicht.
10 Die Antragsgegnerin bezieht eine Rente der gesetzlichen Rentenversicherung,
Witwenversorgung sowie eine Zusatzrente der ZVK, die monatliche Auszahlung
betrug im verfahrensgegenständlichen Zeitraum insgesamt 2.439,69 EUR. Nach
Berücksichtigung von Schuldendienst, Nebenkosten und Erhaltungsaufwand
verblieb bei der Antragsgegnerin für das Wohnen im eigenen Haus ein so
genannter negativer Mietwert (Aufwendungen höher als die im Selbstbehalt
kalkulatorisch enthalten und Unterkunftskosten) von 433,23 EUR. Dessen Höhe
und Abzugsfähigkeit vom Einkommen der Antragsgegnerin steht außer Streit. Der
schwerbehinderte Sohn der Antragsgegnerin bezog eine Rente von 719,86 EUR,
einen Lohn für seine Arbeit in einer Einrichtung der „Lebenshilfe“ (im Dezember
2012: von 75,69 EUR) und etwa 200 EUR Wohnkostenzuschuss.
11 R. S. hat drei weitere Kinder, die jedoch nicht leistungsfähig zur Zahlung von
Unterhalt sind. Ihr geschiedener Ehemann ist bereits im Jahr 1991 verstorben.
12 Der Antragsteller hat in erster Instanz Zahlung von 1.770,00 EUR nebst Zinsen
begehrt. Er hat eine unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit der Antragsgegnerin in
Höhe von 253 EUR monatlich bis 31.12.2012 und von 203 EUR monatlich ab
1.1.2013 angenommen. Der ungedeckte Unterhaltsbedarf der R. S. sei jeweils
höher gewesen. Verwirkungstatbestände aufgrund des Verhaltens von R. S.
könnten nicht erkannt werden. Den Missbrauch durch den Bruder habe R. S. nicht
begangen, er sei von ihr nicht zu verhindern gewesen, sie habe ihn auch nicht
toleriert. In der anschließenden Situation sei sie sicher gänzlich überfordert
gewesen. Auch wenn ihre Entscheidungen nicht optimal gewesen seien, führten
sie nicht zur Verwirkung. Sie habe zu der damaligen Zeit und im Licht der
Gesamtlebensverhältnisse das in ihren Kräften stehende getan. Aufgrund des
nachvollziehbaren Schicksals der Antragsgegnerin werde jedoch ein Abschlag von
40 % auf den errechneten Unterhalt gewährt. Es würden deshalb lediglich für die
Monate Juni bis einschließlich Dezember 2012 monatlich 150 EUR und für die Zeit
Januar bis einschließlich Juni 2013 monatlich 120 EUR gefordert.
13 Die Antragsgegnerin ist dem Antrag entgegengetreten. Sie hat sich auf Verwirkung
des Unterhaltsanspruchs berufen. Ihrer Mutter R. S. sei in der Zeit nach dem
Missbrauch unterlassene Fürsorge und unterlassener Beistand vorzuwerfen. Sie
habe keinerlei Initiative ergriffen, um die Folgewirkungen hinsichtlich des
psychischen und physischen Gesundheitszustandes der Antragsgegnerin zu
bewältigen. Vielmehr habe die Antragsgegnerin lügen müssen, um die
Inzesthandlung des Bruders zu vertuschen. Sie habe ihr Kind verleugnen müssen.
Aus egoistischen Gründen der Mutter sei der Kindesmissbrauch durch den
eigenen Bruder vertuscht worden. Von Seiten der Familie sei nichts unternommen
worden, um die Vaterschaft zu klären. Die gesamte Kindheit der Antragsgegnerin
im Hause ihrer Eltern sei durch Schläge, die Suchterkrankung der Mutter und
Alkoholprobleme im familiären Umfeld geprägt gewesen. Ihre Mutter habe sich zu
keiner Zeit ordnungsgemäß um die Versorgung und Erziehung der
Antragsgegnerin und der übrigen Kinder gekümmert. Vielmehr sei es regelmäßig
zu heftigen Schlägen, auch mit dem Teppichklopfer, im Rahmen von Wutanfällen
der Mutter gekommen. Folge seien ein schwerwiegender und dauerhafter
Krankheitszustand auf Seiten der Antragsgegnerin (Persönlichkeitsstörung,
posttraumatische Belastungsstörung mit Depression und psychovegetatives
Erschöpfungssyndrom).
14 Das Amtsgericht hat durch Beschluss vom 11.4.2014 dem Antrag in vollem
Umfang stattgegeben. Zu den unterhaltsrechtlichen Fragen (Unterhaltsanspruch
der R. S. dem Grunde nach, Höhe des ungedeckten Unterhaltsbedarfs,
Leistungsfähigkeit der Antragsgegnerin) ist es dem Vorbringen des Antragstellers
gefolgt. Es hat den Verwirkungseinwand über den vom Antragsteller bereits
vorgenommenen Abschlag von 40% hinaus nicht durchgreifen lassen. Zur
Begründung hat es ausgeführt, dass die Reaktionen der Mutter der
Antragsgegnerin auf die Vergewaltigung und ihre Folgen zwar nicht ausreichend
waren. Angesichts der gesellschaftlichen Situation Ende der sechziger Jahre des
20. Jahrhunderts und der sozialen Verhältnisse der Familie erscheine die
Vorgehensweise aber in einem milderen Licht. Die Mutter der Antragsgegnerin
habe das aus ihrer Sicht unumgänglich veranlasst und im Rahmen ihrer
emotionalen und sozialen Kompetenz auf die Situation reagiert. Wegen der
weiteren Einzelheiten zu Inhalt und Begründung dieser Entscheidung wird auf
Entscheidungsformel und Gründe dieses Beschlusses Bezug genommen.
15 Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin. Sie
macht geltend, die Einkünfte von R. S. seien nicht ausreichend berücksichtigt
worden. Auch das Pflegegeld müsse als Einkommen berücksichtigt werden. Der
Bedarf in Form der Kosten des Pflegeheimes sei nicht ausreichend nachgewiesen,
die vorgelegten Kostenrechnungen seien unvollständig oder widersprüchlich.
Insbesondere sei nicht nachgewiesen, dass von Seiten des Heims ein
Investitionskostenzuschuss in Rechnung habe gestellt werden dürfen. Die Kosten
des gewählten Pflegeheimes seien überhöht. Die Antragsgegnerin verweist auf
günstigere Heimkosten von Einrichtungen in Nürnberg, Bayreuth, Neukirchen und
Schwabach. Die Antragsgegnerin macht weiterhin Verwirkung gemäß § 1611 BGB
geltend. Die Mutter habe ihre Garanten- und Erziehungspflicht auch aus dem
Blickwinkel der sechziger Jahre verletzt. Bei einem sorgsamen und fürsorglichen
Verhalten, wozu sie gesetzlich und aufgrund der familiären Situation verpflichtet
gewesen sei, hätte sie zu einer ordnungsgemäßen Versorgung und Betreuung im
Rahmen ärztlicher, psychologischer und psychotherapeutischer Hilfe beitragen
müssen. Stattdessen habe die Mutter aus egoistischen Gründen den
Kindesmissbrauch durch den Bruder der Antragsgegnerin vertuscht und somit
gedeckt. Sie habe sich darauf beschränkt, die Tathandlung und die Folgen,
nämlich das Inzestkind, zu verheimlichen, und dies in rücksichtsloser Art zulasten
der Antragsgegnerin. Auch hinsichtlich der Erziehung und Verpflegung des
geborenen Kindes habe die Mutter die Antragsgegnerin im Stich gelassen; die
Großmutter habe das Kind bis 1974 aufgezogen und betreut.
16 Die Antragsgegnerin beantragt,
17 den Beschluss vom 11.4.2014 aufzuheben und den Antrag zurückzuweisen.
18 Der Antragsteller beantragt,
19 die Beschwerde zurückzuweisen.
20 Der Antragsteller verteidigt den Beschluss des Amtsgerichts. Der
Investitionskostenzuschuss sei vom Heim berechtigt in Rechnung gestellt worden,
er werde im Einklang mit der Rechtslage erhoben, da es in Bayern noch nie
Förderzahlungen gegeben habe. Hierzu wird eine Bescheinigung der Regierung
von Oberfranken vom 09.10.2014 vorgelegt. Hinsichtlich der Heimkosten liege das
gewählte Heim unterhalb des bayerischen Durchschnitts. Die von der
Antragsgegnerin genannten Alternativheime befänden sich in zu weiter Entfernung
vom Wohnort der R. S. Der Heimplatz habe im April 2012 nach stationärer
Krankenhausbehandlung kurzfristig gefunden werden müssen. Im näheren
Umkreis sei allein in dem gewählten Pflegeheim „K“ ein Platz verfügbar gewesen.
Die rechtliche Betreuerin und Tochter von R. S., wohnhaft etwa 10 km entfernt von
dem Heim in M, besuche R. S. 3 bis 4 mal wöchentlich, außerdem fahre sie R. S.
zu Arzt- und Zahnarztterminen. Dies alles wäre der Tochter sowohl zeitlich als
auch finanziell nicht möglich, wenn R. S. in einem entfernten Heim untergebracht
wäre. Dem Schicksal der Antragsgegnerin werde mit dem gewährten Abschlag von
40% Rechnung getragen. Der Anspruchsübergang sei nicht nach §§ 94 Abs. 1
Satz 6, 105 Abs. 2 SGB XII eingeschränkt, denn R. S. habe im
streitgegenständlichen Zeitraum keine Leistungen nach dem dritten und vierten
Kapitel des SGB XII, sondern nur Hilfe zur Pflege nach dem siebten Kapitel des
SGB XII erhalten.
21 Wegen der weiteren Einzelheiten zum Vortrag der Beteiligten wird auf die in beiden
Instanzen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
22 Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin B. durch das
Amtsgericht Bamberg im Wege der Rechtshilfe. Auf die Beweisbeschlüsse vom
13.02.2015 und 15.07.2015 sowie das Protokoll über die Beweisaufnahme vom
10.08.2015 wird Bezug genommen.
II.
23 Die zulässige Beschwerde ist teilweise begründet. Zu Recht ist das Amtsgericht
von einer grundsätzlichen Unterhaltspflicht der Antragsgegnerin für R. S.
ausgegangen. Unterhaltsbedürftigkeit der R. S. und Leistungsfähigkeit der
Antragsgegnerin waren im unten dargestellten Umfang im maßgeblichen Zeitraum
gegeben. Allerdings ist die Unterhaltsverpflichtung der Antragsgegnerin gemäß §
1611 Abs. 1 BGB auf 1/3 (33,3%) des rechnerischen Unterhaltsanspruchs
beschränkt. Der Unterhaltsanspruch ist gemäß § 94 Abs. 1 SGB XII, allerdings mit
Einschränkungen hinsichtlich der Wohnkosten, auf den Antragsteller
übergegangen.
24 1) Die Antragsgegnerin ist dem Grunde nach gegenüber R. S. allein
unterhaltspflichtig gemäß §§ 1601, 1602 BGB. Die gleichrangig
unterhaltsverpflichteten Geschwister der Antragsgegnerin sind unstreitig nicht
leistungsfähig.
25 2) Der Unterhaltsanspruch ist aufgrund § 94 Abs. 1 SGB XII im Umfang bis zur
Höhe der vom Antragsteller gewährten Leistungen auf diesen übergegangen.
Dass den Leistungen des Antragstellers eine Vereinbarung gemäß §§ 75 ff. SGB
XII bzw. 72 ff. SGB XI zu Grunde lag, ergibt sich aus dem Bescheid vom
12.12.2012 und ist unbestritten. Der Antragsteller hat der Antragsgegnerin die
Leistungserbringung am 29.05.2012 angezeigt; die Forderung des
streitgegenständlichen Unterhaltsrückstands ab einschließlich Juni 2012 ist somit
gem. § 94 Abs. 1 Satz 4 SGB XII möglich.
26 § 94 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII steht dem Übergang nicht entgegen; der
Übergang stellt auch angesichts der von der Antragsgegnerin gegen ihre Mutter R.
S. erhobenen Vorwürfe keine „unbillige Härte“ dar. Eine unbillige Härte ist
regelmäßig nur dann zu bejahen, wenn mit der Heranziehung des
Unterhaltspflichtigen soziale Belange vernachlässigt würden (mit Nachw.
Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl., § 94 Rn. 39). Störungen der familiären
Beziehung ohne erkennbaren Bezug zu einem Handeln des Staates oder seiner
Organe sind allein nach dem - unten noch ausführlich erörterten - § 1611 BGB zu
beurteilen (BGH FamRZ 2010, 1888).
27 3) Zu beachten ist allerdings die Einschränkung des Anspruchsübergangs nach §§
94 Abs. 1 Satz 6, 105 Abs. 2 SGB XII. Von den Unterkunftskosten des in einem
Heim lebenden und Hilfe zum Lebensunterhalt oder Grundsicherung im Alter oder
bei Erwerbsminderung beziehenden Unterhaltsberechtigten unterliegen mit
Ausnahme der Kosten für Heizungs- und Warmwasserversorgung 56% nicht der
Rückforderung und stehen damit einem Anspruchsübergang nach § 94 SGB XII
entgegen (BGH FamRZ 2015, 1594). Insoweit gilt im vorliegenden Fall:
28 a) In den Monaten bis einschließlich Juli bezog R. S. vom Antragsteller (auch)
Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem dritten Kapitel des SGB XII,
so dass § 94 Abs. 1 Satz 6 SGB XII eingreift. Dies ergibt sich aus dem
Leistungsbescheid vom 12.12.2012.
29 Maßgeblich ist insoweit nicht, wie die Transferleistung im Leistungsbescheid
bezeichnet wurde, sondern allein objektive Gesichtspunkte nach dem materiellen
Regelungsgehalt des Bescheids (OVG München, Urt. v. 18.09.2008, Az. M 22 K
07.2647). Nach der dem Leistungsbescheid vom 12.12.2012 beigefügten
Bedarfsberechnung umfasste der Bedarf der Leistungsempfängerin an
Grundsicherung / Hilfe zum Lebensunterhalt insgesamt 776,81 EUR. Hierauf
wurde für die Monate Mai bis einschließlich Juli 2012 faktisch ein Einkommen der
Leistungsempfängerin lediglich von 611,33 EUR (Mai, Juni) bzw. 633,01 EUR (Juli)
zur Anrechnung gebracht, weil ausweislich des Bescheides der
Leistungsempfängerin „Mietkosten“ (für die bisherige, noch aufzulösenden
Wohnung) i. H. v. 460 EUR belassen wurden. Hieraus folgt, dass in den genannten
Monaten faktisch auch der Bedarf der Leistungsempfängerin an
Grundsicherung/Hilfe zum Lebensunterhalt zumindest teilweise durch die
Transferleistung gedeckt wurde.
30 b) Die vom Pflegeheim ausweislich der bei den Akten befindlichen Abrechnungen
in Rechnung gestellten Unterkunftskosten betrugen im streitgegenständlichen
Zeitraum ab 01.06.2012 bis 30.06.2013 durchschnittlich 246 EUR. Der Senat hält
es für sachgerecht, trotz der monatsweise aufgetretenen geringen Schwankungen
(gekürzter Unterkunftssatz für Krankheitstage) mit dem Durchschnittswert zu
rechnen.
31 Der hierin enthaltene Anteil für Heizungs- und Warmwasserversorgung ist gemäß
§§ 113 Abs. 1 FamFG, 287 ZPO zu schätzen. Da der Antragsteller für den Umfang
des Anspruchsübergangs die Darlegungs- und Beweislast trägt, hierzu jedoch trotz
Hinweises nicht substantiiert vorgetragen hat, gehen Unsicherheiten bei der
Schätzung zu seinen Lasten. Der Senat geht auf Grund allgemeiner
Lebenserfahrung davon aus, dass die für R. S. im Heim zur Verfügung stehende
Wohnfläche (einschließlich Anteil an den Gemeinschaftsräumen) jedenfalls nicht
geringer war als 20 qm. Zur Schätzung zieht der Senat sodann § 6 Abs. 2 Nr. 1, 2
Wohngeldverordnung heran, woraus sich Heiz- und Warmwasserkosten von ([0,80
EUR + 0,15 EUR] * 20 =) 19 EUR ergeben.
32 Die durchschnittlichen Unterkunftskosten ohne Heiz- und Warmwasserkosten sind
dann mit 227 EUR anzusetzen. 56% hiervon sind gerundet 127 EUR.
33 Die Unterkunftskosten sind von der Sozialleistung des Antragstellers anteilig
umfasst. Der Antragsteller hat der Sache nach die gesamten Heimkosten und
zusätzlich den sozialhilferechtlichen Barbetrag geleistet, soweit nicht durch das
Einkommen der R. S. gedeckt. Somit sind die Unterkunftskosten Teil des geltend
gemachten Anspruchsübergangs.
34 Nach Ansicht des Senats ist die Einschränkung des Anspruchsübergangs nach §§
94 Abs. 1 Satz 6, 105 Abs. 2 SGB XII im Rahmen der Unterhaltsberechnung zu
realisieren, und zwar in der Weise, dass bei der Berechnung der nicht
übergehende Wohnkostenteil (127 EUR) wie Wohngeld behandelt wird und somit
die Bedürftigkeit reduziert. Einen Abzug des Wohnkostenanteils erst von dem
ausgerechneten Unterhaltsanspruch hält der Senat dagegen nicht für
interessengerecht. Sofern der Pflichtige voll leistungsfähig ist und der
Unterhaltsanspruch keiner prozentualen Kürzung (insbesondere § 1611 Abs. 1
BGB) unterliegt, ergibt sich im Ergebnis kein Unterschied zwischen beiden
Varianten. In Fällen wie dem vorliegenden, in denen der übergehende
Unterhaltsanspruch einer prozentualen Kürzung unterliegt (s. u.), ergibt sich
dagegen ein unterschiedliches Ergebnis, je nachdem, ob man den nicht
übergehenden Wohnkostenanteil im Rahmen der Unterhaltsberechnung als
bedarfsdeckendes Einkommen ansetzt und den sich sodann ergebenden
(geringeren) Unterhaltsanspruch prozentual kürzt, oder ob man zunächst den
rechnerischen Unterhaltsanspruch errechnet, diesen sodann prozentual verringert
und erst von dem solcherart reduzierten Unterhaltsanspruch den nicht
übergehenden Wohnkostenanteil abzieht. Gleichfalls ergeben sich Unterschiede
im Ergebnis bei eingeschränkter Leistungsfähigkeit des Pflichtigen. Sinn und
Zweck des § 94 Abs. 1 Satz 6 ist es, einen Ausgleich zu schaffen für den Wegfall
des Anspruchs auf (bedarfsdeckendes, vgl. Ziff. 2.3 SüdL) Wohngeld bei
Empfängern von Grundsicherung oder Hilfe zum Lebensunterhalt gemäß § 7 Abs.
1 Nr. 5, 6 WohngeldG. Dies legt es nahe, eine Berechnungsweise zu wählen, die
den Unterhaltspflichtigen so stellt, als ob der Betrag als fiktives Wohngeld zur
Verfügung gestanden hätte.
35 c) Zutreffend beruft sich der Antragsteller darauf, dass er ab dem Monat August
2012 nur noch Hilfe zur Pflege nach dem siebten Kapital des SGB XII gewährt hat,
da der Bedarf der R. S. an Grundsicherung bzw. Hilfe zum Lebensunterhalt noch
durch ihr Einkommen gedeckt war. Nach dem Leistungsbescheid vom 12.12.2012
bestand für R. S. ein Bedarf für Grundsicherung von 675,83 EUR zuzüglich des
Barbetrags von 100,98 EUR. Diese Bedarfe waren durch das deutlich
übersteigende Einkommen der R. S. gedeckt. Infolgedessen kommen §§ 94 Abs. 1
Satz 6, 105 Abs. 2 SGB XII nach ihrem eindeutigen Wortlaut hier nicht zur
Anwendung.
36 Für diese Monate ist auch nicht ein fiktives bedarfsdeckendes Wohngeld der R. S.
einzusetzen. Zwar lag in den genannten Monaten für R. S. der Ausschlussgrund
nach § 7 Abs. 1 Nr. 6 WohngeldG nicht vor, da sie in dieser Zeit keine
Sozialleistungen nach dem dritten oder vierten Kapital des SGB XII erhielt.
Grundsätzlich kam für diese Monate somit ein Anspruch auf Wohngeld in Betracht
(§ 3 Abs. 1 Nr. 3 WohngeldG). Nach den konkreten Einkommensverhältnissen der
R. S. hatte diese aber, wie von dem Antragsteller substantiiert dargelegt und von
der Antragsgegnerin nicht bestritten wurde, keinen Wohngeldanspruch. Somit
kann die - vom Senat zunächst erwogene - Zurechnung eines fiktiven Wohngeldes
wegen Verstoßes gegen die unterhaltsrechtliche Obliegenheit von R. S., ihre
Bedürftigkeit durch den Bezug von Wohngeld zu verringern, und die
sozialrechtliche Beratungspflicht des Antragstellers (§ 11 SGB XII), hierauf
hinzuwirken, nicht erfolgen.
37 4) Der Unterhaltsbedarf der R. S. im streitgegenständlichen Zeitraum betrug
monatlich 2.378,48 EUR für die Zeit bis einschließlich März 2013 und 2.852,25
EUR für die anschließende Zeit bis einschließlich Juni 2013:
38 a) Der Unterhaltsbedarf entspricht den für die Unterbringung im Heim „K“
angefallenen Kosten. Die im Pflegeheim anfallenden Kosten bestimmen den
Unterhaltsbedarf, soweit sie notwendig sind (BGH FamRZ 2013, 203). Außerdem
gehören zum Unterhaltsbedarf bare Mittel („Taschengeld“) im Umfang des
sozialhilferechtlichen Barbetrages (BGH aaO.).
39 b) Mit ihrem Einwand, es habe ein Platz in kostengünstigeren Heimen zur
Verfügung gestanden, die Unterbringungskosten im Heim „K“ seien somit nicht
notwendig gewesen, dringt die Antragsgegnerin nicht durch. Insoweit oblag der
Antragsgegnerin ein substantiiertes Bestreiten durch Benennung
kostengünstigerer Heime (BGH FamRZ 2015, 2138; BGH FamRZ 2013, 203; BGH
FamRZ 2002, 1968). Die Antragsgegnerin hat zwar 4 kostengünstigere Heime
benannt (AS II 7 sowie die dort beigefügte Anlage 1 „Detailansichten Pflegeheim“),
bei denen die mitgeteilten - und unbestrittenen - Gesamtkosten unterhalb der
Kosten des Seniorenzentrums „K“ liegen. Auf die genannten Heime musste sich
jedoch R. S. nicht verweisen lassen.
40 i) Die Wahl dieser Heime war für R. S. angesichts der Entfernung von ihrem
bisherigen Wohnort unzumutbar. Die genannten Heime befinden sich in einer
Entfernung von 50 - 100 km vom vormaligen Wohnort der R. S. in M, während das
Seniorenzentrum „K“ nur ca. 6 km entfernt liegt.
41 Allerdings beschränkt sich der Bedarf der nunmehr sozialhilfebedürftigen R. S. auf
das Existenzminimum und somit auf eine ihr zumutbare einfache und
kostengünstige Heimunterbringung (BGH FamRZ 2013, 203). Somit besteht
grundsätzlich die Obliegenheit, eine kostengünstige Heimunterbringung
wahrzunehmen. Dies gilt nach Ansicht des Senats auch dann, wenn
kostengünstigere Pflegeheime in größerer Entfernung vom bisherigen Wohnort
vorhanden sind.
42 Jedoch muss der Unterhaltspflichtige dann die höheren Kosten des ausgewählten
Pflegeheimes tragen, wenn dem Unterhaltsberechtigten die Wahl der
preisgünstigeren Heime nicht zumutbar war (BGH FamRZ 2013, 203; BGH FamRZ
2015, 2138). Berechtigte Gründe, die gerade die Unzumutbarkeit einer
Heimunterbringung in größerer Entfernung begründen, können insbesondere noch
bestehende Außen- und Sozialkontakte des pflegebedürftigen Menschen sein, die
durch einen Umzug in größere Entfernung nicht nur unerheblich beeinträchtigt
würden. So liegt es hier.
43 An ihrem früheren Wohnort M lebt die Zeugin B., die rechtliche Betreuerin und
Tochter der R. S. Diese besuchte nach ihren im Rahmen der
Rechtshilfevernehmung gemachten Angaben R. S. seit Aufnahme in das Heim
mehrmals wöchentlich und machte mit ihr Spiele u. ä. Über diese Besuche hatte
sich R. S. jeweils erkennbar gefreut. Sie sorgte für Fahrten zu Arzt- und
Zahnarztterminen. Zudem erfolgten Besuche durch einen Beauftragten der
Kirchengemeinde, welcher R. S. bereits früher angehört hatte. Zweifel gegen die
Glaubwürdigkeit oder Zuverlässigkeit der Angaben der Zeugin sind weder
vorgebracht noch ersichtlich.
44 Im Fall einer Unterbringung in einer 50 oder 100 km entfernten Pflegeeinrichtung
hätten diese Besuche und Sozialkontakte zweifellos nicht im genannten Umfang
erfolgen können. Es war für R. S. nicht zumutbar, durch Wahl einer weit vom
bisherigen Lebensmittelpunkt entfernten Pflegeeinrichtung diese sozialen Kontakte
zu gefährden. Gerade hoch betagten Menschen, die ohnehin durch den Umzug in
ein Pflegeheim den Verlust von Selbstständigkeit und vertrauter Umgebung
erleben, ist es nicht zumutbar, ihre verbliebenen sozialen Kontakte durch einen
Wegzug in weite Entfernung erheblich zu beeinträchtigen oder gar aufzugeben.
45 ii) Zudem gilt, dass auch dem sozialhilfebedürftig gewordene
Unterhaltsberechtigten ein Entscheidungsspielraum bei der Auswahl zwischen
mehreren Heimen im unteren Preissegment zusteht (BGH FamRZ 2015, 2138).
Vorliegend hat der Antragsteller substantiiert dargetan, dass der Pflegesatz des
Pflegeheims „K“ deutlich unter dem bayernweiten Durchschnitt liegt. Dem hat die
Antragsgegnerin kein substantiiertes Bestreiten entgegen gehalten. Somit war die
Wahl des noch im unteren Preissegment liegenden Pflegeheims auch noch vom
Auswahlermessen der R. S. gedeckt.
46 c) Aus den vom Antragsteller nunmehr vollständig vorgelegten Rechnungen des
Heims ergeben sich für die Zeit bis einschließlich März 2013 (Pflegestufe I)
monatliche Kosten von durchschnittlich 2.275,34 EUR und für die anschließende
Zeit bis einschließlich Juni 2013 (Pflegestufe II) von 2.749,11 EUR. Die von der
Antragsgegnerin vorgebrachten Einwände gegen die Nachvollziehbarkeit der
Rechnungen greifen im Ergebnis nicht durch. Ausgangspunkt sind die ursprünglich
gestellten Rechnungen. Die Rechnungen ab April 2013 wurden nachträglich auf
Grund der Hochstufung von R. S. in Pflegestufe II mit Nachtragsberechnung vom
30.7.2013 durch entsprechende Erhöhung der Pflegeleistung korrigiert
(hochgesetzt). Die monatlichen Kosten ergeben sich jeweils aus einer Addition der
Abrechnungsbeträge „Investitionskosten“, „Pflegeleistung“, „Unterkunft“ und
„Verpflegung“. Die Durchschnittsbildung aus den berechneten Beträgen - ohne
den teilweise ebenfalls dort angesetzten Barbetrag (Taschengeld), der hier
gesondert betrachtet ist - führt zu den genannten Beträgen wie folgt:
47
Kosten Pflegeheim Durchschnitt
Juni 2012
2.169,95 EUR
Juli 2012
2.325,93 EUR
August 2012
2.196,41 EUR
September 2012 2.250,90 EUR
Oktober 2012
2.325,93 EUR
November 2012
2.438,01 EUR
Dezember 2012
2.293,55 EUR
Januar 2013
2.325,93 EUR
Februar 2013
2.100,84 EUR
März 2013
2.325,93 EUR
2.275,34 EUR
April 2013
2.718,90 EUR
Mai 2013
2.809,53 EUR
Juni 2013
2.718,90 EUR
2.749,11 EUR
48 Hinzuzurechnen ist als Bedarf noch monatlich der sozialhilferechtliche Barbetrag
von 103,14 EUR („Taschengeld“). Es ergibt sich sodann ein Bedarf von 2.378,48
EUR bzw. 2.852,25 EUR.
49 Die in den Rechnungen jeweils unmittelbar in Abzug gebrachten Leistungen der
Pflegeversicherung mindern die Bedürftigkeit der R. S. und werden deshalb unten
in Ansatz gebracht.
50 d) Dass vom Heim ein Investitionskostenzuschuss in Rechnung gestellt wurde, ist
nicht zu beanstanden. Maßgebend für die Erhebung eines solchen Zuschusses ist
§ 82 Abs. 3, 4 SGB XI. Nicht nach Landesrecht geförderte Pflegeheime dürfen
einen solchen Zuschuss erheben, einer Zustimmung der Behörde bedarf es nicht
(§ 82 Abs. 4 SGB XI). Durch Bestätigung der Regierung von Oberfranken wurde
nachgewiesen, dass die Einrichtung unter § 82 Abs. 4 SGB XI fällt. Dass die Höhe
des Investitionskostenzuschusses nicht den Aufwendungen des Pflegeheims
nach § 82 Abs. 3 Satz 1 entsprechen würde, ist weder dargetan noch ersichtlich.
51 5) R. S. war im streitgegenständlichen Zeitraum unterhaltsbedürftig wie folgt:
52 Für Juni 2012 gilt: Bedarf 2.378,48 EUR abzüglich Leistungen der
Pflegeversicherung von 1.023,00 EUR, Altersrente von 992,84 EUR und S.
Betriebsrente 78,49 EUR, verbleibt ein ungedeckter Bedarf von rund 285 EUR.
Hierauf ist noch der vom Übergang ausgeschlossene Wohnkostenanteil von 127
EUR anzurechnen (s. o.). Es verbleibt ein Unterhaltsbedarf von 158 EUR.
53 Für Juli 2012 gilt: Bedarf 2.378,48 EUR abzüglich Leistungen der
Pflegeversicherung von 1.023,00 EUR, Altersrente von 1.014,52 EUR und S.
Betriebsrente 78,49 EUR, verbleibt ein ungedeckter Bedarf von rund 263 EUR.
Nach Anrechnung des vom Übergang ausgeschlossenen Wohnkostenanteils von
127 EUR verbleibt ein Unterhaltsbedarf von 136 EUR.
54 Ab 01.08.2012 bis 31.03.2013 gilt: Bedarf 2.378,48 EUR abzüglich Leistungen der
Pflegeversicherung von 1.023,00 EUR, Altersrente von 1.014,52 EUR und S.
Betriebsrente 78,49 EUR, verbleibt ein ungedeckter Bedarf von rund 263 EUR.
Eine Einschränkung des Anspruchsübergangs hinsichtlich des Wohnkostenanteils
findet für diese Monate nicht statt (s. o.).
55 Für die anschließende Zeit ab 01.04.2013 bis 30.06.2013 gilt: Bedarf 2.852,25
EUR abzüglich Leistungen der Pflegeversicherung von 1.279,00 EUR, Altersrente
1.014,52 EUR und S. Betriebsrente 78,49 EUR, verbleibt ein ungedeckter Bedarf
von rund 481 EUR.
56 6) Die unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit der Antragsgegnerin beschränkt sich
für die Zeit bis 31.12.2012 auf 252 EUR, für die anschließende Zeit auf 202 EUR.
Dies beruht auf folgenden Berechnungen:
57 Das Nettoeinkommen der Antragsgegnerin aus ihrer Rente belief sich auf unstreitig
2.439,69 EUR. Ein Unterhaltsanspruch gegenüber dem Sohn Be. ist nicht zu
berücksichtigen, da dieser durch seine Rente (719,86 EUR), den Arbeitslohn (ca.
75 EUR) und den Wohnkostenzuschuss (ca. 200,00 EUR) seinen Bedarf in voller
Höhe selbst decken kann. Vom Einkommen der Antragsgegnerin ist unstreitig ein
„negativer Mietwert“ (die Aufwendungen für das selbst genutzte Wohneigentum
sind höher als der im Selbstbehalt enthaltene Anteil für Wohnkosten) von 433,23
EUR in Abzug zu bringen, außerdem entsprechend der Berechnung des
Antragstellers eine Unfallversicherung von 2,28 EUR. Sodann ist der Selbstbehalt
von 1.500 EUR (bis 31.12.2012) bzw. 1.600 EUR (ab 1.1.2013) abzuziehen. Es
verbleiben 504,18 EUR (bis 31.12.2012) bzw. 404,18 EUR (ab 1.1.2013). Hiervon
ist jeweils die Hälfte für Elternunterhalt einzusetzen, also 252 EUR bzw. 202 EUR.
58 7) Damit beläuft sich zunächst der rechnerische Unterhaltsanspruch auf folgende
monatliche Beträge:
59
Juni 2012:
158 EUR
Juli 2012:
136 EUR
August 2012 bis einschließlich Dezember 2012: 252 EUR
Januar 2013 bis einschließlich Juni 2013:
202 EUR
Insgesamt:
2.766 EUR
60 8) Gemäß § 1611 Abs. 1 S. 1 BGB ist der in dieser Höhe rechnerisch bestehende
Unterhaltsanspruch wegen einer vorsätzlichen schweren Verfehlung der Mutter R.
S. gegenüber der Antragsgegnerin zu kürzen. Diese Kürzung beträgt nicht lediglich
- wie vom Antragsteller bereits zugestanden - 40%, sondern insbesondere wegen
der schweren Folgen der Verfehlung für die Antragsgegnerin 66,6% (2/3). Ein
gänzlicher Wegfall der Unterhaltsverpflichtung gemäß § 1611 Abs. 1 Satz 2 BGB
ist jedoch nicht anzunehmen.
61 Zu Recht geht der Antragsteller selbst von einer Kürzung des Unterhaltsanspruchs
aus. Denn der Mutter der Antragsgegnerin sind im Rahmen der (nicht ausreichend
erfolgten) Bewältigung der Vergewaltigung der seinerzeit noch im kindlichen Alter
befindlichen Antragsgegnerin erhebliche Versäumnisse vorzuwerfen, wobei auch
davon ausgegangen werden kann, dass die Mutter der Antragsgegnerin insoweit
nicht in Unkenntnis ihrer elterlichen Pflichten war und deshalb zumindest bedingt
vorsätzlich gehandelt hat. Im Einzelnen:
62 Die Antragsgegnerin hat in Form einer Vergewaltigung durch den eigenen Bruder,
einer Schwangerschaft und Entbindung im kindlichen Alter sowie der Geburt eines
schwerstbehinderten Sohnes ein unfassbares Schicksal erlitten, welches
ausweislich des Gutachtens der So. Klinik, Dr. H., vom …2004 ihren weiteren
Lebensweg geprägt und sie psychisch und psychosomatisch nachhaltig und
gravierend belastet und geschädigt hat. Dies kann der Mutter der Antragsgegnerin
jedoch unmittelbar nicht angelastet werden. Es ist weder behauptet noch
ersichtlich, dass die Mutter der Antragsgegnerin die Vergewaltigung ermöglicht,
gefördert oder geduldet hätte, und auch eine Alternative zum Austragen des
Kindes nach Entdeckung der Schwangerschaft ist von der Antragsgegnerin weder
aufgezeigt noch ersichtlich.
63 Zu Recht beschränkt sich deshalb auch der Vorwurf der Antragsgegnerin auf
Versäumnisse im weiteren Verlauf. Bezüglich dieses weiteren Verlaufs sind der
Mutter der Antragsgegnerin erhebliche, zumindest bedingt vorsätzliche
Pflichtverletzungen vorzuwerfen, die in der Gesamtheit als vorsätzliche schwere
Verfehlung im Sinne des § 1611 Abs. 1 Satz 1 BGB zu werten sind.
64 Die Verletzung elterlicher Pflichten kann sich, auch soweit sie in einem Unterlassen
besteht, als Verfehlung gegen das Kind darstellen (BGH FamRZ 2004, 1559). Die
Mutter der Antragsgegnerin war ihr im Rahmen der elterlichen Pflichten seinerzeit
Schutz und Beistand schuldig. Es gehörte - schon damals - zu den Pflichten der
Eltern, sich um ihr Kind zu kümmern, ihm bei Problemen und Schwierigkeiten zur
Seite zu stehen und ihm insgesamt die Gewissheit zu vermitteln, dass ihm in Liebe
und Zuneigung verbundene Elternteile für es da sind (vgl. jetzt BGH FamRZ 2004,
1559). Dem ist die Mutter nicht gerecht geworden, wodurch sie sich einer
Verfehlung gegen die Antragsgegnerin schuldig gemacht hat.
65 Dass die Antragsgegnerin allerdings seinerzeit von ihren Eltern nicht einer
Psychotherapie zugeführt wurde, ist nicht als vorsätzliche schwere Verfehlung im
Sinne des § 1611 Abs. 1 Satz 2 BGB zu werten. Denn in den 1960er Jahren war
nach weit verbreiteter Anschauung die psychotherapeutische Behandlung Fällen
von Geisteskrankheit vorbehalten. Die heute allgemein vorherrschende
Erkenntnis, dass schon zur Bewältigung krisenhafter Lebenssituationen eine
psychotherapeutische Behandlung sachgerecht und geboten sein kann, kann für
die damalige Zeit nicht vorausgesetzt werden. Somit fehlt es hinsichtlich dieser
Unterlassung jedenfalls am subjektiven Element.
66 Auch hält es der Senat in Übereinstimmung mit dem Amtsgericht vor dem
Hintergrund der gesellschaftlichen Anschauungen der 1960er Jahre nicht für
individuell den Eltern als vorsätzliche Verfehlung vorwerfbar, dass sie die Herkunft
des Kindes der Antragsgegnerin gegenüber Dritten verheimlichten und stattdessen
eine „Legende“ benutzten, die auch der Antragsgegnerin vorgegeben wurde. Es ist
nicht fernliegend und lässt sich jedenfalls nicht ausschließen, dass die Eltern
hierbei subjektiv nicht gegen die Kindesinteressen handeln wollten, sondern
vielmehr meinten, auch im wohlverstandenen Interesse zum Schutz des Kindes -
gleichermaßen auch der Familie - vor gesellschaftlicher Ausgrenzung zu handeln.
67 Jedoch schuldeten die Eltern der Antragsgegnerin, nachdem sie ohne jedes
eigene Verschulden durch die Vergewaltigung und Schwangerschaft in höchstem
Maße traumatisiert und durch die Geburt des Kindes in einer psychisch und
praktisch schwierigsten Lage war, als elterliche Pflicht fürsorgliche Zuwendung,
Gespräch und Verständnis. Diese Pflicht wurde von ihnen schwer verletzt. Die
Antragsgegnerin sah sich nach ihrer glaubwürdigen Schilderung im Termin vom
28.11.2014 nach Bekanntwerden der Schwangerschaft zunächst massiven
Vorwürfen ausgesetzt. Sie wurde von der Mutter angeschrien, weil sie „Schande
über die Familie gebracht“ habe, und zunächst sogar zur „Strafe“ eingesperrt. Die
Endphase der Schwangerschaft und die Geburt ihres Kindes musste sie ohne
elterlichen Rückhalt im Mutter-Kind-Heim bewältigen. Nach Rückkehr der
Antragsgegnerin in den elterlichen Haushalt wurde über das Kind nicht
gesprochen (vgl. die Schilderungen der Antragsgegnerin „Eindrücke meines
Lebens“, S. 25). Die Antragsgegnerin „erlebte sich von der Familie ausgestoßen,
allein gelassen, vom Kindesvater niemals unterstützt und verarbeitete das Erlebte
sehr schuldhaft“ (Gutachten Dr. H. vom …2004). Unverständlich aus Sicht des
Senats ist zudem, dass der Bruder der Antragsgegnerin und Vergewaltiger
weiterhin unangefochten im Familienverbund verblieb.
68 Im vorliegenden Fall ist die Verletzung der elterlichen Pflichten angesichts des
auch damals schon offensichtlichen Umstandes, dass die Antragsgegnerin ein in
schwerster Weise unverschuldet geschädigtes und bedürftiges Kind war, als
gravierende, besonders vorwerfbare Verfehlung der Eltern anzusehen. Es kann
auch kein Zweifel daran bestehen, dass der Mutter im Sinne einer Parallelwertung
in der Laiensphäre bewusst war, dass sie ihrem Kind fürsorgliche Zuwendung
schuldig war.
69 Soweit die Antragsgegnerin darüber hinausgehende weitere Erziehungsfehler
durch ihre Eltern geltend macht, haben diese im Rahmen der Beurteilung kein
eigenständiges Gewicht. Derartige Erziehungsfehler, insbesondere körperliche
Züchtigungen, stellen vor dem Hintergrund der Erziehungsanschauungen und
auch des Standes von Recht und Gesetzgebung in den 1960er Jahren jedenfalls
keine schwere Verfehlung dar. Dass die Antragsgegnerin nach Schulabschluss als
Gegenleistung für den ihr gewährten Naturalunterhalt ihr Gehalt - bis auf ein
Taschengeld - den Eltern abliefern musste, ist jedenfalls im Grundsatz nicht zu
beanstanden.
70 Bei der nach § 1611 Abs. 1 BGB gebotenen Billigkeitsabwägung, in welchem
Umfang eine Beschränkung oder ein Wegfall der Unterhaltsverpflichtung der
Antragsgegnerin stattfindet, darf jedoch auch die seinerzeitige Situation der Mutter
nicht außer Betracht bleiben. Ersichtlich war auch die Mutter nach der
Vergewaltigung durch den Bruder in der Rolle eines Opfers. Zweifellos drohte bei
Bekanntwerden der gesamten Umstände gesellschaftliche Ächtung und Isolation
der Familie, und zwar auch für die Eltern. Eine Reaktion des Verdrängens und
Verschweigens war vor diesem Hintergrund zwar nicht gerechtfertigt. Zu Recht
geht aber schon das Amtsgericht davon aus, dass das Verhalten der Eltern vor
dem Hintergrund der gesellschaftlichen Situation der 1960er Jahre in einem
milderen Licht erscheint.
71 Ebenfalls im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen ist andererseits, dass die
Antragsgegnerin als Spätfolge ihrer Traumatisierung letztendlich erwerbsunfähig
und frühverrentet wurde. Dass ihre Erwerbsunfähigkeit eine Folge der schweren
Traumatisierung im Kindesalter war, ergibt sich aus dem Gutachten Dr. H.
Allerdings war ausweislich des genannten Gutachtens hauptursächlich für die
Traumatisierung die Vergewaltigung durch den Bruder, wofür die Mutter nicht
verantwortlich zu machen ist. Der die Eltern treffende Vorwurf betrifft ihre
Insuffizienz, gerade bei der Bewältigung des traumatischen Geschehens.
72 Insgesamt kommt der Senat im Rahmen der Abwägung nach § 1611 Abs. 1 BGB
zu dem Ergebnis, dass der Unterhaltsanspruch der R. S. aufgrund der Verletzung
elterlicher Fürsorgepflichten gegenüber der Antragsgegnerin erheblich zu kürzen
ist, jedoch nicht vollständig entfällt.
73 Eine grobe Unbilligkeit mit der Folge des vollständigen Wegfalls der
Unterhaltspflicht nach § 1611 Abs. 1 Satz 2 BGB wäre nur anzunehmen, wenn die
Gewährung von Unterhalt dem Gerechtigkeitsempfinden in unerträglicher Weise
widersprechen würde (BGH FamRZ 2004, 1559). Dies wurde in der
Rechtsprechung bisher namentlich in Fällen angenommen, in denen Eltern ihr
Kind gänzlich zurückgelassen und sich nicht mehr um ihr Kind gekümmert hatten
(BGH aaO.). Im vorliegenden Fall dagegen hat die Mutter ihre elterliche
Verantwortung - wenn auch mit den dargestellten Mängeln - weiter
wahrgenommen. Die Antragsgegnerin konnte den Schulabschluss machen.
Wohnen, Kleidung usw., auch Windeln für das Kind (Protokoll vom 28.11.2014, S.
3), wurden ihr als Naturalunterhalt gewährt. Sie wurde in der Familie - jedenfalls
durch die Großmutter - bei der Erziehung und Pflege ihres Kindes unterstützt. Da
die Mutter sich ihrer elterlichen Verantwortung nicht gänzlich entzogen hat,
widerspricht es nicht in unerträglicher Weise dem Gerechtigkeitsempfinden, wenn
nunmehr die Antragsgegnerin mit einem reduzierten Anteil in die familiäre Pflicht
genommen wird zur Deckung des Unterhalts ihrer bedürftig gewordenen Mutter.
74 Andererseits hält der Senat die vom Amtsgericht - in Übereinstimmung mit dem
Antragsteller - vorgenommene Kürzung des Unterhaltsanspruchs um nur 40% für
zu gering. Die elterliche Insuffizienz hat die mangelhafte Verarbeitung des
traumatischen Geschehens (vgl. im Einzelnen nochmals Gutachten Dr. H. vom …
2004, a. a. O., S. 27) zumindest maßgeblich begünstigt, wenn nicht sogar
verursacht. Somit hat die Mutter R. S. erhebliche Mitverantwortung für die
schweren psychischen Folgen, wie sie im Gutachten Dr. H. vom …2004 (a. a. O.,
S. 28 f.) im Einzelnen dargestellt sind. Dies gebietet eine Kürzung des
Unterhaltsanspruchs auf deutlich unter die Hälfte des errechneten Unterhalts.
75 9) Somit reduziert sich der von der Antragsgegnerin rechnerisch geschuldete
Unterhalt von insgesamt 2.766 EUR auf von der Antragsgegnerin geschuldete
922,00 EUR.
76 Da der Antragsteller in diesem Zeitraum in erheblich übersteigendem Umfang
Sozialleistungen an R. S. erbracht hat, ist der Unterhaltsanspruch in diesem
Umfang gemäß § 94 SGB XII auf ihn übergegangen.
77 Die Entscheidung des Amtsgerichts über die Zinsen ist zutreffend (§§ 291, 288
BGB) und mit der Beschwerde nicht angegriffen.
78 Die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit beruht auf § 116 Abs. 3 Satz 3 FamFG.
Die Kostenentscheidung hat der Senat nach dem Verhältnis von Obsiegen und
Unterliegen der Beteiligten getroffen, was billigem Ermessen entspricht (§ 243
FamFG).
79 Die Rechtsbeschwerde wird gemäß § 70 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FamFG zugelassen im
Hinblick auf die - soweit ersichtlich - höchstrichterlich noch nicht geklärten Fragen
zur konkreten Berechnungsweise bei der Einschränkung des
Anspruchsübergangs nach §§ 94, 105 SGB XII und wegen der aufgeworfenen
Detailfragen zur rechtlichen Bewertung der Versäumnisse der Mutter R. S. im
Rahmen des § 1611 BGB.