Urteil des OLG Karlsruhe vom 26.01.2016

hauptsache, handschriftlich, ratenzahlung, anhörung

OLG Karlsruhe Beschluß vom 26.1.2016, 2 Ws 429/15
Erledigung der Hauptsache
Leitsätze
1. Eine durch bloßes Schreiben des Vorsitzenden festgestellte Erledigung der
Hauptsache ist mit der Rechtsbeschwerde anfechtbar, wenn der Antragsteller dies für
rechtsfehlerhaft hält.
2. Die gegenüber der Antragsgegnerin erklärte Rücknahme des Antrags auf
gerichtliche Entscheidung, die diese ohne Wissen des Antragstellers an die
Strafvollstreckungskammer weiterleitet, stellt jedenfalls dann keine
Erledigungserklärung dar, wenn der Antragsteller einer solchen widerspricht.
Tenor
1. Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird die Entscheidung des
Landgerichts - Strafvollstreckungskammer - Offenburg vom 24. Juli 2015 aufgehoben.
2. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an die Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen.
3. Dem Antragsteller wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe
ohne Ratenzahlung bewilligt. Die Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abgelehnt.
4. Der Gegenstandswert wird auf 600.- EUR festgesetzt (§§ 65, 60, 52 GKG).
Gründe
1 Der zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilte Antragsteller
befindet sich seit dem 9.1.2013 in Strafhaft, die ab dem 7.3.2013 in der
Justizvollzugsanstalt Y - im offenen Vollzug - vollstreckt wurde. Hieraus entwich der
Antragsteller. Durch seine Festnahme am 8.12.2014 endete seine Flucht. Am
26.1.2015 wurde er der Justizvollzugsanstalt X zugeführt. Der Zwei-Drittel-Termin
ist auf den 07.07.2016 notiert, die Endstrafe würde am 07.11.2018 erreicht.
2 Der Antragsteller begehrte mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom
25.06.2015 festzustellen, dass die Art und Weise der heutigen Vorführung zu
Gerichtsterminen beim Landessozialgericht Baden-Württemberg im Landgericht
Stuttgart rechtswidrig gewesen sei. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus,
dass er keine Gelegenheit bekommen habe, zu dem Gerichtstermin seine
Privatkleidung anzuziehen, er in einem Bus mit normaler Verglasung transportiert
worden sei, wodurch beim Transport in der Öffentlichkeit seine Anonymität nicht
gewährleistet gewesen sei, er in rechtswidriger Weise bereits ab 11 Uhr gefesselt
gewesen sei, wobei die Fesseln in der Länge zu klein gewesen seien, wodurch er
sichtbare tiefe Druckspuren erlitten habe, seine Hände eingeschlafen seien und
die Unterarme geschmerzt hätten, er trotz seiner Bitte um Unterbringung in der
Arrestzelle über zweieinhalb Stunden in Hand- und Fußfesseln vor dem Saal in der
Öffentlichkeit gesessen habe, die Beamten bei seiner Toilettennutzung anwesend
gewesen seien und auch dort die Fesseln nicht abgenommen hätten, wodurch
seine Intimsphäre verletzt worden sei, er an diesem Tag mehr als sieben Stunden
habe sitzen müssen und keinerlei Hofgang gehabt habe.
3 Die Strafvollstreckungskammer leitete diesen Antrag am 01.07.2015 der
Antragsgegnerin mit der Aufforderung zur Stellungnahme binnen drei Wochen zu.
4 Am 21.07.2015 teilte die Antragsgegnerin mit, dass, wie aus der Anlage ersichtlich
sei, der Gefangene mit Schreiben vom 14.07.2015 den Antrag auf gerichtliche
Entscheidung vom 25.06.2015 unter der Voraussetzung, dass keine Kosten
erhoben würden, zurückgenommen habe. Die Erklärung des Gefangen werde
dahingehend ausgelegt, dass er damit den Verfahrensgegenstand für erledigt
erklären möchte, denn nur im Falle der Erledigterklärung würden seitens des
Gerichts - so schon öfters praktiziert - keine Kosten erhoben.
5 In der Anlage befindet sich eine Kopie der letzten Seite des Antrages vom
25.06.2015 auf die handschriftlich - offensichtlich vom Antragsteller mit erneuter
Unterschrift - hinzugefügt wurde: „Wenn keine Kosten erhoben werden nehme ich
den Antrag zurück. 14.07.2015“.
6 Daraufhin sandte der für das Verfahren zuständige Richter der
Strafvollstreckungskammer am 24.07.2015 ein gleichlautendes Schreiben an
Antragsteller und Antragsgegnerin, in dem er ausführte, dass das Schreiben des
Antragstellers vom 25.06.2015 zunächst als Antrag nach §§ 109, 115 Abs. 3
StVollzG behandelt worden sei. Dieses Verfahren habe sich erledigt, nachdem A.
B. mit Schreiben vom 14.07.2015 mitgeteilt habe, seinen Antrag zurückzunehmen,
sofern hierbei keine Kosten entstünden. Dieser Antrag sei so auszulegen, dass A.
B. hiermit das Verfahren für erledigt erkläre. Denn nur so habe er sein Ziel einer
Verfahrensbeendigung ohne Kostenerhebung erreichen können. In diesem Falle
würden keine Gerichtskosten erhoben. Es sei nicht ersichtlich, dass Auslagen
entstanden seien. Das Verfahren werde daher ohne weitere förmliche
Entscheidung beendet. Zugleich verfügte der zuständige Richter am 24.07.2015
einen Registeraustrag.
7 Bereits mit Schreiben vom 28.07.2015, das am Folgetag beim Landgericht
Offenburg einging, beantragte der Antragsteller Prozesskostenhilfe für die
Rechtsbeschwerde gegen das ihm am 27.07.2015 zugegangene Schreiben und
die Beiordnung eines Rechtsanwalts, die Protokollierung der Rechtsbeschwerde,
da der Rechtspfleger des Amtsgerichts im Urlaub sei, und teilte mit, abgesehen
von der fehlenden Anhörung habe er zuletzt erklärt, er sei bedrängt worden zu
erklären „wenn keine Kosten anfallen, nehme ich den Antrag zurück“ und bezweifle
die Wirksamkeit bedingter Prozesserklärungen. Es sei komplett abwegig, dies als
Erledigungserklärung zu behandeln. Jegliche Begründung fehle. Die Entscheidung
des Gerichts sei anfechtbar, woran auch die falsche Form und fehlende
Begründung nichts ändere. Schließlich ist vermerkt, dass das angebliche „Ziel“ von
der Antragsgegnerin verfolgt werde, der Antragsteller habe keinen Anlass dazu.
8 In der Folge lehnte der Antragsteller am 01.08.2015 - wie in mehreren
Parallelverfahren - den zuständigen Richter als befangen ab. Nach Erhalt eines
Schreibens des Präsidenten des Landgerichts Offenburg vom 04.08.2015 und der
dienstlichen Stellungnahme des abgelehnten Richters vom 07.08.2015 nahm er
mit Schreiben vom 11.08.2015 den Antrag vom 01.08.2015 u.a. in Bezug auf das
vorliegende Verfahren zurück.
9 Am 18.08.2015 legte der Antragsteller förmlich Rechtsbeschwerde gegen das
Schreiben des Landgerichts Offenburg - Strafvollstreckungskammer - vom
27.07.2015 (7 StVK 402/15) ein und beantragte die Entscheidung insgesamt
aufzuheben und die Sache an das Landgericht Offenburg zur Sachentscheidung
zurückzuverweisen.
10 Unter Bezugnahme auf den von ihm weiterverfolgten Antrag vom 25.06.2015 rügt
er im Wesentlichen, dass er am 14.07.2015 von der Antragsgegnerin bedrängt
worden sei, auf dem Antrag handschriftlich zu erklären: „Wenn keine Kosten
anfallen, nehme ich den Antrag zurück“. Dies habe er dem Gericht mitgeteilt und
erklärt, er halte bedingte Prozesserklärungen für unwirksam. Die angebliche
Erledigung sei anfechtbar. Im Wege der Verfahrensrüge rüge er den Verstoß
gegen § 244 Abs. 2 StPO und im Wege der Sachrüge die fehlende Begründung
gemäß §§ 34, 267 StPO und die Tatsache, dass es komplett abwegig sei, das
Schreiben vom 14.07.2015 als Erledigterklärung zu behandeln.
II.
11 Die Rechtsbeschwerde, die deshalb auch zur Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung geboten war, erweist sich als - vorläufig - erfolgreich, weil die
Strafvollstreckungskammer mit der getroffenen Entscheidung vom 24.07.2015 eine
Prozessentscheidung gefällt hat, deren Voraussetzungen nicht vorlagen. Sie führt
zur Aufhebung der Entscheidung und zur Verpflichtung der Strafvollstreckungs-
kammer, erneut über den Antrag des Antragstellers zu befinden.
A.
12 Die Strafvollstreckungskammer hat durch das an Antragsteller und
Antragsgegnerin gerichtete Schreiben vom 24.07.2015 - rechtsfehlerhaft nicht in
Beschlussform - die Erledigung der Hauptsache festgestellt. Damit hat sie in der
Hauptsache zwar keine sachlich-rechtliche, jedoch eine Prozessentscheidung
gefällt. Auch gegen solche Prozessentscheidungen ist die Rechtsbeschwerde
zulässig (Schwindt/Böhm/Jehle/Laubenthal, StVollzG, 5. Aufl., 2009, § 116, Rn.
10). Insbesondere steht die Annahme der Erledigung des Verfahrens durch die
Strafvollstreckungskammer ohne entsprechenden Antrag eines Beteiligten einer
mit der Rechtsbeschwerde anfechtbaren Hauptentscheidung gleich (OLG
Stuttgart, NStZ 1992, 104; Schwindt/Böhm/Jehle/Laubenthal a. a. O., § 121, Rn. 4).
Dies gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier - aus der Rechtsbeschwerde-begründung
deutlich wird, dass der Antragsteller eben die Annahme des Eintritts der Erledigung
für rechtsfehlerhaft hält (OLG Schleswig NStZ-RR 2007, 326) und sein
ursprüngliches Ziel in der Sache weiterverfolgen will.
B.
13 Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet, da sich das Verfahren tatsächlich nicht
erledigt hat. Die Strafvollstreckungskammer war nicht durch Erledigung der
Hauptsache an einer Sachentscheidung gehindert. Zwar gilt in Strafvollzugs-
sachen der Verfügungsgrundsatz, sodass der Antragsteller die Hauptsache mit
Bindungswirkung für das Gericht einseitig für erledigt erklären kann (Bachmann, in:
Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel, Strafvollzugsgesetze, 12. Aufl. 2015,
Abschn. P Rn. 67 m.w.N.). Eine wirksame Erledigungserklärung des Antragstellers
liegt indes nicht vor. Denn die Erklärung vom 14.07.2015 ist dem Gericht nicht
durch den Antragsteller oder einen Prozessbevollmächtigten, sondern durch die
Antragsgegnerin übermittelt worden. Die Strafvollstreckungskammer konnte die
Erklärung daher - unabhängig von der Frage ihrer Wirksamkeit im Hinblick auf die
enthaltene Bedingung - nicht als wirksame Prozesshandlung des Antragstellers
behandeln, zumal sie nicht ohne Weiteres davon ausgehen konnte, dass ihr die
Erklärung mit Willen des Antragstellers unterbreitet und von diesem nicht in der
Zwischenzeit widerrufen worden war, was bis Eingang der Erklärung bei Gericht
möglich gewesen wäre. Der Antragsteller teilte dem Gericht zudem bereits am
28.07.2015 handschriftlich mit, dass er gegen das Schreiben vom 24.07.2015
Rechtsbeschwerde erheben wolle, da seine Anhörung fehle, er zuletzt erklärt
habe, dass er (am 14.07.2015) bedrängt worden sei zu erklären, „wenn keine
Kosten anfallen, nehme ich den Antrag zurück“ und es komplett abwegig sei, dies
als Erledigterklärung zu behandeln.
14 Nachdem der Antragsteller mit diesem Schreiben eindeutig zu erkennen gegeben
hatte, dass er das Verfahren nicht für erledigt erklären wollte und will, und da ein
erledigendes Ereignis auch nicht von Amts wegen festzustellen war, hätte die
Strafvollstreckungskammer das Verfahren fortsetzen und nach Aufklärung des
Sachverhaltes über die Hauptsache entscheiden müssen (vgl. OLG Celle,
Beschluss vom 30.04.2010, 1 Ws 142/10-, juris; OLG Hamm, Beschluss vom
09.05.1995, 1 Vollz (Ws) 111/95-, juris).
C.
15 Da die Strafvollstreckungskammer zu Unrecht die Erledigung der Hauptsache
angenommen hat, wird sie sich nach Aufhebung der angefochtenen Entscheidung
erneut mit dem Sachantrag des Antragstellers zu beschäftigen haben. Für das
weitere Verfahren weist der Senat höchst vorsorglich auf Folgendes hin:
16 Für das gerichtliche Verfahren nach dem StVollzG gilt der Grundsatz der
Amtsermittlung (Untersuchungsgrundsatz), § 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG; § 244
Abs. 2 StPO. Das Gericht ist zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Ermittlung
der materiellen Wahrheit verpflichtet. Pflicht der Strafvollstreckungskammer ist es,
den zugrunde liegenden Sachverhalt vollständig aufzuklären, denn nur so kann sie
der ihr gestellten Aufgabe, über die Rechtmäßigkeit von Vollzugsverwaltungsakten
zu befinden, im Einzelfall nachkommen (Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, a.a.O. §
115, Rn 2 m.w.N.). Da die rechtliche Prüfung durch den Senat in dem dem
Revisionsverfahren nachgestalteten Rechtsbeschwerdeverfahren allein auf der
Grundlage der Gründe der angefochtenen Entscheidung erfolgt, müssen diese so
abgefasst sein, dass sie aus sich heraus eine Überprüfung ermöglichen, wobei im
Grundsatz die Darlegungsanforderungen zu erfüllen sind, die auch an ein
strafgerichtliches Urteil zu stellen sind (st. Rspr. des Senats, zuletzt Beschluss vom
06.10.2015 -2 Ws 451/15-, juris; OLG Hamburg StraFo 2005, 346;
Kamann/Spaniol in Feest/Lesting, AK-StVollzG, 6. Aufl. 2011, § 115 Rn. 80).
III.
17 Soweit seine Rechtsbeschwerde Erfolg hatte, war dem Antragsteller für das
Rechtsbeschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung zu gewähren
(§ 120 Abs. 2 StVollzG, §§ 114 ff. ZPO). Dem Senat ist bekannt, dass die
wirtschaftlichen Voraussetzungen vorliegen, so dass von einer Anforderung einer
Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ausnahmsweise
abgesehen werden konnte (vgl. Senat, Beschluss vom 13.07.2015, 2 Ws 293/15).
Demgegenüber lagen die Voraussetzungen des § 120 Abs. 2 StVollzG i. V. m. 121
Abs. 2 ZPO für die Beiordnung eines Rechtsanwalts nicht vor. Angesichts der
gerichtskundigen umfangreichen Erfahrungen des Antragstellers im Schriftverkehr
mit Gerichten und Behörden ist eine derartige Vertretung auch unter
Berücksichtigung der Schwierigkeit der zu bewältigenden Rechtsmaterie ersichtlich
nicht geboten (vgl. Bachmann a.a.O., Abschn. P Rdn. 139).
IV.
18 Die Festsetzung der Gegenstandswerts für das Rechtsbeschwerdeverfahren
beruht auf §§ 1 Abs. 1 Nr. 8, 65, 60, 52 Abs. 1 GKG.