Urteil des OLG Karlsruhe vom 07.06.2016

leichtfertiges verhalten, leichtfertigkeit, herkunft, auflage

OLG Karlsruhe Urteil vom 7.6.2016, 2 (5) Ss 156/16; 2 (5) Ss 156/16 - AK 53/16
Leichtfertigkeit bei Geldwäsche
Leitsätze
Spricht die Gesamtschau einer Vielzahl von Beweisanzeichen für eine im Sinne des § 261 Abs. 1 StGB
inkriminierte Herkunft des Gegenstandes, indiziert dies grundsätzlich das Vorliegen einer - auch individuellen -
Leichtfertigkeit nach § 261 Abs. 5 StGB. Zu einer Entlastung bedarf es ganz besonderer in der Person des
Beschuldigten liegender Umstände.
Tenor
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 7. Dezember 2015 mit
den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu erneuter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts Freiburg zurückverwiesen.
Gründe
I.
1
Die Angeklagte wurde durch Urteil des Amtsgerichts Lörrach vom 10.08.2015 wegen leichtfertiger
Geldwäsche in elf Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 10 Euro verurteilt. Auf ihre
hiergegen eingelegte Berufung wurde die Angeklagte durch Urteil des Landgerichts Freiburg vom
07.12.2015 freigesprochen.
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Gegen dieses Urteil legte die Staatsanwaltschaft Freiburg – Zweigstelle Lörrach – mit Telefax vom
09.12.2015 Revision ein, die sie nach der am 16.12.2015 erfolgten Zustellung des Urteils am 14.01.2016
mit der Verletzung materiellen Rechts begründete.
II.
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Die Revision der Staatsanwaltschaft ist mit der allein erhobenen Sachrüge zulässig und auch begründet, da
sich die in dem angefochtenen Urteil vorgenommene Beweiswürdigung als rechtsfehlerhaft erweist.
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1. Nicht zu beanstanden sind die rechtlichen Prämissen für eine Verurteilung wegen leichtfertiger
Geldwäsche, von denen das Landgericht ausgegangen ist.
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a) Soweit das Landgericht davon abgesehen hat, die Vortaten des gewerbsmäßig begangenen Betrugs
näher zu konkretisieren, aus denen die von der Angeklagten entgegengenommenen und weitergeleiteten
Warensendungen stammten, stellt sich dies allerdings nur deshalb nicht als rechtsfehlerhaft dar, weil sich
das Landgericht hinsichtlich der subjektiven Tatseite an einer Verurteilung der Angeklagten gehindert sah.
Für eine Verurteilung wegen leichtfertiger Geldwäsche ist es demgegenüber grundsätzlich erforderlich, die
wesentlichen tatsächlichen Merkmale der jeweiligen Vortat festzustellen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss
vom 20.01.2012, 3 (5) Ss 653/11; OLG Hamburg, NStZ 2011, 523; KG, Beschluss vom 13.06.2012, (4) 121
Ss 79/12). Für eine im Internet begangene Warenbetrugstat betrifft dies insbesondere die Tatzeit, den
Internetversandhändler, den Gegenstand der Warenbestellung sowie die Schadenshöhe.
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b) Hinsichtlich der subjektiven Tatseite setzt eine Verurteilung wegen leichtfertiger Geldwäsche den
Vorwurf der Leichtfertigkeit tragende konkrete Feststellungen sowohl hinsichtlich der Vortat als solcher als
auch – soweit gemäß § 261 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 StGB erforderlich – hinsichtlich deren gewerbs- oder
bandenmäßigen Begehung voraus (BGH, NZWiSt 2015, 195, 196; vgl. auch OLG Karlsruhe, Beschluss vom
20.01.2012, 3 (5) Ss 653/11; OLG Hamburg, NStZ 2011, 523 f.; KG, Beschluss vom 13.06.2012, (4) 121 Ss
79/12). Leichtfertigkeit im Sinne des § 261 Abs. 5 StGB liegt dabei vor, wenn sich die Herkunft eines
Gegenstands im Sinne von § 261 Abs. 1 Satz 1 (ggf. i. V. m. Abs. 2) StGB aus einer in § 261 Abs. 1 Satz 2
StGB aufgeführten Katalogtat nach der Sachlage geradezu aufdrängt und der Täter oder die Täterin
gleichwohl handelt, weil er oder sie dies aus besonderer Gleichgültigkeit oder grober Unachtsamkeit außer
Acht lässt (BGH, NJW 1997, 3323, 3325 f.; NJW 2006, 1297, 1298 f.; NZWiSt 2015, 195, 196; KG, MMR
2010, 128, 130). Der Begriff der Leichtfertigkeit entspricht in objektiver Hinsicht demjenigen der groben
Fahrlässigkeit des Zivilrechts; von dieser unterscheidet sich die (strafrechtliche) Leichtfertigkeit allerdings
insoweit, als auch die individuellen Kenntnisse und Fähigkeiten des Täters zu berücksichtigen sind (BGH,
NJW 2006, 1297, 1299; NJW 2008, 2516, 2517; Neuheuser, NStZ 2008, 492, 496).
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2. Soweit das Landgericht ausgeführt hat, dass der Angeklagten eine Vielzahl von Umständen bekannt war,
die für die Herkunft des Inhalts der von der Angeschuldigten als „Paketagentin“ entgegengenommenen und
weitergeleiteten Postsendungen aus gewerbsmäßig begangenen Betrugstaten sprachen, sind seine
Erwägungen ebenfalls frei von Rechtsfehlern.
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Dies gilt insbesondere für die Einschätzungen des Landgerichts,
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a) dass von einem tatsächlich existenten Unternehmen im normalen Geschäftsverkehr nicht zu erwarten
gewesen wäre, dass es ohne weitere Zuverlässigkeitsprüfung und ohne Berücksichtigung der bisherigen
beruflichen Tätigkeit einer ihm bis dahin völlig unbekannten neuen Mitarbeiterin, mit der keinerlei
persönlicher Kontakt bestand, innerhalb eines kurzen Zeitraums (von rund einem Monat) bereits Waren
erheblichen Werts (von nahezu 20.000 Euro) übersandte;
10 b) dass es ohne weitere Angaben unverständlich ist, warum ein US-amerikanisches Unternehmen Pakete
von in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Internetversandhändlern zunächst an „Paketagenten“ in
Deutschland mit dem Auftrag übersenden lassen sollte, die erhaltenen Pakete nach Lettland oder Russland
weiterzuleiten, anstatt die Sendungen unmittelbar in diese Staaten ausliefern zu lassen, zumal die
Vorstellung, hierdurch Porto zu sparen, in den Fällen einer direkten Weiterleitung der Paketsendungen nicht
durchgreifen konnte und der Angeklagten von ihrem Auftraggeber die Zahlung einer Vergütung von 25 US-
Dollar je Paket versprochen worden war;
11 c) dass nicht einleuchtend erscheint, warum die Anwerbung von „Paketagenten“ in Deutschland und die
Kommunikation mit diesen durch ein US-amerikanisches Unternehmen mit Hilfe offensichtlich
vorformulierter russischsprachiger Arbeitsverträge und in russischer Sprache abgefasster E-Mails erfolgte;
12 d) dass den Paketsendungen zu entnehmen war, dass die Angeklagte als Rechnungsadressatin und
Bestellerin benannt war, und teilweise mitgeteilt wurde, dass die Bezahlung der Ware durch Kreditkarte
erfolgt war;
13 e) dass den Paketsendungen beiliegenden Rechnungen zu entnehmen war, dass die Waren von
verschiedenen Onlinehändlern versandt worden waren, die zu dem angeblichen Auftraggeber der
Angeklagten in keinerlei erkennbarer Verbindung stand;
14 f) dass ausschließlich zwei Privatpersonen mit Adressen in Lettland bzw. Moskau als Empfänger der durch
die Angeklagte weitergeleiteten Paketsendungen fungierten, während der Angeklagten bekannt war, dass
die Sendungen durchweg hochpreisige und teilweise gleichartige Elektroartikel enthielten (zum Beispiel
wurden einer in Riga wohnhaften Person insgesamt vier Staubsauger und zwei Kaffeevollautomaten
übersandt);
15 g) dass Nachforschungen im Internet, zu denen sich die Angeklagte allerdings erst nach ihrer Ladung zu
einer polizeilichen Vernehmung veranlasst sah, bereits im fraglichen Zeitraum ergeben hätten, dass die
Anwerbung von „Paketagenten“ allein den Zweck verfolgt, deliktisch erlangte Ware unter Vereitelung des
Rückforderungszugriffs der Geschädigten nach Osteuropa zu verbringen.
16 Jeder dieser Gesichtspunkte spricht bereits isoliert betrachtet und umso mehr in einer Gesamtschau für die
Annahme, dass sich die Herkunft der Paketsendungen aus Betrugstaten (objektiv) geradezu aufdrängte,
wobei sich deren gewerbsmäßige Begehung sowohl aus der Verwendung offensichtlich vorformulierter und
mehrsprachiger Vertragsformulare als auch der auf Dauer angelegten „Geschäftsbeziehung“ mit der
Angeklagten ergab (vgl. die entsprechenden Indizienkataloge von Jahn, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier,
StGB, 2. Auflage 2014, § 261 Rn. 63a; Neuheuser, NStZ 2008, 492, 497; Floeth, NZWiSt 2015, 196, 198;
Mayer, HRRS 2015, 500, 502).
17 3. Soweit das Landgericht dennoch ein (individuell) leichtfertiges Verhalten der Angeklagten verneint hat,
sind seine entsprechenden beweiswürdigenden Erwägungen revisionsrechtlich zu beanstanden.
18 a) Das Revisionsgericht hat es grundsätzlich hinzunehmen, wenn das Tatgericht eine Angeklagte freispricht,
weil es aus tatsächlichen Gründen Zweifel an ihrer Schuld hat. Die Beweiswürdigung ist Sache des
Tatgerichts. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt
oder Zweifel überwunden hätte. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich lediglich darauf, ob dem
Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die
Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Gesetze der Logik oder gesicherte
Erfahrungssätze verstößt. Der revisionsgerichtlichen Überprüfung unterliegt zudem, ob überspannte
Anforderungen an die für die Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt sind (ständige Rechtsprechung,
vgl. nur BGH, NStZ 2004, 35, 36; NStZ 2011, 302, 303; NStZ 2012, 110 f.; NStZ-RR 2015, 146, 147).
19 b) Diesem revisionsrechtlichen Maßstab hält die Beweiswürdigung des angegriffenen Urteils nicht stand.
20 Das Landgericht hat überspannte Anforderungen an seine Überzeugungsbildung von einem (individuell)
leichtfertigen Verhalten der Angeklagten gestellt. Ausweislich der Urteilsgründe waren der Angeklagten
sämtliche oben angeführte Umstände bekannt, die – objektiv – bereits auf den ersten Blick klar erkennen
ließen, dass der Angeklagten als „Paketagentin“ innerhalb eines international agierenden Netzwerks die
Aufgabe zufiel, betrügerisch erlangte Waren nach Osteuropa weiterzuleiten. Das Landgericht hat insoweit
verkannt, dass jedenfalls die vorliegend eklatante Häufung von Beweisanzeichen für die inkriminierte
Herkunft der von der Angeklagten weitergeleiteten Waren den Schluss auf deren auch individuell
leichtfertiges Handeln indiziert und es bei der gegebenen objektiven Sachlage ganz besonderer Umstände
bedürfte, um die Angeklagte aus spezifisch in ihrer Person liegenden Gründen vom Vorwurf leichtfertigen
Verhaltens zu entlasten. Derartige besondere Umstände, etwa deutlich unterdurchschnittliche intellektuelle
Fähigkeiten der Angeklagten, hat das Landgericht jedoch nicht festgestellt, sondern im Gegenteil
ausgeführt, dass die Angeklagte die Mittelschule sowie eine radiotechnische Fachschule in Weißrussland
abgeschlossen, also eine jedenfalls mittlere Schul- bzw. Ausbildung hat. Die bloße Feststellung, dass die
Angeklagte über sehr eingeschränkte individuelle Kenntnisse und Fähigkeiten im beruflichen Bereich und im
Wirtschaftsverkehr verfügte, zuvor keine Arbeitsverhältnisse eingegangen war und sich auch nie in Medien
über moderne Formen der Internetkriminalität informiert hatte oder hiervor gewarnt worden war, genügt
demgegenüber – zumal vor dem Hintergrund der Vielzahl objektiv eindeutiger Hinweise auf die
inkriminierte Herkunft der von der Angeklagten weitergeleiteten Waren – nicht, um eine individuelle
Entlastung vom Vorwurf der Leichtfertigkeit begründen zu können. Die geschäftliche Unerfahrenheit der
Angeklagten bedeutet nicht, dass diese zu logischem Denken unfähig war und daher den sich unter vielen
Gesichtspunkten aufdrängenden Schluss, kein ordnungsgemäßes Arbeitsverhältnis eingegangen, sondern
bei der Abwicklung von Betrugstaten behilflich zu sein, nicht ohne Weiteres ziehen konnte. Die durch das
Landgericht festgestellte Unerfahrenheit und Leichtgläubigkeit der Angeklagten mag Voraussetzung dafür
gewesen sein, dass sie sich täuschen und instrumentalisieren ließ. Hierdurch wird die Angeklagte jedoch nur
vom Vorwurf vorsätzlichen Handelns, nicht aber auch vom Vorwurf individuell leichtfertigen Verhaltens
entlastet (vgl. Jahn, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, 2. Auflage 2014, § 261 Rn. 63a; Altenhain,
in: NK-StGB, 4. Auflage 2013, § 261 Rn. 139; siehe auch BGH, NStZ-RR 2013, 253).
21 Hinzu kommt, dass die diesbezüglichen Ausführungen des Landgerichts auch nicht frei von Widersprüchen
sind. Ausweislich der Urteilsgründe ist der Angeklagten bekannt, wie hoch das monatliche Nettogehalt ihres
Ehemannes ist, dass ihre Familie Kindergeld bezieht, wie hoch die monatliche Kaltmiete der
Familienwohnung ist, dass in Griechenland ein Darlehen zur Finanzierung des Erwerbs eines Kraftfahrzeugs
aufgenommen wurde und in welcher Höhe und wie lange noch monatliche Darlehensraten zu zahlen sind.
Diese umfassenden Kenntnisse der Angeklagten über die wirtschaftliche Situation ihrer Familie lässt sich mit
der durch das Landgericht getroffenen Feststellung, wonach die Angeklagte in wirtschaftlichen Dingen in
besonderer Weise unerfahren sei, jedenfalls ohne nähere Auseinandersetzung mit dieser offenkundigen
Diskrepanz nicht in Einklang bringen.
22 4. Das freisprechende Urteil des Landgerichts konnte deshalb keinen Bestand haben und war mit den
Feststellungen aufzuheben (§ 353 Abs. 1, Abs. 2 StPO). Die Sache war an eine andere Strafkammer des
Landgerichts Freiburg zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO), die auch über die Kosten des Rechtsmittels
zu befinden haben wird (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Auflage 2016, § 464 Rn. 3).