Urteil des OLG Karlsruhe vom 29.07.2014

OLG Karlsruhe: arglistige täuschung, überzeugung, tarif, anfechtung, zahnarzt, beratung, anhörung, wartezeit, avb, versicherungsvertrag

OLG Karlsruhe Urteil vom 29.7.2014, 12 U 159/13
Leitsätze
Von Arglist des Versicherungsnehmers kann bei einem Zusatzkrankenversicherungsantrag
eines Versicherungsnehmers nicht ohne weiteres ausgegangen werden, wenn wegen
Schwerhörigkeit des Versicherungsnehmers nicht ausgeschlossen werden kann, dass dieser die
Aufklärung des Arztes über eine objektiv bestehende und im Antrag nicht angegebene
Vorerkrankung nicht gewusst hat.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten um den Bestand eines Zusatzkrankenversicherungsvertrags sowie
um die Leistungspflicht der Beklagten auf dessen Grundlage.
2 Am 11.11.2008 nahm der Kläger einen Behandlungstermin bei seinem damaligen
Zahnarzt, dem Zeugen Dr. H., wahr. In dessen Patientenkartei findet sich insoweit unter
dem 11.11.2008 u. a. folgender Eintrag:
3
„Eingehende Untersuchung, Röntgen, Beratung, Anamnese; (...)
22 Lockerung II; Knochenabbau etwas bis zur Wurzelmitte, Lockerung voraussichtlich
durch apik.PA verstärkt, Ber über notwendige PA-Beh., Info mitgegeben, will sich im
Januar melden“
4 Der sehr schwerhörige Kläger beantragte am 10.12.2008 unter Zuhilfenahme einer
selbständigen Versicherungsmaklerin gegenüber der Beklagten für sich den Abschluss
eines privaten Zusatzkrankenversicherungsvertrages zu den Tarifen C-maxi und C-clinic2.
Unter Ziffer 6 der im Antragsformular aufgeführten Fragen zu den
„Gesundheitsverhältnissen und Zusatzfragen“ heißt es:
5
„Findet zur Zeit eine Zahnbehandlung, die Anfertigung oder Erneuerung von Zahnersatz,
eine Parodontosebehandlung oder eine Kiefer-(Zahn-)Regulierung statt, oder sind solche
Maßnahmen beabsichtigt oder angeraten worden?“
6 Hierauf antwortete der Kläger mit „nein“. Daraufhin nahm die Beklagte den Antrag an und
übersandte dem Kläger den Versicherungsschein vom 22.01.2009. Versicherungsbeginn
war der 01.01.2009. Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen
Versicherungsbedingungen (AVB), die Zusatzbedingungen für den Tarif C..maxi und die
Zusatzbedingungen für den Tarif C-clinic2 zugrunde.
7 Seit 01.11.2007 bestand für den Kläger eine Zahn-Zusatzkrankenversicherung bei der H.
Krankenversicherung AG zu den dortigen Tarifen EZ und EZE, wobei insoweit eine
Erstattung von 50 % der Aufwendungen für Zahnersatz in Ergänzung der Leistungen der
gesetzlichen Krankenversicherung vereinbart war. Wegen der Einzelheiten wird insoweit
auf den vorgelegten Versicherungsschein und die Tarifbedingungen Bezug genommen.
Mit Schreiben vom 24.06.2009 kündigte der Kläger die Zahn-Zusatzversicherung bei der
H-Versicherung; der dortige Versicherungsvertrag endete zum 31.12.2009.
8 Anfang 2009 erkrankte der Kläger schwer und befand sich in der Folge mehrfach in
stationärer Krankenhausbehandlung. Die Beklagte erbrachte insoweit auf der Grundlage
des streitgegenständlichen Zusatzkrankenversicherungsvertrages Leistungen in Höhe von
21.369,76 EUR.
9 Die nächste Behandlung bei Dr. H. fand am 08.12.2009 wegen eines abgebrochenen
Zahnes statt.
10 Im Januar 2011 stellte Dr. S., der derzeitige Zahnarzt des Klägers, eine chronische
Parodontitis fest und riet dem Kläger zu einer Parodontosebehandlung, die der Kläger in
der Folgezeit auch durchführen ließ. Hierfür entstanden Kosten in Höhe von 2.484,97
EUR, welche der Kläger gegenüber der Beklagten geltend machte. Zum Zwecke der
Feststellung des Versicherungsfalls und zur Überprüfung ihrer Leistungspflicht befragte
die Beklagte den Zahnarzt Dr. H., der den Kläger bis Ende 2010 versorgt hatte. Dr. H.
erteilte mit Schreiben vom 14.02.2011 die erbetenen Auskünfte unter Übersendung eines
Auszuges aus der Patientenkartei, der u. a. die Eintragungen zum Termin am 11.11.2008
enthielt.
11 Mit Schreiben vom 08.07.2011 erklärte die Beklagte gegenüber dem Kläger die
Anfechtung des Zusatzkrankenversicherungsvertrages wegen vorsätzlicher arglistiger
Täuschung. Mit weiterem Schreiben vom 05.10.2011 forderte die Beklagte im Hinblick auf
die erklärte Anfechtung bereits erbrachte Leistungen zu dem Tarif C-clinic.2 in Höhe von
21.369,76 EUR zurück.
12 Zwischenzeitlich erhielt der Kläger umfassenden neuen Zahnersatz. Nach Abzug der
Leistungen der gesetzlichen Krankenkasse belief sich der Eigenanteil des Klägers auf
4.924,02 EUR.
13 Der Kläger hat behauptet, seine Angaben im Fragebogen nach bestem Wissen und
Gewissen gemacht zu haben. Ein Behandlungsbedarf sei ihm zum Zeitpunkt der
Antragstellung nicht bekannt gewesen. Die Behandlung am 11.11.2008 habe lediglich die
jährliche Routineuntersuchung umfasst. Er sei von Dr. H. nicht über das Vorliegen einer
chronischen Parodontitis aufgeklärt worden. Auch sei ihm keine entsprechende
Behandlung angeraten oder Informationen mitgegeben worden. Er habe auch nicht erklärt,
sich im Januar des folgenden Jahres wegen einer Behandlung melden zu wollen.
Aufgrund seiner Schwerhörigkeit sei es ihm auch nicht möglich gewesen, Hinweise des
Zahnarztes wahrzunehmen, zumal er während der Behandlung die Hörgeräte ablege. Er
habe Anspruch auf Erstattung von 90 % der ihm durch die Zahnersatzbehandlung
entstandenen Kosten entsprechend 4.431,62 EUR. Ein Fall der Vorvertraglichkeit liege
nicht vor. Die von der Beklagten erklärte Anfechtung - ihre Rechtswirksamkeit unterstellt -
erfasse allenfalls den Zusatzkrankenversicherungsvertrag bezüglich Zahnersatz. Es
handle sich im Hinblick auf den Tarif C-clinic2 einerseits und den Tarif C-maxi
andererseits um zwei rechtlich selbständige Verträge.
14 Der Kläger hat in erster Instanz beantragt:
15 1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.431,67 EUR nebst 5% Zinsen hieraus
über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
16 2. Es wird festgestellt, dass der private Krankenversicherungsvertrag zwischen dem
Kläger und der Beklagten mit der Versicherungsnummer ... zum Tarif C-clinic2 und C-
maxi rechtswirksam zustande gekommen ist, unverändert Bestand hat und nicht durch
Rücktritt, Kündigung oder sonstiges Gestaltungsrecht der Beklagten wieder aufgehoben
wurde und der Kläger daher nicht verpflichtet ist, an die Beklagte 21.369,76 EUR
zurückzuzahlen.
17 3. Die Beklagte wird verurteilt, die außergerichtlichen Anwaltsgebühren der
Anwaltskanzlei H. in Höhe von 961,28 EUR nebst 5% Zinsen hieraus über dem
Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.
18 Die Beklagte hat beantragt,
19 die Klage abzuweisen.
20 Sie hat vorgetragen, beim Kläger sei am 11.11.2008 eine massive
Parodontoseerkrankung mit fortgeschrittenem Knochenabbau bis zur Wurzelmitte
diagnostiziert und der Kläger hierüber auch ausdrücklich durch seinen damaligen
Zahnarzt Dr. H. aufgeklärt worden. Er sei wegen einer entsprechenden Behandlung durch
Dr. H. beraten worden und ihm sei entsprechendes Informationsmaterial übergeben
worden. Der Täuschungswille des Klägers ergebe sich aus der zeitlichen Abfolge und den
Eintragungen in der Patientenkartei. Jedenfalls bestehe kein Leistungsanspruch wegen
Vorvertraglichkeit gem. § 2 Abs. 1 AVB. (…)
21 Mit Urteil vom 19.11.2013, auf dessen Feststellungen im Übrigen verwiesen wird, soweit
sie zu den vorliegend getroffenen nicht in Widerspruch stehen, hat das Landgericht das
rechtswirksame Zustandekommen und den Fortbestand des Versicherungsvertrages
sowie das Nichtbestehen eines Rückforderungsanspruchs der Beklagten in Höhe von
21.369,76 EUR festgestellt, die Beklagte zur anteiligen Freistellung hinsichtlich der
vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen.
22 Die Beklagte habe den Versicherungsvertrag nicht wirksam angefochten. Sie habe eine
arglistige Täuschung durch den Kläger bei Vertragsabschluss nicht zur Überzeugung des
Landgerichts bewiesen. Zweifelhaft sei bereits eine objektiv falsche Beantwortung der
Gesundheitsfragen. Der Zeuge Dr. H., der an den Behandlungstermin vom 11.11.2008
keine Erinnerung mehr gehabt habe, habe lediglich allgemeine Angaben mit Verweis auf
die Patientenkartei machen können. Der Kläger, dessen Angaben sehr konkret und
glaubwürdig gewesen seien, habe demgegenüber angegeben, dass er von Dr. H. nicht auf
Parodontose hingewiesen und ihm ein Informationsblatt nicht ausgehändigt worden sei.
Selbst eine objektiv falsche Beantwortung der Gesundheitsfragen unterstellt, habe die
Beklagte ein arglistiges Handeln des Klägers, der angesichts seines bisherigen
Krankenversicherungsschutzes keinen nachvollziehbaren Grund für ein Verschweigen
des Befundes gehabt habe, nicht dargetan. Die geltend gemachten Zahnarztkosten seien
von der Beklagten demgegenüber gem. § 2 Nr. 1 AVB nicht zu erstatten, da die
entsprechende Heilbehandlung bereits am 11.11.2008 und damit vor Abschluss des
Versicherungsvertrages begonnen habe.
23 Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie ihr Begehren um
Klageabweisung weiterverfolgt. Die objektive Falschbeantwortung einer deutlich
gestellten Gesundheitsfrage stehe nach der durchgeführten Beweisaufnahme außer
Frage. Aus der Patientenkartei des Zeugen Dr. H. ergebe sich, dass der Kläger weniger
als einen Monat vor dem Antrag auf Abschluss des streitgegenständlichen
Versicherungsvertrages nicht nur über den Befund einer schweren Parodontose
aufgeklärt, sondern überdies über die Notwendigkeit einer weitergehenden Behandlung
mündlich sowie schriftlich durch Aushändigung von Informationsmaterial beraten worden
sei. Nach der in sich nachvollziehbaren und sehr glaubwürdigen Aussage des Zeugen Dr.
H. stehe der in der Kartei niedergelegte Behandlungsstatus fest; so habe der Zeuge -
wenngleich er sich in Anbetracht des Zeitablaufs nachvollziehbar an den konkreten
Termin nicht erinnern konnte - insbesondere dargelegt, dass er Eintragungen immer
zeitnah und persönlich vornehme. Indem das Landgericht den Kläger für glaubwürdiger
erachtet habe als den ohne Eigeninteresse aussagenden Zeugen Dr. H., habe es gegen §
286 ZPO verstoßen. Das Erstgericht habe die Anforderungen an die Annahme von Arglist
überspannt und einseitig die insoweit vom Kläger vorgetragenen Gesichtspunkte
berücksichtigt, ohne diese kritisch zu hinterfragen. Der Hinweis auf einen - zum Zeitpunkt
der Antragstellung bereits gekündigten - Krankenversicherungsschutz bei der H-
Versicherung könne den Kläger nicht entlasten. Unter Berücksichtigung der zeitlichen
Zusammenhänge habe der Kläger die Unrichtigkeit seiner Angaben im Antragsformular
gekannt und zumindest für möglich gehalten, dass die Beklagte den Antrag bei
wahrheitsgemäßer Beantwortung in Anbetracht der Diagnose des Zeugen Dr. Zeugen H.
abgelehnt hätte.
24 Die Beklagte beantragt:
25 Das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 19.11.2013 (2 O 92/13) wird abgeändert und
die Klage insgesamt abgewiesen.
26 Der Kläger verteidigt das landgerichtliche Urteil und beantragt die Zurückweisung der
Berufung. Insbesondere der bei H-Versicherung zum Zeitpunkt der Antragstellung
bestehende Krankenversicherungsschutz belege, dass der Kläger nicht arglistig gehandelt
habe. (…)
Entscheidungsgründe
27 Die Berufung der Beklagten ist zulässig, bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg. (…)
28
2.
Zusatzkrankenversicherungsvertrag besteht fort und ist nicht aufgrund der von der
Beklagten erklärten Anfechtung nichtig. Ein Rückerstattungsanspruch in Höhe von
21.396,76 EUR im Hinblick auf die von der Beklagten im Jahr 2009 erbrachten
Versicherungsleistungen steht ihr nicht zu.
29
a.
Zusatzkrankenversicherungsvertrag - dessen wirksames Zustandekommen die Beklagte
nicht in Abrede stellt - fortbesteht. Insbesondere ist die auf den Abschluss des
Versicherungsvertrages gerichtete Willenserklärung der Beklagten nicht aufgrund der mit
Schreiben vom 08.07.2011 erklärten Anfechtung gemäß § 142 Abs. 1 BGB nichtig.
30 Insoweit fehlt es bereits an einem Anfechtungsgrund. Entgegen der Rechtsansicht der
Beklagten ist von einer arglistigen Täuschung durch den Kläger (§§ 123 Abs. 1 BGB, 22
VVG) durch Beantwortung der Gesundheitsfragen im Antragsformular nicht auszugehen.
31
(1)
rechnet und billigend in Kauf nimmt, dass er unzutreffende Angaben macht, und dass
dadurch bei dem Empfänger seiner Erklärung eine falsche Vorstellung entsteht und diese
ihn zu einer Erklärung veranlasst, die er bei richtiger Kenntnis der Dinge nicht oder nicht
so abgegeben hätte. Das Tatbestandsmerkmal der Arglist erfasst nicht nur ein Handeln,
das von betrügerischer Absicht getragen ist, sondern auch solche Verhaltensweisen, die
auf bedingten Vorsatz im Sinne eines „Fürmöglichhaltens“ reduziert sind und mit denen
kein moralisches Unwerturteil verbunden sei muss (BGH, NJW 2001, 2326; Senat, Urteil v.
07.04.2005 - 12 U 391/04, juris, Tz. 27). Auf Arglist als innere Tatsache kann regelmäßig
nur auf der Grundlage von Indizien geschlossen werden. Voraussetzung für die Annahme
einer arglistigen Täuschung ist somit, dass der Versicherungsnehmer mit wissentlich
falschen Angaben von Tatsachen bzw. dem Verschweigen anzeige- und
offenbarungspflichtiger Umstände auf die Entschließung des Versicherers, seinen
Versicherungsantrag anzunehmen, Einfluss nehmen will und sich bewusst ist, dass der
Versicherer möglicherweise seinen Antrag nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen
annehmen werde, wenn er wahrheitsgemäße Angaben macht. Arglistig täuscht im Sinne
von § 123 BGB damit nur derjenige, dem bei der Beantwortung der Fragen nach dem
Gesundheitszustand oder früherer Behandlungen auch bewusst ist, dass die
Nichterwähnung der nachgefragten Umstände geeignet ist, die Entschließung des
Versicherers über die Annahme des Versicherungsangebots zu beeinflussen (Senat,
Urteil v. 07.04.2005 - 12 U 391/04, juris, Tz. 27; Urteil v. 05.02.2013 – 12 U 140/12 – juris,
Tz. 37).
32 Dabei gibt es keinen allgemeinen Satz der Lebenserfahrung des Inhalts, dass eine
bewusst unrichtige Beantwortung von Fragen nach dem Gesundheitszustand oder
früheren Behandlungen immer oder nur in der Absicht gemacht zu werden pflegt, auf den
Willen des Versicherers Einfluss zu nehmen. Denn häufig werden unrichtige Angaben
über den Gesundheitszustand auch aus falsch verstandener Scham, aus Gleichgültigkeit,
aus Trägheit oder einfach in der Annahme gemacht, dass die erlittenen Krankheiten bzw.
durchgeführten Behandlungen bedeutungslos seien. Deshalb muss der Versicherer
entsprechend den allgemeinen Beweislastregeln nachweisen, dass der
Versicherungsnehmer mit Hilfe der Abgabe einer falschen Erklärung auf den Willen des
Versicherers einwirken wollte, sich also bewusst war, der Versicherer werde seinen
Antrag nicht oder möglicherweise nur unter erschwerten Bedingungen annehmen, wenn
der Versicherungsnehmer die Fragen wahrheitsgemäß beantworten würde. Da es sich bei
dem Bewusstsein des Versicherungsnehmers um eine innere Tatsache handelt, kann der
Beweis in der Praxis meist nur durch einen Indizienbeweis geführt werden. Liegen
objektive Falschangaben vor, ist es Sache des Versicherungsnehmers, substantiiert
plausibel zu machen, warum und wie es zu diesen objektiv falschen Angaben gekommen
ist (Senat, Urteil v. 05.02.2013 – 12 U 140/12 – juris, Tz. 38 ff.; OLG Saarbrücken, VersR
2007, 96).
33
(2)
arglistigen Verhaltens des Klägers nicht zur Überzeugung des Senats (§ 286 ZPO)
geführt. Erforderlich ist insoweit nicht eine über jeden denkbaren Zweifel erhabene
Gewissheit. Vielmehr genügt eine „persönliche Gewissheit“, welche den Zweifeln
Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (Zöller - Greger, 30. Aufl. 2014, § 286
ZPO, Rn. 19 m.w.N.). Eine solche Gewissheit konnte der Senat auf der Grundlage der
durchgeführten Beweisaufnahme bei Würdigung des bei der Anhörung des Klägers
gewonnenen unmittelbaren persönlichen Eindrucks von diesem nicht gewinnen.
34
(a)
überzeugt, dass der Kläger von diesem im Rahmen des Behandlungstermins am
11.11.2008 in einer Weise über die Notwendigkeit einer Parodontosebehandlung beraten
wurde, dass dem Kläger hierdurch bewusst war, dass bei ihm eine solche Behandlung
durchzuführen ist.
35 Zwar ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon auszugehen, dass der Zeuge Dr.
H. gegenüber dem Kläger tatsächlich die Notwendigkeit einer Parodontosebehandlung
erläutert hat. Der Zeuge hat insoweit - bereits aufgrund des Zeitablaufes ohne weiteres
nachvollziehbar - dargelegt, er habe keine aktuelle Erinnerung mehr an die Behandlung
des Klägers. Seiner Dokumentation entnehme er, dass er den Kläger über die
Erforderlichkeit einer Zahnfleischbehandlung informiert habe. Entsprechend findet sich in
der Patientenkartei zu der Behandlung vom 11.11.2008 die Eintragung, dass eine
Beratung über eine notwendige Parodontosebehandlung erfolgt sei. Im Hinblick auf die
Eintragungen in der Kartei hat der Zeuge - ohne dass sich insoweit Zweifel an der
Richtigkeit seiner Angaben ergeben hätten - geschildert, er fertige diese regelmäßig selbst
und unmittelbar nach der entsprechenden Behandlung. Der Senat sieht keinen Anlass, die
Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen und seine Glaubwürdigkeit in Zweifel zu ziehen,
zumal bei ihm keinerlei Tendenz ersichtlich wurde, den Sachverhalt unzutreffend zum
Nachteil des Klägers darzustellen. Vielmehr ergibt sich aus dem im Senatstermin
übergebenen Schreiben des Zeugen Dr. H. an den Kläger vom 21.07.2011 eine
wohlwollende Einstellung des Zeugen gegenüber dem Kläger. So hat Dr. H. in diesem
Schreiben, in welchem er dem Kläger mitteilt, dass er ihn am 11.11.2008 über eine
notwendige Parodontosebehandlung aufgeklärt habe, zugleich darauf hingewiesen, dass
er keine Angaben dazu machen könne, ob der Kläger die Notwendigkeit der Behandlung
vor dem Hintergrund seiner sonstigen Erkrankungen wirklich realisiert habe.
36 Die Überzeugung, dass der Kläger - der eine entsprechende Beratung durch Dr. H. in
Abrede stellt - sich aufgrund der Erläuterungen des Zeugen des Umstandes bewusst
wurde, dass bei ihm die Durchführung einer Parodontosebehandlung erforderlich ist,
konnte der Senat allerdings nicht gewinnen. Unstreitig leidet der Kläger von Geburt an
unter einer ausgeprägten Schwerhörigkeit; er hat eine Schwerhörigenschule besucht und
nutzt zur Verständigung seine Fähigkeit, teilweise von den Lippen seines
Gesprächspartners abzulesen. Die Möglichkeit der Verständigung mit dem Kläger ist - was
bei seiner Anhörung durch den Senat eindrucksvoll deutlich wurde - infolge der
Schwerhörigkeit in hohem Maße eingeschränkt. So hat der Kläger, obwohl er Hörgeräte
trug, auf an ihn gerichtete Fragen teilweise mehrfach nachgefragt und um laute
Wiederholung von Fragen gebeten, wobei erkennbar wurde, dass er versuchte, durch
angestrengte Beobachtung seines Gegenüber die Verständigung durch Ablesen von den
Lippen zu erleichtern.
37 Der Zeuge Dr. H. hatte zum Zeitpunkt der Behandlung des Klägers im November 2008
keine Kenntnis von dessen Schwerhörigkeit; hiervon hat er vielmehr nach seinen
Bekundungen im Senatstermin erst im Rahmen seiner erstinstanzlichen Vernehmung
durch das Landgericht erfahren. Vor diesem Hintergrund ist keineswegs auszuschließen,
sondern erscheint vielmehr durchaus naheliegend, dass der Kläger Erläuterungen des
Zeugen Dr. H. zur Parodontosebehandlung in der konkreten Behandlungssituation schon
akustisch nicht verstanden hat. Dabei geht der Senat aufgrund der nachvollziehbaren
Angaben des Klägers davon aus, dass dieser während der zahnärztlichen Behandlung
seine Hörgeräte nicht getragen hat und vor diesem Hintergrund seine
Verständnismöglichkeiten noch erheblich eingeschränkter waren als bei seiner Anhörung
durch den Senat. Bereits hierbei war allerdings eine Verständigung mit der Kläger - wie
ausgeführt - nur unter entsprechender Rücksichtnahme auf seine ausgeprägte
Schwerhörigkeit möglich.
38 Soweit der Zeuge Dr. H. erklärt hat, er gehe davon aus, dass ein Patient nach einem -
regelmäßig ausführlichen - Erstgespräch verstanden habe, was er ihm habe erläutern
wollen, zumal im Hinblick auf gestellte bzw. nicht gestellte Rückfragen eine gewisse
Kontrolle bestehe, rechtfertigt dies keine abweichende Beurteilung. Zum einen beziehen
sich diese Angaben nicht konkret auf die Behandlung des Klägers und das Gespräch mit
ihm, zumal der Zeuge hieran gerade keine konkrete Erinnerung mehr hatte. Zum anderen
kann gerade im Hinblick auf die Schwerhörigkeit - wenn etwa keinerlei Nachfragen
erfolgen - durchaus der Eindruck entstehen, der Kläger habe die Erläuterungen
verstanden, obwohl dies tatsächlich nicht der Fall ist.
39 Der Senat verkennt nicht, dass sich in der Patientenkartei nicht nur die Eintragung zur
Beratung über die Parodontosebehandlung, sondern auch der Vermerk findet, der Kläger
wolle sich „im Januar melden“. Unter Berücksichtigung der erheblich erschwerten
Verständigung mit dem Kläger aufgrund seiner Schwerhörigkeit kann nach Überzeugung
des Senats nicht mit hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden, dass der
Kläger insoweit in Kenntnis der Notwendigkeit einer Parodontosebehandlung seine
Wiedervorstellung im Januar 2009 angekündigt hat, zumal es zu einer solchen unstreitig
nicht kam. Es ist ohne weiteres denkbar, dass es zu der Eintragung in der Kartei gerade
aufgrund der - dem Zeugen Dr. H. bei Unkenntnis von der Schwerhörigkeit nicht
bewussten - Verständigungsschwierigkeiten mit dem Kläger kam.
40
(b)
Zeugen Dr. H. und unter Berücksichtigung der Eintragungen in der Patientenkartei
allerdings auszugehen sein dürfte - vom Zeugen Dr. H. das Merkblatt „Information zur
Parodontitisbehandlung“ ausgehändigt erhielt, kann für die Entscheidung dahinstehen.
Selbst eine solche Aushändigung unterstellt, konnte der Senat nach dem persönlichen
Eindruck vom Kläger bei seiner Anhörung nicht die Überzeugung gewinnen, dass er den
Inhalt des Informationsblattes - sollte es ihm ausgehändigt worden sein - tatsächlich auch
zur Kenntnis genommen hat. Der Kläger hat nachvollziehbar geschildert, Anlass für den
Zahnarztbesuch sei eine Routineuntersuchung gewesen, um die Eintragung in das
Bonusheft hinsichtlich der Erstattung von Kosten für Zahnersatz durch die gesetzliche
Krankenversicherung zu erhalten. Hat der Kläger aber im Hinblick auf seine ausgeprägte
Schwerhörigkeit die Erläuterungen des Zeugen Dr. H. zur Notwendigkeit der
Parodontosebehandlung während des Behandlungstermins am 11.11.2008 - was dem
Senat durchaus naheliegend erscheint - nicht verstanden, so bestand für ihn auch keine
besondere Veranlassung, ein ihm ausgehändigtes Merkblatt zu lesen.
41 Lediglich ergänzend - ohne dass es hierauf entscheidend ankäme - ist darauf
hinzuweisen, dass sich selbst im Falle der Lektüre des Merkblattes dem Kläger nicht ohne
weiteres erschlossen hätte, dass gerade bei ihm eine behandlungsbedürftige Parodontitis
festgestellt wurde. Ohne Kenntnis der eigenen Behandlungsbedürftigkeit aufgrund
vorangegangener persönlicher Beratung durch den Zahnarzt - von einer solchen Kenntnis
ist, wie ausgeführt, beim Kläger gerade nicht auszugehen - lässt sich das Merkblatt
vielmehr auch - seiner Überschrift entsprechend - als allgemeine „Information zur
Parodontitisbehandlung“ verstehen.
42 Bei der gebotenen Gesamtwürdigung konnte der Senat - auch unter Berücksichtigung des
zeitlichen Ablaufes, der Antragstellung gegenüber der Beklagten nur etwa einen Monat
nach der Behandlung am 11.11.2008 - nicht die Überzeugung gewinnen, dass der Kläger
zum Zeitpunkt der Antragstellung gegenüber der Beklagten Kenntnis von der
Notwendigkeit einer Parodontosebehandlung hatte. Soweit er - eine Aushändigung des
Merkblattes unterstellt - die Möglichkeit hatte, sich eine entsprechende Kenntnis zu
verschaffen, begründet eine objektiv fehlerhafte Beantwortung der Gesundheitsfrage trotz
entsprechender Kenntnismöglichkeit - und damit eine fahrlässige Falschbeantwortung -
nicht den Vorwurf der Arglist.
43
(c)
Klägers auf den Zeitpunkt der Durchführung der Parodontosebehandlung beim Kläger
nach Ablauf der im streitgegenständlichen Versicherungsvertrag vereinbarten Wartezeit
hinweist, rechtfertigt dies keine abweichende Beurteilung. Die Wartezeit beträgt gemäß §
3 Ziffer 3 AVB acht Monate, die Parodontosebehandlung erfolgte erst im Januar 2011 und
damit - bei Versicherungsbeginn am 01.01.2009 - in einigem zeitlichen Abstand zum
Ablauf der Wartezeit. Insoweit ist auch zu sehen, dass der Kläger Anfang des Jahres 2009
schwer erkrankte und mehrere stationäre Krankenhausaufenthalte durchlief, was die
Behandlung nach Ablauf der Wartezeit überdies nachvollziehbar erscheinen ließe.
44 Im Hinblick auf den Umfang des Versicherungsschutzes bei der H.-Versicherung weist die
Beklagte zutreffend darauf hin, dass dieser deutlich hinter dem Versicherungsschutz auf
der Grundlage des streitgegenständlichen Vertrages zurückbleibt, so dass nicht davon
ausgegangen werden kann, dass für den Kläger schon im Hinblick auf die Versicherung
bei der H. von vornherein keine Veranlassung zu einem Täuschungsverhalten gegenüber
der Beklagten bestanden hätte, um die Annahme des streitgegenständlichen
Versicherungsantrages zu erreichen. Diesem Umstand kommt allerdings für die
Entscheidung des Rechtsstreits keine Bedeutung zu, nachdem bereits eine Kenntnis des
Klägers von der Notwendigkeit der Parodontosebehandlung nicht zur Überzeugung des
Senats (§ 286 ZPO) bewiesen ist. (…)