Urteil des OLG Karlsruhe vom 26.02.2014

OLG Karlsruhe: gefahr, stand der technik, zusammensetzung, anteil, patentanspruch, geschäftsführer, form, produkt, erfindung, kennzeichnung

OLG Karlsruhe Urteil vom 26.2.2014, 6 U 50/12
Verwendungspatent
Leitsätze
Ein sinnfälliges Herrichten eines durch ein Verwendungspatent erfassten Gegenstands kann
auch dann vorliegen, wenn der Gegenstand gerade die im Patentanspruch genannten, der
Erreichung des Verwendungszwecks dienenden physischen und/oder chemischen
Eigenschaften aufweist und für einen Einsatz ausgerichtet und angeboten wird, bei dem die
Erreichung des patentgemäßen Verwendungszwecks (hier: Vermeidung von Krebsrisiken) im
Zeitpunkt des Angebots allgemein für notwendig erachtet wird. Einer weiteren Manifestation der
Bestimmung für den anspruchsgemäßen Verwendungszweck (etwa durch
Gebrauchsanleitungen, Produkthinweise etc.) bedarf es in diesem Fall nicht.
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 17.04.2012
(Az. 2 O 129/09) wird mit der Maßgabe zurückgewiesen,
a) dass in Ziffer 1 des Tenors der auf die Tabelle folgende Halbsatz lautet: „wobei die
Anteile von TiO
2
, BaO, SrO, ZrO
2
< 1 Mol-% betragen“,
b) und dass Ziffer 1 des Tenors in Bezug auf den Beklagten zu 3 wie folgt lautet:
„der Beklagte zu 3 den Schaden, der der Klägerin durch zwischen dem
01.01.2003 und dem 22.09.2009 liegende Geschäftsvorgänge der K
GmbH, der K GmbH & Co. KG und der Beklagten zu 1 und der Beklagten
zu 4 entstanden ist“.
Die weitergehende gegen den Beklagten zu 3 gerichtete Klage wird abgewiesen.
2. Die Beklagten tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckung kann gegen Sicherheitsleistung in
Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abgewendet werden, wenn nicht
die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 0% des jeweils
beizutreibenden Betrages leistet. Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig
vollstreckbar.
4. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I.
1
Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen Patentverletzung auf Schadensersatz und
vorbereitende Rechnungslegung in Anspruch.
2
Die Klägerin ist Inhaberin des deutschen Teils des europäischen Patents EP 0 399 320
B2 (Klagepatent, Anlage B 7), das am 12.05.1990 angemeldet wurde und beim DPMA
das Aktenzeichen DE 590 09 972 trägt. Seine Erteilung ist am 20.12.1995 veröffentlicht
worden, die Entscheidung über den Einspruch am 19.01.2000. Das Patent wurde im
Oktober 1998 auf die Klägerin übertragen, was am 14.02.2001 in das Patentregister
eingetragen worden ist. Es ist am 12.05.2010 erloschen. Die Nichtigkeitsklage ist
hinsichtlich der ersten beiden Patentansprüche rechtskräftig abgewiesen (BGH, Urteil
vom 20.12.2011, X ZR 53/11 - Glasfasern, Anlage B 17: künftig „NiUrt“.; vorgehend
BPatG, Urteil vom 25.01.2011, 3 Ni 26/09 (EU)). Eine unter anderem von der Klägerin
gegen die Beklagte zu 2 angestrengte Patentverletzungsklage vor dem Tribunal de
commerce de Liège ist durch Urteil vom 05.11.2011 R.G. N° 2009/02065 als
unbegründet abgewiesen worden (Anlage B 16); das (weitgehend bestätigende)
Berufungsurteil liegt als Anlage BK 7 vor.
3
Die Patentansprüche 1 und 2 lauten in der Verfahrenssprache Deutsch:
4
1. Verwendung der Glasfasern mit der folgenden in Mol-% angegebenen
Glaszusammensetzung:
5
SiO
2
55-70
vorzugsweise
58-65
B
2
O
3
0-5
vorzugsweise
0-4
AI
2
O
3
0-3
vorzugsweise
0-1
TiO
2
0-6
vorzugsweise
0-3
Eisenoxide
0-2
vorzugsweise
0-1
MgO
1-4
CaO
8-24
vorzugsweise
12-20
Na
2
O
10-20
vorzugsweise
12-18
K
2
O
0-5
vorzugsweise
0,2-3
Fluorid
0-2
Vorzugsweise
0-1
6
und die einen Durchmesser von < 8 µm besitzen, wobei mehr als 10% der Glasfasern
einen Durchmesser von < 3 µm aufweisen, als Glasfasern, die kein kanzerogenes
Potential zeigen, wobei die Anteile von TiO
2
, BaO, ZnO, SrO, ZrO
2
< 1 Mol-% betragen.
7
2. Verwendung der Glasfasern nach Anspruch 1 und mit einem mittleren Durchmesser
von < 2 µm, wobei folgende zusätzliche Bedingungen für die molaren Anteile von AI2O3,
B2O3, CaO und Na2O gelten:
8
AI
2
O
3
< 1 Mol-%
B
2
O
3
< 4 Mol-%
CaO
> 11 Mol-%
Na
2
O
> 4 Mol-%“
9
Die in Belgien ansässige Beklagte zu 2 stellt dort Glasfaserprodukte her, die sie an die
Beklagte zu 1 liefert. Die Beklagte zu 1 vertreibt diese Glasfaserprodukte unter anderem
unter den Bezeichnungen „T1“, „T2“ und „T3“ (künftig: angegriffene Ausführungsformen)
bundesweit an den Baustoffhandel (z.B. Baustoffmärkte), wo sie zur Verwendung als
Dämmmaterial in Plattenform von Verbrauchern erworben werden können.
10 Zuvor war in den Jahren 2007 und 2008 die zwischenzeitlich aufgelöste K GmbH & Co.
KG für den Vertrieb in der Bundesrepublik Deutschland zuständig, deren persönlich
haftende Gesellschafterin die Beklagte zu 4 war. Die K GmbH & Co. KG war wiederum
Rechtsnachfolgerin der K GmbH, die vor dem Jahr 2007 für den Vertrieb der
angegriffenen Ausführungsformen in der Bundesrepublik Deutschland zuständig war.
11 Der Beklagte zu 3 war Mitgeschäftsführer der K GmbH und der Beklagten zu 4 und ist
Geschäftsführer der Beklagten zu 1.
12 Die angegriffenen Ausführungsformen haben die chemische Zusammensetzung, die im
Patent beschrieben ist. Sie weisen einen Anteil von mindestens 10 % Glasfasern auf, bei
denen der Durchmesser jeder einzelnen Faser größer oder gleich 8 Mikrometer ist.
13 Die Klägerin ist der Ansicht, die angegriffenen Ausführungsformen machten
wortsinngemäß von der Erfindung Gebrauch. Sie hat in erster Instanz beantragt:
14
1. Es wird festgestellt, dass die Beklagten mit folgenden Maßgaben verpflichtet sind, der
Klägerin den Schaden zu ersetzen, der dieser dadurch entstanden ist und noch entsteht,
dass sie in der Bundesrepublik Deutschland Glasfasern zur Verwendung als Glasfasern,
die kein kanzerogenes Potential zeigen, angeboten, in Verkehr gebracht, gebraucht oder
zu den genannten Zwecken entweder eingeführt oder besessen haben, wenn die
Glasfasern einen Durchmesser von <8 µm besitzen, wobei mehr als 10 % der Glasfasern
einen Durchmesser von <3 µm aufweisen, und wobei die Glasfasern die folgende in Mol-
% angegebenen Glaszusammensetzung aufweisen:
15
betragen.
16
Die Beklagte zu 1 denjenigen Schaden, der der Klägerin durch zwischen dem
01.11.1998 und dem 11.05.2010 liegende Geschäftsvorgänge der Beklagten zu 1
entstanden ist;
17
die Beklagte zu 2 denjenigen Schaden, die der Klägerin durch zwischen dem
01.11.1998 und dem 11.05.2010 liegendes eigenes Handeln der Beklagten zu 2 und
Geschäftsvorgänge der K GmbH, der K GmbH & Co. KG und der Beklagten zu 1
entstanden ist;
18
der Beklagte zu 3 den Schaden, der der Klägerin durch zwischen dem 01.11.1998 und
11.05.2010 liegende Geschäftsvorgänge der K GmbH, der K GmbH & Co. KG und der
Beklagten zu 1 und 4 entstanden ist;
19
die Beklagte zu 4 denjenigen Schaden, der der Klägerin durch zwischen dem
01.11.1998 und dem 31.12.2008 liegende Geschäftsvorgänge K GmbH, der K GmbH &
Co. KG und des Beklagten zu 3 entstanden ist.
20
Hierbei haften als Gesamtschuldner:
21
die Beklagten zu 1 bis 3, soweit die Ersatzpflicht an Geschäftsvorgänge der Beklagten
zu 1 anknüpft;
22
die Beklagten zu 2 bis 4, soweit die Ersatzpflicht an Geschäftsvorgänge der K GmbH &
Co. KG anknüpft;
23
2. Die Beklagten werden jeweils verurteilt, der Klägerin schriftlich in geordneter Form
Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie selbst Handlungen entsprechend Ziffer 1
begangen haben, für den Beklagten zu 3 einschließlich der Geschäftsvorgänge der K
GmbH, der K GmbH & Co. KG, der Beklagten zu 1 und 4, für die Beklagte zu 4
einschließlich der Geschäftsvorgänge der K GmbH und der K GmbH & Co. KG und zwar
gegliedert nach Kalendervierteljahren und unter Angabe
24
a) der einzelnen Lieferungen (unter Vorlage der Rechnungen und Lieferscheine) mit
25
aa) Liefermengen, -zeiten und -preisen,
26
bb) Marken der jeweiligen Erzeugnisse sowie allen Identifikationsmerkmalen wie
Typenbezeichnung, Artikelbezeichnung, laufender Produktnummer,
27
cc) den Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer, einschließlich der
Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,
28
b) der einzelnen Angebote (unter Vorlage schriftlicher Angebote) mit
29
aa) Angebotsmengen, -zeiten und -preisen,
30
bb) Marken der jeweiligen Erzeugnisse sowie allen Identifikationsmerkmalen wie
Typenbezeichnung, Artikelbezeichnung, laufender Produktnummer,
31
cc) den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
32
c) der nach den einzelnen Faktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten sowie des
erzielten Gewinns,
33
d) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
jeweils mit der Anzahl der hergestellten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie
der bezahlten Preise,
34
e) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe,
Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet.
35 Die Beklagten haben
36
Klageabweisung.
37
beantragt. Sie sind der Auffassung, eine Patentverletzung liege nicht vor.
38 Sie haben mit Nichtwissen bestritten, dass die angegriffenen Ausführungsformen als
Glasfasern ohne kanzerogenes Potential im Sinne des Patents verwendet würden. Da
Tierversuche wie die im Patent beschriebenen mit den angegriffenen Ausführungsformen
nicht durchgeführt worden seien, sei nicht bekannt, welche Tumorraten sich aus solchen
Versuchen ergeben würden. Damit sei aber auch unklar, ob diese Fasern ein
kanzerogenes Potential im Sinne des Patentes aufwiesen.
39 Zudem sei die Angabe des Durchmessers der Glasfasern von kleiner als 8 Mikrometer
dahin zu verstehen, dass keine Fasern, die einen größeren Durchmesser aufwiesen, in
dem Produkt enthalten sein dürften. Nach dem Patent komme es auf eine Verwendung
als einzelne Glasfaser an. Die in der Bundesrepublik Deutschland vertriebenen
Fertigprodukte seien daher nicht erfasst. Überhaupt stelle sich die Gefahr des
kanzerogenen Potentials bei Baustoffen nicht, weil sich Glasfaserprodukte insgesamt als
nicht kanzerogen erwiesen hätten. Schließlich müsse bewusst eine Auswahl und
Verwendung der Glasfasern zu dem Zweck getroffen werden, die Glasfasern ohne
kanzerogenes Potential einzusetzen.
40 Mit dem angefochtenen Urteil, auf das wegen aller Einzelheiten Bezug genommen wird,
hat das Landgericht die Beklagten unter Abweisung der weitergehenden Klage wie folgt
verurteilt:
41
1. Es wird festgestellt, dass die Beklagten mit folgenden Maßgaben verpflichtet sind, der
Klägerin den Schaden zu ersetzen, der dieser dadurch entstanden ist und noch entsteht,
dass sie in der Bundesrepublik Deutschland Glasfasern zur Verwendung als Glasfasern,
die kein kanzerogenes Potential zeigen, angeboten, in Verkehr gebracht, gebraucht oder
zu den genannten Zwecken entweder eingeführt oder besessen haben, wenn die
Glasfasern einen Durchmesser von <8 µm besitzen, wobei mehr als 10 % der Glasfasern
einen Durchmesser von <3 µm aufweisen, und wobei die Glasfasern die folgende in Mol-
% angegebene Glaszusammensetzung aufweisen:
42
die Beklagte zu 1 denjenigen Schaden, der der Klägerin durch vor dem 11.05.2010
liegende Geschäftsvorgänge der Beklagten zu 1 entstanden ist;
43
die Beklagte zu 2 denjenigen Schaden, der der Klägerin durch zwischen dem
01.11.1998 und dem 11.05.2010 liegendes eigenes Handeln der Beklagten zu 2 und
Geschäftsvorgänge der K GmbH, der K GmbH & Co. KG und der Beklagten zu 1
entstanden ist;
44
der Beklagte zu 3 den Schaden, der der Klägerin durch zwischen dem 01.11.1998 und
11.05.2010 liegende Geschäftsvorgänge der K GmbH, der K GmbH & Co. KG und der
Beklagten zu 1 und der Beklagten zu 4 entstanden ist;
45
die Beklagte zu 4 denjenigen Schaden, der der Klägerin durch zwischen dem
01.11.1998 und dem 31.12.2008 liegende Geschäftsvorgänge der K GmbH, der K
GmbH & Co. KG und des Beklagten zu 3 entstanden ist.
46
Hierbei haften als Gesamtschuldner:
47
die Beklagten zu 1 bis 3, soweit die Ersatzpflicht an Geschäftsvorgänge der Beklagten
zu 1 anknüpft;
48
die Beklagten zu 2 bis 4, soweit die Ersatzpflicht an Geschäftsvorgänge der K GmbH &
Co. KG anknüpft.
49
2. Wie beantragt.
50 Zur Begründung wird ausgeführt: Das Merkmal, dass die Glasfasern einen Durchmesser
von < 8 µm besitzen, bedeute nicht, dass ein Glasfaserprodukt, das auch Fasern enthalte,
deren Durchmesser größer oder gleich 8 µm sei, außerhalb des Schutzbereichs liege.
Vielmehr umfasse der Gegenstand des Klagepatents auch die Verwendung
erfindungsgemäßer Glasfasern in Kombination mit ohnehin dem Verwendungszweck
genügenden Glasfasern mit einem Durchmesser gleich oder größer 8 µm. Ferner treffe es
nicht zu, dass nur eine Verwendung als einzelne Glasfaser dem Schutzbereich unterfalle:
Das Klagepatent schränke den Einsatzweck nicht auf konkrete Anwendungsbereiche
ein, sondern umfasse die Verwendung der Glasfasern für alle Einsatzzwecke, bei denen
die Gefahr von Krebserkrankungen mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden
solle, und damit auch die sinnfällige Herrichtung von Gegenständen, die derartige Fasern
enthielten, für solche Zwecke. Glasfasern, die kein kanzerogenes Potential zeigen, seien
dabei nach dem Inhalt der Klagepatentschrift solche, bei denen kein signifikanter
Zusammenhang zwischen der Aufnahme des Materials über die menschliche Lunge und
dem Entstehen einer Krebserkrankung bestehe. Ein signifikanter Zusammenhang in
diesem Sinne liege vor, wenn die Glasfasern bei den in der Patentschrift beschriebenen
Tierversuchen eine Erkrankungsrate von mehr als rund 10% innerhalb eines Zeitraums
von zwei Jahren hervorriefen.
51 Die angegriffenen Ausführungsformen machten von der Erfindung wortsinngemäßen
Gebrauch. Auch nach den von der Beklagten durchgeführten Messungen enthielten sie
mindestens die vom Patent geforderten 10% „kleine Fasern“. Die angegriffenen
Ausführungsformen werden auch als Glasfasern, die kein kanzerogenes Potential
zeigen, verwendet. Dass nach einer Studie aus dem Jahr 2002 keine ausreichenden
Anhaltspunkte für die Kanzerogenität von Glaswolle bestünden, sei in diesem
Zusammenhang unerheblich; bei Patenterteilung habe man Glasfasern ein
kanzerogenes Potential beigemessen. Soweit die Beklagten mit Nichtwissen bestritten,
dass ihre Produkte in den im Patent beschriebenen Tierversuchen eine Krebsrate unter
10 % aufwiesen, weil entsprechende Tierversuche nicht durchgeführt worden seien, sei
dieses Bestreiten unter den im Streitfell gegebenen Umständen unzulässig. Die für die im
Hochbau eingesetzten Dämmmatten einschlägigen Vorschriften erforderten
Unbedenklichkeitsnachweise. Die Beklagten hätten darlegen müssen, auf welchen
Annahmen die Freizeichnung ihrer Produkte beruhe. Erst wenn sich aus ihnen ergebe,
dass diese von den im Patent beschriebenen in einer Weise verschieden sind, die unter
den Bedingungen der im Patent beschriebenen Tierversuche eine über 10% liegende
Tumorrate als möglich erscheinen ließen, sei ein solches Bestreiten erheblich. Nach dem
zugrunde zu legenden Sachverhalt bestünden keinerlei Anhaltspunkt dafür, dass die
angegriffenen Ausführungsformen nicht dem Maßstab des Patents, das eine Tumorrate
unter 10% genügen lasse, entsprächen.
52 Hinsichtlich der Aktivlegitimation der Klägerin komme es nicht auf den Registerstand,
sondern auf die materielle Rechtslage an. Die Beklagten zu 1 und 2 hafteten für den
(inländischen) Vertrieb der angegriffenen Ausführungsformen, die Beklagte zu 4 für die
patentverletzenden Handlungen der K GmbH & Co. KG sowie – nach §§ 161 Abs. 2, 128
HGB – für die Verbindlichkeiten, die die K GmbH & Co. KG als Rechtsnachfolgerin der K
GmbH träfen. Der Beklagte zu 3 sei schadensersatzpflichtig für die als Geschäftsführer
der Beklagten zu 1 und der K GmbH begangenen Patentverletzungen; zudem hafte er als
Geschäftsführer für Patentverletzungen der Beklagten zu 4, die ihrerseits die Geschäfte
der K GmbH & Co. KG geführt habe.
53 Mit der hiergegen gerichteten Berufung verfolgen die Beklagten ihr auf Abweisung der
Klage gerichtetes Prozessziel weiter. Sie tragen vor, die Verwendung von Glasfasern,
insbesondere in Form von Glaswolle, zur Wärmedämmung sei schon vor dem
Prioritätszeitpunkt des Klagepatents bekannt gewesen. Während die IARC (International
Agency for Research on Cancer) künstliche Mineralfasern, zu denen Glasfasern gehören,
noch im Jahr 1988 als „possibly carcinogenic to humans“, also als möglicherweise
krebserregend beim Menschen eingestuft habe, habe sie dies im Jahr 2002 dahingehend
korrigiert, dass Glaswolle als „not classifiable as to its carcinogenicity to humans“
eingestuft wurde; hinreichende Anhaltspunkte für eine krebserzeugende Wirkung beim
Menschen bestünden daher nicht. Am Prioritätstag habe es in Deutschland für
Faserstoffe keine Verpflichtung zur Deklaration möglicher Krebsrisiken gegeben.
Derartige Fasern hätten uneingeschränkt hergestellt, in den Verkehr gebracht und
verwendet werden dürfen. Erst im Dezember 1997 sei mit der Richtlinie 97/69/EG eine
Pflicht zur Kennzeichnung der Fasern mit dem Hinweis „Kenn Krebs beim Einatmen
erzeugen“ eingeführt worden; die Kennzeichnungspflicht könne aber entfallen, wenn
einer von vier dort näher spezifizierten Tests erfüllt werde. Die Richtlinie 97/69/EG sei
u.a. durch die Chemikalienverbotsverordnung in nationales deutsches Recht umgesetzt
worden. Danach dürften Fasern und daraus hergestellte Erzeugnisse grundsätzlich nicht
zu Zwecken der Wärme- und Schalldämmung im Hochbau in den Verkehr gebracht
werden. Dieses Verbot gelte allerdings nicht, wenn eines von vier Testkriterien erfüllt sei:
Die streitgegenständlichen Fasern seien aufgrund des zweiten Tests – intratracheale
Instillation zur Ermittlung der gewichteten Halbwertszeit – von der Kennzeichnung als
krebserzeugend ausgenommen; die Fasern hätten den entsprechenden Test nach dem
vorgesehenen Protokoll erfolgreich absolviert.
54 Vom Schutz des Klagepatents seien nicht die Glasfasern mit der im Anspruch genannten
Zusammensetzung und Charakteristik als solche erfasst. Vielmehr falle nur eine solche
Verwendung unter das Patent, bei der die Gefahr einer durch die Fasern verursachten
Krebserkrankung ausgeschlossen sei. Verwendungen, bei denen zwar ein Risiko
bestehe, dieses Risiko aber als hinnehmbar akzeptiert oder – wie im Streitfall – nicht
hinreichend eingeordnet werden könne, lägen außerhalb des Schutzbereichs. Bei der
angegriffenen Ausführungsform würden die Glasfasern nicht im Sinne des Klagepatents
als Glasfasern verwendet, die kein kanzerogenes Potential zeigten. Maßgeblich für die
Bestimmung des Schutzbereichs sei das Verständnis des Fachmanns im
Prioritätszeitpunkt. Zu diesem Zeitpunkt hätten Lücken im Hinblick auf die Einschätzung
von Risiken bestanden; man habe mit Vermutungen dahingehend gearbeitet, dass
Mineralfasern möglicherweise eine kanzerogene Wirkung beim Menschen hätten. Für
Glasfasern habe es aber keine gesetzlichen Verbote oder Anforderungen an den
Ausschluss kanzerogener Wirkungen gegeben. In der Praxis habe sich die Verwendung
von Glasfasern vor und nach dem Prioritätszeitpunkt nicht unterschieden. Da die
Verwendung von Glasfasern als Dämmmaterial im Prioritätszeitpunkt allgemein bekannt
gewesen sei, könne es sich dabei nicht um eine zusätzliche Verwendungsmöglichkeit
gehandelt haben, die durch objektive Merkmale von den im Stand der Technik bekannten
Verwendungsmöglichkeiten abgegrenzt werden könne. Auch handele es sich insoweit
nicht um eine Verwendung, bei der aufgrund rechtlicher oder sonstiger Vorgaben die
Gefahr einer durch die Fasern verursachten Krebserkrankung ausgeschlossen sein
müsse; dies ergebe sich auch aus der in Anlage BK 5 vorgelegten sachverständigen
Erklärung von Dr. Bellmann (Fraunhofer Institut für Toxikologie und experimentelle
Medizin, Hannover). Die Verwendung von Glasfasern falle daher nicht unter den
Verwendungsanspruch 1 des Klagepatents.
55 Die in der Richtlinie 97/69/EG und der Chemikalienverbotsverordnung vorgesehenen
Tests unterschieden sich sowohl untereinander als auch von den im Klagepatent
vorgesehenen Tierversuchen. Aus den Ergebnissen eines Tests könne daher nicht auf
die Ergebnisse eines anderen Tests geschlossen werden. Allein der Umstand, dass in
beiden Fällen Tierversuche durchgeführt würden, könne die Verletzung des
Klagepatents nicht hinreichend begründen. Die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass
die angegriffenen Fasern der patentgemäßen Definition des kanzerogenen Potentials
entsprächen.
56 Schließlich sei eine Verletzung des Klagepatents auch deshalb zu verneinen, weil die
angegriffene Ausführungsform einen erheblichen Anteil von Fasern enthalte, deren
Durchmesser über 8 µm liege. Nach der Untersuchung gemäß Anlage BK 6 liege der
Anteil der „dickeren“ Fasern zwischen 14,5 % und 41 %. Der Patentanspruch verlange
aber, dass der Durchmesser aller Glasfasern weniger als 8 µm betrage. Darüber hinaus
zeigten die Untersuchungen, dass der Anteil der Fasern mit einem Durchmesser < 3 µm
deutlich unterhalb des verlangten Werts von 10 % liege.
57 Der Beklagte zu 3 sei überhaupt erstmals im Jahr 2003 als Geschäftsführer bestellt
worden. Er habe diese Tätigkeit bei wechselnden Unternehmen bis zum 22.09.2009
ausgeübt. Eine Haftung außerhalb dieses Zeitraums sei nicht schlüssig dargelegt.
58 Die Beklagten erheben die Einrede der Verjährung.
59 Die Klägerin beantragt unter Verteidigung des angefochtenen Urteils die Zurückweisung
der Berufung. Sie verweist darauf, dass nach dem im Klagepatent dargestellten
Erkenntnisstand nur „dünne“ Mineralfasern das Risiko von Krebserkrankungen erhöhten,
während „dickere“ Fasern nicht lungengängig seien, also nicht in die Lungenbläschen
gelangten. Der kritische Bereich beginne bei einem Durchmesser < 3 µm. Neben dem
Durchmesser sei auch die Verweildauer der in die Lungenbläschen gelangten Fasern
und damit deren – durch die chemische Zusammensetzung bedingte – Biobeständigkeit
ein wesentlicher Faktor für die kanzerogenen Eigenschaften der Fasern. Zu Recht sei
das Landgericht davon ausgegangen, dass die Kombination von anspruchsgemäßen
Fasern mit solchen, die einen Durchmesser >= 8 µm aufwiesen, die Verletzung des
Klagepatents nicht ausschließe. Das Bestreiten eines Anteils von 10 % Fasern mit einem
Durchmesser < 3 µm sei verspätet; tatsächlich wiesen die von den Beklagten
vertriebenen Produkte diesen Anteil auf. Die in Anlage BK 6 dokumentierte
Untersuchungsmethode sei untauglich, weil das Fasergemisch so stark zermahlen
werde, dass sinnvolle Messergebnisse nicht zu gewinnen seien; zudem seien die Fasern
nicht von den Bindemitteln befreit worden. Die angegriffenen Ausführungsformen würden
auch für den anspruchsgemäßen Zweck (als Glasfasern ohne kanzerogenes Potential)
verwendet. Nach der Chemikalienverbotsverordnung seien Herstellung, Inverkehrbringen
und Verwendung biopersistenter Fasern grundsätzlich verboten; das Verbot gelte nur
dann nicht, wenn der jeweilige Mineralfasertyp aufgrund eines von mehreren
Freizeichnungskriterien als hinreichend biolöslich zu erachten sei. Zu Recht sei das
Landgericht zu der Überzeugung gelangt, dass die angegriffenen Ausführungsformen
kein relevantes kanzerogenes Potential aufwiesen; die intratracheale Instillation zur
Ermittlung der gewichteten Halbwertszeit, mit der die Freizeichnungsberechtigung nach
der ChemVerbotsV ermittelt worden sei, und die intratracheale Instillation nach dem
Klagepatent seien in der Sache gut vergleichbar. Die Halbwertszeit der patentgemäßen
Glasfasern betrage nach der Patentbeschreibung ([0013]) 42 Tage und korreliere mit
einer Tumorrate von weniger als 5 %. Da die Halbwertszeit der – in der chemischen
Zusammensetzung und in den geometrischen Dimensionen identischen – Glasfasern der
angegriffenen Ausführungsformen nach den in Deutschland geltenden
gefahrstoffrechtlichen Freizeichnungskriterien maximal 40 Tage betragen dürfe, bestehe
kein Grund zu der Annahme, dass die angegriffenen Fasern ein signifikantes
kanzerogenes Potential im Sinne des Klagepatents aufwiesen. Es sei Sache der
Beklagten aufzuzeigen, warum trotz der patentgemäßen Zusammensetzung der
angegriffenen Ausführungsformen die fehlende Kanzerogenität nicht erreicht werden
sollte; ein Bestreiten mit Nichtwissen reiche nicht aus. Die Klägerin verweist darauf, dass
ihr die Durchführung von Tierversuchen zum Beleg einer Patentverletzung aus
Rechtsgründen nicht möglich sei.
60 Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten
Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
61 Die zulässige Berufung bleibt in der Sache im Wesentlichen ohne Erfolg.
62 1. Der geltend gemachte Patentanspruch 1 ist ein sogenannter Verwendungsanspruch
(zur Bedeutung im Kontext des EPÜ vgl. allgemein Benkard/Melullis, EPÜ, 2. Aufl., Art.
52 Rn. 133 ff.; vgl. auch Schulte/Moufang, PatG, 9. Aufl., § 1 Rn. 243 und § 3 Rn. 144 ff.).
Er stellt die Verwendung bestimmter Glasfasern „als Glasfasern, die kein kanzerogenes
Potential zeigen,“ unter Schutz.
63 Nach der Beschreibung geht das Klagepatent von dem im Prioritätszeitpunkt
bestehenden Erkenntnisstand aus, dass künstliche Mineralfasern, die in Form faseriger
Stäube mit langgestreckten Partikeln auf die menschlichen Atemwege einwirken, ein
erhebliches kanzerogenes Potential besitzen. Ausschlaggebend für kanzerogene
Wirkung ist unter anderem die Verweildauer der Fasern in der Lunge. Diese wiederum
hängt von der Größe und der Beständigkeit der Fasern ab. Dicke und unbeständige
Glasfasern sind nicht krebserzeugend. Nach einer wissenschaftlichen Definition, die
aufgrund von Erkenntnissen über die krebserzeugende Wirkung von Asbest erstellt
worden ist, können kanzerogene Wirkungen bei Fasern auftreten, die einen
geometrischen Durchmesser von weniger als 3 Mikrometer (µm), eine Länge von mehr
als 5 µm und ein Verhältnis zwischen Länge und Durchmesser von mehr als 3:1
aufweisen. Gleichwohl werden – so die Beschreibung – bei vielen technischen
Anwendungen Fasern eingesetzt, deren geometrischer Durchmesser noch deutlich
kleiner ist als 3 µm. Als Beispiel wird der Bereich der Isolation genannt, für den
Mikroglasfasern aus C- und E-Gläsern mit Faserdurchmessern zwischen 0,1 µm und 5
µm verarbeitet werden. In einer Veröffentlichung aus dem Jahr 1986 wurde ausgeführt,
die tumorerzeugende Wirkung bestimmter Fasern könne durch intensive Vorbehandlung
mit einer Säure reduziert werden.
64 Das Streitpatent betrifft vor diesem Hintergrund das technische Problem, Glasfasern zur
Verfügung zu stellen, die kein kanzerogenes Potential zeigen (BGH NiUrt. Rn. 7). Zur
Lösung schlägt Patentanspruch 1 die Verwendung bestimmter Glasfasern vor. Die
Anspruchsmerkmale lassen sich wie folgt gliedern:
65 1. Es werden Glasfasern,
66
a) die einen Durchmesser von < 8 µm besitzen,
67
b) wobei mehr als 10 % der Glasfasern einen Durchmesser von < 3 µm besitzen,
68
als Glasfasern verwendet, die kein kanzerogenes Potential zeigen;
69 2. Die Glaszusammensetzung umfasst folgende Stoffe:
70
a) 55 bis 70 (vorzugsweise 58 bis 65) Molprozent Siliziumdioxid (SiO
2
),
71
b) 8 bis 24 (vorzugsweise 12 bis 20) Molprozent Calciumoxid (CaO),
72
c) 10 bis 20 (vorzugsweise 12 bis 18) Molprozent Natriumoxid (Na
2
O),
73
d) 0 bis 5 (vorzugsweise 0 bis 4) Molprozent Bortrioxid (B
2
O
3
),
74
e) 0 bis 3 (vorzugsweise 0 bis 1) Molprozent Aluminiumoxid (AI
2
O
3
),
75
f) 0 bis 2 (vorzugsweise 0 bis 1) Molprozent Eisenoxide,
76
g) 1 bis 4 Molprozent Magnesiumoxid (MgO),
77
h) 0 bis 5 (vorzugsweise 0,2 bis 3) Molprozent Kaliumoxid (K
2
O),
78
i) 0 bis 2 (vorzugsweise 0 bis 1) Molprozent Fluorid,
79 3. Folgende Stoffe sind in der Glaszusammensetzung höchstens mit einem Anteil von
weniger als 1 Molprozent enthalten:
80
a) Titandioxid (TiO
2
),
81
b) Bariumoxid (BaO),
82
c) Zinkoxid (ZnO),
83
d) Strontiumoxid (SrO),
84
e) Zirkoniumdioxid (ZrO
2
).
85 2. Als Verwendungsanspruch erfasst Anspruch 1 nicht nur den unmittelbaren Einsatz der
Fasern für den in Merkmal 1 genannten Zweck, sondern bereits solche Handlungen, bei
denen die Sache zu der betreffenden Verwendung sinnfällig hergerichtet wird (BGHZ 88,
209, 216 f. = GRUR 1983, 729 - Hydropyridin). Das Klagepatent schränkt den
Einsatzzweck der Glasfasern nicht auf konkrete Anwendungsbereiche wie
beispielsweise die Herstellung von Isoliermaterial ein. Es erfasst vielmehr die
Verwendung der Glasfasern für alle Einsatzzwecke, bei denen die Gefahr von
Krebserkrankungen mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden soll, und damit
auch die sinnfällige Herrichtung von Gegenständen, die derartige Fasern enthalten, für
solche Zwecke (BGH NiUrt. Rn. 11). Dem Patent liegt die Erkenntnis zugrunde, dass die
anspruchsgemäßen Glasfasern trotz ihrer Lungengängigkeit kein kanzerogenes Potential
zeigen; die von Anspruch 1 geschützte Verwendung geht daher durch das finale Element
der Vermeidung von Krebsrisiken über die bekannten Verwendungszwecke von
Glasfasern wie z.B. Isolierung hinaus.
86 Zutreffend hat das Landgericht den Patentanspruch 1 dahin ausgelegt, dass er
ausschließlich die Verwendung von Glasfasern in den Blick nimmt, die einen
Durchmesser von weniger als 8 µm aufweisen. Dickere Glasfasern sind für die
Verwendung „als Glasfasern …, die kein kanzerogenes Potential zeigen“, von vornherein
ohne Bedeutung, weil sie nach dem in der Beschreibung eingehend dargestellten
Erkenntnisstand im Prioritätszeitpunkt gerade wegen ihres großen Durchmessers und
der daraus folgenden fehlenden Lungengängigkeit ohnehin keine kanzerogene Wirkung
haben. Für Glasfasern mit einem Durchmesser >= 8 µm stellt sich also das technische
Problem einer Verwendung in einem „krebssensitiven Umfeld“ von vornherein nicht.
Dünnere Glasfasern, insbesondere solche mit einem Durchmesser < 3 µm, wurden
hingegen nach dem in der Beschreibung dargestellten Erkenntnisstand als kanzerogen
angesehen. Die geschützte Erfindung bezieht sich daher, wie sich aus der Beschreibung
mit Deutlichkeit ergibt, auf die Verwendung (auch und gerade) dieser dünnen Glasfasern
für „krebssensitive“ Zwecke. Eine solche Verwendung ist nach Anspruch 1 möglich,
wenn die dünnen Glasfasern die in den Merkmalen 2 und 3 beschriebene
Glaszusammensetzung aufweisen. Mit anderen Worten: Anspruch 1 sieht die in vielen
technischen Bereichen gewünschte, aber unter Gesundheitsaspekten für problematisch
erachtete Verwendung „dünner“ Glasfasern mit einer bestimmten
Glasfaserzusammensetzung für Einsatzzwecke vor, bei denen die Gefahr von
Krebserkrankungen mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden muss.
87 Daraus ergibt sich, dass Merkmal 1 a) auch dann verwirklicht sein kann, wenn zusätzlich
zu Glasfasern mit einem Durchmesser < 8 µm auch solche Glasfasern verwendet
werden, die einen Durchmesser >= 8 µm besitzen. Die letztgenannten „dicken“ Fasern
liegen außerhalb der technischen Lehre des Klagepatents. Sie werden weder
vorgeschrieben noch ausgeschlossen, sondern sind – solange in relevantem Umfang
„dünne“ Fasern verwendet werden – für die Frage der Benutzung der technischen Lehre
irrelevant. Diese Sichtweise ist nach Auffassung des Senats mit den Ausführungen des
Bundesgerichtshofs im Nichtigkeitsverfahren (BGH NiUrt. Rn. 26) jedenfalls vereinbar.
Die gegenteilige Auffassung der Cour d’Appel de Liège (vgl. Anlage BK 7), die eine
Verletzung durch ein Produkt ausschließt, in dem auch Faserdurchmesser >= 8 µm
vorkommen, hat der Senat gewürdigt, vermag ihr aber aus den dargestellten Gründen
nicht beizutreten. Allerdings ist – wie die Cour d’Appel de Liège ebenfalls hervorhebt –
für die Auslegung des Patentanspruchs der Anspruchswortlaut maßgeblich; ergänzend
sind die Patentbeschreibung und die Zeichnungen heranzuziehen (Art. 69 Abs. 1 EPÜ;
BGHZ 160, 204, 209 – bodenseitige Vereinzelungseinrichtung; BGHZ 189, 330 –
Okklusionsvorrichtung; BGH GRUR 2013, 1279 – Seitenwandmarkierungsleuchte). Der
Anspruchswortlaut lässt die dargestellte Deutung, die durch die Beschreibung des
Klagepatents gestützt wird, jedoch ohne weiteres zu. Mit dem Nebensatz „und die einen
Durchmesser von < 8 µm besitzen, wobei mehr als 10% der Glasfasern einen
Durchmesser von < 3 µm aufweisen“ wird – ebenso wie mit der vorangehenden und
nachfolgenden Beschreibung der Glasfaserzusammensetzung – lediglich klargestellt,
welche Art von Glasfasern „als Glasfasern ohne kanzerogenes Potential“ verwendet
werden sollen; er umschreibt also den Gegenstand der als Erfindung geschützten
Verwendung. Dass damit Produkte, die daneben auch „dickere“ Glasfasern enthalten,
nicht vom Schutzbereich ausgeschlossen werden, hat seinen Grund darin, dass es sich
nicht um einen Sachanspruch, sondern um einen Verwendungsanspruch handelt, der die
Erkenntnis schützt, dass ein an sich bekannter Gegenstand (im Streitfall: dünne und
damit potentiell krebserzeugende Glasfasern) für einen Zweck (Einsatz in einem
„krebssensitiven Umfeld“) eingesetzt wird, der bislang nicht in Betracht gezogen oder für
ausgeschlossen gehalten wurde.
88 Weitere Konsequenz des dargestellten Verständnisses ist – wie das Landgericht
ebenfalls zu Recht angenommen hat –, dass die Bezugsgröße für die Prozentangabe in
Merkmal 1 b) die Menge derjenigen Fasern ist, die einen Durchmesser < 8 µm haben,
und dass „dickere“ Fasern auch insoweit außer Betracht bleiben (vgl. auch BGH NiUrt.
Rn. 27 f.).
89 3. Ebenfalls zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass der Vertrieb der
angegriffenen Ausführungsformen von der so umschriebenen technischen Lehre des
Anspruchs 1 wortsinngemäßen Gebrauch macht.
90 a) Die Glasfasern, die in den angegriffenen Ausführungsformen eingesetzt werden,
weisen unstreitig die in den
Merkmalen 2 und 3
Zusammensetzung auf.
91 b) Dass die angegriffenen Produkte auch Fasern mit einem Durchmesser >= 8 µm
enthalten, schließt eine Benutzung des
Merkmals 1 a)
Entscheidend ist, dass sie in erheblichem Umfang Glasfasern enthalten, die einen
Durchmesser < 8 µm besitzen.
92 c) Das Landgericht hat festgestellt, dass in den angegriffenen Produkten Glasfasern mit
einem Durchmesser < 3 µm vorkommen und dass diese ausweislich der von den
Beklagten selbst vorgelegten Untersuchung (Anlage B 12) im Verhältnis zur Menge der
Fasern mit einem Durchmesser < 8 µm einen Anteil von (deutlich) über 10 Prozent
ausmachen (
Merkmal 1 b)
Beklagten in der Berufungsinstanz keine erheblichen Einwände erhoben; Bedenken
gegen die vom Landgericht vorgenommene Würdigung der Anlage sind auch nicht
ersichtlich. Dass die Beklagten in der Berufungsinstanz Untersuchungen (Anlage BK 6)
vorlegen, die einen Anteil von (teilweise knapp) unter 10 Prozent ausweisen, ist in dieser
Situation ohne Belang; der neue Vortrag wäre zudem nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht zu
berücksichtigen.
93 d) Zu Recht ist das Landgericht schließlich zu dem Ergebnis gelangt, dass die in den
angegriffenen Ausführungsformen enthaltenen Glasfasern „als Glasfasern …, die kein
kanzerogenes Potential zeigen“, verwendet werden (
Merkmal 1 a.E.
94 (1) Der patentgemäße Verwendungszweck besteht demnach darin, dass die Glasfasern
für Zwecke eingesetzt werden, bei denen die Gefahr von Krebserkrankungen mit
hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden soll. Als Glasfasern, die kein
kanzerogenes Potential zeigen, sind nach dem Inhalt der Klagepatentschrift Glasfasern
anzusehen, bei denen kein signifikanter Zusammenhang zwischen der Aufnahme des
Materials über die menschliche Lunge und dem Entstehen einer Krebserkrankung
besteht. Ein signifikanter Zusammenhang in diesem Sinne liegt vor, wenn die Glasfasern
bei den in der Patentschrift beschriebenen Tierversuchen eine Erkrankungsrate von mehr
als rund 10% innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren hervorrufen. In der
Beschreibung des Klagepatents ([0018]) wird ausgeführt, bei intratrachealer Instillation
(Einträufeln in die Luftröhre) von Glasfasern gemäß Patentanspruch 2 in Rattenlungen
trete nach einer Zeit von zwei Jahren eine Tumorrate von weniger als 10% auf. Solche
Glasfasern könnten daher als nicht kanzerogen eingestuft werden. Obwohl die
Beschreibung in Abschnitt [0013] berichtet, dass bei Glasfasern mit der chemischen
Zusammensetzung des Anspruchs 1 bei einer Halbwertszeit von 42 Tagen sogar
Tumorraten unter 5 % (tatsächlich sogar 0 %, vgl. [0037]) beobachtet wurden, ist auch im
Zusammenhang mit Anspruch 1 eine Tumorrate von weniger als 10 % als nicht
kanzerogen zu qualifizieren (BGH NiUrt. Rn. 11-16).
95 (2) Wie ausgeführt, umfasst Patentanspruch 1 die sinnfällige Herrichtung von
Gegenständen, die die genannten Fasern enthalten, für alle Einsatzzwecke, bei denen
die Gefahr von Krebserkrankungen mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden
soll. Die sinnfällige Herrichtung kann nicht nur durch eine besondere Gestaltung der
Sache, sondern auch durch eine ihr beim Vertrieb beigegebene Gebrauchsanleitung in
Form eines Beipackzettels oder in sonstiger Weise geschehen (BGH GRUR 1990, 505,
506 f. – Geschlitzte Abdeckfolie). Erforderlich ist also, dass der beschriebene
Gegenstand in erkennbarer Weise auf den Verwendungszweck ausgerichtet wird, so
dass für den Abnehmer ersichtlich ist, dass der Gegenstand in der patentgemäßen Weise
eingesetzt werden soll.
96 Die sinnfällige Herrichtung besteht im Streitfall darin, dass die angegriffenen Produkte,
die Glasfasern mit den anspruchsgemäßen geometrischen und chemischen
Eigenschaften enthalten, als Dämmplatten und damit als Baustoffe für den Hochbau
ausgestaltet und vertrieben werden. Denn bei Baustoffen für den Hochbau muss die
Gefahr von Krebserkrankungen mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden.
97 (3) Für Bauprodukte gelten gefahrstoffrechtliche Normen, die die Verkehrsfähigkeit von
Mineralfaserprodukten an einen Nachweis der Unbedenklichkeit in Bezug auf
Krebsgefahren knüpfen. Nach Abschnitt 23 („Biopersistente Fasern“) Spalte 2 des
Anhangs zu § 1 der Chemikalien-Verbotsverordnung, dem die angegriffenen
Glaswolleprodukte unstreitig unterfallen, dürfen die in Spalte 1 genannten Mineralfasern
grundsätzlich nicht zu Zwecken der Wärme- und Schalldämmung im Hochbau
einschließlich technischer Isolierungen und bei Lüftungsanlagen in den Verkehr gebracht
werden. Nach Spalte 3 gilt das in Spalte 2 niedergelegte Verbot nicht, wenn eines der im
Anschluss genannten Kriterien erfüllt wird. Das zweite Kriterium (welches die
angegriffenen Glasfaserprodukte tatsächlich erfüllt haben) verlangt, dass die Halbwertzeit
nach intratrachealer Instillation von 2 mg einer Fasersuspension für Fasern mit einer
Länge größer 5 µm, einem Durchmesser kleiner 3 µm und einem Länge-zu-
Durchmesser-Verhältnis von größer 3:1 (WHO-Fasern) höchstens 40 Tage beträgt.
98 Damit werden für Glasfaserprodukte, die als Dämmmaterialien in den Verkehr gebracht
werden sollen, im Hinblick auf die Verweildauer in der Lunge mindestens ebenso hohe
Anforderungen aufgestellt wie nach der Beschreibung des Klagepatents. Für Glasfasern
mit der Zusammensetzung nach Anspruch 1 wurde nach Abschnitt [0013] eine
Halbwertszeit von 42 Tagen gemessen; diese korrelierte mit einer Tumorrate von unter 5
% (tatsächlich wurden überhaupt keine Tumore festgestellt, vgl. [0037]).
99 Die Halbwertszeit ist, wie in der Beschreibung ausführlich dargelegt wird, entscheidend
für das kanzerogene Potential von Mineralfasern; das kanzerogene Potential ist umso
größer, je größer die relative, auf den Durchmesser bezogene Halbwertszeit ist ([0029]).
Diese Korrelation zwischen Halbwertszeit und Kanzerogenität ist erkennbar der Grund
dafür, dass nach dem zweiten Kriterium in Spalte 3 des Anhangs zu § 1 der Chemikalien-
Verbotsverordnung nur auf die Halbwertszeit abgestellt wird und nicht – wie im ersten
und dritten Kriterium – auf die Kanzerogenität selbst.
100 Die im zweiten Kriterium in Spalte 3 des Anhangs zu § 1 der Chemikalien-
Verbotsverordnung genannten Details der Durchführung der intratrachealen Instillation
entsprechen weitgehend den Angaben im Klagepatent. Die Maße der Fasern (Länge > 5
µm, Durchmesser < 3 µm, Längen-Durchmesser-Verhältnis > 3:1) stimmen mit den
Fasern, die nach dem Klagepatent vorrangig untersucht wurden, überein (vgl. etwa
[0002], [0021], [0023]). Nach Spalte 3 werden 2 mg Fasersuspension instilliert, nach dem
Klagepatent 2 mg Fasermaterial, das in 0,4 ml Kochsalzlösung suspendiert ist ([0024]).
Anhaltspunkte dafür, dass sich bei der Untersuchungsmethode nach dem zweiten
Kriterium in Spalte 3 des Anhangs zu § 1 der Chemikalien-Verbotsverordnung wesentlich
(mindestens Faktor 2) höhere Tumorraten ergeben würden wie nach der im Klagepatent
genannten Untersuchungsmethode, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
101 Maßgeblich ist – wie ausgeführt – ein Verwendungszweck, bei dem die Gefahr von
Krebserkrankungen mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden muss. Die
Beschreibung des Klagepatents konkretisiert die „gerade noch akzeptable“ Tumorrate
durch den Hinweis auf bestimmte Tierversuche, bei denen nach 2 Jahren eine Tumorrate
von unter 10 Prozent festgestellt wird. Wenn nun die für die angegriffenen
Ausführungsformen einschlägigen gefahrstoffrechtlichen Normen Tierversuche vorsehen,
die hochgradig ähnlich denjenigen sind, die im Klagepatent beschrieben sind und die
ausweislich des Klagepatents zu deutlich unter dem genannten Grenzwert liegenden
Tumorraten führen (< 5 Prozent statt < 10 Prozent), dann spricht jedenfalls der Beweis
des ersten Anscheins dafür, dass die angegriffenen Ausführungsformen für einen
Verwendungszweck eingesetzt werden, bei dem die Gefahr von Krebserkrankungen –
mindestens – im gleichen Maße ausgeschlossen werden muss wie nach dem
Klagepatent. Es wäre in dieser Situation Sache der Beklagten, den Anschein eines
entsprechenden Schutzniveaus durch substantiierten Vortrag zu erschüttern. Hieran fehlt
es.
102 (4) Welches kanzerogene Potential die angegriffenen Ausführungsformen tatsächlich
besitzen, ist entgegen der Auffassung der Beklagten und des Landgerichts ohne
Bedeutung. Entscheidend ist, dass sie in relevantem Maße Fasern mit den
patentgemäßen geometrischen und chemischen Eigenschaften enthalten und dass diese
für den patentgemäßen Verwendungszweck sinnfällig hergerichtet werden. Letzteres
geschieht durch die Herstellung und den Vertrieb als Dämmmaterialien für den Hochbau;
ein ausdrücklicher Hinweis auf das (gesetzlich vorgeschriebene) Fehlen eines
kanzerogenen Potentials ist nicht erforderlich.
103 Selbst wenn man aber verlangte, dass das Fehlen eines kanzerogenen Potentials für die
angegriffenen Produkte festgestellt wird, würde sich an der Beurteilung nichts ändern.
Denn die angegriffenen Ausführungsformen haben, wie erwähnt, die Anforderungen des
zweiten Kriteriums der Spalte 3 des Anhangs zu § 1 der Chemikalien-Verbotsverordnung
erfüllt und sind deshalb verkehrsfähig. Damit gelten entsprechende Überlegungen:
Angesichts der patentgemäßen chemischen Zusammensetzung der Glasfasern, die nach
dem Klagepatent den Ausschluss des kanzerogenen Potentials bewirkt, und angesichts
der weitgehenden Entsprechung der Testmethoden spricht der Beweis des ersten
Anscheins dafür, dass bei Instillationsversuchen, die der Patentbeschreibung
entsprechen, vergleichbar geringe Halbwertszeiten und damit Tumorraten unter 10
Prozent festgestellt würden. Konkrete gegenteilige Anhaltspunkte sind dem
Beklagtenvortrag nicht zu entnehmen; der Hinweis darauf, dass sich die in Spalte 3 des
Anhangs zu § 1 der Chemikalien-Verbotsverordnung genannten Kriterien deutlich
voneinander unterschieden, vermag angesichts der hochgradigen Ähnlichkeit des
zweiten Kriteriums mit der im Klagepatent beschriebenen Untersuchungsmethode nicht
zu überzeugen.
104 (5) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist für die Anforderungen an die sinnfällige
Herrichtung nicht auf die Verhältnisse im Prioritätszeitpunkt, sondern auf die Verhältnisse
im Zeitpunkt der Verletzungshandlung abzustellen. Die Verletzungshandlung ist die
Ausrichtung der angegriffenen Produkte auf den patentgemäßen Verwendungszweck,
also auf die Notwendigkeit der Vermeidung von Krebsrisiken beim jeweiligen Einsatz der
Glasfasern. In welchem Maße diese Notwendigkeit besteht, bestimmt sich nach den
tatsächlichen und rechtlichen Umständen im Zeitpunkt der Herrichtung der Produkte (vgl.
auch BGH NiUrt. Rn. 55). Dies ergibt sich aus der vergleichsweise abstrakten
Formulierung des geschützten Verwendungszwecks; ein „dynamischer Schutzbereich“
wird damit entgegen der Auffassung der Beklagten nicht eingeführt.
105 Aus demselben Grund ist unerheblich, ob und unter welchen Voraussetzungen die
Verwendung von Glasfasern für Isolierzwecke im Prioritätszeitpunkt zulässig war bzw. ob
und inwieweit sich die gefahrstoffrechtliche Situation in der Zeit nach Anmeldung des
Klagepatents geändert hat. Maßgeblich für die Beurteilung der Frage, ob eine
patentgemäße Verwendung vorliegt, sind die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse
im Zeitpunkt der behaupteten Verletzung.
106 (6) Damit liegt eine sinnfällige Herrichtung zur Verwendung für den in Merkmal in
genannten Zweck jedenfalls dann vor, wenn unter der Geltung der genannten Regelung
(Abschnitt 23 des Anhangs zu § 1 der Chemikalien-Verbotsverordnung) Glasfasern als
Dämmplatten angeboten oder in den Verkehr gebracht werden. Mit dem Anbieten erklärt
der Anbietende konkludent, dass das angebotene Produkt den geltenden gesetzlichen
Regelungen, also auch den gefahrstoffrechtlichen Anforderungen entspricht. Die
Regelung ist in der dargestellten Form seit dem 01.06.2000 in Kraft.
107 Die Geltung der genannten, die Verkehrsfähigkeit von Mineralfaserprodukten
beschränkenden Regelung ist indessen keine notwendige Bedingung für das Vorliegen
einer patentgemäßen Verwendung. Unter das Klagepatent fällt jede sinnfällige
Herrichtung von Gegenständen, die die Glasfasern mit den genannten geometrischen
und chemischen Eigenschaften enthalten, für Einsatzzwecke, bei denen aufgrund
rechtlicher oder sonstiger Vorgaben die Gefahr von Krebserkrankungen mit
hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden muss (vgl. BGH NiUrt. Rn. 20, 55).
Dass für Produkte, die im Hochbau eingesetzt werden, die Gefahr von
Krebserkrankungen sowohl der verarbeitenden Handwerker als auch der Nutzer der
Gebäude möglichst ausgeschlossen werden muss, versteht sich von selbst. Im fraglichen
Zeitraum ab dem 01.11.1998 (vgl. Klageantrag Ziff. 1) war die Verwendung von
künstlichen Mineralfasern in Bereichen, in denen Menschen den Fasern ausgesetzt sind,
als zumindest problematisch erkannt. Das ergibt sich nicht nur aus der Beschreibung der
Klagepatentschrift, die von dieser Problematik ausgeht, die Tumorgefahr für nicht
patentgemäße Glasfaserzusammensetzungen aufgrund von Versuchen dokumentiert
und eine Lösung in Gestalt der Verwendung der anspruchsgemäßen Glasfasern anbietet,
sondern auch aus der als Anlage K 10 vorliegenden Richtlinie 97/69/EG der Kommission
vom 5. Dezember 1997, mit der die Richtlinie 67/548/EWG zur Angleichung der Rechts-
und Verwaltungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung
gefährlicher Stoffe geändert wurde. In den Erwägungsgründen heißt es u.a.:
108 „Laboruntersuchungen haben ergeben, dass bestimmte künstlich hergestellte glasige
(Silikat-) Fasern krebserzeugende Wirkung haben. Epidemiologische Studien haben zu
Bedenken bezüglich der Gesundheitseffekte von künstlich hergestellten glasigen
(Silikat-) Fasern Anlass gegeben.
109 Die Liste der gefährlichen Stoffe in Anhang I der genannten Richtlinie [67/548/EWG]
bedarf deshalb insbesondere hinsichtlich bestimmter, künstlich hergestellter glasiger
(Silikat-) Fasern einer Anpassung und Erweiterung. …“
110 Als Konsequenz sah die geänderte Richtlinie 67/548/EWG nach dem unstreitigen
Vortrag der Beklagten eine Pflicht zur Kennzeichnung der Mineralfaserprodukte mit dem
Hinweis „Kann Krebs beim Einatmen erzeugen“ vor, die entfallen konnte, wenn nach
bestimmten Testmethoden die Unbedenklichkeit des Produkts festgestellt wurde. Ferner
hat die International Agency for Research on Cancer (IARC), eine Agentur der WHO,
nach dem insoweit ebenfalls unbestrittenen Vortrag der Beklagten künstliche
Mineralfasern seit 1988 als „possibly carcinogenic for humans“ (Gruppe 2B) eingestuft;
erst 2002 wurde die Einstufung für Glaswolle auf „not classifiable as to its
carcinogenicity“ (Gruppe 3) geändert.
111 Im hier fraglichen Zeitraum wurde also die Verwendung von Glasfaserprodukten, die für
den Kontakt mit Menschen bestimmt waren, mit Blick auf Krebsgefahren beim Einatmen
als risikobehaftet angesehen. Mit dem Klagepatent wird eine Möglichkeit aufgezeigt, wie
diese Risiken durch Auswahl geeigneter – auch „dünner“ – Glasfasern zu vermeiden
sind, so dass solche Glasfaserprodukte auch dort eingesetzt werden können, wo sie mit
Menschen in Berührung kommen. Wenn in dieser Situation für ein Glasfaserprodukt aus
der Vielzahl möglicher Glasfaserzusammensetzungen gerade diejenige
Zusammensetzung ausgewählt wird, bei der nach der Patentschrift ein Krebsrisiko mit
hinreichender Sicherheit ausgeschlossen wird, und das Produkt dann für einen
„krebssensitiven“ Einsatzzweck (hier: Dämmplatten für den Hochbau) angeboten wird,
dann liegt (auch) darin eine sinnfällige Herrichtung des Produkts für die patentgemäße
Verwendung.
112 4. Wegen der somit vorliegenden Patentverletzung stehen der Klägerin die im
angefochtenen Urteil zugesprochenen Ansprüche zu. Durch das Verwendungspatent ist
der Patentinhaber wirksam dagegen geschützt, dass ein Dritter die zur Verwendung
gelangende Substanz im Inland gewerbsmäßig zu dieser Verwendung herrichtet, feilhält
oder in den Verkehr bringt oder dass ein Dritter gewerbsmäßig eine im Ausland für die
Verwendung hergerichtete Substanz im Inland feilhält oder in den Verkehr bringt (vgl.
BGHZ 88, 209 juris-Rn. 16 – Hydropyridin). Solche Verletzungshandlungen der
Beklagten hat das Landgericht festgestellt, ohne dass dagegen in der Berufungsinstanz
erhebliche Einwände vorgebracht werden.
113 Hinsichtlich des Beklagten zu 3 ist allerdings in der Berufungsinstanz unstreitig, dass er
überhaupt erstmals „im Jahr 2003“ (mangels anderer Anhaltspunkte geht der Senat vom
01.01.2003 aus) als Geschäftsführer bestellt wurde und diese Tätigkeit „in wechselnden
Unternehmen“ (unstreitig in der K GmbH, der Beklagten zu 4 als persönlich haftender
Gesellschafterin der K GmbH & Co. KG und der Beklagten zu 1) bis zum 22.09.2009
ausgeübt hat. Da er nur als Geschäftsführer für Geschäftsvorgänge der genannten
Gesellschaften haftet, war der Zeitraum seiner Haftung entsprechend zu begrenzen.
114 Die von den Beklagten erhobene Einrede der Verjährung greift nicht durch. Die Klage
wurde am 16.07.2009 beim Landgericht eingereicht und „demnächst“ (i.S.d. § 167 ZPO)
zugestellt. Dass die Klägerin länger als drei Jahre vor diesem Zeitpunkt Kenntnis oder
grob fahrlässige Unkenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der
Identität der Beklagten gehabt hätte (§ 199 Abs. 1 BGB), ist dem Beklagtenvortrag nicht
mit Substanz zu entnehmen. Aus dem Umstand, dass sich die Klägerin zur Begründung
ihrer Ansprüche u.a. auf die Richtlinie 97/69/EG berufen hat, kann entgegen der
Darstellung der Beklagten nicht auf einen früheren Kenntniszeitpunkt geschlossen
werden.
115 Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 2, 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über
die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
116 Die Revision war nach § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zuzulassen. Die Frage, welche
Anforderungen an die sinnfällige Herrichtung eines Gegenstands zu einer patentierten
Verwendung zu stellen sind, ist in der Rechtsprechung nicht abschließend geklärt, so
dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.