Urteil des OLG Karlsruhe vom 09.04.2014

OLG Karlsruhe: eingriff, einwilligung des patienten, komplikationen, gefahr, behandlungsfehler, aufklärungspflicht, therapie, gemeinschaftspraxis, dokumentation, parteianhörung

OLG Karlsruhe Urteil vom 9.4.2014, 7 U 124/12
Keine Aufklärungspflicht über das außergewöhnliche und fernliegende Risiko einer tödlichen
Sepsis als Folge einer Hämorrhoidenbehandlung.
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 13. Juli 2012
- 8 O 154/10 - im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen dahin abgeändert, dass die Klage
abgewiesen wird.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vollstreckbar. Die Zwangsvollstreckung kann durch Sicherheitsleistung in Höhe
von 110 % des vollstreckbaren Betrages abgewendet werden, wenn die Gegenseite nicht vor der
Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
1
Der Kläger nimmt die Beklagten als Betreiber einer ärztlichen Gemeinschaftspraxis
wegen angeblicher Aufklärungs- und Behandlungsfehler bei einer von dem Beklagten
Ziff. 2 durchgeführten Ligatur und Sklerosierung von Hämorrhoidalknoten auf Zahlung von
Schmerzensgeld und Feststellung der Ersatzpflicht für künftige materielle und
immaterielle Schäden in Anspruch.
2
Das Landgericht, auf dessen Urteil gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 2 ZPO Bezug genommen
wird, hat der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe
zwar keinen Behandlungsfehler nachgewiesen. Es fehle aber an einer wirksamen
Einwilligung, weil er unstreitig nicht über das Risiko septischer Komplikationen aufgeklärt
worden sei. Dieses äußerst schwerwiegende Risiko sei trotz seiner Seltenheit für den
Eingriff spezifisch und darum aufklärungsbedürftig, auch wenn die konkret aufgetretene
Komplikation in der Literatur so nicht dokumentiert sei. Trotz einiger Ungereimtheiten in
den Angaben des Klägers sei auch nicht erwiesen, dass er dem Eingriff bei vollständiger
Aufklärung zugestimmt hätte. Das eingeklagte Schmerzensgeld in Höhe von 50.000 EUR
sei angemessen, weil der Kläger infolge des Eingriffs seinen Enddarm verloren habe,
längere Zeit mit einem künstlichen Darmausgang versorgt worden sei und durch die
fortdauernde Einschränkung seiner Darmfunktion weiterhin erheblich beeinträchtigt
werde. Da weitere Folgen nicht auszuschließen seien, sei auch der Feststellungsantrag
begründet. Die Haftung treffe alle Beklagten. Dabei könne offen bleiben, ob die Beklagten
Ziff. 7 und 9 Gesellschafter der in Form einer GbR betriebenen Gemeinschaftspraxis
seien. Denn ausweislich des Briefkopfs seien sie jedenfalls nach außen als solche
aufgetreten.
3
Mit der Berufung wollen die Beklagten die vollständige Abweisung der Klage erreichen.
Sie machen geltend, der Kläger sei vor den gleichartigen Behandlungen in den Jahren
1998 und 2005 im Großen und Ganzen über die Risiken des einfachen und
komplikationsarmen Eingriffs aufgeklärt worden. Das sei teilweise unstreitig und im
Übrigen durch die vom Landgericht unterlassene Parteivernehmung oder -anhörung des
Beklagten Ziff. 2 festzustellen. Über das äußerst seltene und nur kasuistisch belegte
Risiko einer Sepsis habe der Kläger nach der zutreffenden Einschätzung des
Sachverständigen nicht aufgeklärt werden müssen. Zudem betreffe die Kasuistik zur
Sklerotherapie Komplikationen, die bei dem hier verwendeten Medikament nicht auftreten
könnten, während die beim Kläger eingetretene Komplikation einer ischämischen Proktitis
mit daraus resultierender Sepsis in der medizinischen Literatur nicht beschrieben sei. Das
entsprechende Risiko sei deshalb auch weder spezifisch mit dem Eingriff verbunden noch
habe es dem Beklagten Ziff. 2 bekannt sein müssen. Schließlich sei von einer
hypothetischen Einwilligung auszugehen, weil der Kläger den behaupteten
Entscheidungskonflikt nicht plausibel dargelegt habe. Die gegenteilige Feststellung des
Landgerichts beruhe auf einer unzureichenden Befragung des Klägers und auf einer
fehlerhaften Würdigung seiner Angaben.
4
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil und vertieft sein erstinstanzliches
Vorbringen zur Aufklärung. Wegen des weiteren Sach- und Streitstands im zweiten
Rechtszug wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die
Sitzungsniederschriften vom 27. November 2013 und vom 17. März 2014 Bezug
genommen. Auf letztere wird auch wegen der Fassung der Anträge verwiesen. Der Senat
hat den Kläger und den Beklagten Ziff. 2 persönlich angehört und den Sachverständigen
Prof. Dr. B. ergänzend vernommen. Wegen des Ergebnisses der Parteianhörung und der
Beweisaufnahme wird ebenfalls auf die genannten Sitzungsniederschriften Bezug
genommen.
II.
5
Die Berufung ist zulässig und begründet. Das Landgericht hat der Klage zu Unrecht
stattgegeben. Denn die Beklagten haften weder wegen der Verletzung vertraglicher
Behandlungspflichten (§ 280 BGB) noch aus Delikt (§ 823 BGB).
6
1. Auf Behandlungsfehler wird die Klage im Berufungsrechtszug nicht mehr gestützt. Die
darauf beruhende Haftung der Beklagten ist deshalb nicht Streitstoff der Berufung
geworden (vgl. BGH, NJW-RR 2007, 414, 415; NJW 2008, 1304, 1305). Der Kläger hat
zwar pauschal auf seinen erstinstanzlichen Sachvortrag Bezug genommen. Das genügt
jedoch nicht. Denn das Landgericht hat Behandlungsfehler ausdrücklich verneint und
diese Feststellung hat der Kläger nicht angegriffen. Zudem wird die Feststellung des
Landgerichts in vollem Umfang von den auch den Senat überzeugenden Ausführungen
des Sachverständigen Prof. Dr. B. getragen und ist damit gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO
bindend.
7
2. Entgegen der Auffassung des Landgerichts haften die Beklagten auch nicht wegen
unzureichender Risikoaufklärung.
8
a) Das Landgericht ist allerdings im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass der
Kläger mangels hinreichender Aufklärung nicht wirksam in die vom Beklagten Ziff. 2
durchgeführte Ligatur und Sklerosierung von Hämorrhoidalknoten eingewilligt hat.
9
Die Eingriffs- und Risikoaufklärung dient der Selbstbestimmung des Patienten. Sie soll
ihm das Wissen vermitteln, das er braucht, um sich eigenverantwortlich für oder gegen
den ihm angeratenen Eingriff zu entscheiden (vgl. etwa BGH, NJW 1990, 2929, 2930).
Dazu muss er nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. etwa NJW
2011, 375 m.w.N.) „im Großen und Ganzen” wissen, worin er einwilligt. Er muss also über
die Art des Eingriffs und seine nicht ganz außerhalb der Wahrscheinlichkeit liegenden
Risiken informiert werden, soweit diese sich für einen medizinischen Laien aus der Art
des Eingriffs nicht ohnehin ergeben und für seine Entschließung von Bedeutung sein
können. Dem Patienten muss deshalb eine allgemeine Vorstellung von der Schwere des
Eingriffs und den spezifisch mit ihm verbundenen Risiken vermittelt werden, ohne diese
zu beschönigen oder zu verschlimmern. Dabei hängt die Notwendigkeit zur Aufklärung
nicht davon ab, wie oft ein solches Risiko zu einer Komplikation führt. Entscheidend ist
vielmehr die Bedeutung, die es für die Entschließung des Patienten haben kann. Bei
einer möglichen besonders schweren Belastung für seine Lebensführung kann die
Information über ein Risiko für die Einwilligung des Patienten deshalb auch dann von
Bedeutung sein, wenn sich das Risiko sehr selten verwirklicht (vgl. BGH, NJW 1994, 793,
794 und 3012 f.; 1996, 779, 781; NJW 2000, 1784, 1785). Die Aufklärungspflicht
beschränkt sich allerdings zum einen auf eingriffstypische, spezifisch mit der Therapie
verbundene Risiken. Sie gilt daher nicht für außergewöhnliche und nicht vorhersehbare
Folgen des Eingriffs, die so fern liegen, dass sie weder für die ärztliche
Therapieentscheidung noch für die Selbstbestimmung des Patienten von Bedeutung sind
(vgl. etwa BGH, NJW 1989, 1533, 1534 und 1991, 2346). Zum anderen ist nur über
bekannte Risiken aufzuklären. War ein Risiko im Zeitpunkt der Behandlung noch nicht
bekannt, besteht keine Aufklärungspflicht. War es dem behandelnden Arzt nicht bekannt
und musste es ihm auch nicht bekannt sein, etwa weil es nur in anderen Spezialgebieten
der medizinischen Wissenschaft, aber nicht in seinem Fachgebiet diskutiert wurde, entfällt
die Haftung des Arztes mangels schuldhafter Pflichtverletzung (vgl. nur BGH, NJW 2010,
3230, 3231; 2011, 375). Wenn sich ein Risiko verwirklicht, über das der Arzt nicht
aufklären musste und auch nicht aufgeklärt hat, kann sich die Haftung aber daraus
ergeben, dass es an der notwendigen Grundaufklärung fehlt, weil der Patient nicht auf das
schwerste möglicherweise in Betracht kommende Risiko hingewiesen wurde (vgl. BGH,
NJW 1991, 2346, 2347; 1996, 777, 778 f.; 2001, 2798; 2011, 1088, 1089).
10 Gemessen daran kann dem Beklagten Ziff. 2 zwar nicht vorgeworfen werden, dass er den
Kläger nicht auf das später eingetretene Risiko einer ischämischen Proktitis mit daraus
resultierender Sepsis hingewiesen hat. Es fehlt aber an der notwendigen
Grundaufklärung, weil der insoweit gebotene Hinweis auf das Risiko einer Infektion nicht
erteilt wurde.
11 aa) Die beim Kläger eingetretene Komplikation einer ischämischen Proktitis ist nach den
überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen B. (Gutachten S. 13 ff.;
Ergänzungsgutachten S. 6 ff.) dadurch entstanden, dass die örtliche Sklerosierung und
Thrombosierung infolge einer genetisch bedingten Gerinnungsstörung zu einer
Venenthrombose und einer fortschreitenden Thrombosierung der unteren Rektumwand
führte. Sie wurde also durch den vom Beklagten Ziff. 2 vorgenommenen Eingriff
ausgelöst, konnte aber nur deshalb entstehen, weil beim Kläger eine seltene, zum
Zeitpunkt der Behandlung noch nicht diagnostizierte Gerinnungsstörung vorlag, die das
Risiko von Thrombosen insbesondere im Bereich der Darmvenen deutlich erhöhte.
Derartige Komplikationen sind äußerst selten. Für die beim Kläger festgestellte
Genmutationen sind sie noch gar nicht belegt und für andere schon länger
diagnostizierbare Thrombophilien gibt es lediglich einzelne Case Reports, in denen
ähnliche - allerdings weniger schwerwiegende - thrombotische Veränderungen des
Enddarms beschrieben werden (Ergänzungsgutachten S. 21 f.; Protokoll vom 17. März
2014, S. 2 = II 197). In der allgemeinen Literatur werden auch diese Komplikationen nicht
erwähnt, und die Case Reports sind nur zu finden, wenn man gezielt danach forscht. Sie
müssen daher auch einem auf Enddarmerkrankungen spezialisierten Facharzt für
Chirurgie nicht bekannt sein (Protokoll vom 17. März 2014, S. 2 f.). Der Beklagte Ziff. 2 hat
diese Kenntnis erst durch den Fall des Klägers erlangt. Das steht aufgrund seiner
persönlichen Anhörung zur Überzeugung des Senats fest. Damit fehlt es insoweit
jedenfalls an einem haftungsbegründenden Verschulden.
12 bb) Im Rahmen der Grundaufklärung musste der Beklagte den Kläger zwar auf das Risiko
von Infektionen, aber nicht ausdrücklich auf die Gefahr hinweisen, dass diese in äußerst
seltenen Fällen zu einer schweren und möglicherweise sogar tödlichen Sepsis führen
können.
13 Nach den auch insoweit überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen B.
(Gutachten S. 9 ff.; Protokoll vom 19. März 2012 S. 2 ff. = I 222 ff.; Protokoll vom 17. März
2014, S. 3 ff.) handelt es sich sowohl bei der Sklerosierung als auch bei der Ligatur von
Hämorrhoidalknoten um häufig durchgeführte Standardeingriffe, die bis heute als
Therapien erster Wahl bei Hämorrhoiden ersten und zweiten Grades gelten und
überwiegend als Kombinationstherapie angewendet werden. Komplikationen sind
insgesamt selten. Am häufigsten sind Schmerzen und Blutungen, wobei letztere auch
länger anhalten und behandlungsbedürftig sein können. Da sich im Darm eine hohe
Konzentration an Bakterien befindet, können die mit den Eingriffen verbundenen
Manipulationen an der Darmwand aber auch zu Infektionen führen. Diese Komplikation ist
zwar seltener als in anderen Bereichen wie etwa bei einem Bauchschnitt, aber allgemein
bekannt und durch statistische Untersuchungen belegt. So ist in der größten
wissenschaftlich ausgewerteten Behandlungsserie, die in der Praxis der Beklagten
durchgeführt wurde, bei rund 0,3 % - nämlich 5 von knapp 20.000 - Patienten ein Abszess
aufgetreten. Die Infektionen können sich in äußerst seltenen Einzelfällen auch zu einer
Sepsis mit teilweise schwerwiegenden und sogar tödlichen Folgen entwickeln. Derartige
Fälle sind ebenfalls bekannt, aber nur durch Kasuistiken belegt, so dass ihre Häufigkeit
nur geschätzt werden kann. Der Sachverständige ist dabei aufgrund allgemeiner
chirurgischer Erfahrungswerte davon ausgegangen, dass jede 100. Infektion zu einem
schweren Verlauf und jede 1.000 zum Tod führt. Dass eine Sepsis - wie im Fall des
Klägers - auch ohne eine solche Infektion durch eine thrombosebedingte Rektumnekrose
entstehen kann, ist in der medizinischen Literatur bislang nicht beschrieben (s.o.). Andere
Ursachen sind nach den Ausführungen des Sachverständigen ausgeschlossen, weil das
heute verwendete Verödungsmittel Polydocanol im Unterschied zu den früher
gebräuchlichen Substanzen keine derartigen Folgen auslöst.
14 Danach musste der Kläger über das zwar seltene, aber eingriffstypische, nämlich
spezifisch mit der Art des Eingriffs verbundene Risiko von Infektionen aufgeklärt werden.
Entgegen der Auffassung des Landgerichts musste er aber nicht ausdrücklich darauf
hingewiesen werden, dass sich eine solche Infektion zu einer Sepsis mit
schwerwiegenden und sogar tödlichen Folgen entwickeln kann. Ein solcher Verlauf wäre
zwar mit einer denkbar schweren Belastung verbunden. Er ist aber so außergewöhnlich
und fernliegend, dass er weder für die ärztliche Therapieentscheidung noch für die
Selbstbestimmung des Patienten von Bedeutung ist. Denn zum einen kann sich jede
Infektion zu einer Sepsis mit potentiell tödlichen Folgen entwickeln. Dieses allgemeine
Risiko ist bei der Ligatur und Sklerosierung von Hämorrhoidalknoten nicht erhöht und
insofern auch nicht eingriffsspezifisch. Zum anderen handelt es sich bei der Ligatur und
Sklerosierung von Hämorrhoidalknoten um seit langem etablierte, häufig durchgeführte
und insgesamt komplikationsarme Standardeingriffe, bei denen nur selten eine Infektion
auftritt. Dass eine solche Infektion zu septischen Komplikationen führt, ist trotz der
Häufigkeit dieser Eingriffe nur ganz vereinzelt belegt, und mit dem Risiko, dass diese
Komplikationen auch auf andere Weise entstehen können, war bei dem vom Beklagten
Ziff. 2 verwendeten Verödungsmittel nicht zu rechnen. Über eine derart fernliegende
Gefahr der Ausbildung einer tödlich verlaufenden Sepsis braucht der Patient nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (NJW 1989, 1533, 1534) nicht aufgeklärt zu
werden. Das gilt auch dann, wenn die Infektion als solche zu den eingriffsspezifischen
und damit aufklärungsbedürftigen Risiken gehört (vgl. BGH a.a.O. zum Infektionsrisiko bei
intraartikulären Injektionen). Andernfalls müsste bei allen ärztlichen Routineeingriffen, die
- wie jede Blutabnahme und jede Injektion - zum Eindringen von Keimen führen können,
auf dieses für die therapeutische Entscheidung des Arztes und die Selbstbestimmung des
Patienten unerhebliche Risiko hingewiesen werden. Das wäre von dem Zweck der
Eingriffs- und Risikoaufklärung nicht mehr gedeckt. Dass in der vom Sachverständigen
geleiteten Universitätsklinik und in den vom Kläger vorgelegten Aufklärungsformularen
(Anlagen K 30 und K 31) vorsorglich auf das Risiko einer Sepsis hingewiesen wird,
rechtfertigt keine andere Beurteilung, zumal ein solcher Hinweis nach den Angaben des
Sachverständigen im Jahr 2007 jedenfalls in seiner Klinik noch nicht üblich war.
15 cc) Aus den dargelegten Gründen fehlt es zwar nicht schon deshalb an der erforderlichen
Grundaufklärung, weil der Kläger unstreitig nicht auf die fernliegende Gefahr einer Sepsis
hingewiesen wurde. Nach dem Ergebnis der Parteianhörung ist die Einwilligung aber
jedenfalls deshalb unwirksam, weil er nicht über die Infektionsgefahr als das schwerste in
Betracht kommende Risiko aufgeklärt wurde.
16 Der Senat geht allerdings von einer zumindest konkludent erteilten Einwilligung aus. Der
Kläger hat bei seiner Anhörung zwar nicht nur das vom Beklagten Ziff. 2 geschilderte
Aufklärungsgespräch in Abrede gestellt, sondern auch an der schriftsätzlich
vorgetragenen und bei seiner erstinstanzlichen Anhörung bekräftigten Behauptung
festgehalten, ihm sei erst nach dem Eingriff gesagt worden, dass bei der Untersuchung
eine Abbindung durchgeführt wurde, und von einer Spritze sei gar nicht die Rede
gewesen. Nach eigener Darstellung war ihm aber aus den früheren Behandlungen
bekannt, dass die bei der Untersuchung festgestellten Hämorrhoidalknoten sogleich
entfernt werden. Dass er sich am 15. Mai 2007 erneut einer solchen Untersuchung
unterzogen hat, ist deshalb als stillschweigende Einwilligung anzusehen.
17 Diese Einwilligung war aber nicht wirksam. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das nicht
dokumentierte Aufklärungsgespräch am 15. Mai 2007 stattgefunden hat. Es kann auch
offen bleiben, ob eine erneute Eingriffs- und Risikoaufklärung wegen der - ebenfalls
bestrittenen - Aufklärungsgespräche am 27. April 1998 und am 17. Februar 2005
entbehrlich war und ob dem Kläger bei diesen Terminen eine schriftliche
Patienteninformation über die Verödung und Abbindung von Hämorrhoidalknoten
vorgelegt wurde. Denn die Beklagten haben jedenfalls nicht bewiesen, dass der Kläger
vor dem Eingriff am 15. Mai 2007 oder bei einer der früheren Behandlungen schriftlich
oder mündlich auf das Risiko einer Infektion hingewiesen wurde.
18 Die als Anlage B 1 vorgelegte Patienteninformation enthält zwar den Hinweis, dass es "in
extrem seltenen Einzelfällen (...) zu schwerwiegenden Entzündungen im Becken
kommen" kann. Sie trägt aber das Datum "10/2009", und in der früheren Version, welche
die Beklagten in der mündlichen Verhandlung am 22. Mai 2012 vorgelegt haben (I 246),
findet sich der Hinweis noch nicht. Diesen Unterschied konnte der Beklagte Ziff. 2 bei
seiner Anhörung nicht erklären. Auch die mit Schriftsatz vom 14. Januar 2014
nachgereichten Fassungen der Patienteninformation (II 167 ff.) belegen nur, dass der
Hinweis auf die Entzündungen in der Version "4/2008" und einer offenbar älteren, nicht
datierten Fassung bereits enthalten war. Nach der Erinnerung des Beklagten Ziff. 4 soll
dieser Passus schon vor 2007 in das Merkblatt aufgenommen worden sein, nachdem es
aufgrund einer deutlichen Zunahme von Ligatur- und Sklerosierungsbehandlungen in der
Praxis der Beklagten erstmals zu derartigen Komplikationen gekommen war. Dass er in
der am 17. Februar 2005 verwendeten Fassung bereits enthalten war, behaupten die
Beklagten nicht. Nach diesem Zeitpunkt ist dem Kläger aber auch nach ihrem Vortrag
keine Patienteninformation mehr vorgelegt worden. Der Senat geht deshalb davon aus,
dass dem Kläger kein schriftlicher Hinweis auf das Risiko von Infektionen erteilt wurde. Er
hält es auch nicht für ausgeschlossen, dass der Hinweis erst aufgrund der beim Kläger
eingetretenen Komplikationen in das Merkblatt aufgenommen wurde.
19 Vor diesem Hintergrund kann sich der Senat auch nicht davon überzeugen, dass der
Kläger mündlich über das Infektionsrisiko aufgeklärt wurde. Bei seiner Anhörung hat der
Beklagte Ziff. 2 zwar angegeben, er habe vor jeder Behandlung nicht nur auf mögliche
Nachblutungen, sondern auch darauf hingewiesen, dass es zu einer Entzündung
kommen kann. Diese Aufklärungspraxis habe er in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren
nicht geändert. Die verschiedenen Versionen der Patienteninformation zeigen jedoch,
dass der Aufklärungsstandard in der Gemeinschaftspraxis der Beklagten während dieses
Zeitraums und möglicherweise sogar erst nach der letzten Behandlung des Klägers
entsprechend geändert wurde. Zudem ist das einzige in der elektronischen
Patientenkartei der Beklagten erwähnte Aufklärungsgespräch am 17. Februar 2005 mit
den Worten "Aufklärung Blutungsrisiko" dokumentiert. Dass der Kläger auch auf die
Infektionsgefahr hingewiesen wurde, wird dort nicht erwähnt, obwohl der Inhalt der
Aufklärung im Übrigen schlagwortartig bezeichnet wird und darum ein entsprechender
Vermerk zu erwarten wäre.
20 b) Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist aber davon auszugehen, dass der
Kläger auch bei ordnungsgemäßer und vollständiger Aufklärung in den am 17. Mai 2007
durchgeführten Eingriff eingewilligt hätte.
21 Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. etwa NJW 2005, 1718,
1719; 2007, 217, 219; 2009, 1209, 1211) ist der Einwand der hypothetischen Einwilligung
grundsätzlich beachtlich. Die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass sich der Patient
auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung zu der tatsächlich durchgeführten Behandlung
entschlossen hätte, trifft nicht den Patienten, sondern den Arzt. Wenn er sich auf eine
hypothetische Einwilligung beruft, muss der Patient jedoch darlegen, dass er bei
ordnungsgemäßer Aufklärung vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden wäre.
Dabei kommt es allein auf seine persönliche Entscheidungssituation aus damaliger Sicht
und nicht darauf an, ob ein 'vernünftiger' Patient dem entsprechenden ärztlichen Rat
gefolgt wäre. Nur wenn der Patient einen solchen Entscheidungskonflikt zur Überzeugung
des Tatrichters plausibel macht, muss der Arzt den ihm obliegenden Beweis führen.
22 Das Landgericht hat den vom Kläger behaupteten Entscheidungskonflikt trotz erheblicher
Bedenken für plausibel erachtet, weil es ohne weiteres nachvollziehbar sei, dass der
Kläger am 15. Mai 2007 jedenfalls zunächst vor dem bereits mehrfach durchgeführten
Eingriff zurückschreckt wäre, wenn er an diesem Tag erstmals vollständig über dessen
Risiken aufgeklärt worden wäre, was verständlicherweise zu einer gewissen
Erschütterung und Überraschung habe führen können. Diese Einschätzung beruht auf der
- unzutreffenden (s.o. unter bb) - Annahme, dass der Kläger über die fernliegende Gefahr
einer Sepsis mit schwerwiegenden und möglicherweise tödlichen Folgen hätte aufgeklärt
werden müssen. Hiervon ist das Landgericht auch bei der Anhörung des Klägers
ausgegangen.
23 Der Senat hat die Anhörung deshalb wiederholt und den Kläger dazu befragt, wie er sich
verhalten hätte, wenn er (nur) darüber aufgeklärt worden wäre, dass es zu Blutungen, zu
Schmerzen und zu einer Infektion kommen kann. Dabei hat der Kläger nicht plausibel
gemacht, dass er in diesem Fall vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden wäre.
Er hat zwar angegeben, dass er den Eingriff nicht hätte durchführen lassen, weil er bei
dem Wort 'Infektion' hellhörig geworden wäre und auch keine Beschwerden gehabt habe.
Das ist aber weder plausibel noch glaubhaft.
24 Zum einen ist es auch aus der Sicht eines medizinischen Laien keineswegs
überraschend, dass die mit der Abbindung und Verödung von Hämorrhoidalknoten
verbundene Manipulation an der Darmwand zu einer Entzündung führen kann. Im
Unterschied zu einem ausdrücklichen Hinweis auf die Gefahr einer schwerwiegenden
und möglicherweise tödlichen Sepsis wirkt die Erwähnung dieses naheliegenden Risikos
auch nicht abschreckend. Sie ändert also nichts an dem durch eine ordnungsgemäße
Aufklärung zu vermittelnden Eindruck, dass es sich um einen risikoarmen Standardeingriff
handelt. Der Kläger hat auch keinen Grund dafür angegeben, dass sich dies aus seiner
damaligen Sicht anders dargestellt hätte. Seine Anhörung vermittelte vielmehr den - auch
vom Landgericht beschriebenen - Eindruck, dass er sich wegen der tatsächlich
eingetretenen Komplikationen und der massiven, lebenslang fortdauernden
Beeinträchtigungen, unter denen er seither zu leiden hat, nicht mehr in die damalige
Entscheidungssituation zurückversetzen kann. Dass er sich kürzlich gegen einen kleinen
augenärztlichen Eingriff entschieden hat, weil dieser zur Erblindung führen kann, steht
dem nicht entgegen. Denn auch diese Entscheidung ist von den schlimmen Erfahrungen
geprägt, die der Kläger im vorliegenden Fall gemacht hat.
25 Zum anderen sind die anamnestischen Angaben des Klägers in der Patientenkartei der
Beklagten wie folgt dokumentiert: "seit Antibiose vor einigen Monaten festerer Stuhl alle 2
Tage, teilweise auch Nässen, Brennen am After, krampfartiger Schmerz." Hierzu hat das
Landgericht bereits zutreffend festgestellt, dass kein Grund ersichtlich ist, warum die
Beklagten solche Beschwerden hätten erfinden sollen. Daran ändert auch der Umstand
nichts, dass es sich bei dem Termin am 15. Mai 2007 offenbar um die in der
Dokumentation vom 16. Mai 2006 erwähnte "Kontrolluntersuchung in 1 Jahr" handelte.
Der Eintrag zu der vom Kläger bestrittenen Antibiose ist für den hier zu beurteilenden
Eingriff unerheblich und lässt ebenfalls nicht auf eine fehlerhafte oder sogar verfälschte
Dokumentation schließen. Der Senat geht deshalb davon aus, dass der Kläger jedenfalls
unter Nässen, Brennen am After und krampfartigen Schmerzen litt. Nach den
Ausführungen des Sachverständigen B. (Protokoll vom 17. März 2014 S. 5 = II 203) sind
diese Beschwerden für Hämorrhoiden typisch und ihre Linderung ist auch das Ziel des
Eingriffs, den der Beklagte Ziff. 2 am 15. Mai 2007 durchgeführt hat. Der Termin wurde
zwar nicht ihretwegen vereinbart. Daraus folgt jedoch nicht, dass sich der Kläger bei
ordnungsgemäßer Aufklärung in einem echten Entscheidungskonflikt befunden hätte.
Denn die dokumentierten Beschwerden waren nicht unerheblich. Der empfohlene Eingriff
war zwar nicht zwingend indiziert, es handelte sich aber um die Therapie erster Wahl, und
er war nicht nur schmerz- und risikoarm, sondern konnte auch sofort und ohne großen
Aufwand durchgeführt werden. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht plausibel, dass
der Kläger den Eingriff nicht hätte durchführen lassen. Dass er ihn verschoben, eine
zweite Meinung eingeholt oder eine medikamentöse Therapie mit Salben oder Zäpfchen
gewählt hätte, hat der Kläger bei seiner Anhörung nicht geltend gemacht.
III.
26 Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen
Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision wird nicht zugelassen, weil
keiner der in § 543 Abs. 2 ZPO bestimmten Gründe vorliegt.