Urteil des OLG Karlsruhe vom 20.08.2013

OLG Karlsruhe: auflage, zwangsvollstreckung, ermessen, beschwerdeinstanz, rechtskraft, unterhaltsleistung, überprüfung, gesetzgebungsverfahren, darlehen, rente

OLG Karlsruhe Beschluß vom 20.8.2013, 18 UF 151/13
Frage der Aufhebung der Anordnung der sofortigen Wirksamkeit durch das Beschwerdegericht
Leitsätze
Eine Aufhebung der Anordnung der sofortigen Wirksamkeit gem. § 116 Abs. 3 Satz 3 FamFG
durch das Beschwerdegericht kommt nicht in Betracht. § 120 Abs. 2 Satz 3 FamFG enthält mit
dem Verweis auf §§ 707 Abs. 1, § 719 Abs. 1 ZPO eine spezielle Regelung, die den Rückgriff
über § 120 Abs. 1 FamFG auf die allgemeinen Regelungen über die Zwangsvollstreckung in der
ZPO - hier: § 718 ZPO - ausschließt.
Tenor
Der Antrag des Antragsgegners auf Aufhebung der Anordnung der sofortigen Wirksamkeit in
dem Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Singen vom 31.05.2013 (4 F 384/12) wird
zurückgewiesen.
Gründe
I.
1 Der Antragsgegner begehrt die „Aufhebung der sofortigen Wirksamkeit“ aus dem Beschluss
des Amtsgerichts - Familiengericht - Singen vom 31.05.2013. Darin wurde der
Antragsgegner verpflichtet, an die Antragstellerin für den Zeitraum Juni 2011 bis Februar
2012 einen rückständigen Trennungsunterhalt in Höhe von 3.059 EUR nebst Zinsen in
Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.07.2012 zu zahlen. Die
sofortige Wirksamkeit der Entscheidung wurde angeordnet. Wegen der weiteren
Einzelheiten wird auf den Beschluss vom 31.05.2013 verwiesen.
2 Gegen diese Entscheidung hat der Antragsgegner Beschwerde eingelegt mit dem Ziel, den
Beschluss aufzuheben und den Antrag der Antragstellerin vollumfänglich abzuweisen.
3 Zur Begründung seines gleichzeitig gestellten Antrages auf „Aufhebung der sofortigen
Wirksamkeit“ trägt der Antragsgegner vor, dass das Amtsgericht das Ermessen nach § 116
Abs. 3 Satz 3 FamFG nicht richtig ausgeübt habe. Er sei arbeitssuchend und beziehe seit
dem 01.03.2013 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Vom 01.09.2013 habe er
gemäß Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See vom
06.06.2013 einen Anspruch auf volle Erwerbsminderungsrente. Die Antragstellerin
dagegen sei erwerbstätig und erziele ein durchschnittliches Monatsnettoeinkommen von
1.269 EUR, wobei davon auszugehen sei, dass sie kostenfrei wohne. Auch Darlehen
bediene sie nicht. Angesichts dieser Verhältnisse sei die sofortige Wirksamkeit nicht
anzuordnen gewesen.
4 Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst
Anlagen Bezug genommen.
II.
5 Der auf „Aufhebung der sofortigen Wirksamkeit“ gerichtete Antrag des Antragstellers ist
allenfalls als Vollstreckungsschutzantrag nach §§ 120 Abs. 2 Satz 3 FamFG, 719 Abs. 1,
707 Abs. 1 Satz 2 ZPO zulässig, als solcher aber unbegründet.
6 1. Eine Aufhebung der Anordnung der sofortigen Wirksamkeit, die allein auf der Grundlage
der §§ 120 Abs. 1 FamFG, 718 ZPO erfolgen könnte, kommt nicht in Betracht. Insofern
enthält § 120 Abs. 2 Satz 3 FamFG mit dem Verweis auf §§ 707 Abs. 1, § 719 Abs. 1 ZPO
eine spezielle Regelung, die die Anwendbarkeit des Generalverweises in § 120 Abs. 1
FamFG auf die allgemeinen Regelungen über die Zwangsvollstreckung in der ZPO
ausschließt.
7 Die Vorschriften zur vorläufigen Vollstreckung nach §§ 708 - 713 ZPO sind in
Unterhaltssachen nicht anzuwenden, da das FamFG insofern in §§ 120 Abs. 1, 116 Abs. 3
FamFG Sonderregelungen vorsieht (vgl. Wendl/Dose/Schmitz, Unterhaltsrecht, 8. Auflage
2011, § 10 Rn 84; BT-Drucks. 16/6308 S. 226). Vorliegend beruht die Anordnung der
sofortigen Wirksamkeit auf § 116 Abs. 3 Satz 2 FamFG. Diese Vorschrift wird durch § 120
Abs. 2 Satz 2 und 3 ZPO zum Schutz des Schuldners ergänzt (Musielak/ Borth/Grandel
FamFG, 4. Auflage 2013, § 120 Rn 2; BT-Drucks. 16/6308 S. 412). Aus diesem
Regelungszusammenhang ergibt sich, dass die §§ 714 bis 720 ZPO trotz der
Globalverweisung in § 120 Abs. 1 ZPO nur anzuwenden sind, soweit sie nicht mit dem
Regelungsbereich in § 120 Abs. 2 Satz 2 bzw. 3 ZPO in Konflikt geraten
(Musielak/Borth/Grandel, a.a.O., § 120 Rn 2; s. auch Prütting/Helms, FamFG, 2. Auflage
2011, § 120 Rn 3). In diesem Kontext bestimmt das FamFG durch den ausdrücklichen
Verweis auf §§ 707, 719 ZPO, dass die Vollstreckung nur unter der engen Voraussetzung
vorläufig eingestellt werden kann, dass der Schuldner glaubhaft macht, dass die
Vollstreckung ihm einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde. Damit wird allein auf
die Folgen der Anordnung der sofortigen Wirksamkeit abgestellt, eine
Überprüfungsmöglichkeit betreffend die Voraussetzungen für diese Anordnung aber nicht
eröffnet. Dementsprechend kommt eine Überprüfung der Anordnung der sofortigen
Wirksamkeit selber nicht in Betracht. Insofern fehlt es in § 120 Abs. 2 FamFG an einem
Verweis auch auf § 718 ZPO (OLG Karlsruhe, Beschluss v. 28.02.2013 - 18 UF 363/12; im
Ergebnis ebenso Wendl/Dose/Schmitz, a.a.O., § 10 Rn 85; Bumiller/Harders, FamFG, 10.
Auflage 2011, § 120 Rn 2 - 4, die die Anwendung anderer Vorschriften als §§ 120 Abs. 2
FamFG, 707, 719 ZPO gar nicht erörtern, sondern davon ausgehen, dass die Einstellung
der Zwangsvollstreckung abweichend von den ZPO-Vorschriften geregelt wurde; s. auch
MüKo/Fischer, ZPO, 3. Auflage 2010, § 120 FamFG Rn 8 m.w.N.; a.A. ohne nähere
Begründung Keidel/Weber, FamFG, 17. Auflage 2011, § 116 Rn 9; vgl. auch OLG Bamberg
FamRZ 2013, 481, 482 zur Frage der Nachholbarkeit der Anordnung der sofortigen
Wirksamkeit in der Beschwerdeinstanz; zweifelnd Prütting/Helms, FamFG, 2. Auflage 2011,
§ 116 Rn 30, anders aber wohl in § 120 Rn 6 ff.). Auch im Gesetzgebungsverfahren wurde
der eingeschränkte Schutz, den § 120 Abs. 2 Satz 3 FamFG iVm. §§ 707, 719 ZPO dem
Schuldner bietet mit der Folge, dass aus der erstinstanzlichen Entscheidung bereits vor
Rechtskraft vollstreckt wird und die Beträge wegen Vermögenslosigkeit des Gläubigers
nicht nach einer abändernden Beschwerdeentscheidung zurückgefordert werden können,
diskutiert, die Bedenken aber zugunsten des Interesses des Gläubigers an der Erlangung
der Unterhaltsleistung zurückgestellt (BT-Drucks. 16/6308 S. 373 einerseits und S. 412
andererseits). Insofern wurde es für ausreichend angesehen, dass die gegenseitigen
Interessen allein im Rahmen des § 116 Abs. 3 FamFG überprüft werden (vgl. BT-Drucks.
16/6308 S. 412).
8 2. Offenbleiben kann, ob der Antrag des Antragstellers auf Aufhebung der Anordnung der
sofortigen Wirksamkeit als Vollstreckungsschutzantrag nach § 120 Abs. 2 Satz 3 FamFG,
§§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 Satz 2 ZPO auszulegen ist, da er als solcher jedenfalls
unbegründet ist. Der Antragsgegner hat nicht glaubhaft gemacht, dass ihm durch die
Zwangsvollstreckung ein nicht zu ersetzender Nachteil im Sinne von § 120 Abs. 2 Satz 3
FamFG, §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 Satz 2 ZPO droht. Vielmehr beruft er sich allein darauf,
dass das Amtsgericht das Ermessen bei der Anordnung nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FamFG
nicht richtig ausgeübt habe.