Urteil des OLG Karlsruhe vom 20.08.2014

OLG Karlsruhe: kostenbeteiligung, ermessen, besitz, form, auflage, überprüfung, entschädigung, vollzug, begriff, verbrauch

OLG Karlsruhe Beschluß vom 20.8.2014, 2 Ws 277/14
Beteiligung von Sicherungsverwahrten an Stromkosten in Baden-Württemberg
Leitsätze
Die Höhe der einem Sicherungsverwahrten auferlegten Kostenpauschale für Stromkosten darf
die bei durchschnittlichem Gebrauch der Elektrogeräte entstehenden Stromkosten nicht
erreichen. Die Auferlegung eines Zuschlags für Leitungsvorhaltung, Gebühren, Reparaturen und
dergleichen ist grundsätzlich zulässig.
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Landgerichts -
Strafvollstreckungskammer - F. vom 4. Juli 2014 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an die
Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert wird auf EUR 9,86 festgesetzt (§§ 65, 60, 52 GKG).
Gründe
1 1. Gegen den Antragsteller wird derzeit aufgrund eines Urteils des Landgerichts H. vom
14.7.1997 die Sicherungsverwahrung in der JVA F. (Antragsgegnerin) vollzogen. In
seinem Zimmer betreibt er einen Kühlschrank, eine Kaffeemaschine und einen
Wasserkocher. Im Januar 2014 buchte die Antragsgegnerin vom Eigengeldkonto des
Antragstellers einen Betrag von EUR 9,86 als (monatliche) Beteiligung an den
Stromkosten für diese Geräte ab, und zwar EUR 4,86 für den Kühlschrank und jeweils
EUR 2,50 für die Kaffeemaschine und den Wasserkocher. Am 21.1.2014 stellte der
Untergebrachte Antrag auf gerichtliche Entscheidung, mit dem er die Aufhebung der
Abbuchung der Stromkostenbeteiligung von seinem Eigengeldkonto begehrt.
2 Durch Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 4.7.2014 wurde der Antrag des
Untergebrachten als unbegründet zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung richtet sich
seine am 23.7.2014 beim Landgericht F. eingegangene Rechtsbeschwerde, mit der die
Verletzung des formellen und des materiellen Rechts gerügt wird.
3 2. Die rechtzeitig und in gehöriger Form (§§ 130, 118 StVollzG) eingelegte
Rechtsbeschwerde ist statthaft und hat auch in der Sache insoweit - vorläufigen - Erfolg,
als die angefochtene Entscheidung der Strafvollstreckungskammer aufzuheben und die
Sache zur erneuten Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen
war.
4 a. Es kann offenbleiben, ob die Rechtsbeschwerde zuzulassen ist, weil es geboten wäre,
die Nachprüfung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung zu ermöglichen (§ 116 Abs. 1 StVollzG). Über die Zulassungsgründe des
§ 116 StVollzG hinaus ist nämlich anerkannt, dass eine Zulassung des Rechtsmittels auch
dann geboten ist, wenn die tatsächlichen Feststellungen oder rechtlichen Erwägungen der
angefochtenen Entscheidung so unzureichend sind, dass das Rechtsbeschwerdegericht
nicht nachprüfen kann, ob die Entscheidung auf einer Verletzung des Gesetzes beruht
(OLG Hamm, B. v. 3.7.2014 - 1 Vollz (Ws) 135/14 - bei juris; Feest/Lesting-
Kamann/Spaniol, StVollzG, 6. Auflage, § 116 Rn. 10 m. w. N.). So verhält es sich hier.
5 b. Zutreffend ist allerdings der rechtliche Ausgangspunkt der Strafvollstreckungskammer,
dass als Grundlage für die Erhebung der abgebuchten Beträge im Wesentlichen § 52 Abs.
2 Satz 1, Satz 2 Nr. 5 JVollzGB V in Betracht kommt. Nach dieser Vorschrift können die
Untergebrachten an den Kosten für sonstige Leistungen - also solche außerhalb von
Unterbringung und Verpflegung (vgl. § 52 Abs. 1 JVollzGB V) - durch Erhebung von
Kostenbeiträgen in angemessener Höhe beteiligt werden. Dies gilt insbesondere für
Stromkosten, die durch die Nutzung der in ihrem Besitz befindlichen Gegenstände
entstehen. Darüber hinaus bestimmt § 9 Abs. 2 JVollzGB I, dass die Gefangenen und
Untergebrachten an den Betriebskosten der in ihrem Besitz befindlichen Geräte beteiligt
werden können.
6 Der Senat teilt auch die Ausführungen der Strafvollstreckungskammer, wonach die
genannten Vorschriften im Lichte der verfassungsrechtlichen Vorgaben zur Gewährung
eines kostenfreien Grundbedarfs eines jeden Gefangenen - für Untergebrachte gilt nichts
anderes - auszulegen sind (sog. sozio-kulturelles Existenzminimum). So bestand auch
bereits vor Inkrafttreten der Föderalismusreform am 1.9.2006 in der obergerichtlichen
Rechtsprechung dahingehend Einigkeit, dass eine unentgeltliche Zurverfügungstellung
insoweit verlangt werden kann, als die jeweilige Leistung zur sachgerechten Durchführung
des Strafvollzuges, insbesondere zur Erreichung der Vollzugsziele, erforderlich ist oder
ihre kostenfreie Gewährung einem Gebot effektiven Grundrechtsschutzes entspricht (vgl.
OLG Koblenz ZfStrVo 2006, 177 ff. und 179 ff.; OLG Jena StV 2006, 593, wohl auch OLG
Celle StraFo 2004, 289).
7 Für alle darüber hinausgehenden Leistungen stand deren kostenfreie Erbringung oder die
Erhebung entsprechender Kosten im pflichtgemäßen Ermessen der Anstalt (OLG Koblenz
ZfStrVo 2006, 177 ff.). Dies entspricht auch nach Inkrafttreten des JVollzGB der
Rechtslage in Baden-Württemberg, da sowohl nach § 9 Abs. 2 JVollzGB I als auch nach §
52 Abs. 2 JVollzGB V die Gefangenen bzw. Untergebrachten an den dort bezeichneten
Kostenarten beteiligt werden „können“.
8 c. Bereits aus dem Wortlaut der genannten Vorschriften ergibt sich indes, dass, wovon
auch die Strafvollstreckungskammer ausgeht, mit der Erhebung einer
Stromkostenpauschale nur eine Kostenbeteiligung der Untergebrachten an den
Stromkosten, nicht hingegen eine vollständige Kostenübernahme - oder gar, was der
Antragsteller befürchtet, eine noch darüber hinaus gehende Inanspruchnahme der
Untergebrachten - begründet werden darf. Dies folgt bereits daraus, dass die
Untergebrachten nach beiden Vorschriften an den Kosten lediglich „beteiligt“ werden
können und dass nach § 52 Abs. 2 Satz 1 JVollzGB V diese Beteiligung „in angemessener
Höhe“ zu erfolgen hat. Das letztgenannte Tatbestandsmerkmal stellt ersichtlich eine
Einschränkung der finanziellen Inanspruchnahme der Untergebrachten dar und wäre nicht
erforderlich, wenn das Gesetz ohnehin eine vollständige Kostenübernahme in Bezug auf
die Stromkosten beabsichtigt hätte oder eine solche jedenfalls hätte ermöglichen wollen.
9 d. Aus den von der Strafvollstreckungskammer getroffenen Feststellungen lässt sich indes
nicht nachprüfbar entnehmen, ob die von dem Eigengeldkonto des Antragstellers
abgebuchten Beträge die durch die Nutzung der in seinem Besitz stehenden Elektrogeräte
tatsächlich entstehenden Stromkosten über- oder unterschreiten. Zwar ist die von der
Antragsgegnerin vorgenommene pauschalierte Form der Kostenerhebung grundsätzlich
zulässig, weil eine konkrete Erfassung des Stromverbrauchs ansonsten nur durch
kostspielige, mit Blick auf die Höhe der zu erhebenden Pauschalen unverhältnismäßige
Installationen von Stromzählern für jedes einzelne Zimmer möglich wäre. Allerdings muss
bei der Verwendung von Pauschalen sichergestellt werden, dass nur eine
Kostenbeteiligung und nicht eine vollständige Kostenübernahme erfolgen darf. Erst recht
darf eine solche Pauschale die tatsächlich entstandenen Kosten nicht überschreiten, weil
dies zu einer unzulässigen - mittelbaren - Finanzierung des Grundbedarfs des
Untergebrachten oder der sonstigen Haftkosten führen könnte (vgl. OLG Naumburg NStZ-
RR 2013, 62; OLG Hamburg NStZ-RR 2011, 156).
10 e. Die Strafvollstreckungskammer führt in dem angefochtenen Beschluss zu der Frage der
Rechtmäßigkeit der Höhe der Pauschalen aus, dass die Antragsgegnerin das ihr bei der
Festsetzung der Pauschalen eingeräumte Ermessen durch die Übernahme der in der
Verwaltungsvorschrift des Justizministeriums über die Entschädigung für Leistungen der
Justizvollzugsanstalten vom 20.11.2013 (VwV-Kostenregelungen Vollzug - VwV-KRVollz)
genannten Entschädigungssätze hinreichend ausgeübt und konkretisiert habe. Die
Entschädigungssätze differenzierten hinreichend zwischen verschiedenen elektrischen
Geräten; auch die den Entschädigungssätzen zugrundeliegenden Berechnungen nach
Leistungsaufnahme der einzelnen Geräte bzw. nach dem voraussichtlichen Verbrauch
seien nachvollziehbar und sachgerecht. Die in der VwV-KRVollz festgesetzten
Entschädigungssätze stellten eine gemäß den gesetzlichen Vorgaben angemessene
Kostenbeteiligung dar.
11 Diese Feststellungen bzw. Wertungen der Strafvollstreckungskammer sind allerdings nicht
ausreichend, um eine rechtliche Überprüfung durch den Senat zu ermöglichen.
12 Zwar trifft es zu, dass in Bezug auf den Kühlschrank die Berechnung des monatlichen
Entschädigungsbetrags nachvollziehbar ist: Multipliziert man - ausgehend von der
naheliegenden Annahme, dass ein Kühlschrank das ganze Jahr über ununterbrochen in
Betrieb ist - den angenommenen Jahresverbrauch von 175 kWh mit dem angesetzten
Strompreis von EUR 0,29/kWh und mit dem Faktor 1,15 (Zuschlag für Leitungsvorhaltung
etc., zu diesem unter f.) und teilt das Ergebnis durch 12, so erhält man den von der
Antragsgegnerin angesetzten monatlichen Entschädigungsbetrag von EUR 4,86.
Allerdings stellt diese Berechnungsweise für sich genommen nicht sicher, dass nicht doch
eine vollständige Übernahme (oder Überzahlung) in Bezug auf die tatsächlichen
Stromkosten eintritt. Der Antragsteller hat unter Bezugnahme auf Stromtarife des in
Freiburg ansässigen Anbieters badenova qualifiziert bestritten, dass die der
Antragsgegnerin durch den Betrieb der fraglichen Elektrogeräte entstehenden
Stromkosten überhaupt in der der Berechnung zugrundeliegenden Höhe entstehen. Es
hätte daher zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit des angesetzten Entschädigungsbetrags
konkreter Feststellungen zu den der Antragsgegnerin entstehenden Stromkosten bedurft.
Da diese Feststellungen bislang nicht getroffen wurden, kann der Senat nicht überprüfen,
ob sich die Antragsgegnerin bei der Festlegung des Entschädigungsbetrags für den
Kühlschrank im Rahmen des ihr durch § 52 Abs. 2 JVollzGB V eingeräumten Ermessens
gehalten hat.
13 Hinsichtlich der weiteren Elektrogeräte (Wasserkocher und Kaffeemaschine) sind die
Feststellungen der Strafvollstreckungskammer im Ergebnis aus dem gleichen Grund
unzureichend. Zwar ist es sachgerecht, dass ausweislich Position 636 der VwV-KRVollz
die Entschädigung für andere als in der VwV genannte Elektrogeräte auf der Grundlage
des voraussichtlichen Verbrauchs berechnet werden soll; auch ist mit Blick auf die -
zulässige (s.o.) - Pauschalierung der Entschädigungsbeträge nicht zu beanstanden, dass
in diesem Zusammenhang die Betriebsdauer der Geräte geschätzt werden darf. Allerdings
ist bei der Bestimmung der Pauschale nach den Vorgaben der VwV-KRVollz wiederum
von dem Strompreis von EUR 0,29/kWh auszugehen, der nach dem Vorgesagten nicht
ohne Weiteres von der Antragsgegnerin - und, im Rahmen ihrer Entscheidung, von der
Strafvollstreckungskammer - zugrundegelegt werden durfte. Auch in Bezug auf die sich
jeweils auf EUR 2,50 belaufenden Entschädigungsbeträge für den Wasserkocher - dieser
Betrag ist ersichtlich der VwV-KRVollz entnommen worden, die insoweit allerdings keine
nachvollziehbare Berechnung enthält - und für die Kaffeemaschine kann der Senat daher
nicht überprüfen, ob sich die Entschädigungsbeträge in dem gesetzlichen Rahmen
gehalten haben und ob die Antragsgegnerin insoweit ihr Ermessen rechtsfehlerfrei
ausgeübt hat. Hierfür wären Feststellungen zu den tatsächlich entstehenden Stromkosten,
zu den Schätzungsgrundlagen und -ergebnissen in Bezug auf die Betriebsdauer der
einzelnen Geräte und zu deren Leistungsaufnahme, also zu der Leistung, die dem
Stromnetz maximal entnommen wird, erforderlich.
14 d. Was indes die Auffassung des Antragstellers angeht, die Erhebung eines 15%-igen
Zuschlags für Leitungsvorhaltung, Gebühren, Reparaturen und dergleichen sei nicht
gerechtfertigt, da es für einen entsprechenden Zuschlag keine gesetzliche Grundlage
gebe, folgt der Senat dieser Ansicht nicht. Wie die Strafvollstreckungskammer zutreffend
ausgeführt hat, kommt vorliegend nämlich - wenn man diesen Zuschlag nicht bereits unter
den Begriff der „Stromkosten“ subsumieren will - ein unbenannter Fall einer
Kostenbeteiligung in Betracht, deren Zulässigkeit daraus folgt, dass die in § 52 Abs. 2 Satz
2 Nrn. 1 bis 5 JVollzGB V aufgezählten Leistungs- bzw. Kostenarten dort lediglich
beispielhaft genannt werden, wie das Wort „insbesondere“ zeigt. Einer durch diese
„Regelbeispielstechnik“ möglichen Ausuferung von Kostenbelastungen der
Untergebrachten wird durch das Korrektiv, dass eine Beteiligung nur „in angemessener
Höhe“ stattfinden darf, und durch die Regelung des § 52 Abs. 3 JVollzGB V ausreichend
begegnet, wonach von der Erhebung von Kostenbeiträgen abzusehen ist, soweit dies
notwendig ist, um die Erreichung der Vollzugsziele nicht zu gefährden. In Bezug auf die
Anwendung des § 52 Abs. 3 JVollzGB V besteht kein Ermessen der Justizvollzugsanstalt,
wie durch die Formulierung „ist abzusehen“ deutlich gemacht wird. Der Hinweis des
Antragstellers, dass auch nach Auffassung des OLG Hamburg (a. a. O.) eine Beteiligung
nur an den Stromkosten, mithin den reinen Energiekosten, zulässig sei, ist in diesem
Zusammenhang unbehelflich, weil der Wortlaut der dortigen Landesnorm ein anderer ist. §
49 Abs. 3 HmbStVollzG lautet nämlich: „Die Gefangenen können in angemessenem
Umfang an den Stromkosten beteiligt werden, die durch die Nutzung der in ihrem Besitz
befindlichen Gegenstände entstehen.“ Eine lediglich beispielhafte Aufzählung, wie sie in §
52 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 1 bis 5 JVollzGB V vorgenommen wurde, enthält das hamburgische
Landesrecht hingegen nicht.
15 Im Übrigen entspräche eine entsprechende Kostenbeteiligung auch dem
Angleichungsgrundsatz (§ 2 Abs. 3 Satz 1 JVollzGB V), da es den außerhalb des Vollzugs
herrschenden allgemeinen Lebensverhältnissen entspricht, z.B. anfallende Gebühren zu
zahlen und für etwa erforderliche Reparaturen Rücklagen zu bilden (ähnlich Arloth,
StVollzG, 3. Auflage, Erl. zu § 9 JVollzGB I).
16 3. Der Beschluss der Strafvollstreckungskammer war daher aufzuheben und die Sache an
diese zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts in Bezug auf die angesprochenen
Berechnungsgrundlagen für die streitgegenständlichen Pauschalen zurückzuverweisen.
Ob hierfür das von dem Antragsteller beantragte Sachverständigengutachten erforderlich
ist oder ob z.B. schlichte Auskünfte der Antragsgegnerin ausreichen, wird die
Strafvollstreckungskammer zu beurteilen haben.