Urteil des OLG Karlsruhe vom 21.08.2014

OLG Karlsruhe: gesellschaft, stadt, überzeugung, verfügung, vollmachten, eigenkapital, auskunft, unterbilanz, zustellung, fristbeginn

OLG Karlsruhe Beschluß vom 21.8.2014, 11 Wx 92/13
Leitsätze
Vermögenslosigkeit im Sinne des § 394 Abs. 1 FamFG ist nicht mit Unterbilanz, Überschuldung
oder Masselosigkeit gleichzusetzen; sie liegt nur vor, wenn nach kaufmännischer-wirtschaftlicher
Betrachtungsweise überhaupt keine Zugriffs- und Verteilungsmasse für die Gläubiger zur
Verfügung steht.
Gründe
1
Zum Sachverhalt
2 Die Gesellschaft wendet sich gegen ihre beabsichtigte Amtslöschung wegen
Vermögenslosigkeit. Gegenstand der (…) Gesellschaft ist insbesondere der Groß- und
Einzelhandel mit Blumen und Pflanzen aller Art (…).
3 Mit Verfügung vom 25. Januar 2010 untersagte die Stadt K. den Beteiligten zu 1 und 2
nach § 35 Abs. 1 GewO die weitere selbstständige Ausübung des Gewerbes „Großhandel
mit Blumen und Pflanzen aller Art“ sowie die Ausübung aller anderen Gewerbe, für die §
35 Abs. 1 GewO gilt. Grund hierfür waren erhebliche Steuerrückstände, die in dem
Bescheid gegenüber dem Finanzamt mit 142.886,36 EUR und gegenüber der Stadt K. mit
7.126,77 EUR beziffert wurden. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies das
Regierungspräsidium K. am 18. April 2011 zurück. Gegen diese Bescheide haben die
Beteiligten zu 1 und 2 beim Verwaltungsgericht Karlsruhe am 23. Mai 2011 Klage
erhoben. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 27.
September 2011 schlossen die Beteiligten einen Vergleich, wonach die Kläger ihre
Klagen zurücknehmen, die beklagte Stadt einstweilen auf die Vollstreckung der
Gewerbeuntersagungsverfügungen sowie die Meldung an das Gewerbezentralregister
verzichtet und sich bereit erklärt, vor Ablauf der Jahresfrist des § 35 Abs. 6 GewO das
Wiedergestattungsverfahren auf Antrag einzuleiten.
4 Mit Verfügung vom 28. Juni 2013 teilte das Amtsgericht Mannheim dem Beteiligten zu 2
mit, dass es beabsichtigt, die Gesellschaft wegen Vermögenslosigkeit von Amts wegen im
Handelsregister zu löschen. Zur Geltendmachung eines Widerspruchs wurde eine Frist
von einem Monat gesetzt. Durch Telefax vom 21. Juli 2013 wurde dem Amtsgericht ein auf
dem Briefpapier der Beteiligten zu 1 geschriebener Widerspruch mit unleserlicher
Unterschrift übermittelt. Mit Schreiben vom 22. Juli 2013 bat das Amtsgericht um
Klarstellung, wer das Widerspruchsschreiben unterschrieben habe. Durch Schreiben vom
12. August 2013 teilte der Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten zu 1 mit, dass die
Gesellschaft nicht vermögenslos sei und auch im Hinblick auf die gewerberechtlichen
Verfahren kein Grund für eine Amtslöschung bestehe. Gleichzeitig wurde die Bilanz des
Steuerberaters für 2012 vorgelegt, die u.a. Aktiva von 247.224,47 EUR (darunter
Sachanlagen 1 EUR, Vorräte 18.367,50 EUR, Forderungen aus Lieferungen und
Leistungen 24.657,91 EUR, sonstige Vermögensgegenstände 80.644,61 EUR,
Kassenbestand 6.819,70 EUR sowie ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag
von 116.713,75 EUR), Eigenkapital von 0 EUR sowie Verbindlichkeiten von 247.224,47
EUR aufweist. Mit Schreiben vom 13. August 2013 bat das Amtsgericht den
Verfahrensbevollmächtigten um Nachreichung der Vollmacht.
5 Das Amtsgericht hat durch Beschluss vom 3. September 2013 den Widerspruch gegen die
Löschungsankündigung zurückgewiesen. Der Widerspruch sei mangels hinreichender
Legitimation unzulässig. Außerdem habe die vorgelegte Bilanz die Vermögenslosigkeit
bestätigt. Ein Zustellungsnachweis ist in der Akte nicht vorhanden. Durch Schriftsatz vom
8. Oktober 2010 legte der Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten zu 1 Beschwerde ein.
Dabei rügte er, das Schreiben vom 13. August 2014 nicht erhalten zu haben, und
wiederholte sein Vorbringen, dass die Gesellschaft nicht vermögenslos sei. Der
Beschwerdeschrift waren Vollmachten beigefügt.
6 Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem
Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt. Im Laufe des Beschwerdeverfahrens
wurden Auskünfte des Finanzamts K. und des Amtsgerichts K. - Schuldnerverzeichnis -
eingeholt. Weiterhin reichte die Beteiligte zu 1 ihren Jahresabschluss zum 31. Dezember
2013 ein. Schließlich versicherte der Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten zu 1, dass
die ihm gegenüber erteilten Vollmachten vom Beteiligten zu 2 unterschrieben worden
seien (…).
7
Aus den Gründen
8 1. Die Beschwerde ist zulässig.
9 Sie ist gemäß §§ 394 Abs. 3, 393 Abs. 3 Satz 2 FamFG statthaft.
10 Die Beschwerde ist auch fristgerecht eingelegt, da sich wegen des fehlenden Nachweises
der Zustellung des Beschlusses vom 3. September 2013 der Fristbeginn nach § 63 Abs. 3
Satz 2 bemisst (Keidel/Sternal, FamFG 18. Aufl. § 63 Rn. 27).
11 Die Beteiligte zu 1 ist als Widerspruchsführerin beschwerdebefugt (vgl. Bahren-fuss/Steub,
FamFG 2. Aufl. § 394 Rn. 24). Dabei kann es dahinstehen, wer das
Widerspruchsschreiben vom 20. Juni 2013 unterzeichnet hat, da das Schreiben des
Verfahrensbevollmächtigten vom 12. August 2018 gleichermaßen als Widerspruch
aufzufassen ist. Unerheblich ist, dass insoweit die in der Löschungsankündigung vom 28.
Juni 2013 gesetzte Frist von einem Monat versäumt wurde, da ein Widerspruch auch dann
zu berücksichtigen ist, wenn er verspätet aber vor Löschung beim zuständigen
Registergericht eingeht (Bahrenfuss/Streub, FamFG 2. Aufl. § 394 Rn. 16; OLG Köln,
Rpfleger 1994, 360; BayObLGZ 1977, 320, 323). Unter Berücksichtigung der anwaltlichen
Versicherung vom 4. August 2014 sind die vorgelegten Vollmachten als vom Beteiligten
zu 2 unterschrieben zu betrachten, der ausweislich einer am 14. August 2014 eingeholten
Registerauskunft weiterhin als Geschäftsführer der Beteiligten zu 1 eingetragen ist.
12 2. In der Sache hat die Beschwerde Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen
Entscheidung. Von einer Vermögenslosigkeit der Beteiligten zu 1 kann nicht ausgegangen
werden.
13 a) § 394 Abs. 1 FamFG erlaubt die Löschung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung,
wenn sie kein Vermögen besitzt. Das ist dann der Fall, wenn es an einer
verteilungsfähigen Masse, die zur Gläubigerbefriedigung verwertbar wäre, fehlt; schon das
Vorhandensein von Vermögen auch nur in geringem Umfang steht der Annahme der
Vermögenslosigkeit entgegen (OLG Düsseldorf, FGPrax 2006, 226 f.; OLG Karlsruhe,
NJW-RR 2000, 630; BayObLG, ZIP 1984, 175 f.). Der Begriff der Vermögenslosigkeit deckt
sich daher nicht mit den Begriffen der Unterbilanz, der Überschuldung und der
Masselosigkeit (Altmeppen/Roth, GmbHG 7. Aufl. § 75 Rn. 53; Haußleiter/Schemmann,
FamFG § 394 Rn. 4; Scholz/Schmidt/Bitter, GmbHG 10. Aufl. § 60 Rn. 49; vgl. auch KG,
FamFG § 394 Rn. 4; Scholz/Schmidt/Bitter, GmbHG 10. Aufl. § 60 Rn. 49; vgl. auch KG,
FGPrax 2007, 237). Vermögenslosigkeit liegt daher nur vor, wenn nach kaufmännischer-
wirtschaftlicher Betrachtungsweise überhaupt keine Zugriffs- und Verteilungsmasse mehr
für die Gläubiger zur Verfügung steht (Scholz/Schmidt/Bitter aaO).
14 b) In verfahrensrechtlicher Hinsicht muss das Registergericht wegen der
schwerwiegenden Folgen der Löschung die Voraussetzungen für die Annahme einer
Vermögenslosigkeit besonders genau und gewissenhaft prüfen und die erforderlichen
Tatsachen von Amts wegen ermitteln. Die bloße Überzeugung des Gerichts von der
Vermögenslosigkeit genügt nicht; die Überzeugung muss vielmehr auf ausreichenden
Ermittlungen beruhen (OLG Düsseldorf, FGPrax 2013, 33 f; OLG Karlsruhe, NJW-RR
2000, 630; Baumbach/Hueck/Haas, GmbHG 20. Aufl. Anh. § 77 Rn. 9). Eine unterlassene
Darlegung des Geschäftsführers ist in diesem Zusammenhang kein hinreichendes Indiz
(OLG Düsseldorf, FGPrax 2011, 134; BayObLG, ZIP 1984, 175 f.).
15 c) Nach diesen Maßstäben besteht keine hinreichende Überzeugung von der
Vermögenslosigkeit der Beteiligten zu 1.
16 aa) Die Gewerbeuntersagung der Stadt K. vom 27. März 2013 stützt sich auf erhebliche
Steuerrückstände. Erhebliche Steuerschulden oder eine fehlende Zahlungsmoral
rechtfertigen für sich genommen jedoch noch nicht die Annahme von Vermögenslosigkeit
(Keidel/Heinemann, FamFG 18. Aufl. § 394 Rn. 7; Krafka/Kühn, Registerrecht 9. Aufl. Rn.
432; OLG Düsseldorf, FGPrax 2013, 33 f).
17 bb) Entgegen der Ansicht des Registergerichts belegt die vorgelegte Bilanz für das Jahr
2012 nicht die Vermögenslosigkeit; im Gegenteil weist sie - und darauf ist abzustellen -
noch Forderungen, sonstige Vermögensgegenstände und einen Kassenbestand in
nennenswerter Höhe aus. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Bilanz unzutreffend ist,
sind nicht ersichtlich.
18 cc) Die weiteren Ermittlungen durch das Beschwerdegericht führen zu keinem anderen
Ergebnis.
19 (1) Die Auskunft des Finanzamts K. vom 6. Februar 2014 weist zwar erhebliche Ausstände
von 156.759,15 EUR auf. Darauf kommt es für sich genommen - wie oben dargelegt -
jedoch nicht an. Zwar wird in dem Bericht von früheren erfolglosen
Vollstreckungsversuchen berichtet, weshalb im Jahr 2009 bei der Stadt K. ein
Gewerbeuntersagungsverfahren eingeleitet worden sei. Gleichzeitig wird jedoch bestätigt,
dass die Beteiligte zu 1 im Jahr 2013 rund 21.000 EUR Steuerschulden beglichen hat. Bei
der Prüfung der Vermögenslosigkeit ist auf die jetzigen Verhältnisse abzustellen (OLG
Hamm, NJW-RR 1992, 547, 549; Haußleiter/Schemmann, FamFG § 394 Rn. 18). Daher ist
allein der zeitlich letzte Umstand der erheblichen Steuerrückzahlung im Jahr 2013 bei der
Bewertung der derzeitigen Vermögenssituation maßgebend.
20 (2) Nach Auskunft des Schuldnerverzeichnisses beim Amtsgericht K. besteht keine
Eintragung im Schuldnerverzeichnis. Entgegenstehende Erkenntnisse ergeben sich auch
nicht aus dem Vollstreckungsportal der Länder.
21 (3) Die vorgelegte Bilanz für 2013 zeigt wiederum Vorräte, Forderungen und sonstige
Vermögensgegenstände sowie einen Kassenbestand auf, die zusammen genommen
unter dem Gesichtspunkt der Vermögenslosigkeit hinreichendes verteilungsfähiges
Vermögen darstellen.
22 (4) Bei dieser Sachlage kommt es nicht entscheidend darauf an, dass die Beteiligte zu 1
der Auflage zur Vorlage von Fahrzeugpapieren nicht nach gekommen ist.
23 dd) Auch bei würdigender Gesamtbetrachtung aller Umstände mögen die ermittelten
Erkenntnisse zwar eine krisenhafte Situation der Beteiligten zu 1 belegen, die
Überzeugung von einer Vermögenslosigkeit i.S.d. § 394 Abs. 1 FamFG lässt sich hieraus
jedoch nicht gewinnen. (…)