Urteil des OLG Hamm vom 26.06.2009

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Oberlandesgericht Hamm, 20 U 210/08
Datum:
26.06.2009
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
20. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
20 U 210/08
Vorinstanz:
Landgericht Siegen, 5 O 156/08
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 15.10.2008 verkündete Urteil
der 5. Zivil¬kammer des Landgerichts Siegen wird auf Kosten der
Klägerin zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar
Gründe:
1
I.
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Die Klägerin hatte bei der Beklagten einen Lebensversicherungsvertrag abgeschlossen.
Ausweislich des Versicherungsscheins (Bl. 8 f. d.A.) vom 20.10.1982 mit der
Nr. ######### waren u. a. folgende Vereinbarungen getroffen worden:
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- Beginn der Versicherung 01.11.1982; Ablauf der Versicherung 01.11.2007; Beitrag
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328,65 DM monatlich
5
- Versicherungssumme 105.000,00 DM (entspricht 53.685,65 €)
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- der Versicherungsschutz erhöht sich um die Leistungen aus der Überschussbe-
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teiligung.
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Zudem war unstreitig die Geltung der allgemeinen Versicherungsbedingungen für die
Lebensversicherung der Beklagten (AVB) vereinbart worden.
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Es kam in der Folgezeit zu 3 Nachträgen.
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Im Nachtrag vom 16.08.1994 (Bl.10) heißt es u. a.:
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"Art der Änderung
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Der Vertrag wird durch Nachzahlung der Beiträge wiederhergestellt. Wir gehen davon
aus, dass die Abtretung oder Verpfändung im ursprünglichen Umfang auch wieder für
das wiederhergestellte Vertragsverhältnis gilt. Sollte dies nicht zutreffen, bitten wir
innerhalb von 2 Wochen um ihre Nachricht.
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Versicherungsschutz
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105.000,00 DM Versicherungssumme bei Tod, spätestens bei Ablauf
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Beteiligung
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Der Versicherungsschutz erhöht sich um Leistungen aus der Überschussbeteiligung
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Die Überschussbeteiligung, die beitragsfreie Versicherungssumme, sowie die
Rückkaufswerte richten sich wieder nach der obigen Versicherungssumme unter
Berücksichtigung des versicherungstechnischen Beginns 01.11.1983."
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Im zweiten Nachtrag vom 12.04.1995 heißt es u. a. (Bl. 31):
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"Art der Änderung
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Mit Ablauf auf der in unserem Mahnschreiben gesetzte Nachfrist wurde die
Versicherung beitragsfrei gestellt.
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Eventuell eingeschlossene Zusatzversicherungen sind erloschen.
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Versicherungsschutz
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70.545,00 DM Versicherungssumme bei Tod, spätestens bei Ablauf
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Die beitragsfreie Versicherungssumme wurde unter Einbeziehung der aus der
Überschussbeteiligung zur Verfügung stehenden Werte ermittelt.
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Überschussbeteiligung
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Der Versicherungsschutz erhöht sich um die Leistungen aus der künftigen
Überschussbeteiligung."
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Im dritten und letzten Nachtrag vom 13.06.1995 heißt u. a. (Bl. 43):
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"Art der Änderung
29
Ein Teil der zum 01.06.1995 vorhandenen Werte der Überschussbeteiligung in Höhe
von 3.535,86 DM wird ausgezahlt.
30
Versicherungsschutz
31
65.691,00 DM Versicherungssumme bei Tod, spätestens bei Ablauf."
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Während der Vertragslaufzeit erhielt die Klägerin Überschussmitteilungen, so u. a. vom
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24.02.1992 (Bl. 12) und 21.02.1994 (Bl. 11). Darin heißt es jeweils:
"Die Überschussbeteiligung für ihre Versicherung erfolgt nach dem Bonussystem.
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Das bedeutet, dass die jährlich anfallenden Überschussanteile zur Bildung zusätzlicher
beitragsfreier Versicherungssummen (Bonusse) verwendet werden."
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Bei Fälligkeit zum 01.11.2007 zu Lebzeiten der Klägerin rechnete die Beklagte den
Lebensversicherungsvertrag wie folgt ab:
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Lebensfallsumme
27.291,00 €
Wert aus dem Überschuss
21.144,00 €
insgesamt
48.435,00 €
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Diese Abrechnung hat die Klägerin für unzutreffend gehalten, da sich der letzte
Nachtrag auf eine Versicherungssumme von 65.691,00 DM entsprechend 33.587,27 €
belaufe. Davon hat sie die abgerechnete Lebensfallsumme in Höhe von 27.291,00 €
(entspricht 53.376,56 DM) abgezogen und ist zu einer restlichen Versicherungssumme
von 6.296,27 € (entspricht 12.315,00 DM) gekommen. Zudem hat sie gemeint, dass ihr
daraus noch ein weiterer Überschuss zustehe. Diesen hat sie aus dem Verhältnis der
Überschussbeteiligung zur Lebensfallsumme gerechnet, nämlich 77 % multipliziert mit
6.296,27 € = 4.848,13 €. Aus der Summe von 6.296,27 € und 4.848,13 € hat sie die
Klageforderung errechnet.
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Die Beklagte hat die Richtigkeit der klägerischen Rechnung bestritten.
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Die im Juni 1995 mit 3. Nachtrag mitgeteilte Versicherungssumme in Höhe von
65.691,00 DM habe bereits die bis dahin erwirtschafteten Überschussanteile enthalten.
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Der 2. Nachtrag aus April 1995 sei insoweit eindeutig und habe der Klägerin in korrekter
Weise mitgeteilt, wie die neue beitragsfreie Versicherungssumme errechnet werde und
welche Werte sie beinhalte.
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Dem von der Klägerin in Bezug genommene 3. Nachtrag aus Juni 1995 fehle in der Tat
der Hinweis, wie er im Nachtrag aus April 1995 erfolge, dass nämlich die
Versicherungssumme unter Einbeziehung bisheriger Überschüsse berechnet worden
sei und sich die Versicherungssumme daher lediglich noch um künftige Überschüsse
erhöhen könne. Dieser 3. Nachtrag sei jedoch im Zusammenhang mit den vorherigen
Urkunden, also insbesondere dem Nachtrag zur Beitragsfreistellung vom 12.04.1995 zu
sehen.
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Die Klägerin habe nach Ablauf des Versicherungsvertrages alles erhalten, was ihr
zustehe.
43
Das
Landgericht
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Der Klägerin stehe kein weiterer Zahlungsanspruch gegen die Beklagte zu.
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Ohne Erfolg berufe sie sich dazu auf die Vermutung zur Richtigkeit eines
Versicherungsscheins. Zum Einen gehe es hier nur um einen weiteren Nachtrag, zum
Anderen enthalte schon § 3 VVG keinen Hinweis, dass die Versicherungssumme allein
daraus verbindlich und festlegend abgeleitet werden könne.
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Auch ergebe sich dies aus dem Text des Nachtrages vom 13.06.1995, der im Abschnitt
oberhalb der Versicherungssumme auf die Auszahlung der Überschussbeteiligung
hinweise. Der weitere Hinweis, wie in dem vorangegangenen Nachtrag, fehle zwar,
könne jedoch nicht unberücksichtigt bleiben. Insoweit sei die Zusammensetzung der
mitgeteilten Versicherungssumme als fortgeschrieben anzusehen.
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Die
Klägerin
im letzten Nachtrag vom 13.06.1995 der Inhalt des Versicherungsschutzes wie folgt
definiert worden sei:
48
65.691,00 DM Versicherungssumme bei Tod, spätestens bei Ablauf.
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Obwohl der vorgenannte Betrag in Euro 33.587,27 ausmache, rechne die Beklagte bei
Ablauf des Versicherungsvertrages die Lebensfallsumme mit einem Betrag von
27.291,00 € ab und berechne die Überschusssumme auch nur aus diesem Betrag.
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Entgegen der Auffassung des Landgerichts könne sie sich auf die Richtigkeit des
Versicherungsscheines berufen. Offensichtlich vertrete das Landgericht Siegen die
Auffassung, dass es sich bei einem Nachtrag nicht um einen Versicherungsschein
handele. Dies sei jedoch falsch. Die Billigungsklausel nach § 5 VVG gelte auch für
Nachträge.
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Die Klägerin beantragt,
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unter Abänderung des angefochtenen Urteils
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1.
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die Beklagte zu verurteilen, an sie 11.144,39 € nebst 5 Prozentpunkte Zinsen
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über dem Basiszinssatz seit dem 17.11.2007 zu zahlen;
56
2.
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an sie einen Gebührenschaden in Höhe von 837,52 € nebst 5 Prozentpunkten
58
Zinsen seit Zustellung der Klage zu zahlen.
59
Hilfsweise beantragt sie,
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unter Abänderung des angefochtenen Urteils festzustellen, dass die Beklagte
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verpflichtet sei, die Überschussbeteiligung aus 33.587,27 € zu berechnen und
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ihr mitzuteilen.
63
Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt das angefochtene Urteil, indem sie ihr erstinstanzliches Vorbringen
wiederholt und vertieft.
66
Sie habe in dem Nachtrag vom 13.06.1995 mit dem Betrag von 65.691,00 DM
richtigerweise die Versicherungssumme benannt, welche sich nach teilweiser
Auszahlung der Überschussbeteiligung und unter Einbeziehung der bis dahin
erwirtschafteten und noch nicht ausgezahlten Überschüsse errechnet habe. Künftig
noch zu erwartende Überschüsse hätten darin naturgemäß nicht ausgewiesen werden
können.
67
Zudem hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 05.06.2009 die Berechnung der
Versicherungssumme zusammengefasst dargestellt.
68
II.
69
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Urteil des Landgerichts erweist sich im
Ergebnis als zutreffend.
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Der geltend gemachte Anspruch auf weitere Leistung aus der Lebensversicherung vom
20.10.1982 ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt begründet.
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Die Beklagte hat den Anspruch der Klägerin auf Versicherungsleistung mit Zahlung von
48.537,00 € an die Klägerin im November 2007 erfüllt, § 362 Abs. 1 BGB.
72
1.
73
In ihrem Schriftsatz vom 05.06.2009 nebst Anlagen (Bl. 96 ff. d. A.) hat die Beklagte die
Entwicklung des Lebensversicherungsvertrages unter Berücksichtigung der
Beitragsfreistellung im April 1995 und ausgezahlter Überschüsse in Höhe von
3.535,86 DM im Juni 1995 im Einzelnen dargestellt. Diese Darstellung ist schlüssig.
Fehler oder Widersprüche sind nicht zu erkennen und von der Klägerin auch nicht
geltend gemacht bzw. aufgezeigt worden.
74
2.
75
Aus dem Nachtrag vom 13.06.1995 (Bl. 43 d. A.) ergibt sich – entgegen der Auffassung
der Klägerin – keine andere Berechnung der Versicherungsleistung. Insbesondere ist
der letzte Nachtrag (Bl. 43 d. A.) nicht dahingehend zu verstehen, dass es sich bei den
dort ausgewiesenen 65.691,00 DM um die "Netto"-Erlebensfallsumme handele, wozu
die während der gesamten Vertragsdauer angesammelten Überschussanteile zu
addieren seien.
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Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Nachtrages, der unter "Art der Änderung"
die Klägerin darauf hinweist, dass zum 01.06.1995 ein Teil der Überschussbeteiligung
in Höhe von 3.535,86 DM ausgezahlt worden seien. Aus dieser Formulierung ist zu
schließen, dass die sodann unter "Versicherungsschutz" genannte Summe in Höhe von
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65.691,00 DM die bislang angefallenen Überschussanteile beinhaltet.
Entsprechendes ergibt sich aus dem zweiten Nachtrag vom 12.04.1995 (Bl. 31 d. A.),
der zum Verständnis des dritten Nachtrages vom 13.06.1995 (Bl. 43 d. A.) zu
berücksichtigen ist. Dort wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die beitragsfreie
Versicherungssumme unter Einbeziehung der aus der Überschussbeteiligung zur
Verfügung stehenden Werte ermittelt worden sei und der Versicherungsschutz sich (nur
noch) um die Leistungen aus der künftigen Überschussbeteiligung erhöhen werde. Ein
durchschnittlicher, verständiger Versicherungsnehmer muss diesen Hinweis auch auf
den ca. zwei Monate später erfolgten Nachtrag vom 13.06.1995 beziehen.
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Hinzu kommt, dass in jenem Nachtrag vom 12.04.1995 die Versicherungssumme mit
70.545,00 DM (unter Einbeziehung der aus der Überschussbeteiligung zur Verfügung
stehenden Werte) angegeben worden ist und nach Auszahlung von 3.535,86 DM aus
der Überschussbeteiligung die verbleibende Versicherungssumme (einschließlich der
Überschussbeteiligung) grob gerechnet etwa jenen Betrag ausmacht, der sodann im
Nachtrag vom 13.06.1995 (Bl. 43 d. A.) angegeben worden ist. Aufgrund dieser
Überlegung konnte die Klägerin nicht davon ausgehen, dass zu den 65.691,00 DM noch
Werte aus der während der gesamten Vertragsdauer angesparten
Überschussbeteiligung addiert werden würden. Sie hätte dann nach Entnahme aus der
Überschussbeteiligung besser dagestanden als vorher. Dies konnte nicht richtig sein,
was die Klägerin auch ohne weiteres hätte erkennen können.
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Tatsächlich hat die Klägerin den letzten Nachtrag vom 13.06.1995 auch so verstanden,
wie er gemeint war. Denn auf entsprechende Frage des Vorsitzenden im Senatstermin
hat sie erklärt, dass sie die dort angegebene Versicherungssumme in Höhe von
65.691,00 DM als die damals garantierte Versicherungssumme verstanden habe.
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Tatsächlich waren im Juni 1995 aus der Lebensversicherungssumme bereits 65.691,00
DM (entspricht ca. 33.582,27 €, Lebensfallsumme und Überschuss) erwirtschaftet
worden. In der weiteren Vertragslaufzeit bis November 2007 wurde ein weiterer
Überschuss in Höhe von ca. 14.847,00 € erwirtschaftet, der den 33.587,27 € (65.691,00
DM) zugeschlagen wurde.
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Im Ergebnis hat die Klägerin also das bekommen, was ihr im Nachtrag vom 13.06.1995
seitens der Beklagten zugesagt worden ist.
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3.
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Aufgrund der Ausführungen unter 1) und 2) hat auch der Hilfsantrag der Klägerin keinen
Erfolg.
84
III.
85
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
86
Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst. Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2
ZPO liegen nicht vor; es geht vorliegend um die Auslegung eines konkreten
Versicherungsscheins–Nachtrags – eine grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 543 ZPO
kommt dem nicht zu.
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