Urteil des OLG Hamm vom 15.10.2010

OLG Hamm (zpo, zeitlicher zusammenhang, auflage, zuständigkeit, sache, scheidung, trennung, antrag, beschwerde, verweisung)

Oberlandesgericht Hamm, II-4 WF 123/10
Datum:
15.10.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
4. Senat für Familiensachen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
II-4 WF 123/10
Vorinstanz:
Amtsgericht Olpe, 22 F 197/10
Schlagworte:
Zum Zusammenhang mit der Scheidung bei einer sonstigen
Familiensache gem. § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG
Normen:
§ 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG
Leitsätze:
Die Einordnung einer Streitigkeit als sonstige Familiensache gem. § 266
Abs. 1 Nr. 3 FamFG erfordert nur einen inhaltlichen, nicht auch einen
zeitlichen Zusammenhang mit der Ehe.
Tenor:
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des
Amtsgerichts – Familiengericht – Olpe vom 26.05.2010 aufgehoben. Die
Sache wird zur erneuten Entscheidung über den
Verfahrenskostenhilfeantrag der Antragstellerin an das Amtsgericht
zurückverwiesen.
Das Amtsgericht wird angewiesen, das Verfahrenskostenhilfegesuch
nicht wegen fehlender Zuständigkeit des Amtsgerichts – Familiengericht
– Olpe zurückzuweisen.
Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben,
außergerichtliche Kosten nicht erstattet.
Gründe:
1
I.
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Die seit 2004 voneinander geschiedenen Parteien sind Miteigentümer eines Hauses in
E, das nach der Scheidung zunächst vom Antragsgegner bewohnt und später vermietet
wurde. Inzwischen hat die Antragstellerin beim Amtsgericht Dorsten die
Teilungsversteigerung der Immobilie beantragt. Eine Innenbesichtigung des Objekts
durch einen im Versteigerungsverfahren beauftragten Sachverständigen war bisher aus
streitiger Ursache nicht möglich.
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Die Antragstellerin hat im vorliegenden Verfahren bei dem für den gewöhnlichen
Aufenthalt des Antragsgegners zuständigen Familiengericht Verfahrenskostenhilfe für
verschiedene Anträge beantragt, mit denen sie u. a. Rechenschaftslegung,
Ermöglichung einer Innenbesichtigung und die Löschung von Belastungen im
Grundbuch erstrebt.
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Das Amtsgericht hat den Antrag zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, das
Familiengericht sei sachlich nicht zuständig. Zwar sei das Familiengericht nach
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§ 266 Abs. 1 Nr. 2 FamFG zuständig für aus der Ehe herrührende Ansprüche, die jedoch
noch einen zeitlichen Bezug zur Ehe haben müssten. Hier gehe es um Ansprüche, die
erst Jahre nach der Trennung und Scheidung entstanden sein. Zuständig sei angesichts
des von der Antragstellerin angegebenen Streitwertes von 26.000 € auch nicht das
Amtsgericht, sondern das Landgericht.
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In ihrer hiergegen eingelegten Beschwerde vertritt die Antragstellerin weiterhin die
Auffassung, es handele sich um eine Familiensache.
7
II.
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Die gem. §§ 76 Abs. 2 FamFG, 127 Abs. 2 S. 2 ZPO zulässige Beschwerde ist
begründet, denn eine Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung kann nicht
wegen fehlender Zuständigkeit des angerufenen Familiengerichts verneint werden. Das
Rechtsmittel führt daher zu einer Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und einer
Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.
9
1.
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Trotz der gem. §§ 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO, 5 Abs. 1 Nr. 3 und 4 FamFG grundsätzlich
bereits im Rahmen eines VKH-Prüfungsverfahren möglichen Entscheidung eines so
genannten negativen Kompetenzkonfliktes (vgl. dazu BGH NJW-RR 1994, 706) ist es
allerdings nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht die Frage der Zuständigkeit nicht
vor der Entscheidung über den Verfahrenskostenhilfeantrag geklärt, sondern den
Verfahrenskostenhilfeantrag beschieden hat.
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Denn die Antragstellerin hat – auch hilfsweise – keinen Antrag auf Verweisung der
Sache an das ggf. zuständige Gericht beantragt; da dies auch im Rahmen des
Beschwerdeverfahrens nicht geschehen ist, ist davon auszugehen, dass die
Antragstellerin auch nach einem (grundsätzlich gebotenen) Hinweis des Amtsgerichts
keinen Verweisungsantrag gestellt hätte. Von Amts wegen kam eine Verweisung der
Sache an ein anderes Gericht nicht in Betracht, denn § 281 Abs. 1 ZPO erfordert hierfür
(anders als § 3 Abs. 1 FamFG) einen Antrag, und die Klärung von Zuständigkeitsfragen
in Familienstreitsachen – zu denen gem. § 112 Nr. 3 FamFG auch die sonstigen
Familiensachen nach § 266 Abs. 1 FamFG gehören – richtet sich gem. § 267 Abs. 2
FamFG nach den Vorschriften der ZPO.
12
2.
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Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts handelt es sich bei der von der
Antragstellerin eingeleiteten Streitigkeit jedoch um eine Familiensache im Sinne von §
266 Abs. 1 FamFG, so dass das angerufene Familiengericht hier zuständig ist.
14
a)
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Zwar macht die Antragstellerin keine aus der Ehe herrührenden Ansprüche im Sinne
von § 266 Abs. 1 Nr. 2 FamFG geltend, doch zu den sonstigen Familiensachen gehören
gem. § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG auch Verfahren, die Ansprüche zwischen ehemals
miteinander verheirateten Personen im Zusammenhang mit der Trennung oder
Ehescheidung betreffen. Im Verhältnis der ehemaligen Ehegatten zueinander erfasst
Abs. 1 Nr. 3 u. a. Verfahren im Zusammenhang mit einer Miteigentumsgemeinschaft der
Eheleute hinsichtlich der weiteren Nutzung, der Zahlung eines Nutzungsentgeltes, der
Lastentragung und der Auflösung der Gemeinschaft (vgl. Giers in Keidel, FamFG, 16.
Auflage, § 266 Rn. 14).
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In der Literatur umstritten ist die Frage, ob neben einem inhaltlichen auch ein zeitlicher
Zusammenhang mit der Ehe zu fordern ist (so Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 31.
Auflage, § 266 FamFG Rn. 5). Die Gesetzesverfasser haben hierzu ausgeführt, der
Begriff des Zusammenhangs habe sowohl eine inhaltliche als auch eine zeitliche
Komponente; die zeitliche Komponente hat jedoch im Gegensatz zur inhaltlichen im
Gesetzeswortlaut keinen Niederschlag gefunden. Zudem ist das Kriterium einen
"zeitlichen Zusammenhangs" inhaltlich nicht bestimmbar; eine hiervon abhängende
Zuständigkeit des Familiengerichts wäre hochgradig unsicher und hätte von den
Gesetzesverfassern gerade nicht gewollte Auseinandersetzungen der Parteien über die
Zuständigkeit des Familiengerichts zur Folge (vgl. Erbarth im Münchner Kommentar zur
ZPO, 4. Auflage, § 266 FamFG Rn. 26 m. w. N.; Lorenz in Zöller, ZPO, 28. Auflage, §
266 FamFG Rn. 17; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 68. Auflage, § 266
FamFG Rn.). Der Senat folgt deshalb der in der Fachliteratur ganz überwiegend
vertretenen Auffassung, wonach allein ein inhaltlicher Zusammenhang mit der
Trennung, Scheidung oder Auflösung der Ehe zu fordern ist.
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b)
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Dieser ist im Streitfall ohne weiteres zu bejahen; die von der Antragstellerin geltend
gemachten Ansprüche ergeben sich aus der Miteigentümerstellung der Parteien. Sie
dienen der Entflechtung der durch die Ehe entstandenen Lebensverhältnisse und
stehen deshalb im Zusammenhang mit der Trennung und Scheidung.
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3.
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Mit der Frage, ob die Anträge auch in materiell-rechtlicher Hinsicht hinreichende
Aussicht auf Erfolg haben, hat sich das Amtsgericht nicht befasst; gleiches gilt für die
wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerin. Der Senat sieht keine Veranlassung,
die dem Amtsgericht insoweit obliegenden Prüfungen an sich zu ziehen, weshalb er die
Sache zur erneuten Entscheidung über den Verfahrenskostenhilfeantrag der
Antragstellerin an das Amtsgericht zurückverweist.
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