Urteil des OLG Hamm vom 10.09.2007

OLG Hamm: gefahr im verzug, unterbringung, eingriff in grundrechtspositionen, anhörung, genehmigung, unterlassen, chronifizierung, freiheitsentziehung, wehr, intervention

Oberlandesgericht Hamm, 15 W 235/07
Datum:
10.09.2007
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
15. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
15 W 235/07
Vorinstanz:
Landgericht Paderborn, 5 T 180/06 + 181/06
Tenor:
Auf die sofortige weitere Beschwerde wird festgestellt, dass die
vormundschaftsgerichtliche Genehmigung der geschlossenen
Unterbringung der Betroffenen durch den Beschluss des Amtsgerichts
Lippstadt vom 18.4.2007 rechtswidrig war.
Im Übrigen werden die weitere und die sofortige weitere Beschwerde
zurückgewiesen.
G r ü n d e :
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Die weitere Beschwerde der Betroffenen gegen die Anordnung der vorläufigen
Betreuung ist nach den §§ 27, 29 FGG statthaft sowie formgerecht, die gegen die
Genehmigung der einstweiligen Unterbringung gerichtete sofortige weitere Beschwerde
zudem fristgerecht (§§ 70m Abs. 1, 70g Abs. 3 S. 1, 29 Abs. 2, 22 FGG), eingelegt. Ihre
Beschwerdebefugnis folgt bereits daraus, dass ihre ersten Beschwerden ohne Erfolg
geblieben sind.
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Der Zulässigkeit der sofortigen weiteren Beschwerde betreffend die
vormundschaftsgerichtliche Genehmigung der geschlossenen Unterbringung steht nicht
entgegen, dass sich die Hauptsache insoweit mittlerweile durch Zeitablauf erledigt hat.
Vielmehr muss der Betroffenen im Hinblick auf den mit der Freiheitsentziehung
verbundenen Eingriff in Grundrechtspositionen zur Gewährleistung effektiven
Rechtsschutzes und mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
(vgl. etwa NJW 2002, 2456; wistra 2006, 59) ein Rechtsschutzinteresse mit dem Ziel der
Feststellung der Rechtswidrigkeit der Beschlüsse sowohl des Landgerichts als auch
des Amtsgerichts zugebilligt werden (Senat OLGR 2006, 803). Ein entsprechendes
Begehren lässt das Schreiben der Betroffenen vom 2.8.2007 auch erkennen.
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In der Sache ist die sofortige weitere Beschwerde insoweit begründet, als die
Entscheidung des Amtsgerichts betreffend die vormundschaftsgerichtliche
Genehmigung der geschlossenen Unterbringung auf dem Unterlassen der
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vorgeschriebenen persönlichen Anhörung der Betroffenen und damit auf einer
Verletzung des Rechts beruht (§ 27 Abs. 1 S. 1 FGG). Im Übrigen sind die Rechtsmittel
dagegen unbegründet.
Die Entscheidung des Landgerichts, auf deren Inhalt sowohl zur Darstellung des
Sachverhalts als auch hinsichtlich der Begründung Bezug genommen wird, ist nicht zu
beanstanden. Die Kammer hat die Voraussetzungen einer (vorläufigen)
Betreuerbestellung nach § 1896 Abs. 1, 1a und 2 BGB, die - wie hier - gegen den Willen
der Betroffenen erfolgt ist, sowie diejenigen einer einstweiligen
Unterbringungsmaßnahme (§§ 70h FGG, 1906 Abs. 2 BGB) in Übereinstimmung mit der
Rechtsprechung des Senats dargestellt. Das Landgericht hat ferner in tatsächlicher
Hinsicht mit ausführlicher Begründung festgestellt, es sei durch die vorliegenden
ärztlichen Zeugnisse hinreichend glaubhaft gemacht, dass die Betroffene an einer
psychischen Erkrankung, nämlich einer paranoiden Psychose leide, und mit dem
Aufschub einer Betreuerbestellung Gefahr verbunden sei. Zu Recht hat das Landgericht
dabei eine Glaubhaftmachung der tatsächlichen Voraussetzungen in dem Sinne
ausreichen lassen, dass dringende Gründe für deren Vorliegen sprechen (§§ 69f Abs. 1
S. 1 Ziff. 1 FGG). Entsprechendes gilt hinsichtlich der Voraussetzungen der
einstweiligen Unterbringung (vgl. § 70h Abs. 1 FGG). Insoweit hat das Landgericht die
Voraussetzungen der Ziffer 2 des § 1906 Abs.1 BGB bejaht, da die Gefahr bestehe,
dass es bei fehlender Behandlung zu einer weiteren Chronifizierung und
Verschlechterung des Krankheitsbildes komme.
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Die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts unterliegen im Verfahren der
weiteren Beschwerde nur einer eingeschränkten Nachprüfung dahin, ob der Tatrichter
den maßgebenden Sachverhalt ausreichend erforscht, bei der Erörterung des
Beweisstoffes alle wesentlichen Umstände berücksichtigt und hierbei nicht gegen
gesetzliche Beweisregeln sowie feststehende Erfahrungssätze verstoßen hat (vgl.
Keidel/Kuntze/Meyer-Holz, FG, 15. Aufl., § 27, Rdnr. 42 m.w.N.). Einen solchen
Rechtsfehler lassen die zutreffend auf das Eilverfahren abgestellten tatsächlichen
Feststellungen des Landgerichts nicht erkennen. Ihr liegen die ärztlichen Zeugnisse des
Sachverständigen Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie H4 in T2 sowie der
Oberärztin der LWL-Klinik Q zugrunde. Nach den Angaben der Ärzte bestand die
Gefahr, dass es in Stress- oder Belastungssituationen zu Ausbrüchen hätte kommen
können, die nicht kalkulierbar gewesen wären und zu einer nicht absehbaren Eigen-
oder Fremdgefährdung hätten führen können.
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Die Betroffene ist durch das Landgericht persönlich angehört worden. Hierbei sind die
wahnhaften Gedankengänge der Betroffenen auch deutlich zum Ausdruck gekommen.
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Die Genehmigung einer geschlossenen Unterbringung zur Durchführung einer
Heilbehandlung gem. § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB setzt im Hinblick auf ihre
Eingriffsintensität eine besondere Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme
voraus; unter diesem Gesichtspunkt kann die Zulässigkeit der Maßnahme nicht
unabhängig von einer Eigengefährdung der Betroffenen beurteilt werden (OLG
Schleswig FGPrax 2002, 138). Auch insoweit bestehen gegen die Entscheidung des
Landgerichts jedoch keine durchgreifenden Bedenken. Nach den Feststellungen der
Kammer und den vorliegenden ärztlichen Zeugnissen war ohne eine medizinische
Intervention mit einer weiteren Chronifizierung der schon mehrere Jahre bestehenden
Erkrankung zu rechnen. Zudem drohte eine weitere Verfestigung der seit Beginn des
Jahres 2007 massiv auftretenden Paranoia, die mit erheblichen Beeinträchtigungen für
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die Betroffene verbunden war. Aufgrund dieser gravierenden Erkrankung war ein
Behandlungsversuch gerechtfertigt und die angeordnete Unterbringung nicht
unverhältnismäßig.
Rechtsfehlerfrei ist das Landgericht auf Grundlage der ärztlichen Ausführungen auch
davon ausgegangen, dass es trotz der fehlenden Krankheitseinsicht während der Dauer
der Unterbringung möglich sein werde, die erforderliche Beziehung zu der Betroffenen
aufzubauen und sie so zu einer Mitwirkung bei der Behandlung, insbesondere einer
medikamentösen Therapie zu motivieren. Unerheblich ist, dass diese Einschätzung sich
im Verlauf der weiteren Unterbringung nicht bestätigt und letztlich zur Aufhebung der
Unterbringung mangels konkreter und zeitnaher Erfolgsaussichten geführt hat.
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Die Betroffene hat sich in der weiteren Begründung ihrer Rechtsmittel darauf
beschränkt, ihren Standpunkt darzustellen, dass sie nicht psychisch krank sei und sich
lediglich gegen die üblen Machenschaften ihrer Nachbarn und ihres Vermieters sowie
von Ärzten, Behörden und Gerichten zu Wehr gesetzt habe. Indessen setzt sie sich
damit in unzulässiger Weise in Widerspruch zu den tatsächlichen Feststellungen des
Landgerichts, die, weil sie rechtsfehlerfrei getroffen sind, den Senat binden.
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Im Übrigen belegt das im Verfahren der weiteren Beschwerde von der Betroffenen
ergänzend eingereichte eigene Schreiben vom 2.8.2007 eindrucksvoll, dass ihre
Denkinhalte von dem vom Landgericht festgestellten Wahnsystem beeinflusst sind.
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Die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung der Unterbringung durch die einstweilige
Anordnung des Amtsgerichts vom 18.4.2007 ist dagegen schon deshalb rechtswidrig,
weil das Amtsgericht die Betroffene nicht persönlich angehört hat. Gem. §§ 70h Abs. 1
S. 2, 69f Abs. 1 S. 1 Nr. 4 FGG ist der Betroffene vor Erlass der einstweiligen Anordnung
persönlich anzuhören. Die Voraussetzungen für die Annahme einer Gefahr im Verzug,
bei der nach § 69f S. 4 FGG von der persönlichen Anhörung vor Erlass der
Entscheidung hätte abgesehen werden dürfen, sind nicht ersichtlich. Weder den
Beschlussgründen noch den Akten sind Gründe zu entnehmen, aus denen die
Anhörung der Betroffenen wegen Gefahr im Verzug nicht möglich gewesen wäre.
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Die Anhörung des Betroffenen dient nicht nur der Gewährung des rechtlichen Gehörs,
sondern soll dem Gericht einen unmittelbaren Eindruck von dem Betroffenen und seiner
Erkrankung verschaffen und es in die Lage versetzen, seine Kontrollfunktion gegenüber
Gutachtern und Zeugen wahrzunehmen (Senat, FGPrax 2001, 212, 213; OLG München,
OLGR 2006, 113; OLG Karlsruhe, NJW-RR 2000,1172, 1173). Verstößt das Gericht
gegen das Gebot der mündlichen Anhörung, so drückt dieses Unterlassen der
gleichwohl angeordneten Unterbringung den Makel rechtswidriger Freiheitsentziehung
auf, der durch Nachholung der Maßnahme rückwirkend nicht mehr zu beseitigen ist
(Senat, a.a.O.; OLG München, a.a.O.; BayObLG, FamRZ 2001, 578, 579).
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Zudem ist die Anhörung auch nicht unverzüglich im Sinne des § 69f S. 4 FGG
nachgeholt worden. Sie wurde erst am 27.4.2007, also 9 Tage nach Erlass der
Anordnung durchgeführt. Im Hinblick auf den durch Art. 2 Abs. 2 S. 2 und 104 Abs. 1 S.
1 GG garantierten Schutz der persönlichen Freiheit muss die Anhörung in aller Regel
am nächsten Tag nachgeholt werden (BayObLG, a.a.O.). Auch insoweit ist den Akten
nicht zu entnehmen, dass die Anhörung der Betroffenen nicht spätestens am 19.4.2007
möglich war. Dem stand auch nicht die gleichzeitig mit der Unterbringungsgenehmigung
erfolgte Abgabe des Verfahrens an das Amtsgericht Paderborn entgegen. Die Akten
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wurden erst am 19.4.2007 auf dem normalen Postweg an das Amtsgericht Paderborn
weitergeleitet und sind dort erst am 23.4.2007 eingegangen. Im Hinblick auf die
Einhaltung der grundgesetzlichen Verfahrensgarantien hätten die relevanten
Aktenbestandteile aber bereits am 18.4.2007 per Fax weitergeleitet werden können und
müssen, um die unverzügliche Nachholung der Anhörung, gegebenenfalls durch den
Eilrichter (vgl. BayObLG, FGPrax 2002, 281, 284), zu gewährleisten. Gründe, weshalb
die Anhörung der Betroffenen nach Eingang der Akten beim Amtsgericht Paderborn erst
nach weiteren vier Tagen erfolgen konnte, sind ebenfalls nicht ersichtlich.
Eine Wertfestsetzung für das Verfahren der weiteren Beschwerde ist im Hinblick auf die
§§ 128b, 131 Abs. 3 KostO nicht veranlasst.
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