Urteil des OLG Hamm vom 11.05.2006

OLG Hamm (ärztliches zeugnis, persönliche anhörung, unterbringung, anhörung, eingriff in grundrechtspositionen, ablauf des verfahrens, beschwerde, anordnung, schutzwürdiges interesse, drohende gefahr)

Oberlandesgericht Hamm, 15 W 452/05
Datum:
11.05.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
15. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
15 W 452/05
Vorinstanz:
Landgericht Bielefeld, 25 T 256/05
Tenor:
Es wird festgestellt, dass die Anordnung der Unterbringung durch die
Entscheidung des Landgerichts rechtswidrig ist.
Im übrigen wird die sofortige weitere Beschwerde zurückgewiesen.
Gründe:
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I.
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Der Betroffene wohnt bei seinen Eltern. Der Beteiligte zu 3) hat am 20.10.2005 den
Betroffenen gem. § 14 Abs. 2 PsychKG NW in der xxx-Klinik in xxx geschlossen
untergebracht und bei dem Amtsgericht die Anordnung der einstweiligen Unterbringung
des Betroffenen beantragt. Dem Antrag war beigefügt ein ärztliches Zeugnis vom selben
Tage, in dem ausgeführt ist, der Betroffene leide an einer Psychose. Er habe
Wahnvorstellungen: Er sei Dxxx, kanadischer Staatsangehöriger, seine Familie sei ihm
nicht bekannt; dies sei nicht sein Vater; das Haus sei seines, er müsse die Fremden
entfernen. Der Betroffene sei abends gegen 21.00 Uhr mit Fäusten gegen Bruder und
Vater vorgegangen und habe angekündigt, "die Fremden muss ich selbst entfernen".
Der Betroffene stehe seit 3 Jahren in ärztlicher Behandlung und erhalte Cyatyl Z. Das
Medikament habe er vor 3 Monaten abgesetzt.
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Der Richter des Amtsgerichts hat den Betroffenen am 21.10.2005 in der Klinik
persönlich angehört. Durch Beschluss vom selben Tag hat das Amtsgericht im Wege
der einstweiligen Anordnung die vorläufige geschlossene Unterbringung des
Betroffenen bis zum 1.12.2005 in dem genannten Krankenhaus angeordnet und den
Beteiligten zu 2) als Verfahrenspfleger des Betroffenen bestellt.
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Gegen diesen Beschluss hat der Beteiligte zu 2) namens des Betroffenen mit Schreiben
vom 4.11.2005 sofortige Beschwerde eingelegt.
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Das Landgericht hat telefonisch am 10.11. und 14.11.2005 ergänzende Stellungnahmen
des zuständigen Stationsarztes Herrn xxx eingeholt und mit Beschluss vom 14.11.2005
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die Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen. Durch Beschluss vom 22.11.2006
hat es die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.
Der Betroffene ist am 1.12.2005 aus der Klinik entlassen worden.
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Mit der sofortigen weiteren Beschwerde, die der Beteiligte zu 2) im Namen des
Betroffenen mit Schriftsatz vom 9.12.2005 bei dem Landgericht eingelegt hat, begehrt
dieser die Feststellung, dass die einstweilige Unterbringung bis zum 1.12.2005
rechtswidrig war.
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II.
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Die sofortige weitere Beschwerde ist nach den §§ 70 m Abs. 1, 70 h Abs. 1, 70 g Abs. 3,
27, 29 FGG statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt. Die Beschwerdebefugnis
des Betroffenen folgt bereits daraus, dass seine sofortige erste Beschwerde ohne Erfolg
geblieben ist. Der Zulässigkeit des Rechtsmittels steht nicht entgegen, dass bereits bei
seiner Einlegung die Frist, für die das Amtsgericht die Unterbringung angeordnet hat,
abgelaufen war. Vielmehr ist im Hinblick auf den mit der Freiheitsentziehung
verbundenen Eingriff in Grundrechtspositionen des Betroffenen sein
Rechtsschutzinteresse mit dem Ziel der Feststellung der Rechtswidrigkeit des
angefochtenen Beschlusses des Landgerichts zu bejahen (BGH NJW 2002, 1801 unter
Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG).
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Zum Prüfungsmaßstab in diesen Fällen hatte der Senat in seiner Entscheidung vom
29.5.2001 (15 W 139/01, BtPrax2001, 212; im selben Sinne: OLG Zweibrücken,
FGPrax2005, 137) ausgeführt:
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Das BVerfG hat in seinen genannten Entscheidungen den Fachgerichten nicht
näher vorgegeben, nach welchen verfahrensrechtlichen Kriterien sie die
feststellende Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Unterbringungsmaßnahme
zu treffen haben. Der Senat versteht die Rechtsprechung des BVerfG in diesem
Zusammenhang so, dass das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes
ungeachtet der eingetretenen Erledigung der Hauptsache lediglich den Eintritt in
eine sachliche Prüfung des eingelegten Rechtsmittels erfordert, jedoch nicht zu
einer Änderung des durch die Verfahrensordnung allgemein vorgegebenen
Umfangs der Prüfungsbefugnis des Rechtsmittelgerichts führt. Es soll also lediglich
eine Verschlechterung der Rechtsschutzfunktion des Rechtsmittelverfahrens durch
die eingetretene Erledigung der Hauptsache vermieden werden. Demgegenüber
besteht keine Grundlage für eine Erweiterung des Rechtsschutzes gegenüber den
Fällen, in denen das Rechtsmittelgericht über die Aufrechterhaltung einer noch
fortbestehenden freiheitsentziehenden Unterbringung zu entscheiden hat.
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Für das Rechtsmittel der sofortigen weiteren Beschwerde ergeben sich daraus folgende
Konsequenzen: Dieses Rechtsmittel ist in § 27 Abs. 1 FGG als Rechtsbeschwerde
ausgestaltet. Gegenstand der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts ist
ausschließlich, ob die Entscheidung des Landgerichts auf einer Verletzung des
Gesetzes beruht, also ob das Erstbeschwerdegericht bezogen auf den ihm angefallenen
Verfahrensgegenstand (hier: die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung der
geschlossenen Unterbringung bei noch fortbestehender freiheitsentziehender
Maßnahme) die verfahrensrechtlichen und die materiell-rechtlichen Vorschriften richtig
angewandt hat. Gegenstand der Nachprüfung ist danach ausschließlich die
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Entscheidung des Landgerichts. Maßgebend ist allein, ob seine Entscheidung
verfahrensrechtlich einwandfrei getroffen ist und in sachlicher Hinsicht einer rechtlichen
Nachprüfung standhält. Verfahrensmängel des erstinstanzlichen Verfahrens können
deshalb nicht zum Erfolg der weiteren Beschwerde führen, wenn diese im
Erstbeschwerdeverfahren geheilt worden sind (vgl. Keidel/Kahl, FG, 14. Aufl., § 27,
Rdnr. 19 m.w.N.). Auch der von einer freiheitsentziehenden Maßnahme Betroffene muß
es deshalb verfahrensrechtlich hinnehmen, daß etwaige Mängel des erstinstanzlichen
Verfahrens in dem Verfahren über die von ihm selbst eingelegte sofortige
Erstbeschwerde geheilt werden können. Dauert - wie hier - zum Zeitpunkt der
landgerichtlichen Entscheidung die Freiheitsentziehung fort, kann er auf seine sofortige
Erstbeschwerde ausschließlich eine Aufhebung der Maßnahme für die Zukunft
erreichen, nicht jedoch eine feststellende Entscheidung des Inhalts, daß bereits die
Entscheidung des Amtsgerichts rechtswidrig gewesen sei. An dieser durch die
Verfahrensordnung allgemein vorgegebenen Beschränkung ändert sich nichts, wenn
zeitlich nach der Entscheidung des Landgerichts eine Erledigung der Hauptsache
eintritt. Daraus folgt, daß auch die zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes
erforderliche Sachentscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts sich auf die Prüfung zu
beschränken hat, ob die Sachentscheidung des Landgerichts bezogen auf den
Zeitpunkt seiner Entscheidung verfahrensrechtlich einwandfrei getroffen ist und
rechtlicher Nachprüfung standhält.
Hieran hält der Senat mit Rücksicht auf die Entscheidung des BVerfG vom 31.10.2005
(2 BvR 2233/04, in JURIS) nicht mehr fest. In diesem Beschluss - dem eine Beschwerde
gegen einen Untersuchungshaftbefehl zugrunde lag - hat das BVerfG eine solche
Beschränkung des Überprüfungsumfanges, die in ähnlicher Weise auch vom BayObLG
(NJW-RR 2004, 8) und vom OLG Zweibrücken (FGPrax 2005, 137) vorgenommen
worden ist, im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG beanstandet und ausgeführt, sie trage den
sich aus der Entscheidung des BVerfG vom 5.12.2001 (BVerfGE 104, 220/235)
ergebenden Anforderungen an die Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes nicht in
hinreichendem Maße Rechnung. Hiernach hänge die Gewährung von Rechtsschutz im
Hinblick auf das bei Freiheitsentziehungen bestehende Rehabilitierungsinteresse
gerade nicht vom konkreten Ablauf des Verfahrens ab. Bestehe bei
Freiheitsentziehungen durch Haft ein schutzwürdiges Interesse an der (nachträglichen)
Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit auch dann, wenn sie erledigt seien, so müssten die
Fachgerichte dies bei der Beantwortung der Frage nach einem Rechtsschutzinteresse
gemäß Art. 19 Abs. 4 GG beachten. Insoweit könne dem Rehabilitierungsinteresse des
Beschwerdeführers ein "subsidiärer" Charakter des Feststellungsbegehrens nicht
entgegengehalten werden. Die Haftaufhebung sei das "wesensgleiche" Plus zur
Feststellung, dass die Inhaftierung rechtswidrig sei; mit ihr werde die Erkenntnis der
Rechtswidrigkeit praktisch umgesetzt.
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Der Senat entnimmt der angeführten Entscheidung des BVerfG, dass sich jedenfalls
dann, wenn sich aus dem Feststellungsantrag keine Beschränkung des
Rechtsschutzziels ergibt, die Überprüfung im Rahmen der Rechtsbeschwerde sich
grundsätzlich nicht auf die Prüfung beschränken kann, ob die Sachentscheidung des
Landgerichts bezogen auf den Zeitpunkt seiner Entscheidung verfahrensrechtlich
einwandfrei getroffen ist und rechtlicher Nachprüfung standhält, sondern diese Prüfung
auch auf die erstmaligen Anordnung der freiheitsentziehenden Maßnahme durch das
Amtsgericht zu erstrecken ist.
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Nach dem vorliegend gestellten Antrag ist von einem umfassenden
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Rechtsschutzbegehren des Betroffenen auszugehen, welches auch die Überprüfung der
Rechtmäßigkeit der Unterbringungsanordnung des Amtsgerichts einschließt.
Gegen oder ohne seinen Willen kann ein Betroffener in einem psychiatrischen
Fachkrankenhaus, einer psychiatrischen Fachabteilung, einem Allgemein-Krankenhaus
oder einer Hochschulklinik nur untergebracht werden, wenn er im Sinne des § 1 Abs. 2
PsychKG NRW vom 17.12.1999 psychisch erkrankt ist und durch sein
krankheitsbedingtes Verhalten gegenwärtig eine erhebliche Selbstgefährdung oder eine
erhebliche Gefährdung bedeutender Rechtsgüter anderer besteht, die nicht anders
abgewehrt werden kann (§§ 11 Abs. 1, 10 Abs. 2 PsychKG NRW). Von einer
gegenwärtigen Gefahr ist nach § 11 Abs. 2 PsychKG NRW dann auszugehen, wenn ein
schadenstiftendes Ereignis unmittelbar bevorsteht oder sein Eintritt zwar
unvorhersehbar, wegen besonderer Umstände jedoch jederzeit zu erwarten ist. Dabei
müssen die gefährdeten Rechtsgüter von erheblichem Gewicht und die den geschützten
Rechtsgütern drohende Gefahr erheblich sein (BayObLGZ 1999, 216 = NJW 2000, 881).
Die Voraussetzung der erheblichen Selbstgefährdung oder einer Gefahr für die
bedeutende Rechtsgüter anderer erfordert eine Prognose anhand tatsächlicher
Feststellungen. Hiefür maßgeblich sind insbesondere die Persönlichkeit des
Betroffenen, sein früheres Verhalten, seine aktuelle Befindlichkeit und seine zu
erwartenden Lebensumstände (BayObLG a.a.O.; Senat FPR 2002, 96). Der Erlass einer
einstweiligen Anordnung durch das Gericht setzt gem. §§ 70h, 69f Abs. 1 FGG voraus,
dass dringende Gründe für die Annahme bestehen, dass die Voraussetzungen für eine
geschlossene Unterbringung gegeben sind und dass mit dem Aufschub der
Unterbringungsmaßnahme Gefahr verbunden wäre. Für die Anordnung der
geschlossenen Unterbringung ist insoweit ausreichend, dass die Gründe, die für die
Notwendigkeit einer geschlossenen Unterbringung und für ein sofortiges Eingreifen des
Vormundschaftsgerichts sprechen, glaubhaft gemacht sind.
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a) Hiernach kann das Feststellungsbegehren für die Dauer der vollzogenen
Unterbringung bis zur Entscheidung des Landgerichts keinen Erfolg haben, weil die
Entscheidung des Amtsgerichts vom 21.10.2005 über die Anordnung der einstweiligen
Unterbringungsmaßnahme Rechtsfehler nicht erkennen lässt. Der Amtsrichter ist davon
ausgegangen, dass die Voraussetzungen für eine vorläufige Unterbringung des
Betroffenen zu diesem Zeitpunkt gegeben waren, weil dringende Gründe für die
Annahme einer psychischen Erkrankung mit erheblicher Fremdgefährdung bestanden.
Diese tatrichterliche Einschätzung stützt sich im Wesentlichen auf die Vorkommnisse
am Abend des 20.10.2005, wie sie sich aus dem ärztlichen Einweisungszeugnis vom
20.10.2005 ergeben, das ärztliche Zeugnis des Stationsarztes xxx vom 21.10.2005
sowie den persönlichen Eindruck von dem Betroffenen und seiner gesundheitlichen
Beeinträchtigung, den der Amtsrichter in der Anhörung vom selben Tage gewonnen hat.
Diese Umstände tragen die tatrichterliche Würdigung, zumal im einstweiligen
Anordnungsverfahren auch bezüglich der ärztlichen Diagnose keine endgültige
Gewissheit über das Vorliegen der Voraussetzungen einer endgültigen
Unterbringungsmaßnahme vorliegen muss, sondern eine erhebliche Wahrscheinlichkeit
ausreicht. Nach den ärztlichen Stellungnahmen lag bei dem Betroffenen eine akute
Psychose mit Wahnvorstellungen und Realitätsverkennung bzw. eine wahnhafte
Störung vor. Der Betroffene sei im Affekt angespannt und neige zu verbalen
Aggressionen. Bei der persönlichen Anhörung konnte der Amtsrichter vom Bestehen
dieser Wahnvorstellungen ausweislich des Anhörungsprotokolls einen deutlichen
eigenen Eindruck gewinnen.
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Auch die tatsächliche Bewertung des Amtsgerichts in Bezug auf die Gefährdung der
Rechtsgüter anderer durch ein mögliches fremdaggressives Verhalten des Betroffenen
im Falle seiner Entlassung aus der Unterbringung ist aus Rechtsgründen nicht zu
beanstanden. Das Amtsgericht hat zunächst angenommen, dass der Betroffene bereits
krankheitsbedingt seinen Bruder angegriffen habe. Hiervon durfte das Amtsgericht bei
der Entscheidung über den Erlass der einstweiligen Anordnung ausgehen. Es konnte
sich dabei auf die Angaben im ärztlichen Einweisungszeugnis und im Antrag des
Beteiligten zu 3) stützen. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang insbesondere
die Wahnvorstellung des Betroffenen, seine Eltern seien nicht seine wahren Eltern, er
müsse die Fremden aus seinem Haus entfernen. Diese Wahnvorstellung, die der
Betroffene auch während der Anhörung wiederholt hat, sowie die seitens des
Stationsarztes geschilderte affektive Anspannung und verbale Aggressivität, machten
einen tätlichen Angriff auf die Angehörigen überwiegend wahrscheinlich. Zwar hat der
Betroffene bei seiner Anhörung den Sachverhalt abweichend dargestellt. Dies nötigte
das Amtsgericht aber weder zu einer abweichenden Beurteilung noch zu diesem
Zeitpunkt zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhaltes. Die in diesem
Zusammenhang zu stellenden Anforderungen an die Sachverhaltsaufklärung (§ 12
FGG) müssen auf die konkrete Situation, in der die richterliche Entscheidung des
Amtsgerichts zu treffen ist, bezogen werden: Bei dem Erlass einer
Unterbringungsanordnung im Wege der einstweiligen Anordnung handelt es sich um
eine Maßnahme der Krisenintervention, die von § 70 h FGG ausdrücklich zugelassen
wird, um eine im Verfahren erkennbar gewordene Gefahr für den Betroffenen oder Dritte
rechtzeitig abwenden zu können. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung - und
dementsprechend auch die nachträgliche Beurteilung der Rechtmäßigkeit der
getroffenen Maßnahme - setzt danach gerade nicht eine abschließende Aufklärung des
Sachverhaltes voraus. Dies gilt auch hinsichtlich der auf eine Fremd- oder
Eigengefährdung hindeutenden Umstände. Vielmehr kann es nur darauf ankommen, ob
nach den dem Amtsgericht zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen zum Zeitpunkt
seiner Entscheidung das Vorliegen der Unterbringungsvoraussetzungen als
überwiegend wahrscheinlich angesehen werden konnte. Aus diesen Gründen ist es
nicht zu beanstanden, wenn das Amtsgericht aufgrund seines persönlichen Eindruckes
vom Betroffenen und auf dem Hintergrund der vorliegenden ärztlichen Zeugnisse der
Darstellung des Betroffenen vom Geschehensablauf keinen Glauben geschenkt,
sondern erkennbar den Schluss gezogen hat, dass der Betroffene aus seinem
Wahnerleben heraus seine Angehörigen angegriffen hat.
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b) Demgegenüber ist die landgerichtliche Entscheidung nicht verfahrensfehlerfrei
ergangen.
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Gem. §§ 69 g Abs. 5 Satz 1, 70 c Satz 1, 70 m Abs. 3 FGG ist der Betroffene auch im
Beschwerdeverfahren grundsätzlich persönlich anzuhören. Die genannten Vorschriften
beanspruchen uneingeschränkte Geltung auch dann, wenn die Beschwerde sich gegen
eine einstweilige Unterbringungsmaßnahme richtet. Die Anhörung des Betroffenen dient
nicht nur der Gewährung rechtlichen Gehörs, sondern soll das Gericht auch in die Lage
versetzen, seine Kontrollfunktion gegenüber Gutachtern und Zeugen wahrzunehmen
(OLG Karlsruhe NJW-RR 2000, 1172, 1173; Senat BtPrax 2001, 212/213). Zwar erlaubt
§ 69 g Abs. 5 S. 3 FGG ausnahmsweise, von der Wiederholung der Anhörung in der
Beschwerdeinstanz abzusehen, wenn von einer erneuten Anhörung keine zusätzlichen
Erkenntnisse zu erwarten sind. Dies wird aber nur dann der Fall sein können, wenn es
bei der tatrichterlichen Würdigung nicht auf einen eigenen Eindruck der
Beschwerdekammer von dem Betroffenen ankommt. Im Regelfall gebietet die Schwere
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des mit der Unterbringung verbundenen Eingriffs in die persönliche Freiheit die
Anhörung auch in der Beschwerdeinstanz (Senat a.a.O.).
Die Begründung der landgerichtlichen Entscheidung wird diesen Maßstäben nicht
gerecht. Der von der Kammer in erster Linie herausgestellte Gesichtspunkt, die
Interessen des Betroffenen würden umfassend von dem Beteiligten zu 2) als
Verfahrenspfleger wahrgenommen, geht an dem oben beschriebenen Zweck der
persönlichen Anhörung des Betroffenen durch den entscheidenden Richter vorbei. Das
Verhältnis der §§ 67 und 68 FGG zueinander zeigt, dass die Bestellung eines
Verfahrenspflegers keinesfalls dazu führen kann, dass die persönliche Anhörung des
Betroffenen entbehrlich wird. Der Verfahrenspfleger ist nicht Verfahrensbevollmächtigter
des Betroffenen. Er hat eine eigenständige Stellung im Verfahren, die die
Verfahrensfähigkeit des Betroffenen (§ 70 a FGG) und seine Beteiligtenstellung
unberührt lässt. Der Senat weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass aus diesem
Grunde auch die Vermerke über die telefonischen ärztlichen Auskünfte nicht allein dem
Beteiligten zu 2), sondern auch dem Betroffenen selbst hätten übersandt werden
müssen. Die weitere Begründung des Landgerichts, der Betroffene sei bereits vom
Amtsgericht ausführlich angehört worden, von einer Wiederholung seiner Anhörung
seien für ihn keine günstigeren Erkenntnisse zu erwarten, geht über formelhafte, den
Gesetzestext lediglich wiederholende Wendungen nicht hinaus.
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Nach Auffassung des Senats bestand nach der Sachlage zum Zeitpunkt der
Entscheidung des Landgerichts - der Betroffene befand sich zwischenzeitlich bereits
seit mehr als einem Monat in Freiheitsentziehung - durchaus Anlass, dem weiteren
Vorliegen der Unterbringungsvoraussetzungen jedenfalls durch eine erneute
persönliche Anhörung des Betroffenen und eine ergänzende fachärztliche
Stellungnahme nachzugehen. Der Hergang des Vorfalls innerhalb der Familie, der zu
dem Unterbringungsantrag geführt hat, ist nicht näher aufgeklärt worden. Das
Landgericht unterstellt in der Begründung seiner Entscheidung, die tätliche
Auseinandersetzung zwischen dem Betroffenen und seinem Vater bzw. Bruder habe
einen realen Hintergrund in einem Streit um Geldabhebungen von einem Konto. Die
sofortige Beschwerde des Beteiligten zu 2) hatte jedoch gerade aus diesem
Zusammenhang eine kausale Verknüpfung zwischen der psychischen Erkrankung des
Betroffenen und einem fremdgefährdenden Verhalten, wie sie § 11 PsychkG NW
voraussetzt, in Zweifel gezogen. Dieser Zusammenhang kann deshalb nicht durch den
Hinweis des Landgerichts belegt werden, unabhängig vom Hergang des Vorfalls seien
tätliche Auseinandersetzungen mit Familienangehörigen keinesfalls gerechtfertigt. Der
Arzt xxx hatte bei der persönlichen Anhörung des Betroffenen durch das Amtsgericht am
21.10.2005 die Fremdgefährdung durch den Betroffenen darauf gestützt, der Betroffene
leide an einer Realitätsverkennung gegenüber seinen Familienangehörigen, die er als
fremde, aus dem Haus zu entfernende Personen ansehe. Dies mag als ärztliches
Zeugnis (§ 69 f Abs. 1 S. 1 Nr. 2 FGG) für die Erstanordnung durch das Amtsgericht
ausreichen, hätte jedoch nach Ablauf eines Monats vollzogener Freiheitsentziehung
einer näheren fachlichen Überprüfung des Fortbestehens der Fremdgefährdung in
einem die Unterbringung rechtfertigenden, auch durch anderweitige Maßnahmen nicht
abwendbaren Ausmaß bedurft. Die vom Landgericht am 14.11.2005 telefonisch
eingeholte Stellungnahme des Stationsarztes xxx konnte keine hinreichende Grundlage
für eine abschließende Beurteilung dieser Zusammenhänge sein. Dies gilt
verfahrensrechtlich bereits deshalb, weil im Beschwerdeverfahren neu eingeholte
gutachterliche Stellungnahmen Gegenstand der persönlichen Anhörung des
Betroffenen sein müssen. Hinzu kommt in der Sache, dass die Beurteilung eines
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kausalen Zusammenhangs zwischen einer psychischen Erkrankung und einer ihrem
Ausmaß nach konkret einzuschätzenden Fremdgefährdung des Betroffenen
eingehender fachärztlicher Begründung bedürfen, die mit der erforderlichen fachlichen
Zuverlässigkeit nicht in einem von einem Richter niedergelegten Vermerk über ein
Telefongespräch festgehalten werden können. Im Übrigen hat das Landgericht nicht
aufgeklärt, ob der Stationsarzt xxx nach seiner Ausbildung über hinreichende
Erfahrungen auf dem Gebiet der Psychiatrie verfügte (§ 70e Abs. 1 S. 2 FGG).
Die verfahrensfehlerhaft unterbliebene weitere Sachverhaltsaufklärung im
Beschwerdeverfahren führt zur Feststellung der Rechtswidrigkeit der Entscheidung des
Landgerichts, ohne dass es darauf ankommt, ob im Ergebnis eine andere
Sachentscheidung hätte getroffen werden müssen (vgl. BGH NJW 2002, 1801, 1803
a.E.).
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