Urteil des OLG Hamm vom 27.09.2005

OLG Hamm: weide, entlastungsbeweis, kuh, tierhalter, stall, kontrolle, wiese, betriebsgefahr, beweislast, mitverschulden

Oberlandesgericht Hamm, 9 W 45/05
Datum:
27.09.2005
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
9. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
9 W 45/05
Vorinstanz:
Landgericht Paderborn, 3 O 187/05
Schlagworte:
Tierhalter, Haftung, Schaden, Entlastungsbeweis
Normen:
§ 833 Abs. 2 BGB
Leitsätze:
Der Entlastung eines Tierhalters, der wegen eines Verkehrsunfalls durch
eine entlaufene Kuh auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird,
steht die mangelnde Darlegung und Aufklärung, auf welche Weise das
von der umzäumten Weide abgängige Tier entkommen konnte,
entgegen. Der konkrete Nachweis eines unverschuldeten Ausbruchs ist
nur geführt, wenn die vom Tierhalter unternommenen
Sicherungsmaßnahmen geeignet waren, alle vernünftigerweise
denkbaren Ausbruchsmöglichkeiten auszuschließen.
Tenor:
Die sofortige Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluss der 3.
Zivilkammer des Landgerichts Paderborn vom 29. August 2005 - nicht
abgeholfen durch Beschluss vom 9. September 2005 - wird
zurückgewiesen.
Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens werden dem
Beschwerdeführer auferlegt, außergerichtliche Kosten werden nicht
erstattet.
Gründe:
1
Die gemäß § 127 Abs.2 S. 2 ZPO statthafte und fristgerecht eingelegte sofortige
Beschwerde ist nicht begründet.
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Das Landgericht hat dem Beklagten zu Recht die begehrte Prozesskostenhilfe für seine
Verteidigung gegen die Schadensersatzklage nur bewilligt, soweit diese in der
Hauptsache über den Betrag von 5.466,39 EUR ( die Hälfte der KlageForderung )
hinausgeht. Für seine weitergehende Rechtsverteidigung besteht keine hinreichende
Erfolgsaussicht i. S. v. § 114 ZPO.
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Der Beklagte kann den - ihm als Halter von Nutztieren allerdings offen stehenden -
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Entlastungsbeweis gemäß § 833 S. 2 BGB nicht führen, weil er die Einhaltung der
verkehrserforderlichen Sorgfalt bei der Beaufsichtigung der hier schadenstiftenden Kuh
nicht ausreichend vorgetragen und unter Beweis gestellt hat. Es kann offen bleiben, ob
dem Beklagten für den Entlastungsbeweis gemäß § 833 S. 2 BGB der Vortrag und
Beweis abverlangt werden kann, auf welche andere Weise die Kuh trotz Einzäunung
der Weide durchgängig mit mindestens 130 cm hohem, vierfachen Stacheldraht ohne
sein Verschulden entlaufen ist. Ob in Fällen der Schadensverursachung durch ein
entwichenes Weidetier der Vortrag, auf welche konkrete Weise das Tier die
Sicherungsmaßnahmen
überwunden hat, zum Entlastungsbeweis gehört, ist umstritten; vgl. Palandt/Sprau, BGB
64. Aufl. , Rz. 22 zu § 833; dagegen LG Köln in NJW-RR 2001, 1606 einer Anmerkung
von Wussow zu LG Frankfurt in VersR 1970, 382f folgend und Staudinger/Belling/Eberl-
Borges, BGB 2001, Rz. 146 zu § 833. Es entspricht aber der zumindest bis zu den
vorstehend zitierten Gegenstimmen einhelligen Auffassung in der höchstrichterlichen
Rechtsprechung und Kommentarliteratur, dass das Unterbleiben der Aufklärung
irgendeines für die Entlastung des Tierhalters maßgeblichen Umstandes, namentlich
wie ein Tier aus einer umzäunten Weide herausgekommen ist, zu dessen Lasten geht;
vgl. nur Baumgärtel, Handbuch der Beweislast, 2. Aufl. Rz. 10 zu § 833 BGB, BGH
VersR 1956, 127, VersR 1965, 719f, OLG Celle VersR 1975, 665, OLG Frankfurt VersR
1982, 908, LG Frankfurt VersR 1982, 382. Mit der Begründung seines
Nichtabhilfebeschlusses bewegt sich das Landgericht im vorliegenden Fall mithin auf
dem sicheren Boden einer gefestigten Rechtsprechung. Die scheinbar abweichende
Ansicht des Landgerichts gebietet eine Bejahung der Erfolgsaussicht auch nicht im
Lichte höchstrichterlichen Rechtsprechung, wonach grundsätzliche und umstrittene
Rechtsfragen nicht im Prozesskostenhilfeverfahren abschließend vorweg entschieden
werden dürfen; BGH MDR 2003, 477. Auch nach der Auffassung, die den Nachweis, auf
welche Weise das Tier im konkreten Fall die Sicherungen ohne Verschulden des
Halters überwunden hat, vom Tierhalter nicht verlangt, hat der Beklagte sich nicht
entlastet. Da nämlich der Schadenseintritt regelmäßig indiziert, dass eine
Ausbruchsmöglichkeit bestanden hat, muss der Tierhalter auch nach dieser Ansicht
darlegen und beweisen, dass die von ihm unternommenen Sicherungsmaßnahmen
abstrakt geeignet waren, alle vernünftigerweise denkbaren Alternativen sicher
auszuschließen; so ausdrücklich selbst LG Köln, NJW-RR 2001, 1606. Daran fehlt es
vorliegend schon deshalb, weil weder eine regelmäßige, dichte Kontrolle der
Weideeinzäunung auf ihre Unversehrtheit vorgetragen und unter Beweis gestellt, noch
die durchaus nicht fernliegende Möglichkeit des - womöglich unbemerkten -
Ausbrechens der Kuh auf ihrem Weg vom abendlichen Melken vom Stall auf die Wiese
ausgeräumt ist. Es liegt nahe, dass gerade in einer für den vorübergehenden täglichen
Zeitraum üblichen provisorischen Sicherung des Bewegungsraumes über Hofflächen
und Wege bis zur
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fest umzäunten Weide Schwachstellen liegen können. Zumindest deren sicheren
Ausschluss müsste der Beklagte ebenfalls beweisen.
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Dass ein Mitverschulden des Zeugen O unfallursächlich geworden wäre, hat der
Beklagte weder ausreichend dargelegt noch unter Beweis gestellt. Die gemäß §§ 7 I, 17
IV StVG zu Lasten des Klägers anspruchsmindernd zu berücksichtigende
Betriebsgefahr des von dem Zeugen O geführten Pkw hat das Landgericht bei der
teilweisen Bewilligung von Prozesskostenhilfe jedenfalls nicht zu Lasten des Beklagten
zu gering angesetzt.
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Die Kostenentscheidung dieses Beschlusses beruht auf §§ 97 Abs. 1, 127 Abs. 4 ZPO,
34 Abs. 2 GKG i. V. m. Nr. 1811 KV.
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