Urteil des OLG Hamburg vom 29.08.2012

OLG Hamburg: Einstweiliges Verfügungsverfahren wegen Verletzung eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters: Bestimmung des Streitgegenstandes durch Einblendung einer Abbildung in den Antrag; Bestreiten der Rechtsgültigkeit durch Widerklageerhebung; Bestimmung d

Einstweiliges Verfügungsverfahren wegen Verletzung eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters:
Bestimmung des Streitgegenstandes durch Einblendung einer Abbildung in den Antrag; Bestreiten der
Rechtsgültigkeit durch Widerklageerhebung; Bestimmung des Schutzumfangs; aufgesetzter
Flaschenhals als prägendes Gestaltungsmerkmal
Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg 5. Zivilsenat, Urteil vom 29.08.2012, 5 U 152/11
Art 19 Abs 1 EGV 6/2002, Art 85 Abs 1 S 1 EGV 6/2002, Art 85 Abs 1 S 2 EGV 6/2002, Art 89 Abs 1 Buchst a EGV
6/2002
Tenor
I. Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 14.4.2011, Az. 416 HKO
36/11, abgeändert.
Im Wege der einstweiligen Verfügung wird der Antragsgegnerin bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der
Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes, und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann,
einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens € 250.000,-,
Ordnungshaft insgesamt höchstens 2 Jahre) verboten,
im Gebiet der Europäischen Gemeinschaft Flaschen, wie aus nachfolgenden Abbildungen ersichtlich, gewerbsmäßig
anzubieten und / oder in Verkehr zu bringen:
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II. Die Kosten des Verfahrens hat die Antragsgegnerin für beide Instanzen zu tragen.
Gründe
I
Die Parteien streiten über den Bestand der einstweiligen Verfügung des Landgerichts Hamburg vom 16.3.2011, Az.
308 O 57/11, mit der die Antragstellerin die Antragsgegnerin aus einem Gemeinschaftsgeschmacksmuster auf
Unterlassung in Anspruch genommen hat.
Die Antragstellerin hat ihren Sitz in Kanada und ist Inhaberin des mit Priorität vom 7.2.2008 angemeldeten
Gemeinschaftsgeschmacksmusters 874260 – 0001 (Anl ASt 1) (= Verfügungsgeschmacksmuster). Die angemeldete
Gestaltung geht auf eine Idee von D. A. und J. A. zurück; letzterer hat die konkrete Gestaltung entworfen. Als
„Angabe des Erzeugnisses“ findet sich die Eintragung „Flasche“. Dazu sind folgende Abbildungen hinterlegt:
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Die Antragstellerin nutzt dieses Muster, indem sie weitgehend entsprechend gestaltete Flaschen mit Wodka unter der
Bezeichnung „Crystal Head“ verkauft Anl ASt 6):
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Unstreitig haben sich die Entwerfer des Musters von dreizehn historischen Kristallschädeln inspirieren lassen, die
jahrtausendealt sein und aus Südamerika stammen sollen. Diese nach derzeitigem Wissensstand früher unstreitig als
Kultobjekte genutzten Schädel sind in verschiedenen Museen ausgestellt. Streitig ist zwischen den Parteien, ob die
Kristallschädel damit offenbart sind. Die historischen Kristallschädel sind wie folgt gestaltet:
Unstreitig ist zudem, dass es seit über hundert Jahren Flaschen in Totenkopfform gibt, in der Regel, um Gift darin
aufzubewahren. Diese sind unterschiedlich gestaltet, namentlich wie im neueren US Design Patent No. D459,213 von
2002 (vgl. AnlKonv ASt 7). Dieser Eintrag ist u.a. mit folgenden Abbildungen versehen:
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Daneben hat die Antragstellerin u.a. folgende Abbildungen eines US Design Patentes aus dem Jahre 1894 (No.
23,399) vorgelegt (ebenfalls in AnlKonv ASt 7):
Unbestritten hat die Antragsgegnerin zudem vorgetragen, dass es ein US Pat.Nr. 164,265 aus dem Jahr 1875 gibt,
das ebenfalls einen Totenkopf als Flaschenform verwende. Eine Abbildung dieses Entwurfes haben die Parteien nicht
vorgelegt, die Antragsgegnerin hat aber auf folgende Abbildungen von älteren Totenkopf-Giftflaschen verwiesen:
Die Parteien streiten darüber, welche rechtlichen Folgerungen aus der Existenz aller dieser älteren Gestaltungen zu
ziehen sind.
Die Antragsgegnerin handelt u.a. mit „trendorientierten Geschenk- und Scherzartikeln“ und bot Anfang 2011 die
angegriffene Totenkopfflasche (Verletzungsmuster) über ihren Internetauftritt wie auch über den Auftritt einer Firma C.
GmbH an (Anl ASt 1b). Diese Flasche ist wie aus dem Tenor ersichtlich gestaltet. Ein Original des
Verletzungsmusters ist als Anlage ASt 5 vorgelegt.
Die Antragstellerin hatte einen Testkauf kurz vor dem 10.2.2011 durchführen lassen. Sie erfuhr am 16.2.2011, dass
die Antragsgegnerin Hersteller / Importeur ist. Sie ist der Ansicht, dass die von der Antragsgegnerin angebotene
Flaschengestaltung ihr Gemeinschaftsgeschmacksmuster verletzt.
Nach erfolgloser Abmahnung hat die Antragstellerin beim Landgericht Hamburg den Erlass einer einstweiligen
Verfügung mit folgendem Tenor beantragt:
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... verboten, Flaschen gemäß nachfolgenden Abbildungen
gewerbsmäßig anzubieten oder in Verkehr zu bringen, die durchsichtig sind und auf der Vorderseite reliefartig
einen Totenkopf abbilden, der sich durch folgende Kombinationsmerkmale auszeichnet:
1. offenes Gebiss
2. tiefsitzende und große Augenhöhlen
3. markante und ausgeprägte Backenknochen
4. vorstoßendes Kinn
5. Aufstellfläche des Schädels ohne Sockel oder Halsansatz
6. Flaschenhals, mittelzentriert auf der Schädeldecke
Die beim Landgericht Hamburg zunächst zuständige Zivilkammer 8 erließ daraufhin am 16.3.2011 eine
einstweilige Verfügung zum Az. 308 O 57/11, mit der der Antragsgegnerin bei Meidung der gesetzlich
vorgesehenen Ordnungsmittel verboten worden war,
im Gebiet der Europäischen Gemeinschaft Flaschen, wie aus nachfolgender Abbildung ersichtlich
gewerbsmäßig anzubieten oder in Verkehr zu bringen.
Auf den Widerspruch der Antragsgegnerin hob das Landgericht Hamburg durch die mittlerweile zuständige Kammer 16
für Handelssachen die einstweilige Verfügung vom 16.3.2011 wieder auf. Wegen der Einzelheiten wird auf die
angegriffene Entscheidung Bezug genommen.
Mit ihrer Berufung will die Antragstellerin den Erlass einer einstweiligen Verfügung erreichen, die gegenüber dem
ursprünglichen Antrag entsprechend modifiziert und – bis auf die eingeblendete Abbildung des Verletzungsmusters –
der vom Landgericht zunächst erlassenen einstweiligen Verfügung entspricht.
Die Antragstellerin beantragt:
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Die Antragstellerin beantragt:
Der Antragsgegnerin wird unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Hamburg vom 14.4.2011, Az. 416
HKO 36/11, bei Vermeidung der gesetzlichen Ordnungsmittel verboten,
im Gebiet der Europäischen Gemeinschaft Flaschen, wie aus nachfolgender Abbildung ersichtlich,
gewerbsmäßig anzubieten und / oder in Verkehr zu bringen:
Im Termin vom 11.7.2012 hat die Antragstellerin zudem angeregt, dass der Senat für den Fall des Neuerlasses der
einstweiligen Verfügung den Streitgegenstand im Tenor mit mehreren der vorliegenden Fotografien des
Verletzungsmusters bestimmen möge.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Antragsgegnerin verteidigt das angegriffene Urteil. Sie ist der Ansicht, dass die Änderung des Verfügungsantrages
in der Berufungsinstanz eine nicht sachdienliche Klagänderung sei, weil der Antrag durch das Weglassen der
aufgezählten Kombinationsmerkmale nunmehr weitergehe. Der neue Verfügungsantrag sei nicht dringlich und wegen
der schlechten Qualität der nunmehr eingeblendeten Abbildung auch nicht hinreichend bestimmt.
Inhaltlich streiten die Parteien vor allem über die Fragen, ob bei der Bemessung des Schutzumfanges des
Verfügungsgeschmacksmusters die historischen Kristallschädel berücksichtigt werden dürfen, namentlich ob diese im
Sinne von Art.7 I GGV offenbart seien, wie groß der Abstand des Verfügungsgeschmacksmusters zu den älteren
Flaschengestaltungen sei sowie inwieweit der Gesamteindruck von Klage- und Verletzungsmuster vergleichbar sei.
Beide Parteien wiederholen und vertiefen daneben ihr erstinstanzliches Vorbringen.
Ein gegen das Verfügungsgeschmacksmuster gerichteter Löschungsantrag der Antragsgegnerin wurde vom HABM mit
Beschluss vom 16.3.2012 zurückgewiesen (Anl R 6).
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II
1. Die zulässige Berufung der Antragstellerin ist begründet.
a. Zum Streitgegenstand / Antrag / Tenor: Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin handelt es sich trotz der im
Laufe des Verfahrens eingetretenen Modifizierungen des Antrags / Verbotstenors durchweg um denselben
Streitgegenstand. Unstreitig beziehen sich alle Antrags- und Verbotsfassungen auf das nämliche Verfügungsmuster,
sc. auf die von der Antragsgegnerin vertriebene Flasche in Form eines Totenkopfes. Die Unterschiede in den Anträgen
betreffen alleine die Mittel, mit denen die Bestimmung dieses Gegenstandes vorgenommen wird. Unstreitig zeigen die
von der Antragstellerin in die jeweiligen Anträge eingeblendeten unterschiedlichen Abbildungen jeweils dasselbe
Produkt. Hierdurch war das angestrebte Verbot von vornherein auf die konkrete Verletzungsform des angegriffenen
Verletzungsmusters beschränkt, so dass die Aufzählung der verschiedenen Kombinationsmerkmale im ursprünglichen
Verfügungsantrag keine zusätzlich Beschränkung des Streitgegenstandes bedeutete, sondern vielmehr überflüssig
war, weil damit lediglich versucht wurde, das zu verbalisieren, was auf der Abbildung ohnehin (und besser) zu
erkennen ist.
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Bereits durch die Einblendung einer Abbildung des konkret angegriffenen Produktes der Antragsgegnerin war der
Streitgegenstand auch hinreichend bestimmt. Dass die im Berufungsantrag eingeblendete Abbildung dieses
Verletzungsmusters eine schlechte Bildqualität aufwies, ändert nichts daran, dass dort unstreitig derselbe Gegenstand
abgebildet ist. Die Antragstellerin hat diesen Bedenken zudem dadurch Rechnung getragen, dass sie im Termin vom
11.7.2012 angeregt hat, zur genaueren Bestimmung des Streitgegenstandes in den Tenor selbst weitere der von ihr
vorgelegten Abbildungen des Verletzungsmusters einzublenden. Dem ist der Senat bei der Fassung der erneut
erlassenen einstweiligen Verfügung nachgekommen.
b. Damit gehen auch die von der Antragsgegnerin geäußerten Bedenken gegen das Bestehen eines
Verfügungsgrundes im Sinne der §§ 935, 940 ZPO ins Leere; dass ein Verfügungsgrund in Bezug auf den
ursprünglichen Verfügungsantrag und Streitgegenstand vorlag, hat auch die Antragsgegnerin nicht in Abrede
genommen.
c. Der Antragstellerin steht gegen die Antragsgegnerin gemäß Art. 19 I, 89 I a GGV ein Verfügungsanspruch mit dem
geltend gemachten Inhalt zu, da das Verfügungsgeschmacksmuster rechtsgültig ist und das Verletzungsmuster die
sich hieraus ergebenden Rechte der Antragstellerin verletzt.
aa. Das eingetragene Gemeinschaftsgeschmackmuster der Antragstellerin steht in Kraft.
aaa. Das Verfügungsgeschmacksmuster ist nicht gelöscht und hat Priorität vom 7.2.2008. Im Verletzungsprozess
wegen eines eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters hat das Gericht im Grundsatz von der
Rechtsgültigkeit des Musters auszugehen (Art.85 I 1 GGV). Die Rechtsgültigkeit kann zwar vom Beklagten /
Antragsgegner mit einer Widerklage auf Erklärung der Nichtigkeit bestritten werden (Art.85 I 2 GGV), eine solche ist
hier aber nicht erhoben. Schließlich ist der nicht im Wege der Widerklage erhobene Einwand der Nichtigkeit eines
Gemeinschaftsgeschmacksmusters insoweit zulässig, als sich der Beklagte darauf beruft, dass das
Gemeinschaftsgeschmacksmuster wegen eines ihm selbst zustehenden älteren nationalen Musterrechts im Sinne des
Art. 25 I d GGV für nichtig erklärt werden sollte (Art. 85 I 3 GGV). Dass dies hier der Fall wäre, behauptet aber auch
die Antragsgegnerin nicht.
bbb. Hinzu kommt, dass der Senat auch in der Sache keine Anhaltspunkte dafür zu erkennen vermag, dass es dem
Verfügungsgeschmacksmuster der Antragstellerin an Neuheit im Sinne von Art. 5 GGV oder Eigenart im Sinne des
Art. 6 GGV fehlt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die unten stehenden Ausführungen im Rahmen der
Bestimmung des Schutzumfanges des Verfügungsgeschmacksmusters sowie auf den den Parteien bekannten
Beschluss des HABM vom 16.3.2012 Bezug genommen, mit dem der Löschungsantrag der Antragsgegnerin
zurückgewiesen wurde (Anl R 6).
bb. Entgegen der Ansicht des Landgerichts kommt dem Verfügungsgeschmacksmuster keineswegs ein lediglich
geringer Schutzumfang zu, der auf nahezu identische Muster beschränkt ist.
aaa. Der Schutzumfang eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters bestimmt sich nach dessen Prioritätstag, später
entstandener Formenschatz ist nicht zu berücksichtigen (Ruhl, GGV, Art.10 Rz.8). Für die Bestimmung des
Schutzumfangs eines Geschmacksmusters ist es grundsätzlich unerheblich, woraus sich dessen Eigenart im
Einzelnen ergibt; der Schutzumfang hängt nicht vom Grad der Eigenart des Geschmacksmusters ab (BGH GRUR
2011, 142 [Tz.11] - Untersetzer). Ein Geschmacksmuster hat nach Art. 6 I GGV Eigenart, wenn sich der
Gesamteindruck, den es beim informierten Benutzer hervorruft, von dem Gesamteindruck unterscheidet, den ein
anderes Geschmacksmuster bei diesem Benutzer hervorruft, das der Öffentlichkeit zuvor zugänglich gemacht worden
ist. Der Umfang des Schutzes aus dem Gemeinschaftsgeschmacksmuster erstreckt sich nach Art. 10 I GGV auf
jedes Geschmacksmuster, das beim informierten Benutzer keinen anderen Gesamteindruck erweckt. Für den
Schutzumfang eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters kommt es danach nicht darauf an, ob und inwieweit sich der
Gesamteindruck dieses Geschmacksmusters von dem Gesamteindruck vorbekannter Geschmacksmuster
unterscheidet (inwieweit es also Eigenart hat), sondern allein darauf, ob der Gesamteindruck des angegriffenen
Geschmacksmusters mit dem Gesamteindruck dieses Geschmacksmusters übereinstimmt. Die Merkmale, aus denen
sich die Eigenart eines Geschmacksmusters ergibt, können auch deshalb nicht zur Bestimmung seines
Schutzumfangs herangezogen werden, weil die Frage, ob sich der Gesamteindruck dieses Geschmacksmusters vom
Gesamteindruck vorbekannter Geschmacksmuster unterscheidet und das Geschmacksmuster damit Eigenart hat, auf
Grund eines Einzelvergleichs zu beantworten ist, bei dem dieses Geschmacksmuster mit jedem einzelnen
vorbekannten Geschmacksmuster verglichen wird. Es liegt in der Natur der Sache, dass bei einem solchen
Einzelvergleich jeweils verschiedene Merkmale der einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster für die
Beurteilung maßgeblich sein können, ob und inwieweit deren Gesamteindruck unterschiedlich ist. Die Merkmale, aus
denen sich die Eigenart eines Geschmacksmusters gegenüber einzelnen vorbekannten Geschmacksmustern ergibt,
sind für den Vergleich des Gesamteindrucks dieses Musters und des angegriffenen Musters daher grundsätzlich ohne
Bedeutung [BGH aaO Tz.12ff - Untersetzer].
Bei der Bestimmung des Schutzumfangs ist nach Art. 10 II GGV – ebenso wie bei der Bestimmung der Eigenart nach
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Art. 6 II GGV – der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung seines Geschmacksmusters zu
berücksichtigen. Dabei besteht zwischen dem Gestaltungsspielraum des Entwerfers und dem Schutzumfang des
Musters eine Wechselwirkung. Eine hohe Musterdichte - und damit ein kleiner Gestaltungsspielraum des Entwerfers -
führt zu einem engen Schutzumfang des Musters, mit der Folge, dass bereits geringe Gestaltungsunterschiede beim
informierten Benutzer einen anderen Gesamteindruck hervorrufen können. Dagegen führt eine geringe Musterdichte
und damit ein großer Gestaltungsspielraum des Entwerfers zu einem weiten Schutzumfang des Musters, so dass
selbst größere Gestaltungsunterschiede beim informierten Benutzer möglicherweise keinen anderen Gesamteindruck
erwecken. Es gilt daher weiterhin der bereits vor Umsetzung der Richtlinie 98/71/EG durch das
Geschmacksmusterreformgesetz anerkannte Grundsatz, dass der Schutzumfang eines Geschmacksmusters von
dessen Abstand zum vorbekannten Formenschatz abhängt (BGH aaO Tz.17 - Untersetzer).
Aus dem Grundsatz, dass allgemeine Gestaltungsideen für jeden zugänglich bleiben müssen, folgt zudem, dass
vorbekannte allgemeine Gestaltungsprinzipien und Gestaltungstrends den Gestaltungsspielraum des Entwerfers und
damit den Schutzumfang des Klagemusters nicht beschränken. Bei der Beurteilung des Schutzumfangs des
Klagemusters sind daher nur konkrete Vorgestaltungen zu berücksichtigen (BGH aaO Tz.21 - Untersetzer).
bbb. Nach diesen Grundsätzen kommt dem Verfügungsmuster kein ganz geringer Schutzbereich zu. Vielmehr riefen
alle zur Zeit des Entwurfs des Verfügungsgeschmacksmusters vorhandenen Gestaltungen einen jeweils deutlich
anderen Gesamteindruck hervor.
(1) Die dreizehn historischen Kristallschädel aus (angeblich) Südamerika waren bei der Gestaltung von Flaschen in
Totenkopfform schon deshalb nicht einengend, weil es sich um völlig andere Erzeugnisse handelt, nämlich um
Kultobjekte. Dementsprechend weisen diese durchweg keinen aufgesetzten Flaschenhals auf, sondern es handelt sich
um – mehr oder weniger – realistische Nachformungen von menschlichen Schädeln. Der aufgesetzte Flaschenhals
des Verfügungsgeschmacksmusters ist aber ein ganz besonders prägendes Gestaltungsmerkmal. Hinzu kommt die
Ausformung des „Halses“ des Schädels als eine Basis, auf der das Verfügungsgeschmacksmuster steht. Diese
verlässt die realistische Ebene der Schädeldarstellung und stellt ein wiederum eher an eine Flasche gemahnendes
Stilelement dar, das sich bei den historischen Kristallschädeln so nicht findet.
Der Senat teilt auch nicht die Ansicht der Antragsgegnerin, dass die Hohlheit des Verfügungsgeschmacksmusters bei
der Beurteilung von dessen Schutzumfang nicht zu berücksichtigen sei. Zwar ist nach Art.36 VI GGV die
Erzeugnisangabe des Art.36 II GGV ohne Bedeutung für den Schutzumfang, dies ist aber nur die Klarstellung einer
Selbstverständlichkeit, denn der Schutzumfang ist in Art.10 GGV geregelt (Ruhl, Gemeinschaftsgeschmacksmuster,
2.Aufl., Art.36 Rz.92). Vielmehr bestimmt sich der Schutzumfang nach den hinterlegten Abbildungen. Für die
Auslegung des Inhaltes der Abbildungen ist diese Angabe aber sehr wohl von Bedeutung. Wenn es sich aber demnach
bei dem dargestellten Produkt um eine „Flasche“ handelt, dann muss diese schlechterdings hohl sein. Hinzu kommt,
dass die Eigenschaft „hohl“ in den hinterlegten Abbildungen auch angedeutet wird, indem insbesondere bei der
Darstellung des Flaschenhalses durch eine dreidimensionale Darstellung wiedergegeben wird, dass es sich um einen
transparenten Hohlkörper handelt. Dementsprechend ist auch das HABM im vorgelegten Beschluss vom 16.3.2012
ohne Weiteres davon ausgegangen, dass die „Aushöhlung“ des Verfügungsgeschmacksmuster eine der Eigenschaften
sei, die diesem Eigenart verliehen (Anl R 6, dort Tz.15).
Für die Musterdichte bei der Gestaltung von gläsernen Totenköpfen allerdings mögen die dreizehn historischen
Kristallschädel im Ansatz durchaus beachtlich sein. Die Gestaltungen dieser Totenköpfe als solche weisen zwar in der
Tat teilweise Ähnlichkeit mit der Art der Darstellung eines Totenkopfes im Verfügungsgeschmacksmuster auf. Diese
Ähnlichkeiten beruhen aber im Wesentlichen darauf, dass es sich um Versuche mehr oder weniger realistischer
Darstellungen von menschlichen Schädeln in dem hierfür eher ungeeigneten Werkstoff Glas handelt. Da die „Vorlage“
demnach der Natur entnommen ist und menschliche Schädel in aller Regel äußerst ähnlich gewachsen sind, müssen
alle derartigen Entwürfe die Charakteristika von Schädeln aufweisen, denn anderenfalls wären sie nicht als solche zu
erkennen. Dies betrifft etwa das Vorhandensein und die Anordnung von Augen- und Nasenöffnungen, die
Kiefergestaltung mit Zahnleisten oder die gesamten Proportionen. Die konkreten Gestaltungen dieser „notwendigen“
Gestaltungsmerkmale hingegen sind wiederum bei den dreizehn historischen Kristallschädeln recht unterschiedlich,
etwa in Bezug auf Detaildichte, „Gesichtsausdruck“ oder Naturalismus / Abstraktionsgrad der Darstellung. Damit blieb
auch in Ansehung der historischen Kristallschädel selbst im Hinblick auf die isolierte Gestaltung von gläsernen
Totenschädeln ein keineswegs ganz geringer Raum für den Entwerfer. Dahinstehen kann daher, ob die dreizehn
Kristallschädel zur Zeit des Entwurfs des Verfügungsgeschmacksmusters durch die Präsentation in verschiedenen
Museen überhaupt im Sinne des Art. 7 I GGV offenbart waren.
(2) Die weiteren von den Parteien diskutierten älteren Entwürfe von Flaschen in Form von Totenköpfen vermitteln
einen vom Verfügungsgeschmacksmuster erheblich abweichenden Gesamteindruck.
Die Abbildungen zu dem US Design Patent No. D459,213 von 2002 (AnlKonv ASt 7) zeigen eine in wesentlichen
Elementen vom Verfügungsgeschmacksmuster abweichende Gestaltung:
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Die Darstellung des „Schädels“ ist hier eher unbeholfen und abstrakt reduziert, fast „kindlich“. Die Detaildichte ist
wesentlich geringer als beim Verfügungsgeschmacksmuster. Auch die beim Verfügungsgeschmacksmuster zu
findende gegenseitige „Durchdringung“ der Elemente „Flasche“ und „Schädel“, aus der sich ein harmonisches Ganzes
ergibt, ist hier nicht vorhanden, vielmehr wirkt der Flaschenhals bei diesem Entwurf wie ein aufgesetzter Fremdkörper.
Insbesondere die markante „Basis“ des Verfügungsgeschmacksmusters findet sich hier nicht in ähnlich prominenter
Gestaltung, sondern wird eher versteckt.
Die von der Antragstellerin vorgelegten Abbildungen eines US Design Patentes aus dem Jahre 1894 (No. 23,399)
(ebenfalls AnlKonv ASt 7) zeigen einen wenig realistischen, fast karikaturhaften „Schädel“. Dieser ist zudem nicht als
ein vollständiger Schädel gestaltet, sondern ist als untergeordnetes Element auf einer – den Gesamteindruck
dominierenden - Flasche aufgebracht:
Abbildungen zu einem unstreitig vorhandenen US Pat.Nr. 164,265 aus dem Jahr 1875, das ebenfalls einen Totenkopf
als Flaschenform beinhalten soll, haben die Parteien nicht vorgelegt. Die von der Antragsgegnerin in diesem
Zusammenhang angeführten Abbildungen von „älteren Totenkopf-Giftflaschen“ vermitteln aber ebenfalls einen
vollständig anderen Gesamteindruck als das Verfügungsgeschmacksmuster, denn hier dominiert das Element der
Flasche in einem Maße, dass des Element des Schädels eher wie ein Relief auf einer im Übrigen typischen
Flaschenform wirkt:
Alle diese Gestaltungsvarianten machen demnach sogar eher deutlich, welchen weiten Spielraum die Entwerfer des
Verfügungsgeschmacksmusters bei der Gestaltung einer Flasche in Form eines Totenkopfes hatten. Vor allem bei der
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Verbindung der im Ausgangspunkt recht konträren Formelemente „Schädel“ und „Flasche“ konnte man – wie die
diskutierten früheren Gestaltungen belegen – auch zu ganz anderen Lösungen kommen.
cc. Das Verletzungsmuster verletzt nach allem das Verfügungsgeschmacksmuster.
aaa. Für die Verletzungsprüfung kommt es darauf an, ob der Gesamteindruck des angegriffenen Musters mit dem
Gesamteindruck des eingetragenen Musters übereinstimmt (BGH GRUR 2011, 142 [Tz.20] – Untersetzer). Zur
Beurteilung, ob das angegriffene Muster beim informierten Benutzer keinen anderen Gesamteindruck als das
eingetragene Muster erweckt, sind zunächst der Gesamteindruck des angegriffenen Musters und der Gesamteindruck
des eingetragenen Musters zu ermitteln. Sodann ist zu prüfen, ob der Gesamteindruck des angegriffenen Musters mit
dem Gesamteindruck des eingetragenen Musters übereinstimmt. Dabei sind nicht nur die Übereinstimmungen,
sondern auch die Unterschiede der Muster zu berücksichtigen (BGH aaO Tz.20 - Untersetzer; BGH GRUR 2011, 1117
[Tz.36] - ICE).
Für die Anwendung von Art.10 I GGV ist zunächst der jeweilige Gesamteindruck der sich gegenüber stehenden
Muster durch eine Merkmalsanalyse zu ermitteln. Anschließend sind die Muster einander gegenüber zu stellen, wobei
die Übereinstimmungen und Abweichungen festzustellen und in ihrer Auswirkung für den Gesamteindruck zu
gewichten sind (Ruhl aaO Art. 10 Rz.14 i.V.m. Art.6 Rn. 18 ff.; Eichmann / von Falckenstein, GeschmMG, 3.Aufl., §
38 Rz.26 m.w.N.). Je größer die Gestaltungsfreiheit des Entwerfers des angegriffenen Musters ist, desto mehr ist es
ihm zuzumuten, einen Abstand zu dem geschützten Muster einzuhalten, d.h. die Gemeinsamkeiten der zu
vergleichenden Muster wiegen bei einem hohen Grad der Gestaltungsfreiheit schwerer als bei einem geringen Grad der
Gestaltungsfreiheit (Ruhl aaO Art.10, Rz.35).
Der informierte Benutzer, auf dessen Betrachtungsweise abzustellen ist, ist weder der Durchschnittsverbraucher noch
ein Designfachmann, sondern ein potentieller Abnehmer, der ein bestimmtes Maß an Kenntnissen oder ein gewisses
Designbewusstsein hat und dem Design in dem jeweiligen Bereich eine gewisse Beachtung schenkt (Senat, Urteil v.
20.12.2006, 5 U 135/05, S.14 m.w.N.). Die Erwartungen des informierten Benutzers richten sich nach dem jeweiligen
Industriebereich und der Erzeugnisart (Ruhl aaO, Art.10 Rz.23). Die Vergleichsobjekte sind einander unmittelbar
gegenüber zu stellen. Es geht nicht um die Beurteilung einer Verwechslungsgefahr aus dem undeutlichen
Erinnerungsbild eines Verbrauchers wie im Markenrecht (Senat a.a.O. S.15 mwN) oder im Wettbewerbsrecht (BGH
GRUR 2007, 795 Rn.34 – Handtaschen).
bbb. Nach diesen Kriterien liegt hier eine Verletzung des Verfügungsgeschmacksmusters vor, denn
Verfügungsgeschmacksmuster und Verletzungsmuster vermitteln im Wesentlichen denselben Gesamteindruck. Da
der Senat ständig mit Fragen des Geschmacksmusterrechts befasst ist und seine Mitglieder zu den angesprochenen
Verkehrskreisen für die streitgegenständlichen Produkte gehören, hat er die erforderliche Sachkunde, um die
Sichtweise eines informierten Benutzers aus eigener Kenntnis beurteilen zu können.
Die Gemeinsamkeiten der sich einander gegenüberstehenden Muster überwiegen bei Weitem die vorhandenen
Unterschiede:
Zwar ist die „Augenpartie“ beim Verletzungsmuster im Verhältnis etwas kleiner gestaltet als diejenige des
Verfügungsgeschmacksmusters, allerdings fällt dieser Unterschied kaum ins Auge. Weiterhin ist der untere Rand der
„Augen“ beim Verletzungsmuster deutlich gerader gestaltet als beim Verfügungsgeschmacksmuster. Zutreffend weist
die Antragsgegnerin auch darauf hin, dass die „Mundpartie“ beim Verletzungsmuster insgesamt schmaler wirkt und
dass die „Zähne“ kleiner und rundlicher gestaltet sind. Nicht zu teilen vermag der Senat hingegen die Ansicht der
Antragsgegnerin, dass die Gestaltung des „Oberkiefers“ sich bei den widerstreitenden Mustern markant unterscheide:
Insbesondere die Seitenansichten des Verfügungsgeschmacksmusters und des Verletzungsmusters zeigen, dass der
von der Antragsgegnerin genannte „Höcker“ des Angriffsmusters keineswegs besonders markant ist; vielmehr ist das
„Profil“ der beiden Schädel äußerst ähnlich. Ein Unterschied in der Frontansicht der Schädelform, den die
Antragsgegnerin anführt, besteht zwar, dieser ist aber keineswegs so markant, wie die Antragsgegnerin meint.
Vielmehr weisen beide Muster die – auch in der Natur bestehende – kuppelförmige Ausbildung der „Hirnschale“ mit
deutlicher Verjüngung unterhalb der „Wangenknochen“ auf. Zutreffend allerdings weist die Antragsgegnerin daraufhin,
dass die Gestaltung der Sockel von Verfügungsgeschmacksmuster und Verletzungsmuster deutliche Unterschiede
zeigt: Das Verfügungsgeschmacksmuster ruht alleine auf dem „Halsansatz“, das „Kinn“ steht frei, der „Unterkiefer“ ist
deutlich herausgearbeitet. Beim Verletzungsmuster hingegen enden „Schädel“ , „Unterkiefer“ und „Kinn“ in einem
durchgehenden massiven Sockel, der vom „Nacken“ bis zur „Kinnspitze“ reicht und damit das Verletzungsmuster
weniger „schwebend“, sondern vielmehr in den Sockel „eingebunden“ erscheinen lässt.
Die vorhandenen Unterschiede vermitteln jedoch aus der Sicht des informierten Betrachters keinen anderen
Gesamteindruck. Diese Unterschiede betreffen vor allem Details der Gestaltung. Die den Gesamteindruck vor allem
prägenden übergeordneten Gestaltungsmerkmale des Verfügungsgeschmacksmusters und des Verletzungsmusters
hingegen stimmen weitestgehend überein:
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Der Gesamteindruck wird ganz wesentlich davon geprägt, wie man in beiden Fällen welche Flaschenelemente in die
mehr oder weniger naturgegebene Schädelform eingepasst hat. Dies ist hier indes bei beiden Mustern in sehr ähnlicher
Weise geschehen: Bei beiden Mustern ist der Flaschenhals ähnlich proportioniert und mittig oben auf der
Schädeldecke angesetzt. Bei beiden Mustern ist der Flaschenhals leicht nach hinten „gekippt“. Bei beiden Mustern
findet sich ein „Sockel“, der aus der Form des unteren Schädelendes entsteht und wie ein – nicht skelettierter –
menschlicher „Hals“ wirkt. Beide Schädel „gucken“ in „Ruhestellung“ den Betrachter leicht von unten an. Auch die
Proportionen der Schädel sind insgesamt sehr ähnlich gewählt. Insgesamt ergibt sich der Eindruck, dass sich die
Formelemente „Flasche“ und „Schädel“, aus denen die widerstreitenden Muster beide zusammengefügt sind, jeweils
gegenseitig „durchdringen“ und zu einem neuen Ganzen zusammenfügen, das sowohl die Darstellung eines Schädels
wie auch ersichtlich eine Flasche ist, ohne dass eines dieser beiden Elemente einen eindeutigen Vorrang vor dem
anderen erringt. Diese Besonderheit der Gestaltung ist beiden Mustern zu Eigen und prägt dieser in allererster Linie.
Nach allem wird beim informierten Betrachter durch die widerstreitenden Muster kein anderer, sondern vielmehr ein
weitgehend identischer Eindruck hervorgerufen.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 I ZPO.