Urteil des OLG Frankfurt vom 12.02.2008

OLG Frankfurt: erwerb eigener aktien, beschränkung, ermächtigung, satzung, fragerecht, aktionär, tagesordnung, entlastung, versammlung, geschäftsordnung

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Gericht:
OLG Frankfurt 5.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 U 8/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 131 Abs 2 S 2 AktG, Art 14
Abs 1 GG
(Aktiengesellschaft: Grenzen satzungsgemäßer Möglichkeit
der Beschränkung des Rede- und Fragerechts der
Aktionäre in der Hauptversammlung)
Leitsatz
§ 131 Abs. 2 Satz 2 AktG rechtfertigt bei gebotener verfassungskonformer Auslegung
eine abstrakte Beschränkung des Rede- und Fragerechts des Aktionärs in der
Hauptversammlung durch Satzung oder Geschäftsordnung.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 28.11.2006 verkündete Urteil der 5.
Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt am Main abgeändert.
Der in der Hauptversammlung der Beklagten vom 11.5.2006 unter Top 9 (c)
gefasste Beschluss zur Ergänzung der Satzung um einen neuen § 20 a
"Beschränkung des Rede- und Fragerechts der Aktionäre in der
Hauptversammlung" wird insgesamt für nichtig erklärt.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird
nachgelassen, die Zwangsvollstreckung des Klägers gegen Sicherheitsleistung in
Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden,
soweit nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des
jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Der Kläger war bei Bekanntmachung der Tagesordnung und ist heute noch
Aktionär der Beklagten. Er war in der Hauptversammlung der Beklagten vom
11.5.2006 vertreten und legte gegen die Beschlussfassung zu Top 9 (c)
Widerspruch ein. Der gefasste Beschluss ging entsprechend der Ankündigung in
der Einladung zur Hauptversammlung dahin, die Satzung um einen neuen § 20 (a)
zu ergänzen mit folgendem Text:
"§ 20 (a) - Beschränkung des Rede- und Fragerechts der Aktionäre in der
Hauptversammlung
(1) Der Versammlungsleiter hat das Recht, das Frage- und Rederecht der
Aktionäre zeitlich nach Maßgabe des Folgenden zu beschränken:
a) Ist nach der Tagesordnung (einschließlich etwaiger Minderheitsverlangen nach §
122 AktG) nur über die Gegenstände Verwendung des Bilanzgewinns, Entlastung
der Mitglieder des Vorstands, Entlastung der Mitglieder des Aufsichtsrats, Wahl des
Abschlussprüfers und Ermächtigung zum Erwerb eigener Aktien oder einzelne
dieser Gegenstände Beschluss zu fassen, kann der Versammlungsleiter das Rede-
und Fragerecht der Aktionäre in solcher Weise zeitlich beschränken, dass die
Hauptversammlung insgesamt nicht länger als sechs Stunden dauert. Bei der
Berechnung der Dauer der Hauptversammlung bleiben die Zeiträume außer
Betracht, die auf Unterbrechungen der Hauptversammlung und die Rede des
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Betracht, die auf Unterbrechungen der Hauptversammlung und die Rede des
Vorstandes sowie die Ausführungen des Versammlungsleiters vor Beginn der
Generaldebatte entfallen.
b) Ist nach der Tagesordnung (einschließlich etwaiger Minderheitsverlangen nach §
122 AktG) auch über andere Gegenstände als nach Buchstabe a) Beschluss zu
fassen, kann der Versammlungsleiter das Rede- und Fragerecht der Aktionäre in
solcher Weise zeitlich beschränken, dass die Hauptversammlung insgesamt nicht
länger als zehn Stunden dauert. Buchstabe a) S. 2 gilt entsprechend.
c) Der Versammlungsleiter kann die Rede- und Fragezeit eines Aktionärs je
Wortmeldung auf 15 Minuten beschränken und, wenn sich im Zeitpunkt der
Worterteilung an den Aktionär mindestens drei weitere Redner angemeldet haben,
auf zehn Minuten. Der Versammlungsleiter kann die Rede- und Fragezeit, die
einem Aktionär während der Versammlung insgesamt zusteht, auf 45 Minuten
beschränken.
d) Die Beschränkungen nach Buchstaben a) bis c) können vom
Versammlungsleiter jederzeit, auch zu Beginn der Versammlung, angeordnet
werden.
e) Beschränkungen nach Maßgabe der vorstehenden Buchstaben a) bis d) gelten
als angemessen im Sinne des § 131 Abs. 2 S. 2 AktG.
(2) Unabhängig von dem Recht des Versammlungsleiters, das Frage- und
Rederecht der Aktionäre nach Maßgabe von Abs. 1 zu beschränken, kann der
Versammlungsleiter um 22.30 Uhr des Versammlungstages den Debattenschluss
anordnen und mit den Abstimmungen zu den Tagesordnungspunkten beginnen.
Nach Anordnung des Debattenschlusses sind in den Fällen des Satzes 1 weitere
Fragen nicht mehr zulässig.
(3) Das Recht des Versammlungsleiters, das Rede- und Fragerecht der Aktionäre
über die Bestimmungen in Abs. 1 und 2 hinaus nach Maßgabe der gesetzlichen
Bestimmungen oder nach Maßgabe sonstiger in der Rechtsprechung anerkannter
Grundsätze einzuschränken, bleibt von den Regelungen in Abs. 1 und 2
unberührt."
Mit der am 13.6.2006, einem Montag, bei dem Landgericht Darmstadt
eingereichten Klage, die auf seinen Antrag am 21.6.2006 bei gleichzeitiger
Kostenanforderung an das Landgericht Frankfurt am Main abgegeben worden ist
und am 13.7.2006 zugestellt worden ist, macht der Kläger die Anfechtbarkeit der
Satzungsänderung wegen eines Verstoßes gegen § 131 Abs. 2 S. 2 AktG geltend,
weil die Satzungsänderung feste Zeiten für Rede und Frage vorsehe, wodurch sie
dem Einzelfall nicht gerecht werde. Außerdem werde die Nachprüfbarkeit des
Ermessens des Versammlungsleiters in nicht zulässiger Weise beschränkt.
Der Kläger hat beantragt,
den in der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 11.5.2006 zu
Top 9 (c) gefassten Beschluss über die Beschränkung des Rede- und Fragerechts
der Aktionäre in der Hauptversammlung mit nachstehendem Inhalt für nichtig zu
erklären:
""§ 20 (a) - Beschränkung des Rede- und Fragerechts der Aktionäre in der
Hauptversammlung (1) Der Versammlungsleiter hat das Recht, das Frage- und
Rederecht der Aktionäre zeitlich nach Maßgabe des Folgenden zu beschränken:
a) Ist nach der Tagesordnung (einschließlich etwaiger Minderheitsverlangen nach §
122 AktG) nur über die Gegenstände Verwendung des Bilanzgewinns, Entlastung
der Mitglieder des Vorstands, Entlastung der Mitglieder des Aufsichtsrats, Wahl des
Abschlussprüfers und Ermächtigung zum Erwerb eigener Aktien oder einzelne
dieser Gegenstände Beschluss zu fassen, kann der Versammlungsleiter das Rede-
und Fragerecht der Aktionäre in solcher Weise zeitlich beschränken, dass die
Hauptversammlung insgesamt nicht länger als sechs Stunden dauert. Bei der
Berechnung der Dauer der Hauptversammlung bleiben die Zeiträume außer
Betracht, die auf Unterbrechungen der Hauptversammlung und die Rede des
Vorstandes sowie die Ausführungen des Versammlungsleiters vor Beginn der
Generaldebatte entfallen.
b) Ist nach der Tagesordnung (einschließlich etwaiger Minderheitsverlangen nach §
122 AktG) auch über andere Gegenstände als nach Buchstabe a) Beschluss zu
fassen, kann der Versammlungsleiter das Rede- und Fragerecht der Aktionäre in
solcher Weise zeitlich beschränken, dass die Hauptversammlung insgesamt nicht
länger als zehn Stunden dauert. Buchstabe a) S. 2 gilt entsprechend.
c) Der Versammlungsleiter kann die Rede- und Fragezeit eines Aktionärs je
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c) Der Versammlungsleiter kann die Rede- und Fragezeit eines Aktionärs je
Wortmeldung auf 15 Minuten beschränken und, wenn sich im Zeitpunkt der
Worterteilung an den Aktionär mindestens drei weitere Redner angemeldet haben,
auf zehn Minuten. Der Versammlungsleiter kann die Rede- und Fragezeit, die
einem Aktionär während der Versammlung insgesamt zusteht, auf 45 Minuten
beschränken.
d) Die Beschränkungen nach Buchstaben a) bis c) können vom
Versammlungsleiter jederzeit, auch zu Beginn der Versammlung, angeordnet
werden. Beschränkungen nach Maßgabe der vorstehenden Buchstaben a) bis d)
gelten als angemessen im Sinne des § 131 Abs. 2 S. 2 AktG.
e) Unabhängig von dem Recht des Versammlungsleiters, das Frage- und
Rederecht der Aktionäre nach Maßgabe von Abs. 1 zu beschränken, kann der
Versammlungsleiter um 22.30 Uhr des Versammlungstages den Debattenschluss
anordnen und mit den Abstimmungen zu den Tagesordnungspunkten beginnen.
Nach Anordnung des Debattenschlusses sind in den Fällen des Satzes 1 weitere
Fragen nicht mehr zulässig.
Das Recht des Versammlungsleiters, das Rede- und Fragerecht der Aktionäre über
die Bestimmungen in Abs. 1 und 2 hinaus nach Maßgabe der gesetzlichen
Bestimmungen oder nach Maßgabe sonstiger in der Rechtsprechung anerkannter
Grundsätze einzuschränken, bleibt von den Regelungen in Abs. 1 und 2
unberührt."
hilfsweise, festzustellen, dass der in der ordentlichen Hauptversammlung der
Beklagten vom 11.5.2006 unter Top 9 (c) gefasste Beschluss über die
Beschränkung des Rede- und Fragerechts der Aktionäre in der Hauptversammlung
mit vorstehend genanntem Inhalt nichtig (äußerst hilfsweise: unwirksam ) ist.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie ist der Ansicht gewesen, die Satzungsänderung verstoße nicht gegen das
Gesetz.
Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Landgericht die Klage abgewiesen,
weil die zeitlichen Vorgaben in der Satzung dem Bemühen des Gesetzgebers
entsprächen, die Hauptversammlung durch Verbesserung der Diskussionskultur
aufzuwerten und einen Klagemissbrauch zu vermeiden. Dem diene es, wenn die
satzungsmäßige Konkretisierung einen anfechtungssicheren
Entscheidungsrahmen darstelle. Zu den weiteren Einzelheiten des
erstinstanzlichen Parteivorbringens und der Entscheidungsgründe wird auf das
Urteil Bezug genommen (Bl. 107-118 d.A.).
Die Berufung des Klägers verfolgt das erstinstanzliche Ziel weiter und wiederholt
im Wesentlichen den erstinstanzlich eingenommenen Rechtsstandpunkt.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und den in der ordentlichen
Hauptversammlung der Beklagten vom 11.5.2006 zu Top 9 (c) gefassten
Beschluss über die Beschränkung des Rede- und Fragerechts der Aktionäre in der
Hauptversammlung mit nachstehendem Inhalt für nichtig zu erklären:
""§ 20 (a) - Beschränkung des Rede- und Fragerechts der Aktionäre in der
Hauptversammlung
(1) Der Versammlungsleiter hat das Recht, das Frage- und Rederecht der
Aktionäre zeitlich nach Maßgabe des Folgenden zu beschränken:
a) Ist nach der Tagesordnung (einschließlich etwaiger Minderheitsverlangen
nach § 122 AktG) nur über die Gegenstände Verwendung des Bilanzgewinns,
Entlastung der Mitglieder des Vorstands, Entlastung der Mitglieder des
Aufsichtsrats, Wahl des Abschlussprüfers und Ermächtigung zum Erwerb eigener
Aktien oder einzelne dieser Gegenstände Beschluss zu fassen, kann der
Versammlungsleiter das Rede- und Fragerecht der Aktionäre in solcher Weise
zeitlich beschränken, dass die Hauptversammlung insgesamt nicht länger als
sechs Stunden dauert. Bei der Berechnung der Dauer der Hauptversammlung
bleiben die Zeiträume außer Betracht, die auf Unterbrechungen der
Hauptversammlung und die Rede des Vorstandes sowie die Ausführungen des
Versammlungsleiters vor Beginn der Generaldebatte entfallen.
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b) Ist nach der Tagesordnung (einschließlich etwaiger Minderheitsverlangen
nach § 122 AktG) auch über andere Gegenstände als nach Buchstabe a)
Beschluss zu fassen, kann der Versammlungsleiter das Rede- und Fragerecht der
Aktionäre in solcher Weise zeitlich beschränken, dass die Hauptversammlung
insgesamt nicht länger als zehn Stunden dauert. Buchstabe a) S. 2 gilt
entsprechend.
c) Der Versammlungsleiter kann die Rede- und Fragezeit eines Aktionärs je
Wortmeldung auf 15 Minuten beschränken und, wenn sich im Zeitpunkt der
Worterteilung an den Aktionär mindestens drei weitere Redner angemeldet haben,
auf zehn Minuten. Der Versammlungsleiter kann die Rede- und Fragezeit, die
einem Aktionär während der Versammlung insgesamt zusteht, auf 45 Minuten
beschränken.
d) Die Beschränkungen nach Buchstaben a) bis c) können vom
Versammlungsleiter jederzeit, auch zu Beginn der Versammlung, angeordnet
werden. Beschränkungen nach Maßgabe der vorstehenden Buchstaben a) bis d)
gelten als angemessen im Sinne des § 131 Abs. 2 S. 2 AktG.
e) Unabhängig von dem Recht des Versammlungsleiters, das Frage- und
Rederecht der Aktionäre nach Maßgabe von Abs. 1 zu beschränken, kann der
Versammlungsleiter um 22.30 Uhr des Versammlungstages den Debattenschluss
anordnen und mit den Abstimmungen zu den Tagesordnungspunkten beginnen.
Nach Anordnung des Debattenschlusses sind in den Fällen des Satzes 1 weitere
Fragen nicht mehr zulässig.
Das Recht des Versammlungsleiters, das Rede- und Fragerecht der Aktionäre
über die Bestimmungen in Abs. 1 und 2 hinaus nach Maßgabe der gesetzlichen
Bestimmungen oder nach Maßgabe sonstiger in der Rechtsprechung anerkannter
Grundsätze einzuschränken, bleibt von den Regelungen in Abs. 1 und 2
unberührt." ,
mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Unterziffern des angefochtenen
Beschlusses der Wiedergabe in der Einladung zur Hauptversammlung folgt,
hilfsweise, festzustellen, dass der in der ordentlichen Hauptversammlung der
Beklagten vom 11.5.2006 unter Top 9 (c) gefasste Beschluss über die
Beschränkung des Rede- und Fragerechts der Aktionäre in der Hauptversammlung
mit vorstehend genanntem Inhalt nichtig (äußerst hilfsweise: unwirksam ) ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, die Regelung des Beschlusses unter 1) e hinsichtlich der
Angemessenheit getroffener Beschränkungen im Sinne des § 131 Abs. 2 S. 2 AktG
habe lediglich deklaratorische Bedeutung.
Der Senat hat mit Beschluss vom 25.5.2007 auf Bedenken hinsichtlich der
Zulässigkeit der Bestimmung über die Angemessenheit getroffener
Beschränkungen hingewiesen.
II. Die Berufung des Klägers ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht
eingelegt und gerechtfertigt worden. Das Rechtsmittel hat Erfolg, weil die
Entscheidung des Landgerichts auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 513 Abs. 1
ZPO i.V.m. § 546 Abs. 1 ZPO). Das Landgericht hat nämlich nicht zutreffend
gesehen, dass der gefasste Beschluss gemäß § 243 Abs. 1 AktG angefochten
werden kann, weil er § 131 Abs. 2 Satz 2 AktG verletzt.
Der Kläger ist nach § 245 Abs. 1 Ziff. 1 AktG anfechtungsbefugt, denn er erwarb
seine Aktien schon vor der Bekanntmachung der Tagesordnung und erklärte
gegen den gefassten Beschluss als in der Hauptversammlung vertretener Aktionär
Widerspruch zur Niederschrift. Er hat auch seine Anfechtungsklage innerhalb der
Monatsfrist des § 246 Abs. 1 AktG erhoben, weil die Zustellung der Klage am
13.7.2006 an Vorstand und Aufsichtsrat als demnächst im Sinne des § 167 ZPO
anzusehen ist. Die Einreichung der Klage bei dem unzuständigen Landgericht
Darmstadt hat zu keiner nennenswerten Verzögerung bei der Zustellung geführt.
Allerdings war das Landgericht Darmstadt trotz des Sitzes der Beklagten in dem
dortigen Bezirk gemäß § 246 Abs. 3 S. 1 AktG örtlich nicht zuständig, weil die
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dortigen Bezirk gemäß § 246 Abs. 3 S. 1 AktG örtlich nicht zuständig, weil die
Hessische Landesregierung von der Ermächtigung in § 246 Abs. 3 S. 3 AktG iVm. §
142 Abs. 5 S. 5 AktG zu Gunsten des Landgerichts Frankfurt am Main Gebrauch
gemacht hat (GVBl Hessen 2006, 55 und GVBl Hessen 2006, 101). Gemäß § 167
ZPO iVm. § 262 ZPO kommt es aber auch bei der Einreichung einer Klage bei dem
unzuständigen Gericht nur darauf an, ob die Zustellung noch demnächst erfolgt
ist. Durch die Abgabe infolge Einreichung bei dem Landgericht Darmstadt
entstand keine nennenswerte Verzögerung, weil das Landgericht Darmstadt mit
der Abgabeverfügung den Kostenvorschuss am 21.6.2006 angefordert hat und ab
dessen rechtzeitigem Eingang am 23.6.2006 nur noch vier Tage vergangen sind,
bis die Akte dem Landgericht vorgelegen hat. Vom Zustellbetreiber verursachte
Verzögerungen in diesem Umfang bleiben jedoch unberücksichtigt (BGH NJW
2004, 3775; Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl. § 167 Rz. 11).
Die beschlossene Satzungsergänzung verstößt gegen § 131 Abs. 2 Satz 2 AktG.
Sie stellt keine zulässige Ausübung der im 2. Halbsatz des § 131 Abs. 2 Satz 2
AktG erteilten gesetzlichen Ermächtigung vor, Näheres zur zeitlich angemessenen
Beschränkung der Frage -und Redemöglichkeiten in den Hauptversammlungen
mittels Satzung oder Geschäftsordnung zu bestimmen.
Der Inhalt der durch § 131 Abs.2 Satz 2 AktG erteilten Ermächtigung an die
Hauptversammlung bedarf der Gesetzesauslegung. Danach kann die
Ermächtigung nicht so weit gehen, Anordnungen des Versammlungsleiters in
einem von der Satzung festgelegten Bereich einer gerichtlichen Kontrolle zu
entziehen, wie dies aber geschähe, wenn die Satzungsänderung Bestand hätte
und die vom Versammlungsleiter getroffenen Maßnahmen in dem von der
Satzung vorgegebenen Rahmen als angemessen fingiert werden würden (vgl.
Absatz 1 e der Satzungsänderung). § 131 Abs. 2 Satz 2 AktG ist dabei dahin
auszulegen, dass gerichtsfeste Anordnungsspielräume von der Gesellschaft nicht
bestimmt werden können.
Im Einzelnen:
Der Wortlaut der Gesetzesbestimmung lässt offen, was unter "Näheres" zu
verstehen ist, kann also auf das Verfahren wie auch auf eine Beschränkung selbst
bezogen sein. Die Systematik, also der Zusammenhang mit dem ersten Halbsatz
der Bestimmung („kann ...ermächtigen, ... zeitlich angemessen zu beschränken“),
deutet darauf hin, dass der Beschränkungsumfang als Gegenstand der
übertragenen Regelungsbefugnis zum „Näheren“ nicht gemeint sein kann. Denn
nach dem ersten Halbsatz der Vorschrift soll die Beschränkung angemessen sein,
d.h. an den Verhältnissen des Einzelfalls gemessen werden, nämlich an den
Bedürfnissen in der konkreten Hauptversammlung. Das ist bei einer abstrakten
Regelung grundsätzlich nicht möglich.
Die Entstehungsgeschichte der Gesetzesbestimmung spricht eher für einen Willen
zur Schaffung gerichtsfester Anordnungsbereiche. Während die Begründung der
Bundesregierung zu dem Entwurf des UMAG (BT Drucksache 15/5092, S. 17) noch
als Kernelement der Neuregelung die Zusammenfassung von Redezeiten und
Fragezeiten durch den Versammlungsleiter ansieht, wird andererseits von einem
Ermächtigungsrahmen gesprochen und auch von der Angemessenheit seiner
Ausfüllung. In einer Veröffentlichung des zuständigen Referatsleiters (Seibert, WM
2005, 159, 160) wird die Ansicht geäußert, es handele sich um eine Ermächtigung
zu einer Rahmenregelung durch die Satzung, deren Bestand dem
Versammlungsleiter eine "sichere Basis für seine Anordnung" geben solle.
Eine Auslegung unter Berücksichtigung eines solchen Regelungszwecks würde
jedoch gegen Art. 14 Abs. 1 GG verstoßen, weshalb sie einschränkend und
verfassungskonform zu erfolgen hat. Nach der Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts vom 20.9.1999 (NJW 2000, 349) genießt das
Aktionärsrecht, Informationen zu erhalten, als wesentlicher Bestandteil des durch
Art. 14 Abs. 1 GG erfassten Mitgliedschaftsrechts ebenfalls Grundrechtsschutz.
Eine Beschränkung dieses Grundrechts durch ein Gesetz im Sinne des Art. 14 Abs.
1 S. 2 GG muss also verhältnismäßig sein, d.h. geeignet, erforderlich und dem
Zweck angemessen. Verfolgter Zweck ist, wie in den Gesetzesmaterialien zum
Ausdruck gekommen, die Steigerung der Effektivität der Hauptversammlung,
verwirklicht durch die Erreichung der Zwischenziele "Förderung der
Diskussionskultur" und "Vorbeugung vor Missbrauch" (vgl. Bundestagsdrucksache,
wie oben).
Dieser Erfolg kann mit einer Ermächtigung der Hauptversammlung zu einer
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Dieser Erfolg kann mit einer Ermächtigung der Hauptversammlung zu einer
abstrakten, im Einzelfall nicht mehr nachprüfbaren Zeitbestimmung in einer
Satzung oder Geschäftsordnung nicht erreicht werden. Einem so verstandenen
Gesetzesinhalt würde ein Eignungsmangel im Hinblick auf den verfolgten Zweck
anhaften. Eine Festlegung angemessener Zeitgrenzen ohne Rücksicht auf die
Belange der jeweils anstehenden Hauptversammlung ist sachgerecht nicht
möglich. Es mangelt an Kriterien, an denen sich eine solche Festlegung ausrichten
könnte. Weder die Höhe des Stammkapital noch die Aktionärstruktur oder auch
die Erfahrungen mit vergangenen Hauptversammlungen ermöglichen eine
Festlegung für die Zukunft, wie auch die in der Regierungsbegründung
befürwortete Regeldauer einer Hauptversammlung keine Vorabfestlegung zu
rechtfertigen vermag.
Das vom Landgericht unter Hinweis auf die Regierungsbegründung gebrauchte
Argument, es müsse einem Missbrauch der Redezeit vorgebeugt werden, ist in
diesem Zusammenhang nicht überzeugend. Einem Missbrauch eines Rechts kann
nicht in tauglicher Weise dadurch vorgebeugt werden, dass das Recht selbst
abgeschafft oder begrenzt wird.
Mit der verfassungskonform restriktiven Auslegung wird die erteilte Ermächtigung
zur Bestimmung des "Näheren" nicht inhaltsleer, weil das Verfahren zur
Beschränkung durch die Hauptversammlung näher geregelt werden kann.
Die angegriffene Satzungsbestimmung will, wie Abs.1 (e) es zum Ausdruck bringt,
eine vom Versammlungsleiter innerhalb eines ihm von der Satzung eingeräumten
Rahmens getroffene Entscheidung einer gerichtlichen Nachprüfung entziehen. Das
ist der sich bei der gebotenen objektiven Auslegung ergebende Inhalt der
Bestimmung "gelten als angemessen". Damit ist die Satzungsergänzung von §
131 Abs.2 Satz 2 AktG nicht mehr gedeckt.
Der Gesetzesverstoß führt zur Anfechtbarkeit der gesamten, beschlossenen
Satzungsänderung, denn eine Aufrechterhaltung einzelner Teile des
Beschlusspunktes kommt nach § 139 BGB nicht in Betracht. Der
Einheitlichkeitswille ergibt sich aus der Zusammenfassung der verschiedenen
Änderungen unter einem Tagesordnungspunkt und einem Punkt zur
Satzungsergänzung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur
vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10 und 711 ZPO. Die Revision
wird zugelassen, weil die Entscheidung grundsätzliche Bedeutung hat (§ 543 Abs.2
Nr.1 ZPO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.