Urteil des OLG Frankfurt vom 21.04.2009

OLG Frankfurt: altes recht, örtliche zuständigkeit, versicherer, prämie, form, lebensversicherungsvertrag, versicherungsnehmer, gerichtsstand, arbeitsrecht, ausnahme

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Gericht:
OLG Frankfurt 3.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 W 20/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 48aF VVG, § 215 VVG
(Lebensversicherungsvertrag: Örtlich zuständiges Gericht
für eine Klage gegen den Versicherer in Ansehung
gesetzlicher Neuregelung)
Leitsatz
Die örtliche Zuständigkeit für vom Versicherungsnehmer gegen den Versicherer nach
dem 1.1.2008 erhobene Klagen bestimmt sich nach § 215 VVG in der ab 1.1.2008
geltenden Fassung und nicht mehr nach § 48 VVG a. F.
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Landgerichts
Frankfurt a.M. vom 10.03.2009 aufgehoben.
Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
Die Klägerin macht Ansprüche aus einer Rentenversicherung mit der Beklagten
geltend.
Nach Fälligkeit einer Lebensversicherung Ende 1999 verhandelten die Parteien
über den Abschluss einer Rentenversicherung. Für die Beklagte war dabei deren
Geschäftsstellenleiter Herr A beteiligt. An diesen wurden die Leistungen aus der
Lebensversicherung (39.773,40 €) ausgezahlt, von ihm erhielt die Klägerin
zwischen März 2002 und Dezember 2007 monatlich 297,88 €. Danach stellte sich
heraus, dass Herr A die Lebensversicherungs-Leistungen nicht an die Beklagte
weitergeleitet hatte. Die Klägerin begehrt im Wesentlichen Feststellung, dass mit
der Beklagten ein Rentenversicherungsvertrag besteht. Ihren Antrag auf
Gewährung von Prozesskostenhilfe hat das Landgericht mit Beschluss vom
10.03.2009, der Klägerin am 13.03.2009 zugestellt, mangels Erfolgsaussicht
abgelehnt. Die Klage sei zwar zulässig, aber unbegründet, weil ein Angebot der
Beklagten auf Abschluss des behaupteten Rentenversicherungsvertrags nicht
vorgetragen sei, die Prämie in Form der Lebensversicherungsleistung nicht an die
Beklagte geleistet worden sei und die Beklagte für Unterschlagungen des Herrn A
nicht einzustehen habe.
Hiergegen richtet sich die am 19.03.2009 eingegangene sofortige Beschwerde der
Klägerin, die weiterhin Prozesskostenhilfe begehrt.
Diese Beschwerde ist zulässig, insbesondere an sich statthaft sowie form- und
fristgerecht eingelegt (§§ 127 Abs. 2, 567, 569 ZPO). Es hat auch in der Sache
Erfolg. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe kann nicht deswegen
zurückgewiesen werden, weil die Rechtsverfolgung der Klägerin keine Aussicht auf
Erfolg bietet (§ 114 Abs. 1 ZPO).
Die Klage ist zulässig. Die Zuständigkeit des Landgerichts Frankfurt a.M. ergibt
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Die Klage ist zulässig. Die Zuständigkeit des Landgerichts Frankfurt a.M. ergibt
sich aus § 215 VVG in der ab dem 1.1.2008 geltenden Fassung.
Örtlich zuständig ist danach das Gericht, in dessen Bezirk der
Versicherungsnehmer zur Zeit der Klageerhebung seinen Wohnsitz und in
Ermangelung eines solchen seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. § 48 Abs. 1 VVG
a.F. ist auf nach dem 1.1.2008 erhobene Klagen 2008 aus dem
Versicherungsvertrag nicht mehr anwendbar. Etwas anderes folgt insbesondere
nicht aus Art. 1 EGVVG 2008. Sowohl dessen Wortlaut als auch seine
rechtssystematische Einordnung sowie sein Sinn und Zweck machen deutlich,
dass die Beschränkung der Anwendbarkeit der neuen Vorschriften des VVG hier
nicht gilt (OLG Saarbrücken VersR 2008, 1337; Schneider, VersR 2008, 859).
Seinem Wortlaut nach ist Art. 1 EGVVG „auf Versicherungsverhältnisse"
beschränkt und erfasst Prozessrechtsverhältnisse nicht. Inhaltlich handelt es sich
um einen besonderen Gerichtsstand, mithin eine prozessrechtliche Regelung, die
(ohne ausdrücklich abweichende Regelung) nach den Grundsätzen des
intertemporalen Verfahrensrechts sogar bereits anhängige Verfahren erfasst.
Dass Art. 1 EGVVG neues und altes Recht nebeneinander gelten lassen wollte,
macht sein Abs. 2 deutlich. Eine Ausnahme von der grundsätzlichen Geltung des
neuen Rechts ab dem 1.1.2008 ist bezüglich der Gerichtszuständigkeit weder aus
Gründen des Vertrauens- oder Bestandsschutzes noch zur Gewährung eines
Anpassungszeitraums für Versicherer erforderlich. Die in der Rechtslehre und der
Rechtsprechung vertretene gegenteilige Auffassung
(Schwintowski/Brömmelmeyer, Kommentar zum Versicherungsvertragsrecht,
2008, § 215 Rdn. 16; OLG Stuttgart, VersR 2009, 246), die die Übergangsregelung
des Art. 1 Abs. 1 EGVVG auch auf § 215 VVG anwendet, kann sich demgegenüber
auf überzeugende Argumente nicht stützten.
Die Klage hat auch in der Sache Aussicht auf Erfolg. Nach dem gegenwärtigen
Sach- und Streitstand sind Ansprüche der Klägerin aus einem Verschulden bei
Vertragsschluss nicht ausgeschlossen.
Ob die Klägerin das Angebot der Beklagten auf Abschluss eines
Rentenversicherungsvertrags vorgelegt hat bzw. ob dieses in dem Schreiben vom
16.12.1999 zu sehen ist, kann dahin stehen. Soweit die Klägerin vorträgt, einen
entsprechenden Vertrag mit der Beklagten geschlossen zu haben, ist ihr Vortrag
schlüssig. Inwieweit es zur Substantiierung oder zum Beweis ihrer Behauptung der
Vorlage eines konkreten schriftlichen Angebots bedarf, kann nur der weitere
Verlauf des Rechtsstreits ergeben, der von der Einlassung der Beklagten,
Hinweisen des Gerichts und der Reaktion der Parteien hierauf abhängig ist.
Wenn der Geschäftstellenleiter der Beklagten, Herr A, die der Klägerin
zustehenden Leistungen aus der Lebensversicherung unterschlagen und
abredewidrig nicht an die Beklagte weitergeleitet hat, so muss letztere dafür über
§§ 280 I, 278 BGB einstehen. Entgegen der Ansicht des Landgerichts scheitert eine
Anwendbarkeit des § 278 BGB nicht daran, dass die Entgegennahme der Prämie
nicht im vertraglichen Aufgabenbereich des Herrn A lag. Schuldhafte Handlungen
eines Erfüllungsgehilfen stehen in einem inneren sachlichen Zusammenhang mit
den ihm vom Schuldner zugewiesenen Aufgaben nicht nur dann, wenn sie sich auf
die zugewiesenen Aufgaben selbst beziehen. Es genügt, dass die Handlung in den
allgemeinen Umkreis des Aufgabenkreises fällt. Hiervon ist vorliegend
auszugehen. Wenn der Vortrag der Klägerin zutrifft, hat Herr A die ihm durch die
Beklagte eingeräumte Befugnis, mit Kunden zu verhandeln und an die Beklagte
gerichtete Erklärungen entgegenzunehmen dazu missbraucht, für die Beklagte
bestimmtes Geld von der Klägerin entgegenzunehmen, ohne es an die Beklagte
weiterzuleiten. Auch wenn Herr A dabei zur Entgegennahme des Geldes weder
gesetzlich noch rechtsgeschäftlich berechtigt war, steht eine solche Handlung in
einem unmittelbaren Zusammenhang mit den ihm übertragenen Aufgaben. Die
Klägerin durfte davon ausgehen, dass Geld, das sie in Erfüllung einer der
Beklagten gegenüber eingegangenen Verpflichtung an Herrn A zahlte, entweder
damit bereits der Beklagten zufloss oder zumindest von Herrn A an die Beklagte
weitergeleitet wird. Eine solche Wertung steht in Einklang mit der neueren
Rechtsprechung des BGH (NJW-RR 2005, 756), nach der der Schuldner selbst dann
für die Schädigung des Gläubigers durch einen Dritten haftet, wenn dieser nur mit
geringen Kompetenzen ausgestattet ist, weder als Organ noch als Repräsentant
des Unternehmens auftritt und die Schädigung des Gläubigers durch eine
vorsätzliche Straftat des Dritten erfolgt.
Ob und inwieweit der Klägerin infolge der Verkennung der tatsächlichen
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Ob und inwieweit der Klägerin infolge der Verkennung der tatsächlichen
Vertretungsverhältnisse ein Mitverschulden anzulasten ist, wird der Prozess
ergeben müssen. Ob neben den damit zu bejahenden Erfolgsaussichten der Klage
auch die übrigen Voraussetzungen der Gewährung von Prozesskostenhilfe
vorliegen, wird das Landgericht bei seiner neuerlich zu treffenden Entscheidung
über den Antrag der Klägerin eigenständig zu prüfen haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO. Eine Zulassung der
Rechtsbeschwerde kommt nicht in Betracht, da die Voraussetzungen des § 574 II
ZPO nicht vorliegen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.