Urteil des OLG Frankfurt vom 20.01.2011

OLG Frankfurt: muster, rücknahme der klage, schuh, gesamteindruck, neuheit, gestaltungsspielraum, form, vollstreckung, rechtsbeständigkeit, optik

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Gericht:
OLG Frankfurt 6.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6 U 221/09
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 2 GeschmMG, § 6
GeschmMG, § 38 GeschmMG
Geschmacksmusterschutz für Schuhsohle
Leitsatz
1. Betrifft ein eingetragenes Geschmacksmuster den Teil eines Erzeugnisses (hier:
Schuhsohle), fallen unter die Neuheitsschonfrist des § 6 GeschmMG auch solche vom
Musterinhaber selbst vorveröffentlichten Muster, die das gesamte Erzeugnis (hier:
Schuh) zeigen.
2. Zur Eigenart und zum Schutzumfang eines Geschmacksmusters betreffend eine
Schuhsohle
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 28. Oktober 2009 verkündete Urteil der
6. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main wird mit der Maßgabe
zurückgewiesen, dass der in Ziffer 2 b) des angefochtenen Urteils tenorierte
Anspruch auf Angabe der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach
Angebotsmengen, -zeiten und -preisen entfällt.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 180.000,- € abwenden, wenn nicht die Klägerin vor
der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
I.
Die Parteien befassen sich mit der Herstellung und dem Vertrieb von Schuhen. Die
Klägerin ist Inhaberin mehrerer Geschmacksmuster, darunter das am … 2007
unter Nr. … des Sammelgeschmacksmusters Nr. … (Anlage K 14) angemeldete
Muster für eine Gestaltung von Schuhsohlen - genannt „A“. Die Anmeldung
enthält die folgenden Abbildungen:
Außerdem ist sie Inhaberin des Sammelgeschmacksmusters … angemeldet am …
2007, welches unter Nr. … folgenden Schuh „A …“ beinhaltet:
Die Beklagte vertreibt einen Sabot gemäß der folgenden Abbildung (Anlage K 10):
Die Klägerin hat behauptet, dieser Schuh mache von ihren Mustern Gebrauch. Die
Beklagte hat die Auffassung vertreten, den klägerischen Geschmacksmustern
fehle es sowohl an Neuheit als auch an Eigenart. Außerdem erwecke die
angegriffene Ausführungsform einen anderen Gesamteindruck, so dass auch ein
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angegriffene Ausführungsform einen anderen Gesamteindruck, so dass auch ein
Gebrauchmachen nicht vorliege.
Das Landgericht hat eine Geschmacksmusterverletzung im Hinblick auf Nr. … des
Sammelgeschmacksmusters DE … („A“) und Nr. … des Musters DE … („A …“)
bejaht und die Beklagte zur Unterlassung und zur Auskunftserteilung verurteilt.
Außerdem hat es die Schadensersatzpflicht der Beklagten festgestellt. Gegen
diese Entscheidung wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung.
In der Berufungsinstanz lässt die Beklagte ergänzend vortragen, die Klägerin habe
für die Priorität des Klagegeschmacksmusters ein falsches Datum angegeben. Das
Design stamme nämlich nicht aus dem März 2007, sondern schon aus 2006; die
eidesstattliche Versicherung des Chefdesigners der Klägerin, Herrn C (Anlage K
12), sei deshalb falsch. Dabei stützt sie sich auf die Nr. … bis … das ebenfalls für
die Klägerin eingetragene Sammelgeschmacksmusters DE …, angemeldet am …
2006 und veröffentlicht an … 2007 (Anlage B 10). Die Beklagte zieht daraus den
Schluss, die Vermutung für die Rechtsbeständigkeit des Geschmacksmusters
nach § 39 GschmMG greife nicht.
Die Beklagte beantragt,
das am 28. Oktober 2009 verkündete Urteil des Landgerichts Frankfurt am
Main (2/6 O 250/09) aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt unter Zurücknahme der Klage im Übrigen,
die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass Rechnung nicht weiter
verlangt wird hinsichtlich der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach
Angebotsmengen, Zeiten und Preisen.
Die Beklagte vertritt die Auffassung, das Sammelgeschmacksmuster DE … stehe
der Rechtsbeständigkeit der Klagemuster nicht entgegen.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 ZPO
auf das erstinstanzliche Urteil und auf die zwischen den Parteien gewechselten
Schriftsätze nebst anlagen Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung hat, nachdem die Klägerin ihren Auskunftsanspruch in der
mündlichen Verhandlung vor dem Senat teilweise zurückgenommen hat, keinen
Erfolg. Das Landgericht hat der Klage insoweit zu Recht stattgegeben. Der
Unterlassungsanspruch besteht aus §§ 38 Abs. 1 und 42 Abs. 1 GeschmMG. Die
Ansprüche auf Auskunft sowie auf Feststellung der Schadensersatzpflicht haben
ihre Grundlage in §§ 46 und 42 Abs. 2 GeschmMG.
Dabei besteht der Unterlassungsanspruch – entgegen der Auffassung der
Berufung – auch in der vom Landgericht zugesprochenen Fassung.
Ohne Erfolg macht die Beklagte geltend, der Unterlassungsantrag der Klägerin
gehe zu weit, weil er sich auf den ganzen Schuh beziehe, obwohl Gegenstand des
Geschmacksmusters nur die Gestaltung der Sohle sei. Ihr Argument, durch den
Tenor der angegriffenen Entscheidung werde der Klägerin ein unzulässiger
Teilschutz zugesprochen, trägt nicht. Nach der Rechtsprechung des Senats (Urt. v.
15.05.2008 - 6 U 182/07 - GRUR-RR 2008, 333 - juris-Tz 9 „Weinkaraffe“) können
einzelne Elemente eines Geschmacksmusters für sich zwar keinen Schutz
beanspruchen. Eine solche Konstellation, für die kennzeichnend ist, dass ein
isolierter Schutz für Teile oder Elemente eines eingetragenen Musters beansprucht
werden, liegt hier jedoch nicht vor. Der Klageantrag bezieht sich vielmehr auf die
konkrete Verletzungsform und ist darauf gestützt, dass der dort in Bezug
genommene Schuh von dem Muster der Schuhsohle „A“ insgesamt Gebrauch
macht. Eine solche Fassung des Antrags ist nicht zu beanstanden.
Soweit die Beklagte weiter die Auffassung vertritt, der Unterlassungstenor dürfe
neben dem Anbieten kein zusätzliches Verbot des Bewerbens enthalten, steht
dem der Wortlaut des § 38 Abs. 1 GeschmMG entgegen. Denn danach gewährt
das Geschmacksmuster seinem Inhaber das ausschließliche Recht, Dritten die
Benutzung des Musters zu verbieten. Zur Benutzung zählt auch das Bewerben
eines Produkts, das von dem Muster Gebrauch macht. Die in § 38 Abs. 1
GeschmMG ausdrücklich genannten Benutzungshandlungen sind nicht
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GeschmMG ausdrücklich genannten Benutzungshandlungen sind nicht
abschließend (Eichmann/v. Falckenstein, GeschmMG, 4. Aufl., § 38 Rd 10).
Der Unterlassungsantrag ist auch in der Sache begründet.
Die Gestaltung der Schuhsohle, wie sie in Nr. … des Sammelgeschmacksmusters
Nr. … („A“) – auf die abzustellen ist, weil diese die Sohle allein zum Gegenstand
hat – offenbart ist, ist neu. Nach § 2 Abs. 2 GeschmMG gilt ein Muster als neu,
wenn vor dem Anmeldetag kein identisches Muster offenbart worden ist. Muster
gelten als identisch, wenn sich ihre Merkmale nur in unwesentlichen Einzelheiten
unterscheiden.
Erstinstanzlich hat die Beklagte ausschließlich unter Berufung auf die Schuhe
gemäß Anlagen B 5 bis B 9 vorgetragen, die nach § 39 GeschmMG geltende
Vermutung der Neuheit sei widerlegt. Dem ist das Landgericht zu Recht nicht
gefolgt. Denn diese Gestaltungen stehen der Neuheit des Klagemusters nicht
entgegen. Dabei kommt die Sohle der Sandale gemäß der Anlage B 6 der
Gestaltung der geschmacksmusterrechtlich geschützten Sohle noch am nächsten.
Auch diese Sohlengestaltung unterscheidet sich jedoch nicht nur unwesentlich von
der durch das Klagemuster Geschützten.
Der Gesamteindruck des die Sohlengestaltung betreffenden Geschmacksmusters
„A“ wird wesentlich dadurch geprägt, dass
- die Außensohle in 2-farbig schwarz und braun bzw. kork-farbiger Optik gehalten
ist
- und die Innensohle umschließt,
- wobei die schwarze Außensohle an der Schuhspitze sowie im Fersenbereich
jeweils nach oben gezogen ist,
- dazwischen wellenförmig nach unten verläuft (also von der Seite gesehen
„dünner“ wird“)
- und nur an der Außenseite des Schuhes im Spannbereich deutlich über die
Oberseite der Innensohle hinausgeführt wird, so das der Eindruck vermittelt wird,
der Oberschuh sei mit der Untersohle verbunden. Demgegenüber wird der
Übergang zwischen Innen- und Außensohle auf der Innenseite des Schuhs durch
eine geschwungene Linie markiert.
Im Gegensatz dazu weist die Sandale gemäß der Anlage B 6 eine
Sohlengestaltung auf, bei der die Untersohle an beiden Seiten des Schuhs in
gleicher Weise über die Obersohle geführt wird, so dass der Eindruck einer
Symmetrie entsteht, die der Sohle nach dem Klagemuster gerade fremd ist. Hinzu
kommt, dass die Beklagte die Vorveröffentlichung des Schuhs gemäß Anlage B 6
nicht schlüssig dargelegt hat. Es ist nicht ersichtlich, wann das Foto gemäß Anlage
B 6 aufgenommen wurde. Auch hat die Beklagte lediglich behauptet, dieser Schuh
sei auf einer Messe in den USA im August 2006 präsentiert worden. Diese
Behauptung hat die Beklagten trotz Bestreitens der Klägerin nicht konkretisiert,
sondern sich zum Beweis auf die Neuheitsschädlichkeit dieses und anderer Muster
lediglich auf das Zeugnis von Herrn Z1 berufen. Diesem Beweisangebot ist das
Landgericht zu Recht nicht nachgekommen, weil dies eine Ausforschung des
Sachverhalts bedeutet hätte.
Das Geschmacksmuster „A“ ist auch durch das erst mit der
Berufungsbegründung vorgelegte, ebenfalls für die Klägerin eingetragene
Sammelgeschmacksmuster DE …, welches am … 2006 angemeldet und am …
2007 eingetragen wurde, nicht neuheitsschädlich vorweggenommen. Dabei ist der
Vortrag der Beklagten insoweit – entgegen der Auffassung der Klägerin – allerdings
nicht als verspätet im Sinne von § 531 ZPO zurückzuweisen. Denn die Existenz des
Sammelgeschmacksmusters DE … ist zwischen den Parteien unstreitig, so dass
eine Berufung auf die Verspätungsregeln der Zivilprozessordnung nicht in Betracht
kommt.
Das Sammelgeschmacksmuster DE … steht der Neuheit des „A“-
Geschmacksmusters jedoch nicht entgegen.
Die Sohlengestaltungen der – jeweils ganze Schuhe (Sandalen) betreffenden –
Anmeldungen gemäß der Nummern … bis … der Voranmeldungen weisen zwar
ebenfalls die charakteristischen Merkmale des Musters „A“ auf. Insoweit gilt jedoch
zugunsten der Klägerin die Neuheitsschonfrist des § 6 GeschmMG. Danach bleibt
ein Muster bei der Prüfung der Neuheit und Eigenart unberücksichtigt, wenn dieses
während der zwölf Monate vor dem Anmeldetag durch den Entwerfer oder seinen
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während der zwölf Monate vor dem Anmeldetag durch den Entwerfer oder seinen
Rechtsnachfolger oder durch einen Dritten als Folge von Informationen oder
Handlungen des Entwerfers oder seines Rechtsnachfolgers der Öffentlichkeit
zugänglich gemacht wurde.
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Dem steht – entgegen der von der
Beklagten vertretenen Auffassung – nicht entgegen, dass Gegenstand der
Sammelanmeldung vom September jeweils ganze Schuhe waren, während das
Klagemuster „A“ lediglich die Sohlengestaltung betrifft. Denn das
Tatbestandsmerkmal „Muster“ in § 6 GeschmMG ist in § Nr. 1 GeschmMG als
zwei- oder dreidimensionale Erscheinungsform eines ganzen Erzeugnisses oder
eines Teils davon definiert. Wenn man aber anerkennt, dass ein Teil eines
Erzeugnisses ein Muster im geschmacksmusterrechtlichen Sinne sein kann, ist es
konsequent, die Neuheitsschonfrist auch auf diejenigen vorveröffentlichten
Erzeugnisse zu erstrecken, die erkennbar das Muster als Teil enthalten. Im Übrigen
verlangt die Formulierung „ein Muster“ in § 6 GeschmMG nicht, dass die
Voranmeldung das Muster in absolut identischer Form vorweg nimmt (Eichmann/v.
Falckenstein, GeschmMG, 4. Aufl., § 6 Rd 7). Es ist deshalb unschädlich, wenn die
Erstveröffentlichung – wie im vorliegenden Fall – über den Umfang der späteren
Anmeldung insoweit hinaus geht, als sich ihr Schutzgegenstand nicht nur auf einen
Teil eines aus mehreren Teilen bestehenden Ganzen – hier Schuhe – erstreckt,
während die Nachanmeldung nur ein Teil dieses Ganzen zum Gegenstand hat –
hier Schuhsohlen. Entscheidend ist vielmehr die Frage, ob der Gegenstand der
späteren Anmeldung durch die Vorveröffentlichung vorweggenommen ist. Dies ist
hier der Fall.
Die Sohlengestaltung „A“ verfügt auch über Eigenart im Sinne von § 2 Abs 3
GeschmMG.
Danach ist eine Gestaltung eigenartig, wenn sich der Gesamteindruck, den das
Muster beim informierten Benutzer hervorruft, von dem Gesamteindruck
unterscheidet, den ein anderes, das heißt jedes andere Muster hervorruft, welches
der Öffentlichkeit vor dem Tag der Anmeldung - oder, wenn eine Priorität in
Anspruch genommen wird, vor dem Prioritätstag - zugänglich gemacht worden ist.
Dabei ist – worauf das Landgericht zu Recht hingewiesen hat – für die Feststellung
der Eigenart eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters weder eine bestimmte
(Mindest-) Gestaltungshöhe erforderlich noch muss das Muster zwingend einen
ästhetischen Gehalt aufweisen. Ein hohes Maß an Originalität oder künstlerischer
beziehungsweise designerischer Gestaltungskraft ist nicht erforderlich (Senat, Urt.
v. 27 03.2008 – 6 U 77/07 – GRUR-RR 2009, 16 – juris-Tz 16 zum insoweit gleich
gelagerten Gemeinschaftsgeschmacksmusterrecht, m.w.Nachw.; insoweit
bestätigt durch: BGH, Urt. v. 19.05.2010 – I ZR 71/08 – GRUR 2011, 142 - Tz 12 -
Untersetzer).
Als „Benutzer“ in diesem Sinne gilt, wer der Personengruppe angehört, die das
Gemeinschaftsgeschmacksmuster in der Praxis benutzt und verschiedene Muster
nach ihrem Erscheinungsbild beurteilt. Es handelt sich um eine normative Figur auf
der Grundlage einer typisierten Betrachtung. „Informiert“ ist der Benutzer, wenn er
einerseits in rechtlicher Hinsicht Grundkenntnisse der Voraussetzungen der
Schutzfähigkeit besitzt - also z.B. technisch bedingte Merkmale bei einem
Vergleich ausblendet -, in tatsächlicher Hinsicht Funktion, Wirkungsweise und
Anwendungsbereich des jeweiligen Erzeugnisses kennt, gewisse allgemeine
Kenntnisse von dem Formenschatz hat und schließlich in Bezug auf
Urteilsvermögen, Bildung, Intellekt, Stil und Geschmack zumindest
durchschnittliche Fähigkeiten aufweist (Senat, Urt. v. 27.03.2007, a.a.O., juris-Tz
15 m.w.Nachw.). Insoweit gilt, dass es sich bei der Eigenart um eine variable Größe
handelt, welche durch die Musterdichte innerhalb der Erzeugnisklasse bestimmt
wird, der das Geschmacksmuster angehört. Das heißt, je höher die Musterdichte in
einer bestimmten Erzeugnisklasse ist, desto geringere Anforderungen sind an die
Unterscheidbarkeit zu stellen und umgekehrt. Dabei hat der informierte Benutzer
bei seinen Vergleichsbetrachtungen - ebenso wie dies bereits nach dem älteren
deutschen Recht der Fall war (BGH, Urt. v. 19.12.1979 – ZR 130/77 – GRUR 1980,
235, 237 – Play-family) - jede Gestaltung aus dem vorbekannten Formenschatz,
die der Eigenart des Gemeinschaftsgeschmacksmuster entgegenstehen könnte,
in unmittelbarem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang bei der
bestimmungsgemäßen Verwendung der Erzeugnisse in einem Einzelvergleich
einzubeziehen (Senat, Urt. v. 27.03.2007, a.a.O., juris-Tz 16).
Bei der Produktgruppe „Schuhsohlen“ besteht ein vergleichsweise großer
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Bei der Produktgruppe „Schuhsohlen“ besteht ein vergleichsweise großer
Gestaltungsspielraum. Durch den Verwendungszweck vorgegeben ist lediglich die
Anpassung ihrer Oberfläche der Sohle an die Anatomie des menschlichen Fußes.
Darüber hinaus sind der Phantasie der Designer in Bezug auf Form, Farbe und
Materialauswahl kaum Grenzen gesetzt. Von diesem Gestaltungsspielraum haben
Designer von Schuhen seit jeher intensiven Gebrauch gemacht. Dies
veranschaulichen bereits die von der Klägerin als Anlagen K 16 bis K 19
Werbebroschüren für aktuelle Schuhe. Es besteht von daher eine erhebliche
Musterdichte mit der weiteren Folge, dass nur vergleichsweise geringe
Anforderungen an die Unterscheidungskraft zu stellen sind.
Diesen Anforderungen wird die Sohle „A“ gerecht. Denn die optische Verbindung
der Außensohle mit dem Oberschuh, die den Eindruck erweckt, als seien diese
beiden Elemente von der Lauf- oder Innensohle quasi losgelöst, verleiht dem
Schuh die Anmutung als „schwebe“ die Innensohle und damit auch ihr Träger.
Dies führt zu einem Erscheinungsbild, das auch von dem diesem am nächsten
kommenden Muster gemäß der Anlage B 6 nicht vermittelt wird. Ihm fehlt die
Asymmetrie der Sohle „A“. Außerdem wird die Außensohle dort wesentlich weniger
betont. Bei der Seitenansicht des Schuhes dominiert vielmehr die wesentlich
breiter gehaltene trapezförmige Verbindung zum Oberschuh. Demgegenüber
umschließt die Außensohle bei B 6 die Innensohle nicht; es wird vielmehr der
Eindruck erweckt, als liege die Innensohle auf der Untersohle. Dies führt zu einem
für den informierten Benutzer erkennbaren und angesichts der hohen
Musterdichte ausreichenden anderen Erscheinungsbild der Sohle „A“ gegenüber
dem Schuh gemäß der Anlage B 6. Im Übrigen steht der Gestaltung gemäß
Anlage B 6 der Eigenart des Musters „A“ auch deshalb nicht entgegen, weil die
Beklagte nicht schlüssig dargelegt hat, dass dieser Schuh bereits zum
vorbekannten Formenschatz gehört. Auf die Ausführungen zur Neuheit wird
verwiesen.
Entgegen der Auffassung der Beklagten fällt der von ihr angebotene Schuh auch in
den Schutzbereich des Geschmacksmusters der Klägerin.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es für den
Schutzumfang eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters – im Gegensatz zu der
von dem erkennenden Senat zunächst vertretenen Auffassung (Urt. vom
27.03.2007, a.a.O., juris-Tz 29) – nicht darauf an, ob und inwieweit sich der
Gesamteindruck dieses Geschmacksmusters von dem Gesamteindruck
vorbekannter Geschmacksmuster unterscheidet (inwieweit es also Eigenart hat),
sondern allein darauf, ob der Gesamteindruck des angegriffenen
Geschmacksmusters mit dem Gesamteindruck dieses Geschmacksmusters
übereinstimmt (BGH, Urt. v. 19.05.2010, a.a.O., Tz 12). Der bei der Eigenart zu
berücksichtigende Gestaltungsspielraum des Entwerfers steht daher nicht in
Wechselwirkung zum Schutzumfang des Geschmacksmusters. Diese Grundsätze
gelten auch für das – hier anwendbare – deutsche Geschmacksmusterrecht nach
Umsetzung der Richtlinie 98/71/EG über den rechtlichen Schutz von Mustern und
Modellen durch das Geschmacksmusterreformgesetz vom 12. März 2004 (BGH,
Urt. v. 19.05.2010, a.a.O., Tz 15).
Unter Anwendung dieser Grundsätze fällt die angegriffene Ausführungsform in den
Schutzbereich des Musters „A“. Unterschiede zwischen dem Geschmacksmuster,
dem der als Anlage vorgelegte Sabot der Klägerin entspricht, und der
angegriffenen Ausführungsform bestehen im allein maßgeblichen Bereich der vom
Geschmacksmuster umfassten Innen- und Außensohle darin,
- dass die über den Oberschuh gezogene Außensohle in dem Bereich, in dem sie
über die Innensohle hinaus ragt, bei der angegriffenen Ausführungsform
trapezförmig ausgeschnitten ist,
- der Schuh der Beklagten knapp unterhalb der Oberkante der Innensohle eine –
wohl funktionslose – Ziernaht aufweist,
- das Profil dieses Schuhes nicht aus dem „B“-Schriftzug besteht und
- die Innensohle der angegriffenen Ausführungsform aus gröberem Kork besteht –
oder zumindest diese Anmutung hat.
Bei diesen Abweichungen handelt es sich nach Auffassung des Senats um Details,
die auf die Gesamtanmutung des Schuhs keinen Einfluss haben. Denn dieser wird
– wie bereits dargelegt – durch die Umfassung der Innen- oder Laufsohle durch die
Verbindung der Außensohle mit dem Oberschuh geprägt.
Zur Recht hat das Landgericht auch den Anspruch auf Feststellung der
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Zur Recht hat das Landgericht auch den Anspruch auf Feststellung der
Schadensersatzpflicht in dem beantragen Umfang zugesprochen. Es trifft zwar zu,
dass – sofern nicht die besonderen Voraussetzungen des § 259 ZPO vorliegen –
nach der Rechtssprechung des für das Geschmacksmusterrecht zuständen I.
Zivilsenats des Bundesgerichtshofs ein Schadensersatzfeststellungsanspruch nur
für solche Verletzungshandlungen besteht, die bis zum Schluss der letzten
mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz bereits begangen wurden (BGH,
Urt. v. 02.10.2008 – I ZR 18/06 – GRUR 2009, 53 Tz 10 ff – PC, anders ausdrücklich
der Patentsenat des Bundesgerichtshofs, Urt. v. 04.05.2004 – X ZR 234/02 – GRUR
2004, 755 – juris-Tz 14 ff – Taxameter). Eine Verpflichtung zur Erstattung von
Schäden, die durch zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung noch nicht
begangene Verletzungshandlungen entstanden sind, lässt sich dem Tenor der
angegriffenen Entscheidung allerdings auch nicht entnehmen. Die Formulierung
„zukünftig entstehenden Schäden“ bezieht sich vielmehr auf solche Schäden, die
aufgrund der bereits begangenen Verletzungshandlungen noch entstehen können.
Der Tenor des Urteils war – wie geschehen – nach § 319 ZPO zu berichtigen. Die
Rücknahme der Klage bezieht sich nicht auf die Ziffer 1 b) der angefochtenen
Entscheidung, wie in dem verkündeten Tenor angegeben – sondern auf Ziffer 2 b).
Die Kostenentscheidung sowie die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit folgen aus §§ 97 Abs. 1, 269 Abs. 3, 92 Abs. 2, 708 Nr. 10 und
711 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.