Urteil des OLG Frankfurt vom 15.02.2011

OLG Frankfurt: aufsichtsrat, corporate governance, neues vorbringen, entlastung, genehmigung, kapitalerhöhung, beeinflussung, wiedereröffnung, stiefmutter, geschäftsbericht

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Gericht:
OLG Frankfurt 5.
Zivilsenat
Entscheidungsname:
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 U 30/10
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 114 AktG
Orientierungssatz
Zahlungen des Vorstandes an ein Aufsichtsratsmitglied für Dienstverpflichtungen
außerhalb seiner Tätigkeit als Aufsichtsrat sind nur dann erlaubt, wenn der
Gesamtaufsichtsrat vorher zustimmt. Die nachträgliche Genehmigung des
Gesamtaufsichtsrates ändert an der Pflichtwidrigkeit der Zahlungen nichts.
Anmerkung
Hinweis der Red.: Zu dieser Entscheidung gibt es eine Pressemitteilung auf der
Homepage des Oberlandesgerichts (www.olg-frankfurt.justiz.hessen.de).
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 2.2.2010 verkündete Urteil der 5.
Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt am Main teilweise
abgeändert und insgesamt neu gefasst.
Die Beschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten vom 8.5.2009 zu den
Tagesordnungspunkten 3 und 4 (Entlastung des Vorstands und des Aufsichtsrats
für das Geschäftsjahr 2008) werden für nichtig erklärt. Im Übrigen werden die
Klagen abgewiesen. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Gerichtskosten erster Instanz haben die Kläger je zu 1/4 und die Beklagte
nebst ihren Streithelfern je zu 1/6, die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens die
Parteien und die Streithelferin zu 1.) je zu 1/4 zu tragen. Außergerichtliche Kosten
sind nicht zu erstatten.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Parteien wird nachgelassen, eine gegen
sie gerichtete Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110%
des auf Grund des Urteils gegen sie vollstreckbaren Betrages abzuwenden, soweit
nicht die vollstreckende Partei Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils für sie
vollstreckbaren Betrages leistet.
Gründe
I.
Die Klägerin zu 1.) und der Kläger zu 2.), der ohne eigenes Rechtsmittel nur als
notwendiger Streitgenosse der Klägerin zu 2.) beteiligt ist, waren und sind
Stammaktionäre der Beklagten und Teilnehmer der Hauptversammlung vom
8.5.2009. Auch die Streithelfer auf Seiten der Beklagten sind Stammaktionäre, wie
inzwischen unstreitig geworden ist. Gegenstand der Hauptversammlung waren die
Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat, behandelt unter TOP 3 und 4, sowie die
Aufhebung und Neuschaffung neuen genehmigten Kapitals, und zwar Kapital I
unter TOP 7 und Kapital II unter TOP 8.
Die Klägerin zu 1.), die gegen alle Beschlussfassungen Widerspruch erhoben hat,
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Die Klägerin zu 1.), die gegen alle Beschlussfassungen Widerspruch erhoben hat,
war als Angehörige der Gründerfamilie Mitglied des Aufsichtsrats der Beklagten,
bis sie in der Hauptversammlung vom 21.5.2008 wegen der Stimmabgabe der
Stiftung nach ihrer verstorbenen Stiefmutter nicht wieder bestellt wurde. Diese
Stiftung hält ca. 58% der Stammaktien der Beklagten, wobei die
Stimmrechtsausübung bei den drei Testamentsvollstreckern nach der
verstorbenen Stiefmutter liegt. Einer von diesen ist der stellvertretende
Aufsichtsratsvorsitzende der Beklagten, Rechtsanwalt Dr. RA1. Dr. RA 1 ist zugleich
Partner einer überörtlichen Anwaltskanzlei, die - nach erstinstanzlicher
Vortragslage - pro Jahr etwa für eine Mio. € Mandate durch die Beklagte erhält. Die
Beklagte verfuhr dabei so, dass die jeweiligen Einzelmandate erst nach Bezahlung
der Honorare dem Gesamtaufsichtsrat zur Genehmigung vorgelegt wurden. Die
vom 1.1.2008 bis 30.9.2008 erbrachten Zahlungen auf Mandatsverträge wurden
mit Beschluss des Aufsichtsrats vom 4.12.2008 genehmigt. Weitere
Genehmigungen erfolgten bis zu den angefochtenen Entlastungsentscheidungen
vom 8.5.2009 nicht. Der im Geschäftsbericht enthaltene Corporate Governance
Bericht für das Jahr 2008, auf den verweisen wird (Anl. K 2, Bl. 107 d.A.), schilderte,
dass der Aufsichtsrat der Mandatierung des stellvertretenden
Aufsichtsratsvorsitzenden zugestimmt habe. Die Entsprechenserklärung vom
21.5.2008 enthält insoweit keine Besonderheiten.
In der Hauptversammlung vom 8.5.2009 stellten der Kläger zu 2.) und ein Aktionär
Dr. A eine Reihe von Fragen, die im Urteil des Landgerichts wiedergegeben sind,
und zwar dort beziffert mit 1.) bis 12.). Zu den Einzelheiten der Fragen wird auf
diese Wiedergabe Bezug genommen (LGU S. 4 bis 6, Bl. 416 bis 418 d.A.). Die
Fragen 1.) bis 5.) und 9.) bis 12.) bezogen sich auf die Entlastungsentscheidungen,
die Fragen 6.) bis 8.) auf die genehmigten Kapitalien. Die Beklagte hatte in 2005
und 2008 Kapitalerhöhungen durchgeführt. Auf Grund einer Freigabeentscheidung
des erkennenden Senats sind die genehmigten Kapitalien inzwischen eingetragen.
Die Klägerin zu 1.) hat die Entlastung angefochten, weil der im Geschäftsbericht für
2008 enthaltene Corporate-Governance-Bericht hinsichtlich der Zustimmungen zu
den Dienstverträgen des Dr. RA1 unrichtig sei. Ein Vorstand, der rechtsgrundlos
hohe Zahlungen an ein Aufsichtsratsmitglied leiste, verstoße auch gegen seine
Pflichten, das Aufsichtsratsmitglied durch deren Entgegennahme.
Auch seien die Fragen zu den Dienstverträgen der Aufsichtsratsmitglieder und
früheren Kapitalerhöhungen nicht oder nicht ausreichend beantwortet worden.
Die Kläger haben - sinngemäß - beantragt,
die Beschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten vom 8.5.2009 zu TOP 3
(Entlastung des Vorstands), TOP 4 (Entlastung des Aufsichtsrats), TOP 6
(genehmigtes Kapital I) und TOP 7 (genehmigte Kapital II) für nichtig zu erklären.
Die Beklagte und ihre Streithelfer haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, mit der Praxis der nachträglichen
Zustimmungen zu den Mandaten und Zahlungen den gesetzlichen Bestimmungen
genügt zu haben. Die Aktionäre seien ausreichend informiert worden. Die Mandate
an Dr. RA1 seien Standardmandate außerhalb seiner Aufsichtsratstätigkeit
gewesen.
Das Landgericht hat der Klage der Klägerin zu 1.) stattgegeben: Die
Entlastungsentscheidungen seien gesetzeswidrig, weil die Organe am 21.5.2008
eine unrichtige Entsprechenserklärung abgegeben hätten. Der Aufsichtsrat habe
nämlich nicht in seinem Bericht an die Hauptversammlung auf die sich aus der
Genehmigungspraxis ergebenden Interessenkonflikte hingewiesen. Auch seien die
Fragen nicht in einer Weise beantwortet worden, die eine Abgrenzung
genehmigungsfähiger Mandate von solchen ermögliche, die zum
organschaftlichen Tätigkeitsbereich gehören. Die Kapitalbeschlüsse seien
anfechtbar, weil die Antworten auf die Fragen 6 bis 8 eine Überprüfung früherer
Kapitalerhöhungen nicht ermöglicht hätten. Die Klage des Klägers zu 2.) ist
abgewiesen worden, weil sie als Anfechtungsklage verfristet erhoben worden sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivortrags und der
Entscheidungsgründe wird auf das Urteil Bezug genommen (Bl. 413- 435 d.A.).
Die Beklagte verfolgt mit ihrer Berufung das erstinstanzliche Ziel der
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Die Beklagte verfolgt mit ihrer Berufung das erstinstanzliche Ziel der
Klageabweisung weiter. Die Fragen seien nicht erforderlich gewesen oder
beantwortet worden. Eine unrichtige Entsprechenserklärung sei nicht abgegeben
worden. Sie behauptet, etwa zwei Drittel der Mandate, die an die Kanzlei des
stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden Dr. RA1 erteilt worden seien, seien
namens der konzernzugehörigen B AG & Co. KGaA erteilt worden. Auf der
Aufsichtsratssitzung Ende 2007 sei - wie jährlich üblich - das Budget für Mandate
an die Aufsichtsratsmitglieder dem Vorstand gegenüber festgelegt worden. Im
vierten Quartal 2008 seien keine Zahlungen auf Mandate an die Kanzlei des Dr.
RA1 erfolgt, damit die Genehmigung der Aufsichtsratssitzung vom 4.12.2008 alle
Zahlungen des Kalenderjahres 2008 habe erfassen können. Diese
Verfahrensweise - Bereitstellung eines Budgets und nachträgliche konkrete
Genehmigung unterjähriger Zahlungen am Jahresende - sei praktikabel und auch
von einem befragten namhaften Wirtschaftsprüfungsunternehmen gut geheißen
worden.
Die Beklagte und die Streithelferin zu 1.) beantragen,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigen das Urteil und bestreiten den neuen Vortrag zum Anteil der
Mandate der B und zur Genehmigungspraxis in pauschaler Weise.
Die Beklagte hat den Schriftsatz vom 19.1.2011 nachgereicht, mit dem sie geltend
macht, nur 6% der von der Konzernrechtsabteilung veranlassten
Rechtsanwaltsmandaten an die Kanzlei des Dr. RA1 seien für die Beklagte erteilt
worden.
II.
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht
eingelegt und gerechtfertigt worden. Das Rechtsmittel hat teilweise Erfolg.
Zur Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat beruht das angefochtene Urteil des
Landgerichts nicht auf einem Rechtsfehler, § 513 Abs.1 ZPO iVm. § 546 ZPO, weil
es im Ergebnis richtig ist, wie auch neues Vorbringen des Berufungsverfahrens
entweder nicht zuzulassen ist oder keine andere Entscheidung zu tragen vermag.
Die Entlastungsbeschlüsse betreffend Vorstand und Aufsichtsrat (TOP 3 und 4)
sind nach § 248 Abs.1 AktG für nichtig zu erklären. Nach Art. 9 Abs.1 c, ii SE-VO ist
die aktienrechtliche Beschlussanfechtung auf Beschlüsse der SE anzuwenden.
Die formellen Voraussetzungen einer Anfechtung sind gegeben, namentlich ist die
Klägerin anfechtungsbefugt iSd. § 245 AktG: Sie war vor Bekanntmachung der
Tagesordnung Aktionärin, in der Hauptversammlung erschienen und legte
Widerspruch gegen alle Beschlussfassungen ein (Klageschrift S. 21). Die
Anfechtungsfrist (§ 246 Abs.1 AktG) ist durch die Klägerin zu 1.) gewahrt worden.
Die Klage ist im Anschluss an die Hauptversammlung vom 8.5.2008 allerdings erst
am 29.6.2009 zugestellt worden. Die Zustellung an den bestellten
Prozessbevollmächtigten war jedoch demnächst iSd. § 167 ZPO. Sie erfolgte mit
Verfügung vom 19.6.2009, datiert auf den 22.6.2009, ohne dass ein schuldhaftes
Verzögern durch die Klägerin zu 1.) vorgelegen hat.
Ein Anfechtungsgrund liegt zu den Entlastungsbeschlüssen vor (§ 243 Abs.1 ZPO),
weil diese gegen § 120 Abs.2 Satz 1 AktG verstießen. Sie billigten nämlich die
Verwaltung durch die Organe außerhalb eines der Hauptversammlung
zustehenden Ermessensspielraums, weil die Billigung erklärt wurde, obwohl ein
schwerer und eindeutiger Gesetzesverstoß vorlag.
Die vom Vorstand der Beklagten im Entlastungszeitraum, dem Kalenderjahr 2008,
veranlassten hohen Zahlungen an die Rechtsanwaltsgesellschaft, bei der der
stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende Dr. RA1 Mitgesellschafter war und ist,
verstießen gegen § 114 Abs.1 AktG, wobei zugunsten der Beklagten davon
ausgegangen werden kann, dass – von der Klägerin sinngemäß mit Nichtwissen
bestritten (Schriftsatz vom 29.9.2009, S.7, Bl. 252 d.A.) – tatsächlich nur Aufträge
außerhalb der Aufsichtsratstätigkeit des Dr. RA1 erteilt worden waren.
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§ 114 Abs.1 AktG ist nicht nur eine als verfügungswirksame Bestimmung zu
verstehen, sondern als Verhaltensnorm auszulegen. Aus dieser Bestimmung
ergibt sich ein Verbot, ohne wirksamen (Dritt-) Vertrag Zahlungen an ein
Aufsichtsratsmitglied zu leisten (wie hier MüKo/Semler, AktG, 2. Aufl., 2004, § 114
Rz.103).
Der Wortlaut des § 114 Abs.1, 2 AktG, von dem die Gesetzesauslegung
auszugehen hat, legt freilich nahe, dass nur die Wirksamkeit der Drittverträge und
die Abwicklung bei Unwirksamkeit geregelt sein könnten. Dem widerspricht aber
das Regelungssystem des Aktienrechts: In § 93 Abs.3 Nr.7 AktG ist geregelt, das
sich der Vorstand schadensersatzpflichtig macht, wenn er entgegen dem
Aktiengesetz Vergütungen an Aufsichtsratsmitglieder gewährt. Daraus folgt, dass
die rechtsgrundlose Zahlung - sei sie auch praktikabel - durch den Vorstand nicht
als kaufmännisch vertretbares Geschäftsleiterverhalten erlaubt oder hinzunehmen
ist, sondern ein rechtswidriges, weil schadenersatzbegründendes Verhalten
darstellt. Für die Kreditgewährung des Vorstands an den Aufsichtsrat ist die
Verhaltensanforderung ausdrücklich in § 115 Abs.1 AktG geregelt ("darf nur
gewähren") und in § 93 Abs.3 Nr.8 AktG als schadensersatzstiftend behandelt,
wiewohl auch dort eine Rückzahlung des Darlehens bei nachträglicher
Genehmigung entfällt (§ 115 Abs.4 AktG). In der Fachliteratur ist ohnehin
anerkannt, dass die Zahlung sofort zurückzugewähren ist, auch wenn es u.U.
später noch zu einer Genehmigung kommen könnte (Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, §
114 Rz.8; ebenso GK/Hopt/Roth; AktG, Stand 1.10.2005, § 114 Rz.56;
Schmidt/Lutter, AktG, 2008, Rz.20 zu § 114).
Die Annahme einer an den Vorstand und den Aufsichtsrat gerichteten
Verhaltensregelung in § 114 Abs.1 AktG deckt sich mit dem erkennbaren
Regelungszweck, der darin besteht (BGH vom 3.7.2006, II ZR 151/04 – BGHZ 168,
188 – Rz.9 bei juris; BGH vom 4.7.1994, II ZR 197/93 – BGHZ 126, 340, Rz. 12 bei
juris, Hüffer, wie vor, Rz.1), eine unsachliche Beeinflussung einzelner
Aufsichtsratsmitglieder durch den Vorstand zu verhindern, also eine Abhängigkeit
des überwachenden Organs vom überwachten Organ zu verhindern. Die
Beeinflussung des Aufsichtsratsmitglieds erfolgt aber nicht nur durch eine Zahlung
auf einen wirksamen Dienstvertrag, sondern auch durch eine Zahlung ohne
Rechtsgrund. Die Abhängigkeit des Aufsichtsratsmitglieds ist gar größer, wenn das
Aufsichtsratsmitglied damit rechnen muss, auf Rückzahlung in Anspruch
genommen zu werden, je nach dem, wann der Vorstand den Vertrag und die
Zahlung dem Gesamtaufsichtsrat zur Genehmigung vorlegt. Es geht in erster Linie
um die Funktionsfähigkeit der innerkörperschaftlichen Kontrolle und nur mittelbar
um den Schutz der Gesellschaft vor rechtsgrundlosen Zahlungen an Dritte. Dass
die ungebilligten Zahlungen an die Kanzlei des Dr. RA1 gegebenenfalls hätten
problemlos zurückerlangt werden können, steht für den Senat ohnehin außer
Zweifel.
Die Deutung des § 114 Abs.1 AktG als Verhaltensnorm entspricht im Übrigen auch
dem Willen des Gesetzgebers bei Einfügung des § 114 AktG in das AktG 1965:
Sachlich ungerechtfertigte Sonderleistungen und eine unsachliche Beeinflussung
eines Aufsichtsratsmitglieds durch den Vorstand sollten verhindert werden (vgl.
Kropf, Textausgabe des AktG vom 6.9.1965, 1965, S.158).
Die Zahlungen des Vorstands an das Aufsichtsratsmitglied Dr. RA1 des Jahres
2008 verstießen gegen § 114 Abs.1 AktG, weil sie erfolgten, ohne dass der
Gesamtaufsichtsrat ihnen zugestimmt hätte. Die von der Beklagten in der
mündlichen Verhandlung vor dem Senat erstmals geltend gemachte Zuteilung
eines Jahresbudgets durch den Aufsichtsrat zugunsten des Vorstands für derartige
Mandate, pauschal bestritten, ist unerheblich, weil § 114 Abs.1 AktG die
Zustimmung im Einzelfall verlangt, sodass es insoweit nicht auf eine
Zurückweisung des neuen Vortrags nach § 531 Abs.2 ZPO ankommt.
Dass der Aufsichtsrat am 4.12.2008 alle Zahlungen des Jahres 2008 genehmigt
hatte, weil im vierten Quartal regelmäßig keine Auszahlungen mehr erfolgten, ist
freilich im Berufungsverfahren nach § 531 Abs.2 Ziff.1 ZPO zu berücksichtigen,
denn die sich dazu verhaltende unklare Ausführung im Beklagtenschriftsatz vom
28.8.2009 (S.7, Bl. 132 d.A.) war ohnehin aufklärungsbedürftig. Der Senat glaubt
dem Vorstand Dr. C auch die entsprechende, wenngleich bestrittene Darstellung,
denn sein Vortrag in der mündlichen Verhandlung war in sich stimmig und
erkennbar von dem Bemühen getragen, die umfangreichen Mandate an den
Aufsichtsrat Dr. RA1 in praktikabler Weise mit der gesetzlichen Regelung noch in
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Aufsichtsrat Dr. RA1 in praktikabler Weise mit der gesetzlichen Regelung noch in
Einklang zu bringen (§ 286 Abs.1 ZPO).
Die Genehmigungspraxis lässt jedoch die Pflichtwidrigkeit der Zahlungen nicht
nachträglich entfallen, weil die Rückwirkungsfiktion des § 184 Abs.1 BGB ein
tatsächliches Fehlverhalten nicht ungeschehen machen kann, wie sie auch mit
dem Gesetzeszweck, also der Ratio des § 114 Abs.1 AktG, nicht zu vereinbaren ist.
Eine entstandene Abhängigkeit des Aufsichtsratsmitglieds in der Vergangenheit
kann bereits während des Schwebezustands zu Beeinflussungen geführt haben. In
diesem Sinn stellt § 114 Abs.1 AktG einen abstrakten Gefährdungstatbestand dar.
Würde man die Praxis der Beklagten billigen, führte dies dazu, dass das
Aufsichtsratsmitglied Dr. RA1 nahezu immerzu unberechtigte Mandatsvorteile
nutzen könnte, nur einmal jährlich durch eine Genehmigung unterbrochen. Die
hohe Anzahl der an die Kanzlei des Aufsichtsratsmitglieds erteilten Mandate
rechtfertigt eine abweichende Auslegung des § 114 Abs.1 AktG naheliegend nicht,
wie aber die Beklagte meint.
Die Zahlungen sind nicht wegen Bedeutungslosigkeit unbeachtlich. Dabei geht der
Senat von einer jährlichen Honorarsumme von 1 Mio. € aus, die zugunsten der
Kanzlei des Dr. RA1 ausgegeben wird. Der neue Vortrag in der
Berufungsverhandlung, zwei Drittel der Mandate seien namens einer im Konzern
verbundenen Gesellschaft erteilt worden, ist nach § 531 Abs.2 ZPO nicht mehr
zuzulassen. Er ist bestritten und Zulassungsumstände sind dazu nicht
vorgetragen oder ersichtlich. Die Mandate der Beklagten an Dr. RA1 waren von
Anfang des Rechtsstreits an zentrales Thema. Der nachgereichte Schriftsatz der
Klägerin vom 19.1.2011, der den Anteil an Mandaten anderer
Konzerngesellschaften noch weiter steigert, nämlich nun auf 94%, rechtfertigt
keine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (§ 156 Abs.1 und 2 ZPO).
Dem Antrag der Beklagten um Erklärungsfrist nach § 139 Abs.5 ZPO war nicht zu
entsprechen, weil der Senat mit der Darstellung seiner vorläufigen Auffassung in
der Sitzung förmliche Hinweise nach § 139 Abs.1 ZPO nicht gegeben hat.
Auf dieser Grundlage können die Zahlbeträge an Dr. RA1 nicht als unbedeutend
unberücksichtigt bleiben. Ein Interessenkonflikt besteht allerdings nicht, wenn es
sich um mittelbare Zahlungen in einem zur Aufsichtsratsvergütung zu
vernachlässigenden Umfang handelte. Mittelbare Zahlungen, wie auch diejenigen
an eine teilrechtsfähige Anwaltsgesellschaft, stehen unmittelbaren Zahlungen
gleich, soweit sie dem Organmitglied zugute kommen (BGH vom 2.4.2007, II ZR
325/05 – BB 2007, 1185, Rz.11 bei juris). Dabei sind nur „ganz geringfügige
Zuwendungen“ ohne Belang (BGH, wie vor) bzw. Zuwendungen in
„vernachlässigungsfähigem Umfang“ (BGH vom 20.11.2006, II ZR 279/05 – BGHZ
170, 60). Die Beklagte hat dazu vorgetragen, dass auf Dr. RA1 als einem von 98
Partnern der beauftragten RA-Gesellschaft ein „Gewinnanteil von rund 10.000,00
€“ pro Jahr aus dem Gesamthonorar der Kanzlei entfalle, das auf Zahlungen der
Beklagten beruhte (Bl. 379, BB S. 4, Bl. 487 d.A.). Einzelaufträge und
Einzelbeträge sind nicht genannt worden. Diese Behauptung ist jedoch bestritten
(Bl. 279 d.A: prozentual wesentlich höheren Anteil") und nicht weiter konkretisiert
worden, wie es aber nötig wäre. Denn aus der Gesamtpartnerzahl und dem
Gesamtmandatsumsatz der Kanzlei mit der Beklagten ergibt sich für ein
Einzelinteresse des Dr. RA1 wenig. Die Behauptung – 10.000,00 € als Umsatzanteil
p.a. - ist aber auch unerheblich. Eine Ausnahme von der Konfliktregelung in § 114
AktG setzt nämlich voraus, dass eine Gefährdung der Unabhängigkeit des
Aufsichtsratsmitglieds wegen der geringen Höhe der zusätzlichen Vergütung
ausgeschlossen ist. Hier bestimmt die hohe Gesamtzahlung an die Kanzlei - 1 Mio.
€ pro Jahr - das Interesse des Aufsichtsratsmitglieds. Denn er ist es, der den für
die Sozietät lukrativen Mandanten "an der Hand hat". Seine Stellung in der
Partnerschaft oder auch nur sein dortiges Ansehen werden durch diesen Umstand
naheliegend beeinflusst. Ohnedies sind 10.000,00 € weder absolut noch im
Verhältnis zu der Gesamtvergütung des Dr. RA1 - einschließlich Tantiemen
149.000,00 € - unbedeutend.
Ein Interessenkonflikt ist auch nicht wegen der bereits erhaltenen
Aufsichtsratsvergütung oder gar der sonstigen guten Vermögens- und
Einkommensverhältnisse des Dr. RA1 ausgeschlossen. Einen Satz der
Lebenserfahrung, dass das Interesse an zusätzlichen Einkünften mit der Höhe der
bereits erzielten Einkünfte erlischt, gibt es nicht.
Der Gesetzesverstoß war schwerwiegend, denn die unvoreingenommene
Überwachung des Vorstands durch den Aufsichtsrat hat hohe Bedeutung und
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Überwachung des Vorstands durch den Aufsichtsrat hat hohe Bedeutung und
betrifft eine Grundstruktur der Aktiengesellschaft, bei der eine andere laufende
Überwachung des geschäftsführenden Organs fehlt. Der Verstoß war auch
eindeutig, denn er betraf eine klare gesetzliche Regelung in § 114 Abs.1 AktG.
Dass der Vorstand - beraten durch ein Wirtschaftsprüfungsunternehmen - in
einem Rechtsirrtum über die Verfahrensweise handelte, ist unbeachtlich. Für den
der Entlastung schädlichen Verstoß gegen Gesetz oder Satzung kommt es auf ein
Verschulden des Organs nicht an.
Die Zahlungen an die Kanzlei des Dr. RA1 entgegen der aktiengesetzlichen
Zustimmungspflicht waren auch für den Aufsichtsrat Dr. RA1 pflichtwidrig und
damit schwere und eindeutige Gesetzesverstöße, die zur Versagung der (Gesamt-
) Entlastung nach § 120 Abs.1 AktG führen mussten, denn einen Anspruch auf
diese Zahlungen hatte die Anwaltspartnerschaft nicht, wie aus § 114 Abs.1 AktG
folgt. Da die Organe jeweils gesamtentlastet wurden, kommt es nicht darauf an,
dass nur einzelne Organmitglieder, etwa der Aufsichtsrat Dr. RA1 als einziger
Aufsichtsrat, pflichtwidrig handelten.
Im Übrigen ist die Klage, bezogen auf die Beschlussfassungen zum genehmigten
Kapital (TOP 6 und TOP 7), unbegründet.
Die geltend gemachten Verfahrensfehler gemäß § 243 Abs.1 und 4 AktG aus der
Nichtbeantwortung der Fragen 6 bis 8 liegen nicht vor, weil die Beklagte insoweit
nicht gegen § 131 Abs.1 Satz 1 AktG verstoßen hat.
Zu Frage 6 fehlt die Erforderlichkeit iSd. § 131 Abs. Satz 1 AktG für die Beurteilung
der dem Vorstand zu erteilenden Ermächtigung zur Kapitalerhöhung. Die Frage
nach der im Jahr 2005 durchgeführten Kapitalerhöhung 2005 war schon nicht
erforderlich, weil diese Kapitalerhöhung nicht mehr in einem zeitlichen
Zusammenhang mit der in 2009 erstrebten Beschlussfassung stand (vgl. OLG
München WM 2009, 265, Rz.41 bei juris).
Aber auch zur Beurteilung der Ausnutzung des genehmigten Kapitals in 2008 war
Frage 6 nicht erforderlich. Denn sie zielte nicht darauf ab, ob von der dem
Vorstand eingeräumten Ermächtigung rechtmäßig und zweckmäßig Gebrauch
gemacht worden war, sondern auf die Durchführung der Kapitalerhöhung, die sich
aber nicht unterscheidet von einer Kapitalerhöhung durch Satzungsbeschluss. Ob
eine Kapitalerhöhung als solche gesetzmäßig durchgeführt wurde, durfte jedoch
nur dann hinterfragt werden, wenn Anhaltspunkte für eine Unregelmäßigkeit
bestanden. Diese trägt die Klägerin nicht vor.
Ohnehin war Frage 6 zu den Provisionen beantwortet, weil man die Antwort
(Klageerwiderung S. 30, Bl. 155) dahin verstehen musste, dass ansonsten keine
anderen Zahlungen erfolgt waren.
Auch für Frage 7 gilt, wie vor, dass die Auskunft nicht erforderlich war, § 131 Abs.1
AktG. Die Frage betraf nicht das besondere Risiko, das aus einem genehmigten
Kapital entsteht, sondern die Durchführung einer Kapitalerhöhung schlechthin.
Insoweit fehlt ebenfalls ein Anlass für einen erhöhten Detaillierungsgrad einer
Auskunft, sodass der Hinweis auf die institutionellen Anleger und den
Gesamtbruttoerlös genügt hat.
Zu Frage 8, welche Unterlagen dem Aufsichtsrat bei der Beschlussfassung über
die Zustimmung zum genehmigten Kapital vorgelegen haben sollen, ist
geantwortet worden, dass es am 18.6.2008 eine Informationsveranstaltung für den
Aufsichtsrat gegeben habe mit einer Präsentation und Aushändigung einer
umfangreichen Beschlussvorlage sowie mündliche Informationen in der
Aufsichtsratssitzung vom 3.7.2008. Ob der Hinweis auf eine „Beschlussvorlage“
eine Antwort darauf war, welche Unterlagen vorlagen, kann dahin stehen. Die
Erforderlichkeit der Frage ist nämlich nicht ersichtlich, namentlich nicht, was aus
dem Vorliegen oder Nichtvorliegen konkreter Unterlagen und welcher zu folgern
gewesen wäre. Es ist auch nicht klar, weshalb es auf schriftliche Unterlagen
ankommt und mündliche Erläuterungen in der Aufsichtsratssitzung als ungeeignet
angesehen werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs.1 ZPO iVm. § 101 Abs.2, 69 ZPO. Der
Streithelfer zu 2.) ist nicht an den Gerichtskosten zweiter Instanz beteiligt (§ 100
Abs.2 ZPO). Die Vollstreckbarkeitsentscheidungen beruhen auf § 708 Nr.10 und
711 ZPO.
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Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs.2 ZPO
fehlen.
Auch die nachgereichten Schriftsätze der Klägerin zu 1.) vom 2.2.2011 und
11.02.2011 veranlassen keine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (§
156 Abs.1 und 2 ZPO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.