Urteil des OLG Frankfurt vom 09.09.2004

OLG Frankfurt: hund, neues vorbringen, zutritt, entlastungsbeweis, tierhalterhaftung, mitverschulden, verkehr, schmerzensgeld, zugang, sorgfalt

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Gericht:
OLG Frankfurt 26.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
26 U 15/04
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 833 S 2 BGB
(Tierhalterhaftung: Hund als Nutztier; Anforderungen an
den Entlastungsbeweis)
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das am 10.02.2004 verkündete Urteil des
Landgerichts Wiesbaden - Az.: 5 O 68/02 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen dem Beklagten zur Last.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt vom Beklagten die Zahlung eines Schmerzensgeldes sowie
Feststellung künftiger Ersatzpflicht hinsichtlich aller materiellen und immateriellen
Schäden aus Tierhalterhaftung.
Hinsichtlich der in erster Instanz getroffenen Feststellungen wird auf den
Tatbestand des am 10.02.2004 verkündeten landgerichtlichen Urteils (Bl. 147 ff d.
A.) Bezug genommen.
Das Landgericht hat der Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 3.000,- €
zuerkannt und dem Feststellungsantrag stattgegeben. Es hat einen Anspruch aus
§§ 833, 253 BGB bejaht, da sich im vorliegenden Fall eine typische Tiergefahr
realisiert habe, ungeachtet der Frage, ob die Klägerin den Hund des Beklagten
zuvor am Schwanz gezogen habe oder nicht. Das Landgericht hat es auch
dahinstehen lassen, ob es sich bei dem Hund um ein Nutztier im Sinne des § 833
S. 2 BGB handelt, da der Beklagte nicht ausreichend dafür Sorge getragen habe,
dass der Hund keine anderen Personen als unbefugt Eindringende verletzen
konnte. Er habe das Gelände nicht ausreichend gesichert, obwohl ihm bekannt
gewesen sei, dass sein Sohn gelegentlich in Gegenwart des Hundes mit anderen
Kindern auf dem Betriebsgelände spielte. Deshalb sei es erforderlich gewesen,
entweder eine entsprechende Sicherung des Tores vorzunehmen oder aber dem
Hund einen Maulkorb anzulegen. Der Anspruch der Klägerin sei weder durch ein
eigenes Mitverschulden noch durch ein solches ihrer Mutter gemindert. Eine
mögliche Aufsichtspflichtverletzung der Mutter entlaste den Beklagten als
unmittelbaren Schädiger nicht; insbesondere auch im Hinblick auf § 1664 BGB sei
die Lehre von der gestörten Gesamtschuld nicht anwendbar. Da nach dem
Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. A. mit hinreichender Wahrscheinlichkeit
von der Möglichkeit eines künftigen Schadenseintrittes auszugehen sei, habe dem
Feststellungsantrag ebenfalls entsprochen werden müssen.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Beklagte mit seiner Berufung. Er behauptet
nach wie vor, dass sein Hund ein Nutztier sei, da er ihn eigens zur Bewachung des
Werkgeländes angeschafft habe. Dies hätten die in erster Instanz vernommenen
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Werkgeländes angeschafft habe. Dies hätten die in erster Instanz vernommenen
Zeugen auch bestätigt. Der Beklagte habe insoweit auch den Entlastungsbeweis
geführt. Der Hund habe niemals zuvor andere Menschen gebissen und sei
insbesondere gegenüber Kindern immer lieb gewesen. Der Hund habe sich auch
nur in dem abgetrennten Hofteil und auf dem Gartengelände aufgehalten; zu
diesem Bereich hätten andere Personen keinen Zutritt. Der Zutritt zu diesem
Bereich sei auch ausreichend gesichert, was bei der Ortsbesichtigung festzustellen
gewesen sei. Er habe nicht damit rechnen müssen, dass sein sechsjähriger Sohn
über ein zwei Meter hohes Tor kletterte, um sich und den anderen Kindern den
Zutritt zu dem Hofgelände zu verschaffen, auf dem sich der Hund befunden habe.
Dies habe sein Sohn zuvor nie getan. Es komme nicht darauf, dass er schon zuvor
mit anderen Kindern mit dem Hund gespielt habe und er hiervon Kenntnis hatte,
da dies immer in Gegenwart von Erwachsenen geschehen sei. Allein habe sein
Sohn nie im Werkhof spielen dürfen; dieses Verbot habe er immer befolgt, so dass
mit Kinderaktivitäten in diesem Bereich nicht zu rechnen gewesen sei. Der
Beklagte ist nach wie vor der Auffassung, die Klägerin müsse sich eine erhebliche
Aufsichtspflichtverletzung ihrer Mutter schadensmindernd entgegenhalten lassen.
Der Beklagte beantragt,
das am 10.02.2004 verkündete Urteil des Landgerichts Wiesbaden
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung im Wesentlichen unter Wiederholung
ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Sie bestreitet nach wie vor, dass es sich bei
dem Hund des Beklagten um ein Nutztier handele; zumindest sei er tatsächlich
nicht als Wachhund für das Betriebsgelände gehalten worden. Der Beklagte habe
seinen Sorgfaltspflichten nicht genüge getan, da er seinen Hund weder
ordnungsgemäß verwahrt noch beaufsichtigt und kontrolliert habe. Insbesondere
könne nicht von einer ausreichenden Absicherung des Hof- und Gartengeländes
ausgegangen werden, wenn es einem siebenjährigen ohne weiteres gelänge, sich
Zutritt zu verschaffen. Der Beklagte hätte im Übrigen mit der Verhaltensweise
seines Sohnes rechnen müssen, da dieser bereits viele Male zuvor sich und
anderen Kindern auf die gleiche Art und Weise wie im vorliegenden Fall Zutritt zu
dem Innenhof verschafft habe. Darauf komme es aber letztlich auch nicht an, weil
der Beklagte im Garten mitbekommen habe, dass sich sein Sohn mit anderen
Kindern im Hofbereich aufgehalten habe, ohne einzuschreiten. Eine Verletzung der
Aufsichtspflicht ihrer Mutter komme nicht in Betracht, da diese sich immer wieder
durch einen Blick aus dem Fenster über den Aufenthaltsort der Kinder vergewissert
habe und nicht damit rechnen konnte, dass der Sohn des Beklagten das Tor zum
Innenhof öffnen werde.
Wegen des weiteren Vortrags der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den
Schriftsatz des Beklagten vom 13.05.2004 (Bl. 180 ff d.A.) und auf den Schriftsatz
der Klägerin vom 26.07.2004 (Bl. 194 ff d.A.) Bezug genommen.
II.
Die gemäß §§ 517, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegte und darüber hinaus
gemäß § 520 Abs. 2 ZPO rechtzeitig begründete Berufung ist zulässig, hat in der
Sache aber keinen Erfolg.
Das Landgericht hat der Klägerin zu Recht ein Schmerzensgeld zugesprochen und
zudem die Verpflichtung des Beklagten zum Ersatz künftigen materiellen und
immateriellen Schadens festgestellt. Eine hiervon abweichende Bewertung der
Sach- und Rechtslage kommt auch unter Berücksichtigung des
Berufungsvorbringens nicht in Betracht; das Urteil beruht weder auf einer
Rechtsverletzung noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden
Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 ZPO).
Die Haftung des Beklagten ergibt sich aus § 833 BGB. Nach dieser Vorschrift
haftet der Halter eines Tieres zunächst unabhängig von der Frage eines
Verschuldens für die von dem Tier verursachten Sach- und Personenschäden.
Dass sich im vorliegenden Fall ungeachtet der Frage, ob die Klägerin den Hund
zuvor am Schwanz gezogen hat, eine typische Tiergefahr verwirklicht hat, steht
außer Streit.
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Die Haftung des Beklagten ist auch unter keinem Gesichtspunkt nach § 833 S. 2
BGB ausgeschlossen. Einem Tierhalter steht der Entlastungsbeweis nur dann
offen, wenn der Schaden durch ein Tier verursacht wurde, welches dem Berufe, der
Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalte des Tierhalters zu dienen bestimmt ist.
Diese Voraussetzungen lassen sich schon auf der Grundlage des erstinstanzlichen
Vorbringens des Beklagten nicht feststellen. Insoweit ist es erforderlich, dass die
Haltung des Tieres spezifisch mit der Berufstätigkeit des Halters zusammenhängt
und in einem erheblichen Umfang einem der genannten Zwecke dient. Ein solcher
spezifischer mit der Berufstätigkeit des Beklagten zusammenhängender Grund für
die Haltung des Hundes ist nicht hinreichend dargetan. Selbst wenn der Hund
entsprechend der Behauptung des Beklagten „als Wachhund zur Sicherung des
Werksgeländes“ der Firma X GmbH angeschafft und eingesetzt worden ist, reicht
dies nicht aus, um bei dem Hund „B.“ von einem Nutztier ausgehen zu können.
Nach den in erster Instanz getroffenen Feststellungen verfügt er weder über eine
entsprechende Ausbildung noch weist er sonstige Eigenschaften auf, die ihn als
Wachhund geeignet erscheinen lassen. Darüber hinaus ist auch ein besonderes
berufsbedingtes Sicherungsbedürfnis nicht hinreichend dargetan. Weder ist
ersichtlich, dass sich ein solches Bedürfnis aus der örtlichen Lage des Betriebes
noch aus sonstigen Umständen ergibt. Soweit es zu Diebstählen von dem
Betriebsgelände gekommen sein soll, reicht dies nicht aus, um hier annehmen zu
können, der Hund werde in erheblichem Umfang zur Förderung der beruflichen
Tätigkeit des Beklagten eingesetzt. Er dient vielmehr allenfalls einem allgemeinen,
jedermann zukommenden Sicherungsbedürfnis, was nicht ausreicht, um den Hund
als Nutztier qualifizieren zu können (vgl. die ähnliche Fallgestaltung in OLG Köln,
VersR 1999, 1293 f).
Selbst wenn man den Hund des Beklagten als Nutztier ansehen wollte, entfiele
eine Haftung nur, wenn der Beklagte bei der Beaufsichtigung des Tieres die im
Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet hätte. Diesen Entlastungsbeweis, an den
regelmäßig strenge Anforderungen zu stellen sind, hat der Beklagte jedoch nicht
geführt. Wenn sich der Hund im vorliegenden Fall in einem eingegrenzten Bereich
befand, musste der Beklagte dafür Sorge tragen, dass dieser Bereich ausreichend
gegen das Betreten durch Dritte und insbesondere Kinder gesichert war. Dass war
vorliegend offenbar nicht der Fall, wie der tatsächliche Geschehensablauf zeigt.
Denn der Sohn des Beklagten konnte sich und den anderen Kindern ohne weiteres
Zutritt zu dem Bereich verschaffen, in dem der Hund frei umherlief. Da der Sohn
des Beklagten auch schon zuvor im Beisein anderer Kinder mit dem Hund gespielt
und dies dem Beklagten bekannt war, musste er damit rechnen, dass sein Sohn
möglicherweise auch allein, ohne die Gegenwart von Erwachsenen, mit dem Hund
spielen wollte und sich entsprechenden Zugang verschaffen konnte. Dass die
Situation umso verlockender wurde, wenn andere Kinder dabei waren, liegt auf der
Hand. Bei dieser Sachlage hätte der Beklagte das Tor insgesamt verschlossen
halten müssen, jedenfalls sofern dies mit dem Betriebsabläufen zu vereinbaren
war, was am Wochenende aber anzunehmen ist. Anderenfalls hätte er durch
andere geeignete Maßnahmen sicherstellen müssen, dass sein Sohn nur in
Gegenwart von Erwachsenen zu dem Hund gelangen konnte, insbesondere dann,
wenn weitere Kinder zugegen waren. In einer solchen Situation ist der Anreiz, den
anderen Kindern den Hund zu zeigen, sicher so groß, dass dabei auch
vermeintliche Hindernisse ohne Probleme überwunden werden können. In diesem
Zusammenhang spielt es keine Rolle, dass der Hund möglicherweise nicht sehr
gefährlich, sprich bissig und den Umgang mit Kindern gewöhnt war. Das
Landgericht hat in der angefochtenen Entscheidung zu Recht darauf hingewiesen,
dass es jedem vernünftigen Hundehalter einleuchten muss, dass es beim Spielen
eines relativ großen Hundes mit noch kleinen Kindern, selbst wenn er den Umgang
mit Kindern gewöhnt ist, zu Reaktionen des Hundes kommen kann, die zu
Verletzungen bei den Kindern führen können. Vor diesem Hintergrund ist der
Einwand des Beklagten, sein Sohn habe immer nur in Gegenwart von Erwachsenen
mit dem Hund gespielt, nicht erheblich. Er wäre darüber hinaus aber auch gemäß
§ 531 Abs. 2 ZPO unbeachtlich, da es sich um neuen Sachvortrag handelt, der von
der Klägerin bestritten wurde. Soweit der Beklagte in der Berufung behauptet hat,
dass sich sein Sohn bis zu diesem Zeitpunkt noch nie auf diese Weise Zugang zu
dem Hofbereich verschafft habe, entlastet das den Beklagten nicht. Insoweit
handelt es sich ebenfalls um neues Vorbringen, welches, da es von der Klägerin
bestritten wurde, nur unter den Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO
zuzulassen ist. Diese Voraussetzungen hat der Beklagte indes nicht dargetan; er
hat zudem keinen Beweis für seine Behauptung angeboten, so dass für die Frage
des Entlastungsbeweises jedenfalls nicht auszuschließen ist, dass es bereits
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des Entlastungsbeweises jedenfalls nicht auszuschließen ist, dass es bereits
ähnliche Vorfälle gegeben hat. Selbst wenn dies aber nicht der Fall ist, war
gleichwohl aus den oben bereits dargelegten Gründen nicht von einer
ausreichenden Entlastung auszugehen.
Unter Berücksichtigung all dessen war nicht festzustellen, dass der Beklagte bei
der Beaufsichtigung seines Hundes die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet
hat, so dass seine Haftung dem Grunde nach gegeben ist.
Die Klägerin muss sich auch kein anspruchsminderndes Mitverschulden entgegen
halten lassen. Ein Mitverschulden der Klägerin selbst liegt nicht vor, da sie im
Zeitpunkt des Vorfalls noch nicht verschuldensfähig im Sinne des §§ 828, 254 BGB
war. Eine etwaige Aufsichtspflichtverletzung ihrer Mutter wirkt sich jedenfalls nicht
zugunsten des Beklagten aus. Das Landgericht hat sich ausführlich und mit
zutreffender Begründung mit dieser Frage auseinandergesetzt. Ein Rechtsfehler
lässt sich insoweit nicht erkennen, so dass auch unter Berücksichtigung des
Berufungsvorbringens eine abweichende Bewertung der Sach- und Rechtslage
nicht geboten ist. Treffen eine Aufsichtspflichtverletzung und Drittverschulden
zusammen, kommt lediglich eine gemeinsame Haftung des Dritten und des
Elternteils gemäß §§ 823, 840, 426 BGB in Betracht. Scheidet eine Haftung der
Eltern gemäß § 1664 BGB aus, kommt dies nicht dem Dritten zugute; seine
Haftung bleibt unberührt (vgl. BGH, FamRZ 1988, 810).
Die Höhe des vom Landgericht zuerkannten Schmerzensgeldes ist nicht zu
beanstanden und steht auch zwischen den Parteien nicht mehr im Streit.
Soweit die Klägerin die Feststellung künftiger Ersatzpflicht des Beklagten begehrt,
ist die Klage zulässig, da insoweit das notwendige Feststellungsinteresse
hinsichtlich noch nicht bezifferbarer, aber wegen der Art der vorliegenden
Beeinträchtigung hinreichend wahrscheinlicher künftiger Schäden ausreichend
dargetan wurde. Dem Feststellungsbegehren der Klägerin war auch in der Sache
zu entsprechen. Sie hat die aus ihrer Sicht bei verständiger Würdigung nicht eben
fern liegende Möglichkeit künftiger Verwirklichung der Schadensersatzpflicht des
Beklagten durch das Auftreten weiterer Folgeschäden aufgezeigt, da ihr Zustand
nach dem in erster Instanz eingeholten Sachverständigengutachten noch weitere
Behandlungen erforderlich machen kann.
Nach alldem war die Berufung mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10,
711, 713 ZPO.
Die Revision gegen dieses Urteil war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder
grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung
einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts
erfordert (§ 543 Abs. 1 Ziffer 1, Abs. 2 Ziffer 1, 2 ZPO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.