Urteil des OLG Düsseldorf vom 29.07.2008

OLG Düsseldorf: beweisverfahren, gütliche einigung, zivilprozessordnung, entlastung, rechtspflege, verfügung, beweissicherung, form, datum, beweismittel

Oberlandesgericht Düsseldorf, I-21 W 19/08
Datum:
29.07.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
21. Senat für Zivilsachen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
I-21 W 19/08
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin zu 4.) wird der
Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg vom
30.05.2008 - 1 OH 211/06 - ab-geändert.
Das Ruhen des Verfahrens, soweit sich dieses gegen die
Antragsgegnerin zu 4.) richtet, wird angeordnet.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Die form- und fristgerecht eingelegte, gemäß den §§ 252, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO
statthafte sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin zu 4.) ist begründet. Es ist das
Ruhen des Verfahrens gemäß § 251 ZPO anzuordnen, soweit sich das selbständige
Beweisverfahren gegen die Antragsgegnerin zu 4.) richtet. Der Antrag der
Antragsgegnerin zu 4.) ist dahingehend auszulegen, dass sie das Ruhen des
Verfahrens nur insoweit begehrt, als sich das selbständige Beweisverfahren gegen sie
richtet.
1
1.)
2
Die Vorschrift des § 251 ZPO findet auch im selbständigen Beweisverfahren
Anwendung.
3
a)
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In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob das Ruhen des Verfahrens auch im
selbständigen Beweisverfahren angeordnet werden kann. Für die Anwendbarkeit der
Vorschrift spricht sich das Kammergericht in einer Entscheidung aus dem Jahr 1996 aus
(KG, NJW-RR 1996, 1086). Schon die Systematik des Gesetzes spreche für eine
Anwendung, weil das selbständige Beweisverfahren Teil des im Zweiten Buch der
Zivilprozessordnung geregelten "Verfahrens im ersten Rechtszug" sei. Darüber hinaus
schließe der besondere Charakter des selbständigen Beweisverfahrens die Anordnung
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seines Ruhens nicht grundsätzlich aus, weil insbesondere nicht davon auszugehen sei,
dass dieses in jedem Falle seiner Art nach eilig sei.
Die Anordnung des Ruhens auch beim selbständigen Beweisverfahren befürworten
ebenso Roth (Stein/Jonas-Roth, Zivilprozessordnung, 22. Aufl., 2006, § 251, RN 2, vor §
239, RN 3) und Stadler (Musielak-Stadler, Zivilprozessordnung, 5. Aufl., 2007, § 239,
RN 1).
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Demgegenüber lehnen Greger (Zöller-Greger, Zivilprozessordnung, 26. Aufl, 2007, §
251, RN 2) und Gehrlein (MüKo-Gehrlein, Zivilprozessordnung, 3. Aufl, 2008, § 251, RN
4; a. A. noch MüKo-Feiber, 2. Aufl., § 251, RN 4) die Anordnung des Ruhens des
Verfahrens im Hinblick auf die Beschleunigungsbedürftigkeit des selbständigen
Beweisverfahrens ab.
7
b)
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Die systematische Stellung des § 251 ZPO im ersten Buch der Zivilprozessordnung
spricht für seine Anwendung auf das in der Regel kontradiktorische selbständige
Beweisverfahren. Ebenso enthalten die §§ 485 ff. ZPO keine Regelung, wonach die
Vorschrift des § 251 ZPO nicht gelten soll (vgl. BGH, BauR 2004, 404 zu § 240 ZPO).
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Darüber hinaus steht die Vorschrift des § 251 ZPO nicht im Widerspruch zu dem Sinn
und Zweck des selbständigen Beweisverfahrens und ist daher auf dieses anzuwenden.
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Durch das selbständige Beweisverfahren soll dem Antragsteller zum einen die
Möglichkeit einer schnellen Beweissicherung auch ohne Zustimmung des Gegners und
unabhängig von einem Streitverfahren gegeben werden, wenn der Verlust oder die
erschwerte Benutzung eines Beweismittels zu besorgen sind, § 485 Abs. 1, 2. Alt. ZPO.
Zum anderen können durch ein selbständiges Beweisverfahren tatsächliche Vorfragen
für die Beurteilung eines Anspruchs geklärt werden, wenn der Antragsteller hieran ein
rechtliches Interesse hat, insbesondere wenn dadurch ein Rechtsstreit vermieden
werden kann, § 485 Abs. 2 ZPO. Das soll den Weg zu einer erfolgversprechenden
Güteverhandlung (vgl. § 492 Abs. 3 ZPO ) und zu einer raschen und kostensparenden
Einigung der Parteien ohne einen sonst zu erwartenden Rechtsstreit ebnen (BGH,
BauR 2004, 404).
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Aufgrund der verschiedenartigen Zielsetzungen, die mit einem selbständigen
Beweisverfahren nach der Vorstellung des Gesetzgebers verfolgt werden können, ist
eine Anwendung der Vorschrift des § 251 ZPO nicht grundsätzlich ausgeschlossen.
Zwar dürfte die Anordnung des Ruhens des Verfahrens nicht in Betracht kommen, wenn
die Besorgnis besteht, dass ein Beweismittel verloren geht oder seine Benutzung
erschwert wird (§ 485 Abs. 1, 2. Alt. ZPO). In diesen Fällen steht die Eilbedürftigkeit des
selbständigen Beweisverfahrens im Vordergrund. Die mit der Neuordnung der
vorprozessualen Beweiserhebung durch das Rechtspflege-Vereinfachungsgesetz seit
dem 01.04.1991 verbundene Ablösung des Beweissicherungsverfahrens durch das
selbständige Beweisverfahren, die auf den Sicherungszweck für das schriftliche
Sachverständigengutachten ganz und im übrigen bei Zustimmung des Gegners
verzichtete, diente aber vor allem zur Entlastung der Gerichte und Förderung der
gütlichen Streitbeilegung (vgl. RegE BT-Drucks. 11/3621, S. 24). Diese Zielsetzung
kann in Fällen, in denen ein Verlust eines Beweismittels nicht mehr zu befürchten ist,
die Anordnung des Ruhens des Verfahrens im Interesse der Herbeiführung einer
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raschen und kostensparenden Einigung der Parteien gebieten. Das selbständige
Beweisverfahrens ist nicht in jedem Fall ein Eilverfahren, das der Beschleunigung
bedarf (a. A. MüKo-Schreiber, § 485, RN 13; Zöller-Greger, § 251, Rn 2). Vielmehr kann
die angestrebte gütliche Einigung der Beteiligten gerade eine Anordnung des Ruhens
des Verfahrens als sinnvoll erscheinen lassen. Sollte allerdings im konkreten Fall die
Eilbedürftigkeit einer Anordnung des Ruhens des Verfahrens entgegenstehen, steht das
in § 251 ZPO vorausgesetzte Erfordernis der Zweckmäßigkeit der Anordnung des
Ruhens als Korrektiv zur Verfügung. Der Antrag ist in diesen Fällen dann nicht als
unzulässig, sondern als unbegründet zurückzuweisen, weil die Voraussetzungen des §
251 ZPO nicht vorliegen (vgl. KG, NJW-RR 1996, 1086).
2.)
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Im vorliegenden Fall liegen die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung des
Ruhens hinsichtlich des gegen die Antragsgegnerin zu 4.) eingeleiteten Verfahrens vor.
14
a)
15
Die Antragstellerin und die Antragsgegnerin zu 4.) haben das Ruhen des Verfahrens
übereinstimmend beantragt.
16
b)
17
Die Anordnung ist zweckmäßig.
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Der Verlust von Beweismitteln ist jedenfalls im derzeitigen Stadium des Verfahrens nicht
zu befürchten, weil der Sachverständige M. umfassende Feststellungen entsprechend
der im Beweisbeschluss vom 10.08.2006 formulierten Beweisfragen in seinen
Gutachten vom 30.05.2007 sowie vom 11.04.2008 getroffen hat. Es geht nunmehr
darum, ob die von der Antragsgegnerin zu 4.) vorgeschlagene Vorgehensweise zur
Beseitigung der vom Sachverständigen M. festgestellten Mängel, die von der vom
Sachverständigen vorgeschlagenen Mängelbeseitigung abweicht, ebenfalls zum Erfolg
führt. Hierzu soll der Sachverständige, nachdem die Antragsgegnerin zu 4.) die
entsprechenden Baumaßnahmen durchgeführt hat, ergänzende Feststellungen treffen.
Dies ist grundsätzlich statthaft, weil das Gericht jederzeit ergänzende Anordnungen
erlassen kann (vgl. MüKo-Schreiber, § 485, Rn 17 a. E.).
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Das von der Antragstellerin und der Antragsgegnerin zu 4.) beantragte Ruhen des
Verfahrens dient damit einer gütlichen Streitbeilegung und also einer Entlastung der
Gerichte.
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Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist nicht veranlasst, da die Sache keine
grundsätzliche Bedeutung hat und eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts
auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung erforderlich ist, § 574 Abs. 2 ZPO.
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