Urteil des OLG Düsseldorf vom 22.12.2010

OLG Düsseldorf (höhe, entgelt, verhältnis zu, schätzung, zpo, rückzahlung, unternehmen, termin, egv, genehmigung)

Oberlandesgericht Düsseldorf, VI-2 U (Kart) 34/09
Datum:
22.12.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
2. Kartellsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
VI-2 U (Kart) 34/09
Vorinstanz:
Landgericht Dortmund, 90 O 94/08
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 10. Kammer für
Handels-sachen des Landgerichts Dortmund vom 23. Oktober 2009
teilweise abgeän-dert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
1.
Das Netznutzungsentgelt einschließlich der Mess- und
Verrechnungsentgelte für die Nutzung des Stromversorgungsnetzes der
Beklagten durch die frühere L... GmbH & Co. KG zur Energieversorgung
ihrer Kunden, die sie vom 01. Januar 2005 bis zum 28. Oktober 2005 im
Netzgebiet der Beklagten angemeldet und versorgt hat, einschließlich
der Nutzung vorgelagerter Netze, soweit berechnet und übergewälzt,
wird auf
9.224,76 € brutto
festgesetzt.
2.
Die Beklagte wird verurteilt, 2.306,19 € nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozent-punkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. Januar 2009 an
die L... AG zu zahlen.
3.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4.
Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen die Klägerin zu 17
% und die Beklagte zu 83 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens
tragen die Klägerin zu 58 % und die Beklagte zu 42 %.
5.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des
beitreibbaren Betrages ab-wenden, wenn nicht die Klägerin vor der
Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils
beizutreibenden Betrages leistet.
6.
Die Revision wird für die Klägerin zugelassen, soweit der Senat den
geltend gemachten Anspruch für den Zeitraum 29. Oktober 2005 bis 31.
Dezember 2005 abgewiesen hat.
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
1
I.
2
Die Beklagte gestattete aufgrund eines Rahmenvertrages vom 16./20. November 2000
der damals noch als L... GmbH & Co. KG firmierenden Klägerin die Netzdurchleitung
gegen Entgelt in Höhe der jeweils einschlägigen Preisblätter. Die Klägerin hat bei
Unterzeichnung sowie zumindest in den Jahren 2004 und 2005 Vorbehalte gegen die
Höhe der verlangten Durchleitungsentgelte erhoben.
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Die Klägerin verlangt Rückzahlung der ihrer Ansicht nach überhöhten
Durchleitungsentgelte für das Jahr 2005. Sie erbrachte in diesem Jahr Zahlungen in
Höhe von 9.542,88 € netto. Sie hat zunächst die Bestimmung des billigen
Netznutzungsentgelts für das Jahr 2005 und Rückzahlung der Differenz zu den
gezahlten 9.542,88 Euro netto zuzüglich Mehrwertsteuer und gesetzlicher
Rechtshängigkeitszinsen verlangt, wobei sie von einer Überhöhung von 30 %
ausgegangen ist. Im Verlaufe des Rechtsstreits ist die Klägerin umfirmiert und das
Geschäftsfeld einschließlich der streitigen Forderung an die L... AG übertragen worden.
Die Klägerin hat zudem die Auffassung vertreten, die Beklagte habe keine
aussagekräftigen Zahlen zur Bestimmung des billigen Entgelts vorgelegt, sie könne
daher Rückzahlung der vollständigen Summe an die L... AG verlangen. Sie hat
beantragt,
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1. das billige Netzentgelt einschließlich der Mess- und Verrechnungsentgelte für
die Nutzung des Stromversorgungsnetzes der Beklagten durch die ehemalige L...
GmbH & Co. KG zur Energieversorgung ihrer Kunden, die sie im Jahr 2005 im
Netzgebiet der Beklagten angemeldet und versorgt hat, einschließlich der
Nutzung der vorgelagerten Netze, soweit berechnet bzw. übergewälzt, zu
bestimmen, sowie
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2. die Beklagte zu verurteilen, die Differenz zwischen den ausweislich der
Auflistung K 1 tatsächlich für die Netznutzung im Jahr 2005 gezahlten Entgelten
in einer Gesamthöhe von 9.542,88 € und dem vom Gericht für die Netznutzung
im Jahr 2005 bestimmten billigen Entgelt zzgl. Umsatzsteuer und
Rechtshängigkeitszinsen an die L... zu zahlen,
6
3. hilfsweise zu 2., die Beklagte zu verurteilen, an die L... AG die für die
Netznutzung im Jahr 2005 insgesamt gezahlten Entgelte in Höhe von 9.542,88 €
nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab
7
nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab
Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
8
die Klage abzuweisen.
9
Sie hat geltend gemacht, hilfsweise sei eine Schätzung des billigen Entgeltes
vorzunehmen, das nicht 0,00 € betragen könne. Zudem sei nach der Rechtsprechung
des BGH eine Rückzahlung überhöhter Durchleitungsentgelte für den Zeitraum ab dem
29. Oktober 2005 ausgeschlossen.
10
Das Landgericht hat in Anlehnung an das Urteil des Senats vom 26.11.2008 (VI-2 U
(Kart) 12/07) das Entgelt auf 0,00 € festgesetzt und die Beklagte zur Zahlung von
9.542,88 Euro netto zuzüglich MWSt. nebst Zinsen in Höhe von 8 %-Punkten über dem
Basiszinssatz an die L... AG seit Rechtshängigkeit verurteilt.
11
Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie meint, nach Ausgliederung auf die
L... AG sei die Klägerin nicht aktivlegitimiert. Die Schätzung des billigen Entgelts auf
0,00 € sei unzulässig; entsprechend der Rechtsprechung mehrerer Oberlandesgerichte
könne eine Schätzung anhand der Festsetzungen der Bundesnetzagentur erfolgen.
Jedenfalls für den Zeitpunkt ab dem 29. Oktober 2005 könne sie nicht zur
Zurückzahlung verurteilt werden. Sie beantragt,
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unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
13
Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
15
Sie verteidigt das angefochtene Urteil, hält eine Schätzung für unzulässig und meint, ein
Ausschluss ihres Rückzahlungsanspruchs ab dem 29. Oktober 2005 sei
europarechtswidrig.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
Feststellungen des angefochtenen Urteils sowie die im Berufungsrechtszuge
gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
17
II.
18
Die Berufung der Beklagten hat einen Teilerfolg.
19
1. Klagebefugnis der Klägerin
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Die Klägerin ist prozessführungsbefugt. Sie ist mit der "L... GmbH & Co. KG" identisch,
es hat lediglich eine Umfirmierung gegeben.
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Die Ausgliederung des Geschäftsfeldes, welches auch die streitige Forderung umfasst,
auf die L... AG im Verlaufe des Rechtsstreits berührt weder ihre Parteistellung noch ihre
Prozessführungsbefugnis. Diese Vorgänge führen nicht zu einer
Gesamtrechtsnachfolge der L... AG (was konsequenterweise zur Folge haben müsste,
dass prozessual an die Stelle der "L... GmbH & Co. KG" ohne Weiteres als Klägerin die
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L... AG getreten wäre), sondern lediglich dazu, dass die Aktivlegitimation im Wege einer
(vereinfachten) Einzelrechtsnachfolge auf die L... AG übergegangen ist (vgl. näher
Stöber, NZG 2006, 574 m.w.N.). Dies führt zu einer Anwendung des § 265 Abs. 2 ZPO
mit der Folge, dass die Klägerin weiterhin Partei des Rechtstreits ist, jedoch Zahlung nur
an die neue Gläubigerin verlangen kann.
2.
23
Der Rückzahlungsanspruch besteht (vorbehaltlich des Zeitraums ab dem 29. Oktober
2005, dazu unter 3.) dem Grunde nach gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 BGB. Das Entgelt der
Beklagten ist um 25 % überhöht.
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a) Die Begründung des Landgerichts, die mit der Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil
vom 26.11.2008 – 2 U (Kart) 2/08; s. auch BGH WuW/E DE-R 3023) im Einklang steht,
greift die Beklagte in diesem Punkt auch nicht an. Die Beklagte hat keine Zahlen zur
Entgeltkalkulation vorgelegt. Sie hat lediglich erklärt, ihre nach der
Verbändevereinbarung II plus kalkulierten Entgelte (vgl. Bl. 64/65) seien im Verhältnis
zu anderen Unternehmen sehr niedrig. Das besagt bereits deswegen nichts, weil – wie
die Klägerin unter Hinweis auf BGH WuW/E DE-R 1617 ff., 1620) zu Recht ausführt (Bl.
105) - die Verbändevereinbarung II plus für das Jahr 2005 keinerlei
Vermutungswirkungen auslöst.
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Auch im Parallelverfahren VI-2 U (Kart) 17/09 hat die Beklagte keine hinreichenden
Angaben zur Entgeltbestimmung getätigt. Sie hat dort mit Schriftsatz vom 21. November
2008 vorgetragen, ihren Berechnungen anhand der Verbändevereinbarung II plus liege
der Jahresabschluss per 31. Dezember 1997 zugrunde, der Abschluss für 1998
unterscheide sich von diesem nicht "substantiell". Abgesehen davon, dass auch der
Jahresabschluss 1998 nicht mehr als zeitnah zum Jahr 2003 angesehen werden kann,
hat die Klägerin zutreffend – ohne eine Reaktion der Beklagten - darauf hingewiesen,
dass das Wort "substantiell" ohne Substanz ist. Die Rüge der Beklagten, das
Landgericht hätte über den mangelnden Unterschied der Kostenstruktur in den Jahren
1997 einerseits und 1998 andererseits Beweis erheben müssen, ist daher unberechtigt.
Zeitnähere Zahlen liegen nicht vor. Es müssten erheblich zeitnähere Unterlagen
vorgelegt werden, nur so können die "jahresspezifischen Kosten" im Sinne der VV II
plus einigermaßen berechnet werden. Gerade durch den – u.a. infolge der VV erst
ermöglichten – Marktzutritt Dritter sind die Netzbetreiber gehalten gewesen, ihre
Kostenstrukturen kritisch zu überprüfen, insoweit ist damit zu rechnen, dass sich nach
mehreren Jahren die Kostenstrukturen geändert haben.
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b) Der Senat setzt das billige Entgelt gemäß § 315 Abs. 3 S. 2 BGB auf 75 % des von
der Beklagten verlangten Entgeltes fest.
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Das Landgericht hat das billige Entgelt im Anschluss an das Urteil des Senats vom
26.11.2008 (VI-2 U (Kart) 12/07) auf 0,00 € festgesetzt. Der Senat hat dieses Ergebnis
damals damit begründet, er verkenne zwar nicht, dass dem Netzbetreiber ein Entgelt
zustehen müsse, er habe jedoch keinen Anhaltspunkt dafür, in welcher Höhe ein Entgelt
billig im Sinne des § 315 BGB sei; eine Schätzung sei unzulässig, wenn sie "völlig in
der Luft hängen würde" (vgl. Greger, in Zöller, ZPO, 28. Aufl., § 287 Rdnr. 5).
28
Der Bundesgerichtshof hat jedoch in seiner Entscheidung vom 20. Juli 2010 (EnZR
23/09, WuW/E DE-R 3023) in einem vergleichbaren Fall eine Schätzung für
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grundsätzlich möglich erachtet. Unter diesen Umständen hält es der Senat – auch zur
Wahrung der Rechtseinheit – für geboten, eine Schätzung vorzunehmen.
Der Senat legt der Schätzung in vergleichbaren Fallgestaltungen, soweit möglich, im
Allgemeinen nicht den Durchschnittssatz, sondern den individuellen Kürzungssatz
zugrunde, den die Bundesnetzagentur in ihrem ersten Bescheid gegenüber den
vorherigen Sätzen vorgenommen hat. Wie im Termin vom 07. Juli 2010 erörtert, hat die
Klägerin Kürzungssätze zwischen 12,5 % (bei einem Jahresverbrauch von 1.500 kWh/a)
und 18,6 % (bei einem Jahresverbrauch von 4.500 kW/h) errechnet (Anlage K 8). Die
Beklagte hat im Termin vom 24. November 2010 erheblich niedrigere Kürzungssätze
errechnet. All dies konnte der Senat mangels Vorlage des Bescheides und der
Rechenwege nicht nachvollziehen. Unter diesen Umständen muss der Senat von dem
durchschnittlichen Kürzungssatz ausgehen.
30
Wie der Senat bereits im Termin vom 24. November 2010 ausgeführt hat, addiert er zu
diesem Kürzungssatz noch einen Zuschlag. Die Netzregulierungsbehörde hat nämlich
in der ersten Regulierungsrunde unbestritten nur eine rudimentäre Prüfung der
vorgelegten Unterlagen vornehmen können. Sie hat lediglich bestimmte Werte geprüft,
eine in die Tiefe gehende Untersuchung hat nicht – und zwar auch in der Folgezeit –
nicht stattgefunden.
31
Insgesamt schätzt der Senat daher den Kürzungsbetrag auf 25 %.
32
3.
33
Für den Zeitraum ab dem 29. Oktober 2005 besteht ein Anspruch nicht (ebenso OLG
Celle, Urteil vom 17.06.2010 – 13 U 5/10 (Kart), OLG München, Beschlüsse vom
16.03.2010 und 20.05.2010 – U (K) 1743/10; OLG München, WuW/E DE-R 3031, 3033 -
3335).
34
Auf diesen Zeitraum entfallen nach den nachvollziehbaren Schätzungen der Klägerin im
Schriftsatz vom 10. Juni 2009 (Bl. 168/169 und Anlage K 45), die der Senat zugrunde
legt, Zahlungen von 1.590,50 € netto (= 1.844,98 € brutto). Der sich damit unter
Berücksichtigung von Mehrwertsteuer und Kürzungssatz (s. 2.) zunächst ergebende
Anspruch in Höhe von 461,25 € ist durch § 23a Abs. 5 S. 1 i.V.m. § 118 Abs. 1b S. 1
EnWG ausgeschlossen.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschlüsse vom 14.08.2008 – KVR
27/07 und KVR 39/07) darf der Netzbetreiber die von ihm berechneten Entgelte vorläufig
beibehalten. Etwaige Zuvielleistungen der durchleitenden Unternehmen sind nicht im
Individualverhältnis, sondern bei zukünftigen Regulierungsentscheidungen zu
berücksichtigen. Die dagegen gerichteten Einwände der Klägerin greifen nicht durch.
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a) Soweit die Klägerin meint, das Auslegungsergebnis ergebe sich nicht hinreichend
deutlich aus dem EnWG, trifft dies nicht zu. Der Bundesgerichtshof stützt sein Ergebnis
auf § 23a Abs. 5 S. 1 i.V.m. § 118 Abs. 1b S. 2 EnWG und das Zusammenspiel der
Regelungen des EnWG. Das Bundesverfassungsgericht hat die gegen die
Mehrerlösberücksichtigung bei der Regulierung gerichtete Verfassungsbeschwerde
eines Netzbetreibers, die mit einer fehlenden Rechtsgrundlage begründet wurde,
zurückgewiesen (NVwZ 2010, 373) und damit die verfassungsrechtliche Vertretbarkeit
des Auslegungsergebnisses des Bundesgerichtshofs bestätigt.
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Der Hinweis der Klägerin darauf, dass die verwaltungsrechtliche Mehrerlösabschöpfung
gegenüber individuellen Zahlungsansprüchen nach § 33 Abs. 2 EnWG subsidiär sei,
greift gleichfalls nicht durch. Der Bundesgerichtshof hat die von ihm für zutreffend
erachtete Berücksichtigung von Mehrerlösen bei der Genehmigung von
Netzdurchleitungsentgelten nicht mit § 33 EnWG, sondern mit dem Regelungsgefüge
des § 23a EnWG und des § 118 Abs. 1b EnwG begründet.
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Es trifft zwar zu, dass die Rechtsprechung die vor dem EnWG 2005 geltende
Rechtslage dahin ausgelegt hat, dass eine behördliche Genehmigung des Tarifs weder
eine Überprüfung des Tarifs durch Dritte in einem zivilrechtlichen Rechtsstreit noch
Rückforderungsansprüche ausschloss. Angesichts dessen wäre es sicherlich
wünschenswert gewesen, wenn sich der Ausschluss individueller
Rückzahlungsansprüche unmittelbar aus dem Wortlaut des Gesetzes ergeben würde.
Nach ständiger Rechtsprechung bleibt die Auslegung eines Gesetzes jedoch nicht bei
dem Wortlaut stehen, sondern berücksichtigt auch die Systematik und das
Regelungsgefüge des Gesetzes, auf das sich der Bundesgerichtshof maßgeblich
gestützt hat.
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b) Auch die EU-rechtlichen Einwände der Klägerin greifen nicht durch.
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Art. 20 Abs. 1 der damals geltenden Richtlinie 2003/54/EG ließ es zu, dass die Tarife für
Netzdurchleitungsentgelte einer Genehmigung unterworfen wurden. Ob die
genehmigten Tarife von Dritten unmittelbar oder im Rahmen von Zahlungsstreitigkeiten
angefochten und überprüft werden konnten, regelt diese Vorschrift nicht.
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Auch Art. 23 der Richtlinie steht dieser Auslegung nicht entgegen. Gemäß Abs. 8
müssen die Mitgliedsstaaten wirksame Mechanismen für die Regulierung insbesondere
zur Gewährleistung des – damals geltenden - Art. 82 EGV schaffen. Nach Abs. 11
bleiben die nach dem Gemeinschaftsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften
möglichen Rechtsbehelfe unberührt. In diesem Zusammenhang hält es die Klägerin für
mit Abs. 11 nicht vereinbar, dass nach § 130 Abs. 3 GWB, § 111 EnWG die
Anwendbarkeit der §§ 19, 20 GWB für diesen Zeitraum ausgeschlossen ist (aA OLG
München, WuW/E DE-R 3031, 3034) und verweist darauf, dass das nationale Recht die
Geltung der Art. 81, 82 EGV (jetzt Art. 101, 102 AEUV) nicht ausschließen kann (kritisch
zu § 111 Abs. 3 EnWG daher Salje, EnWG, § 111 Rdnrn. 18 ff.). Aber auch wenn man
diesen Bedenken dem Grunde nach folgen sollte sowie davon ausgeht, dass die von
der Klägerin beklagten Handlungen geeignet waren, den Handel zwischen den
gemeinsamen Mitgliedsstaaten zu beeinträchtigen, folgt daraus nicht, dass das
nationale Recht individuelle Rückzahlungsansprüche wegen überhöhter
Netzdurchleitungsentgelte nicht ausschließen darf.
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Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 20.09.2001, C-
453/99, WuW/E EU-R 479) haben die nationalen Gerichte bei einer Verletzung der Art.
81, 82 EGV diesen Vorschriften effektiven Schutz zu verschaffen, und zwar auch durch
die Gewährung von Schadensersatzansprüchen zugunsten von Verletzten rechtwidriger
Kartellabsprachen bzw. von missbräuchlicher Ausnutzung einer beherrschenden
Stellung auf dem Gemeinsamen Markt. Diese Rechtsprechung erfordert aber nicht die
Anerkennung von Rückzahlungsansprüchen wegen überhöhter
Netzdurchleitungsentgelte. Wie im Termin vom 07. Juli 2010 näher erläutert, verlangt
das europäische Recht nicht den Ausschluss des passing-on Einwands (EuGH, a.a.O.;
43
Lübbig, in Münchener Kommentar, GWB, § 33 Rdnr. 92 m.w.N.. Es ist nämlich davon
auszugehen, dass die Klägerin die Überhöhung der Netzentgelte an ihre Kunden
weitergegeben hat. Die Voraussetzungen, unter denen von einer solchen
Weiterwälzung auszugehen ist (vgl. Bornkamm, GRUR 2010, 501, 503) liegen vor.
Sämtliche Wettbewerber der Klägerin und der Beklagten waren von der Überhöhung der
Netzentgelte betroffen. Die Endverbraucher konnten nicht ausweichen, weil der Strom
nur durch das Netz der Beklagten geliefert werden konnte. Das Abnahmeverhalten der
Endverbraucher war nicht preiselastisch. Die Klägerin musste mit den – letztlich
überhöhten - Netzdurchleitungsentgelten kalkulieren. Wie aus ihrem Vorbringen zu
einer frühzeitigen Kenntnis von einer Überhöhung hervorgeht, hatte sie den Verdacht,
dass die Netzdurchleitungsentgelte überhöht waren, dieser Verdacht war aber sehr
vage. Sie hatte jahrelang - außer der Erklärung von Vorbehalten – nichts gegen die
Beklagte unternommen. Sie musste realistischerweise daher in ihre Kalkulation die
geforderten Netzentgelte einbeziehen und konnte nicht auf Rückforderungen, die zudem
auch aus damaliger Sicht nur gerichtlich hätten durchgesetzt werden können, bauen.
Unter diesen Umständen reicht das allgemeine Bestreiten der Klägerin, die
Netzdurchleitungsentgelte, soweit sie überhöht waren, an ihre Kunden weitergereicht zu
haben, nicht aus.
Ein Schadensersatzanspruch nach Art. 81, 82 EGV könnte sich danach allenfalls auf die
übrigen Schäden (geringere Möglichkeit der Klägerin, durch die überhöhten
Netzdurchleitungsentgelte zu Lasten der Beklagten Marktanteile zu gewinnen, vgl.
Lübbig, a.a.O., Rdnr. 85 a.E.) beschränken; ein solcher wird in diesem Verfahren jedoch
nicht geltend gemacht.
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Die Klägerin wird entgegen ihrer Auffassung auch nicht rechtlos gestellt. Ein
durchleitendes Unternehmen kann sich gegen ein seiner Ansicht nach überhöhtes
Entgelt dadurch wehren, dass es nach § 31 EnWG bei der Regulierungsbehörde eine
Beschwerde einreicht sowie auf einen möglichst schnellen und seinem Begehren
entsprechenden erstmaligen Bescheid oder – bei einem bereits vorhandenen, aber der
Rechtslage nicht entsprechenden Bescheid - auf eine Überprüfung drängt (worauf sie
einen Anspruch hat). Von einem (erstmaligen oder erneuten) Bescheid kann ein solches
Unternehmen dadurch profitieren, dass etwaige Überzahlungen in folgenden Perioden
durch niedrigere Festsetzungen ausgeglichen werden.
45
4.
46
Die Berufung der Beklagten hat zudem hinsichtlich der Zinsentscheidung einen
Teilerfolg. Es handelt sich bei der geltend gemachten Forderung auf Rückzahlung
überhöhter Entgelte nicht um eine Entgeltforderung im Sinne des § 288 Abs. 2 BGB (vgl.
Grüneberg, in Palandt, BGB, 69. Aufl., § 286 Rdnr. 27; § 288 Rdnr. 8; für die
Anwendbarkeit des § 288 Abs. 2 BGB ohne nähere Erörterung allerdings Emmerich, in
Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl., § 33 Rdnr. 67). Soweit das OLG München
(WuW/E DE-R 3031, 3040) für seine gegenteilige Auffassung darauf verweist,
Bereicherungsansprüche wegen rechtsgrundloser Lieferungen seien als
Entgeltforderungen zu behandeln, trifft dies nur für Bereicherungsansprüche des
Lieferanten, nicht des Belieferten zu (Grüneberg, a.a.O.). Entgeltforderungen setzen
voraus, dass die Geldforderung Gegenleistung für eine von dem Gläubiger erbrachte
oder zu erbringende Leistung ist (BGH NJW 2010, 1878); das ist hier nicht der Fall.
47
5.
48
Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 92 Abs. 1, 2, § 708 Nr. 10, § 711 ZPO. Der
Senat hat dabei berücksichtigt, dass die Klägerin vor dem Landgericht in erster Linie die
Höhe des Rückzahlungsbetrages in das Ermessen des Gerichts gestellt hat. Das
rechtfertigt es, die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens gemäß § 92 Abs. 2 Nr. 2
ZPO vollständig der Beklagten aufzuerlegen, soweit es den Zeitraum bis zum 28.
Oktober 2005 betrifft. Für das Berufungsverfahren hält der Senat eine Kostenaufhebung
gerechtfertigt; er ist der Auffassung, dass die Klägerin auch vor dem Hintergrund der
genannten Vorschrift angesichts ihres Festhaltens an einer Festsetzung auf 0,00 €
einen erheblichen Teil des Risikos des Rechtsstreits tragen muss.
49
Der Senat hat die Revision zugelassen, soweit er einen Anspruch der Klägerin für den
Zeitraum vom 29. Oktober 2005 bis zum 31. Dezember 2005 ablehnt; insoweit hat sich
der Bundesgerichtshof noch nicht mit den Einwänden der Klägerin auseinandergesetzt.
Im Übrigen bestehen Gründe für die Zulassung der Revision (§ 543 ZPO) nicht.
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Der Berufungsstreitwert beträgt 11.069,74 €.
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Schüttpelz Frister Breiler
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