Urteil des OLG Dresden vom 29.03.2017

OLG Dresden: wiedereinsetzung in den vorigen stand, prozesshandlung, vetter, verfügung, anfechtung, zustellung, versendung, form

Oberlandesgericht Dresden
Az.: 3 Ss 135/05
Leitsätze:
1. Wird gegen ein Urteil des Amtsgerichts ein zunächst unbe-
stimmtes Rechtsmittel eingelegt, ist das Rechtsmittel als
Berufung zu behandeln, wenn die Revisionsbegründung, die
die Wahl der Revistion enthält, innerhalb der Begrün-
dungsfrist bei dem zuständigen Gericht (Amtsgericht)
nicht eingeht, weil sie an das Landgericht gerichtet war.
2. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Amts wegen
gegen die Versäumung der Frist zur Bezeichnung des
Rechtsmittels als Revision und deren Begründung ist aus-
geschlossen.
3. Eine Vorlage der Akten an das Oberlandesgericht führt zu
einer Entscheidung nach § 348 Abs. 1 und 2 StPO analog.
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Oberlandesgericht
Dresden
3. Strafsenat
Aktenzeichen: 3 Ss 136/05
2 Ls 117 Js 12693/04 AG Pirna
24 Ss 136/05 GenStA Dresden
Beschluss
vom 21. April 2005
in der Strafsache gegen
P..... ,
geboren am ................. in L...............,
wohnhaft: .....................,
..... .........................
Verteidiger: Rechtsanwalt .............. .......,
........... ...... ., ..... ......
wegen Steuerhehlerei
Das Oberlandesgericht Dresden erklärt sich für
unzuständig.
Die Sache wird an das zuständige Landgericht
Dresden abgegeben.
G r ü n d e :
I.
Das Amtsgericht Pirna - Jugendschöffengericht - hat den
Angeklagten am 22. November 2004 wegen Steuerhehlerei unter
Einbeziehung anderer Urteile zu einer Einheitsjugendstrafe
von zwölf Monaten verurteilt.
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Gegen das Urteil legte der Angeklagte über seinen Verteidi-
ger am 26. November 2004 "Rechtsmittel" ein. Nach Fertig-
stellung des Protokolls am 03. Dezember 2004 verfügte der
Vorsitzende des Jugendschöffengerichts am 07. Dezember 2004
die Zustellung des Urteils an den Verteidiger und übersand-
te die Akten über die Staatsanwaltschaft an das Landgericht
Dresden - Berufungskammer -. Das Urteil wurde dem Verteidi-
ger am 17. Dezember 2004 zugestellt.
Am 05. Januar 2005 bat das Landgericht - Jugendkammer - den
Verteidiger um Mitteilung des Ziels der Berufung. Am
07. Januar 2005 antwortete der Verteidiger, dass ihm das
Urteil am 17. Dezember 2004 zugestellt worden sei. Es werde
fristgerecht mitgeteilt werden, ob das Rechtsmittel als Be-
rufung oder Revision geführt werden solle.
Mit Schreiben vom 17. Januar 2005 bezeichnete der Verteidi-
ger das Rechtsmittel als Revision, stellte einen Revisions-
antrag und begründete die Revision mit einer in einzelnen
Punkten näher ausgeführten Sachrüge. Das an das Landgericht
adressierte Schreiben ging dort vorab per Telefax am
17. Januar 2005 ein. Eine unmittelbare Weiterleitung des
Schreibens
an
das
Amtsgericht
erfolgte
nicht.
Am
19. Januar 2005 verfügte der Vorsitzende der Jugendkammer
die Versendung der Akten an das Amtsgericht.
Am 24. Januar 2005 nahm der Vorsitzende des Jugendschöffen-
gerichts Kenntnis und verfügte nunmehr die Vorlage der Ak-
ten über die Staatsanwaltschaft an das Oberlandesgericht.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, auf die form-
und fristgerechte Revision das Urteil im Rechtsfolgenaus-
spruch aufzuheben und an eine andere Abteilung des Amtsge-
richts zurückzuverweisen.
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II.
Das Oberlandesgericht Dresden ist für eine Entscheidung ü-
ber das Rechtsmittel des Angeklagten nicht zuständig, weil
das Rechtsmittel als Berufung zu behandeln ist.
Entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft ist
die Revision des Angeklagten zwar frist- und formgerecht
eingelegt, aber nicht fristgerecht gegenüber dem zuständi-
gen Gericht begründet worden.
1.
Gegen das Urteil des Amtsgerichts stand dem Angeklag-
ten sowohl das Rechtsmittel der Berufung als auch das
Rechtsmittel
der
Sprungrevision
zu
(§§ 312,
335 Abs. 1 StPO,
39 Abs. 1 Satz 1,
40 Abs. 1 Satz 1,
108 Abs. 1 JGG). Mit dem nicht näher bezeichneten
"Rechtsmittel" hatte der Angeklagte dieses Urteil zu-
nächst unbestimmt angefochten und die Wahl zwischen
Berufung und Revision offen gelassen. Diese Art der
Anfechtung war in Erweiterung des § 335 StPO zulässig,
weil der Angeklagte die Entscheidung über das geeigne-
te Rechtsmittel in der Regel erst nach Kenntnis der
Urteilsgründe treffen kann (BGHSt 2, 63; 5, 338; 6,
206). Das Rechtsmittel war auch form- und fristgerecht
(§§ 314 Abs. 1, 335 Abs. 1, 341 Abs. 1 StPO) bei dem
zuständigen Amtsgericht eingelegt worden.
2.
Eine endgültige Wahl über das durchzuführende Rechts-
mittel kann in diesen Fällen nur bis zum Ablauf der
Revisionsbegründungsfrist (§ 345 Abs. 1 StPO) getrof-
fen werden; wird keine Wahl getroffen, so wird das
Rechtsmittel als Berufung durchgeführt (BGSt 2, 63; 5,
338; 33, 183 [189]; 40, 395 [398]). Entsprechendes
gilt auch, wenn die Revisionsbegründung, die die Wahl
der Revision enthält, innerhalb der Begründungsfrist
bei dem zuständigen Gericht, also dem Amtsgericht
(§ 345 Abs. 1 StPO), nicht eingeht, weil sie an das
Landgericht gerichtet war (BGSt 40, 395 [398]; LR-
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Hanack, StPO, 25. Aufl., § 335 Rdn. 9; Meyer-Goßner,
StPO, 47. Aufl., § 335 Rdn. 4).
So liegt der Fall hier. Das Urteil ist dem Verteidiger
des Angeklagten am 17. Dezember 2004 zugestellt wor-
den.
Die
Revisionsbegründungsfrist
des
§ 345 Abs. 1 StPO lief deshalb am 17. Januar 2005 ab.
An diesem Tag wurde das bis dahin unbenannte Rechts-
mittel erstmals als Revision bezeichnet, begründet und
mit einem Revisionsantrag versehen. Dieses Schreiben
war jedoch an das Landgericht gerichtet und hat das
Amtsgericht erst aufgrund der Verfügung des Vorsitzen-
den der Jugendkammer vom 19. Januar 2005 erreicht. Der
Revisionsantrag und seine Begründung ist deshalb nicht
fristgerecht bei dem Gericht, dessen Urteil angefoch-
ten werden sollte (§ 345 Abs. 1 Satz 1 StPO), ange-
bracht worden.
3.
Eine
Wiedereinsetzung
in
den
vorigen
Stand
von
Amts wegen (§ 45 Abs. 2 Satz 2 StPO) gegen die Versäu-
mung der Frist zur Bezeichnung des Rechtsmittels als
Revision und deren Begründung ist ausgeschlossen. Die
nicht fristgerechte Ausübung des Wahlrechts hat ledig-
lich zur Folge, dass damit das zunächst unbenannt ein-
gelegte, deshalb aber ohnehin von vornherein als Beru-
fung anzusehende Rechtsmittel (BGHSt 33, 183 [189])
nunmehr endgültig als Berufung feststeht. Der Ange-
klagte hat mit der nicht fristgerechten Ausübung sei-
nes Wahlrechts keine eigenständige, einer selbststän-
digen Frist unterliegende Prozesshandlung versäumt,
gegen die Wiedereinsetzung gewährt werden könnte (vgl.
BayObLG wistra 2001, 279).
4.
Für das deshalb als Berufung durchzuführende Rechts-
mittel gegen das Urteil des Jugendschöffengerichts in
Pirna ist das Landgericht Dresden (§§ 74 Abs. 3 GVG,
33 Abs. 2, 41 Abs. 2 Satz 1 JGG) zuständig.
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5.
Die Entscheidung des Senats ergeht in analoger Anwen-
dung
von
§ 348 Abs. 1
und
2 StPO
(vgl.
Bay-
ObLG wistra 2001,
279
[280];
Meyer-Goßner,
StPO,
47. Aufl., § 348 Rdn. 2; KK-Kuckein, StPO, 5. Aufl.,
§ 348 Rdn. 2).
III.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.
Munz Vetter Gorial
Vorsitzende Richterin Richter am Richter am
am Oberlandesgericht Oberlandesgericht Oberlandesgericht