Urteil des OLG Celle vom 15.02.2008

OLG Celle: vorzeitige entlassung, vollstreckung, straferlass, aussetzung, entlastung, anhörung, amnestie, kontrolle, bewährung, entstehungsgeschichte

Gericht:
OLG Celle, 01. Strafsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 1 Ws 60/08
Datum:
15.02.2008
Sachgebiet:
Normen:
StGB § 68 f Abs 1 Nr 1
Leitsatz:
Führungsaufsicht nach § 68 f Abs. 1 Satz 1 StGB tritt auch dann ein, wenn der Verurteilte aufgrund
einer sog. Weihnachtsamnestie vorzeitig entlassen wird. Eine solche Maßnahme steht der Annahme
vollständiger Vollstreckung im Sinne dieser Norm nicht entgegen.
Volltext:
1 Ws 60/08
Oberlandesgericht Celle
1 Ws 60/08
1 Ws 78/08
1 Ws 95/08
72 StVK 395/07 LG H.
2021 Js 61065/03 VRs StA H.
B e s c h l u s s
In der Strafvollstreckungssache
gegen E. A.,
geboren am 28. November 1971 in W. / K.,
wohnhaft Sch. L.straße, H.,
wegen Betruges
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch den Richter
am Oberlandesgericht #######, den Richter am Oberlandesgericht ####### und den Richter am Landgericht
####### am 15. Februar 2008 beschlossen:
Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft H. sowie die sofortige Beschwerde und die Beschwerde des
Verurteilten gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer 2 des Landgerichts H. vom 8. Januar 2008 werden
als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Verfahrens hinsichtlich der sofortigen Beschwerde und der Beschwerde des Verurteilten trägt der
Verurteilte. Die Kosten des Verfahrens hinsichtlich der sofortigen Beschwerde der Staatsanwaltschaft trägt die
Landeskasse mit Ausnahme der insoweit dem Verurteilten entstandenen Auslagen.
G r ü n d e:
I.
Gegen den Verurteilten wurde durch Urteil des Amtsgerichts H. vom 11. April 2004 wegen Betruges in 17 Fällen eine
Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verhängt. Die Strafe verbüßte er seit dem 30. März 2005
in der Justizvollzugsanstalt H., so dass nach Anrechnung von 14 Tagen Untersuchungshaft das Strafende am 15.
Dezember 2007 erreicht gewesen wäre. Eine Strafaussetzung nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe wurde
ihm nicht bewilligt. Jedoch entschied der Leitende Oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft H. auf Grund der ihm
durch den Erlass des Niedersächsischen Justizministeriums über die „Vorzeitige Entlassung von Strafgefangenen
aus Anlass des Weihnachtsfestes 2007“ vom 20. Oktober 2007 (4250 – S. 5.118) erteilten Ermächtigung am 28.
November 2007, dass dem Verurteilten die bis zum 4. Dezember 2007 nicht verbüßte Restfreiheitsstrafe
gnadenhalber erlassen werde. Dementsprechend wurde der Verurteilte am 3. Dezember 2007 aus der Strafhaft
entlassen.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts H. nach mündlicher
Anhörung des Verurteilten am 8. Januar 2008 festgestellt, dass mit der Entlassung des Verurteilten aus der Strafhaft
Führungsaufsicht eingetreten sei, und zugleich deren Dauer auf drei Jahre festgesetzt und den Verurteilten für die
Dauer der Führungsaufsicht der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt.
Gegen diesen Beschluss haben sowohl die Staatsanwaltschaft H. als auch der Verurteilte rechtzeitig sofortige
Beschwerde erhoben. Die Staatsanwaltschaft begründet ihr Rechtsmittel damit, dass der Verurteilte auf Grund des
Straferlasses von einigen Tagen die Strafe nicht vollständig verbüßt habe und deshalb die Voraussetzungen der
Führungsaufsicht nicht erfüllt seien. Der Verurteilte wendet sich sowohl gegen den Eintritt der Führungsaufsicht als
auch gegen deren festgesetzte Dauer und die Unterstellung unter die Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers.
Er macht geltend, dass er seine Strafe „bis zum Ende abgesessen“ habe, und hält die Festsetzung der Dauer und
die Bewährungshelferbestellung für „übertrieben“.
Die Generalstaatsanwaltschaft vertritt das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft.
II.
1. Die sofortigen Beschwerden sind zulässig erhoben (§§ 463 Abs. 3, 454 Abs. 3 Satz 1, 311 Abs. 2 StPO), haben
aber in der Sache keinen Erfolg.
a) Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts H. war örtlich und sachlich zuständig (§§ 463 Abs. 2, 3 Satz 1
und Abs. 6, 453, 454, 462 a Abs. 1 StPO). Dass der Verurteilte bereits aus der Strafhaft entlassen war, als der
Antrag der Staatsanwaltschaft vom 3. Dezember 2007 auf Feststellung und Ausgestaltung der Führungsaufsicht am
4. Dezember 2007 bei der Kammer einging, ist für die Frage des Befasstseins im Sinne des § 462 a Abs. 1 StPO
unerheblich. Da die Staatsanwaltschaft gemäß § 54 a Abs. 2 StVollstrO die Akten der Strafvollstreckungskammer
zur Vorbereitung der Entscheidung nach § 68 f Abs. 2 StGB drei Monate vor Entlassung des Verurteilten vorzulegen
hat, wird die Strafvollstreckungskammer, in deren Bezirk der Verurteilte die Strafe zum vorgeschriebenen
Vorlagezeitpunkt verbüßt, im Sinne der §§ 462a Abs. 1 Satz 1, 463 Abs. 6 StPO mit der Sache „befasst“ und zwar
ohne Rücksicht darauf, ob ihr die Akten tatsächlich vorgelegt werden (vgl. BGH NStZ 1984, 332).
b) Die Feststellung der Strafvollstreckungskammer, dass mit der Entlassung des Verurteilten aus der Strafhaft
Führungsaufsicht eingetreten ist, trifft zu.
Die Voraussetzungen des § 68 f Abs. 1 Satz 1 StGB für den gesetzlichen Eintritt der Führungsaufsicht liegen vor.
Gegen den Verurteilten wurde eine Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen vorsätzlicher
Straftaten vollständig vollstreckt.
Dem steht nicht entgegen, dass der Verurteilte bereits 11 Tage vor Erreichen des berechneten Strafendes auf Grund
der Entscheidung des Leitenden Oberstaatsanwalts der Staatsanwaltschaft H. vom 28. November 2007 aus der
Strafhaft entlassen worden ist. Diese Entscheidung beruht auf dem Erlass des Niedersächsischen
Justizministeriums über die „Vorzeitige Entlassung von Strafgefangenen aus Anlass des Weihnachtsfestes 2007“
vom 20. Oktober 2007 (4250 – S. 5.118), der für das Jahr 2007 eine in Niedersachsen alljährlich wiederkehrende und
auch in vielen anderen Bundesländern geübte Praxis regelt, die gemeinhin als „Weihnachtsamnestie“ bezeichnet
wird.
Allerdings wird im Schrifttum ganz überwiegend die Auffassung vertreten, dass bei einem - auch noch so
geringfügigen - Straferlass auf Grund von Gnade oder Amnestie die Voraussetzung der vollständigen Vollstreckung
im Sinne des § 68 f Abs. 1 Satz 1 StGB nicht erfüllt sei und deshalb keine Führungsaufsicht eintrete (vgl.
LKHanack, StGB, 11. Aufl., § 68 f Rdnr. 15. Fischer, StGB, 55. Aufl., § 68 f Rdnr. 6. Sch/SchStree, StGB, 27. Aufl.,
§ 68 f Rdnr. 5. MüKoGroß, StGB, § 68 f Rdnr. 8. SKStGBHorn, 7. Aufl., § 68 f Rdnr. 3). Diese Auffassung wird
durchweg auf die bislang einzige (veröffentlichte) obergerichtliche Entscheidung zu dieser Frage, nämlich den
Beschluss des Kammergerichts vom 5. Februar 1979, 4 Ws 432/79 (= JR 1979, 293), gestützt. Zweifel hieran hat
bislang - allerdings ohne nähere Ausführungen – lediglich Kühl (vgl. Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl., § 68 f Rdnr. 1)
angemeldet. Das Kammergericht hat seine damalige Entscheidung damit begründet, dass eine „vollständige“
Vollstreckung nicht gegeben sei, wenn der Verurteilte einen Strafrest von drei Tagen nicht verbüßt habe. Aus
welchem Grunde die Strafe nicht vollständig verbüßt worden sei, sei bei der Anwendung des § 68 f Abs. 1 StGB
ohne Bedeutung. Denn das Gesetz sehe bei einem Täter, der eine Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren voll
verbüßt habe, die Sozialprognose im allgemeinen als so ungünstig an, dass er nach der Entlassung aus dem
Strafvollzug sich nicht selbst überlassen bleiben könne, sondern der Betreuung durch eine Aufsichtsstelle und einen
Bewährungshelfer bedürfe. Dabei sei der Gesetzgeber allerdings davon ausgegangen, dass der Grund für die
vollständige Vollstreckung darin liege, dass wegen Fehlens einer günstigen Sozialprognose eine vorzeitige
Entlassung nicht in Betracht gekommen sei. Umgekehrt habe die auf einer günstigen Prognose beruhende vorzeitige
Entlassung zum Wegfall der dann überflüssigen Führungsaufsicht führen sollen. An die Möglichkeit einer um drei
Tage verfrühten Entlassung aufgrund einer unterschiedslos angewendeten „Weihnachtsamnestie“ sei dagegen nicht
gedacht worden. Es sei zwar offensichtlich, dass dem Zweck des Gesetztes entgegen gewirkt werde, wenn in
derartigen Fällen „durch überflüssige und unkritische ‚Gnaden‘Maßnahmen“ die gesetzlichen Voraussetzungen für die
Führungsaufsicht beseitigt würden, dies ändere am Ergebnis aber nichts.
In der Folgezeit haben viele der davon Gebrauch machenden Bundesländer in ihren Regelungen zur
„Weihnachtsamnestie“ von deren Bewilligung die Fälle ausgenommen, in denen dies den Wegfall einer ansonsten
eintretenden Führungsaufsicht nach sich ziehen würde, mit der Folge, dass sich das vorliegende Problem in der
Praxis nicht stellte (vgl. MüKoGroß a. a. O.). Auch im Rahmen der Reform der Führungsaufsicht 2007 wurde diese
Frage nicht aufgegriffen. In den entsprechenden Gesetzesmaterialien gibt es jedenfalls keinen Hinweis hierauf (vgl.
BTDrucks. 16/1993 S. 22 f.). Offenbar aus diesem Grund finden sich auch keine weiteren Entscheidungen, die sich
tragend mit dieser Frage auseinander setzen. Lediglich das Kammergericht hat in einem Beschluss vom 15. August
2003, 3 Ws 447/03 (= NStZ 2004, 228), in dem es entschieden hat, dass eine Strafe auch dann im Sinne des § 68 f
Abs. 1 StGB vollständig verbüßt ist, wenn der Entlassungszeitpunkt auf Grund von § 16 Abs. 2 und 3 StVollzG oder
durch Anrechnung nach § 43 StVollzG vorverlegt worden ist, unter Bezugnahme auf seinen früheren Beschluss von
1979 ausgeführt, dass das Strafende nicht erreicht sei, wenn der Gefangene auf Grund eines Gnadenerweises oder
einer Amnestie vorzeitig entlassen werde, weil eine solche Entlassung nicht auf dem Gesetz beruhe, sondern auf
einem politischen Gnadenakt.
Dem ist nun jüngst Schmitz (StV 2007, 608 ff.) mit beachtlichen Argumenten entgegengetreten. Sie wendet ein,
dass der Wortlaut des § 68 f Abs. 1 StGB nicht zu der von der h. M. vertretenen Auslegung zwinge. Das zeige sich
schon daran, dass es einhellig auch als „vollständige Vollstreckung“ in diesem Sinne angesehen werde, wenn der
Entlassungszeitpunkt nach § 16 Abs. 2 und 3 StVollzG vorverlegt werde (vgl. BGH MDR 1982, 766. OLG Düsseldorf
MDR 1987, 603. Sch/SchStree a. a. O.. LKHanack a. a. O.. Fischer a. a. O.. SKStGBHorn a. a. O.. Lackner/Kühl a.
a. O.) oder durch Anrechnung gemäß § 43 StVollzG früher eintrete (KG NStZ 2004, 228). Auch die nach
Zurückstellung gemäß § 35 BtMG verbrachte Zeit in einer Therapieeinreichtung gelte den Vertretern dieser Ansicht
als Vollstreckung im Sinne des § 68 f Abs. 1 StGB (vgl. OLG München NStZ 1990, 454 mit zust. Anm. Stree).
Vergleiche man nun die Vorverlegung des Entlassungszeitpunktes gemäß § 16 StVollzG mit der auf Grund einer
„Weihnachtsamnestie“, zeigten sich keine sachlich relevanten Unterschiede. In beiden Fällen handele es sich
materiell wohl nicht um einen Straferlass oder erst recht nicht um eine Aussetzung der Reststrafe, sondern schlicht
um eine Vorverlegung des Entlassungszeitpunktes. Sie unterschieden sich lediglich in Umfang, Voraussetzungen
und materieller Rechtfertigung sowie der für die Entscheidung zuständigen Behörde und des Verfahrens. Auf diese
Unterschiede komme es indes wohl für die Bewertung im Rahmen des § 68 f StGB nicht an. Das vom
Kammergericht in seiner jüngeren Entscheidung angeführte Kriterium, ein Gadenerweis beruhe nicht auf dem
Gesetz, sondern sei ein politischer Akt, möge für Gnadenentscheidungen im herkömmlichen Sinne, die im Einzelfall
getroffen werden, erwägenswert sein, nicht jedoch für die in Rundverfügungen geregelten vorzeitigen Entlassungen
aus Anlass des Weihnachtsfestes.
Die Auslegung, nach der die vorzeitige Entlassung im Rahmen einer „Weihnachtsamnestie“ der Führungsaufsicht
nicht entgegen stehe, sei auch mit dem Zweck des Gesetzes vereinbar. Der Gesetzgeber stelle auf die wegen der
langen „Verwahrdauer“ erhöhten Eingliederungsschwierigkeiten ab: „Das Institut der Führungsaufsicht dient sowohl
als Hilfe bei der Wiedereingliederung als auch der Kontrolle besonders rückfallgefährdeter Straftäter. Ihr Hilfsbedarf
richtet sich in erster Linie nach der Dauer des Strafvollzuges...“ (vgl. BTDrucks. 16/1993, S. 23). Da auch im
Rahmen einer „Weihnachtsamnestie“ eine Vorverlegung des Entlassungszeitpunktes um maximal zwei Monate
denkbar sei, vermögen sich hierdurch die durch die Dauer des Freiheitsentzuges verursachten
Eingliederungsschwierigkeiten nicht entscheidend zu ändern.
Dem stehe schließlich auch nicht die Entstehungsgeschichte der Norm und der Wille des historischen Gesetzgebers
entgegen. Die Gesetzgebungsmaterialien gäben unmittelbar keinen Aufschluss über die Auslegung des Merkmals
„vollständige Vollstreckung“ (so auch schon das KG JR 1979, 293). Die Regelung des § 68 f Abs. 1 StGB in der
Fassung vom 4. Juli 1969 (BGBl. I, S. 732) habe noch ausdrücklich dahin gelautet, dass Führungsaufsicht dann
eintrete, wenn „Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung oder im Gnadenwege nicht angeordnet“ oder „die
Aussetzung widerrufen“ werde. Dies gelte nicht, „wenn die Strafe erlassen wird“. Die Neufassung der Vorschrift durch
das EGStGB vom 2. März 1974 (BGBl. I, S. 469 f.) sei lediglich redaktioneller Art gewesen. Eine sachliche
Änderung sei nicht beabsichtigt gewesen. Man sei davon ausgegangen, dass durch die neue Formulierung
„vollständige Vollstreckung“ die zuvor in § 68 f Abs. 1 StGB enthaltenen Formulierungen gestrafft werden könnten.
Auch die Erwähnung des Straferlasses sei dadurch überflüssig geworden, „weil die volle Verbüßung gerade
voraussetzt, dass kein Straferlass stattfindet...“ (BTMaterialien zur Strafrechtsreform, 7. Wahlperiode, 17. Sitzung,
S. 744). Den Fall einer vorzeitigen Entlassung im Rahmen einer „Weihnachtsamnestie“ habe der historische
Gesetzgeber damit nicht berücksichtigt.
Diesen Argumenten schließt der Senat sich an. Insbesondere eine nähere Betrachtung des im vorliegenden Fall dem
Gnadenentscheid zu Grunde liegenden Erlasses zeigt, dass es sich hier nicht um einen „gnadenweisen Straferlass“
im herkömmlichen Sinne handelt, sondern vielmehr um eine an die Regelung des § 16 Abs. 2 StVollzG angelehnte
„vorzeitige Entlassung“. Dies wird sowohl an dem von den jeweiligen Regelungen erfassten Zeitraum
(„Weihnachtszeit“) als auch an den verwendeten Begriffen deutlich. Zwar lautet die dem Verurteilten mitgeteilte
Entscheidung des Leitenden Oberstaatsanwalts: „gnadenhalber Erlass der ... nicht verbüßten Restfreiheitsstrafe“.
Diese Formulierung findet sich jedoch in dem der Entscheidung zu Grunde liegenden Ministerialerlass nur an einer
Stelle, nämlich als Umschreibung, wie die sowohl in der Überschrift des Erlasses als auch im Text ansonsten
durchgehend genannte „vorzeitige Entlassung“ praktisch umzusetzen sei.
Letztendlich entscheidend ist jedoch, dass die Gründe, die alljährlich die Praxis der „Weihnachtsamnestie“ wieder
aufleben lassen, dieselben sind, die den Bundesgesetzgeber zur Schaffung der Regelung des § 16 Abs. 2 StVollzG
bewegt haben. Beide dienen vor allem der Erleichterung der Wiedereingliederung, indem Gefangene nicht gerade in
der unmittelbaren Weihnachtszeit entlassen werden sollen, in der viele Behörden und Einrichtungen geschlossen
sind und es für sie schwierig ist,
außerhalb der Anstalt wieder Fuß zu fassen. Gleichfalls dienen beide Vorschriften zumindest mittelbar einer
Entlastung der Vollstreckungs und Vollzugsbehörden. Dem Senat erscheint es deshalb nicht einsichtig, warum hier
nicht wie bei Anwendung des § 16 Abs. 2 und 3 StVollzG mit dem Bundesgerichtshof (MDR 1982, 766) davon
ausgegangen werden können soll, dass „die Strafe als bis zum ‚eigentlichen‘ Entlassungszeitpunkt vollzogen“ und
„die nicht in der Anstalt verbüßte Zeit ... als endgültig erledigt“ gilt mit der Folge, dass der vorzeitig entlassene
Verurteilte die Strafe „im vollstreckungsrechtlichen Sinn ... voll verbüßt“ hat, weil „auch die außerhalb der
Vollzugsanstalt verbrachte Zeit ... als verbüßt“ gilt. Die vom Kammergericht getroffene Unterscheidung, dass das
Eine auf dem Gesetz beruhe und das Andere ein politischer Akt sei, zwingt nach Auffassung des Senats jedenfalls
nicht zu einer unterschiedlichen Beurteilung im Rahmen der Auslegung des § 68 f Abs. 1 StGB. Denn auch § 16
StVollzG beinhaltet keine Automatik per Gesetz, sondern räumt der Vollzugsanstalt Ermessen ein. Letzteres ist
zwar nicht mit einem „politischen Akt“ vergleichbar. Aber die „Weihnachtsamnestie“ kommt dem wesentlich näher als
dem politischen Akt eines gnadenweisen Straferlasses auf Grund einer Einzelfallprüfung im herkömmlichen Sinn (z.
B. Begnadigung eines RAFTerroisten durch den Bundespräsidenten).
Der Wortlaut des § 68 f Abs. 1 Satz 1 StGB stellt in beiden Fällen keine „unüberbrückbare Schranke“ dar (vgl. Stree,
Anm. zu OLG München NStZ 1990, 454 [456]). „Vollständig“ kann vom Wortsinn her auch als „restlos“ umschrieben
werden. „Vollständige Vollstreckung“ kann daher auch als Vollstreckung ohne Verbleiben eines Strafrestes ausgelegt
werden. Das ist hier erfüllt. Diese Auslegung entspricht der gesetzgeberischen Intention bei Schaffung des
Instruments der Führungsaufsicht, nämlich Gefangene, die eine längere Freiheitsstrafe verbüßt haben - und die
mangels Strafaussetzung auch nicht unter Bewährungsaufsicht stehen - nicht durch staatliche Betreuung in die
Freiheit zu entlassen. Diese Auslegung ermöglicht es zudem, auch Verurteilten, denen dies nach der Auslegung der
bislang h. M. versagt wäre, den Vorteil der „Weihnachtsamnestie“ zu gewähren und damit die derzeitige, sachlich
nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung zu beseitigen, die vom Gesetzgeber so nicht vorhergesehen und sicher
auch nicht bezweckt war. Sie verhilft zugleich auch den Vollstreckungs und Vollzugsbehörden zu einer weiteren
Entlastung in der Weihnachtszeit, was ein positiver Nebeneffekt der „Weihnachtsamnestie“ ist und zugleich auch
das Erreichen des Vollzugsziels in den Anstalten fördert.
Hiernach gilt, dass im vorliegenden Fall trotz der auf der niedersächsischen Regelung beruhenden vorzeitigen
Entlassung des Verurteilten im Rahmen der „Weihnachtsamnestie“ die Gesamtfreiheitsstrafe vollständig vollstreckt
ist und deshalb mit seiner Entlassung Führungsaufsicht eingetreten ist.
c) Aus zutreffenden sachlichen und rechtlichen Erwägungen hat die Kammer von einem Entfallen der Maßregel nach
§ 68 f Abs. 2 StGB abgesehen.
2. Soweit der Verurteilte sich gegen die Festsetzung der Dauer der Führungsaufsicht und die Unterstellung unter die
Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers wendet, handelt es sich bei seinem Rechtsmittel nach § 463 Abs. 2
i.V.m. § 453 Abs. 2 Satz 1 StPO um eine einfache Beschwerde. Insoweit ist der Überprüfungsmaßstab jedoch
eingeschränkt. Gemäß § 463 Abs. 2 i.V.m. § 453 Abs. 2 Satz 2 StPO kann mit der Beschwerde nur geltend
gemacht werden, dass die Festsetzungen und Weisungen gesetzwidrig sind. Das ist hier nicht Fall.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO. Da die erfolglose sofortige Beschwerde der
Staatsanwaltschaft zugunsten des Verurteilten eingelegt worden ist, sind die ihm insoweit entstandenen Auslagen
nicht aus der Landeskasse zu erstatten (vgl. MeyerGoßner, StPO, 50. Aufl., § 473 Rdnr. 16 m. w. N.).
Gegen diese Entscheidung ist keine Beschwerde gegeben (§ 304 Abs. 4 StPO).
####### ####### #######