Urteil des OLG Celle vom 21.09.2011

OLG Celle: doppelrelevante tatsache, ultra petita, öffentliche urkunde, freibetrag, form, unterhalt, beschwerdeinstanz, verfügung, erlass, leistungsfähigkeit

Gericht:
OLG Celle, 17. Zivilsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 17 UF 161/11
Datum:
21.09.2011
Sachgebiet:
Normen:
FamFG § 252, FamFG § 256
Leitsatz:
Der Einwand, dass die Einkommensverhältnisse des Unterhaltsschuldners einen im vereinfachten
Unterhaltsfestsetzungsverfahren geltend gemachten Unterhaltsbedarf von mehr als 100 % des
Mindestunterhalts nicht rechtfertigen, stellt keinen zulässigen Einwand zur Unterhaltshöhe im Sinne
von § 252 Abs. 1 Satz 3 FamFG, sondern einen materiellrechtlichen Einwand im Sinne von § 252
Abs. 2 FamFG dar. er kann deshalb nicht erstmals im Beschwerdeverfahren angebracht werden.
OLG Celle, Beschluss vom 21. September 2011 (AG Celle)
Volltext:
17 UF 161/11
40 FH 45024/11 AG Celle
B e s c h l u s s
In der Familiensache
M. P.
Antragsgegner und Beschwerdeführer,
Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte M.
gegen
S. P.,
Antragstellerin und Beschwerdegegnerin,
Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte F.
hat der 17. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle am 21. September 2011 durch den
Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht B. sowie durch die Richter am Oberlandesgericht V. und Dr. B.
beschlossen:
I. Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - C. vom 9. Juni
2011 wird auf Kosten des Antragsgegners zurückgewiesen.
II. Der Antrag der Antragstellerin auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird
zurückgewiesen. Insoweit ergeht die Entscheidung gerichtsgebührenfrei. Auslagen werden nicht erstattet.
III. Beschwerdewert: 5.791 €.
Gründe
I.
Die Beschwerde gegen den Unterhaltsfestsetzungsbeschluss ist gemäß § 58 FamFG statthaft. Im Übrigen hat das
Rechtsmittel keinen Erfolg, weil es teilweise unzulässig und teilweise unbegründet ist.
1. Die Beschwerde ist bereits unzulässig, wenn und soweit sie nicht auf einen der zulässigen Beschwerdegründe (§
256 FamFG) gestützt wird. Gemäß § 256 FamFG kann mit der Beschwerde neben der Unzulässigkeit des
vereinfachten Unterhaltsfestsetzungsverfahrens (§ 252 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FamFG), einer unrichtigen Berechnung
des Unterhalts nach Zeitraum und Höhe (§ 252 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 FamFG) und einer Unrichtigkeit der
Kostengrundentscheidung (§ 252 Abs. 1 Satz 2 FamFG) oder Kostenfestsetzung lediglich geltend gemacht werden,
dass das Amtsgericht die Zulässigkeit von Einwendungen nach § 252 Abs. 2 FamFG unrichtig beurteilt habe. Wird
eine Beschwerde nicht auf einen oder mehrere dieser Anfechtungsgründe gestützt, ist sie unzulässig (BGH
Beschluss vom 28. Mai 2008 - XII ZB 104/06 - FamRZ 2008, 1433 [Tz. 6]).
a) Im vorliegenden Fall kann der Antragsgegner seine Beschwerde insbesondere nicht auf zulässige Einwendungen
zum Zeitraum und zur Höhe der Unterhaltsberechnung stützen.
aa) Einwendungen zum Zeitpunkt (§ 252 Abs. 1 Satz Nr. 2 FamFG) sind den Beteiligten nur im Hinblick darauf
eröffnet, in welchem Umfang rückständiger Unterhalt verlangt werden kann. Dem Schuldner wird somit im Verfahren
der Beschwerde (lediglich) der Einwand ermöglicht, dass die materiellrechtlichen Voraussetzungen, unter denen
nach § 1613 BGB Unterhalt für die Vergangenheit verlangt werden kann, tatsächlich zu einem anderen Zeitpunkt
vorgelegen haben, als er dem Unterhaltsfestsetzungsbeschluss zugrunde gelegt worden ist, weil der Schuldner
entweder nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt als behauptet gemahnt oder zur Auskunftserteilung aufgefordert
worden ist (BGH Beschluss vom 28. Mai 2008 - XII ZB 104/06 - FamRZ 2008, 1433 [Tz. 12]). Einen solcherart
zulässigen Einwand erhebt der Antragsgegner nicht, weil es letztlich nicht im Streit steht, dass die Voraussetzungen
für die Geltendmachung rückständigen Unterhalts jedenfalls seit Oktober 2010 vorgelegen haben würden. Der
Antragsgegner nimmt die Behauptung, von der Mutter der Antragstellerin telefonisch gemahnt worden zu sein, nicht
in Abrede. Im Übrigen hätte es einer solchen Mahnung unter den obwaltenden Umständen möglicherweise auch gar
nicht bedurft, weil der Antragsgegner selbst vorträgt, mit der Mutter der Antragstellerin eine außergerichtliche
Vereinbarung über die Zahlung eines monatlichen Kindesunterhalts in Höhe von 400 € getroffen und diese Beträge
seit 2009 durchgehend gezahlt zu haben. Soweit es im Unterhaltsfestsetzungsverfahren den Zeitraum nach einer
Einstellung oder Herabsetzung dieser in der Vergangenheit freiwillig geleisteten Zahlungen betrifft, könnte eine
gesonderte verzugsbegründende Handlung der Antragstellerin bzw. ihrer gesetzlichen Vertreterin unter dem
rechtlichen Gesichtspunkt der Selbstmahnung sogar entbehrlich gewesen sein (vgl. dazu OLG Brandenburg NJWRR
2002, 870, 871).
bb) Einwendungen zur Höhe des festgesetzten Unterhalts (§ 252 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 lit. ac FamFG) können nur im
Rahmen der in dieser Vorschrift enthaltenen abschließenden Aufzählung möglicher zulässiger Beschwerdegründe
vorgebracht werden. Es kann deshalb zur Höhe des festgesetzten Unterhalts nur eingewendet werden, dass der
Mindestunterhalt nicht richtig berechnet oder der Übergang zwischen den Altersstufen unrichtig bestimmt worden ist.
Ferner kann ein Verstoß gegen den Grundsatz ´ne ultra petita´ gerügt oder die unrichtige Berücksichtigung des
Kindergeldes oder anderer nach §§ 1612b, 1612c BGB anzurechnender kindbezogener Leistungen beanstandet
werden. Der Antragsgegner kann deshalb insbesondere nicht mit dem Einwand gehört werden, dass der festgesetzte
Unterhalt der Höhe nach von einer weiterhin bindenden außergerichtlichen Vereinbarung mit der Mutter der
Antragstellerin abweiche (vgl. OLG Naumburg NJWEFER 2000, 96. Keidel/Giers FamFG 16. Aufl. § 252 Rn. 3.
Johannsen/Henrich/Maier, Familienrecht 5. Aufl. § 252 FamFG Rn. 9. Botur, in Büte/Poppen/Menne Unterhaltsrecht
2. Aufl. § 652 ZPO a.F. Rn. 4). Auch der Einwand, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragsgegners den
konkret geltend gemachten Unterhaltsbedarf des Kindes - hier: 120 % des Mindestunterhalts - nicht rechtfertigten,
fällt nicht unter den Katalog des § 252 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 FamFG, sondern dieser Einwand betrifft eine sogenannte
doppelrelevante Tatsache (Bedarfsbestimmung und Leistungsfähigkeit) und damit eine materiellrechtliche
Einwendung, die in der Form des § 252 Abs. 2 Satz 3 FamFG vorzubringen ist (vgl. Zöller/Phillippi ZPO 28. Aufl. §
252 FamFG Rn. 12. Johannsen/Henrich/Maier aaO § 252 Rnrn. 7 und 15).
b) Einwendungen materieller Art im Sinne von § 252 Abs. 2 FamFG - dazu gehört neben dem Einwand, dass die
Einkommensverhältnisse des Unterhaltspflichtigen die Höhe des festgesetzten Unterhalts nicht rechtfertigen,
insbesondere auch der Erfüllungseinwand (vgl. auch OLG Koblenz JAmt 2005, 100 f.) - können nicht erstmals im
Beschwerdeverfahren erhoben werden. Der Antragsgegner könnte insoweit nur geltend machen, dass der
Rechtspfleger bei dem Amtsgericht solche unter § 252 Abs. 2 FamFG fallenden Einwendungen zu Unrecht als
unzulässig behandelt hat, obwohl sie tatsächlich vor Erlass des Festsetzungsbeschlusses in der Form des § 252
Abs. 2 FamFG wirksam erhoben worden waren. Da der Antragsgegner hier allerdings vor Erlass des
Festsetzungsbeschlusses am 9. Juni 2011 keine Einwendungen dieser Art erhoben hat, bleibt er damit im
vereinfachten Verfahren auch in der Beschwerdeinstanz ausgeschlossen.
2. Über den Wortlaut des § 256 FamFG hinaus kann der Schuldner mit der Beschwerde nach allgemeiner Ansicht
allerdings auch schwerwiegende Verfahrensmängel rügen (vgl. nur Keidel/Giers aaO § 256 FamFG Rn. 1).
a) Zu den schwerwiegenden Verfahrensmängeln gehört regelmäßig die fehlende oder fehlerhafte Zustellung des
Festsetzungsantrages mit den gemäß § 251 Abs. 1 Satz 2 FamFG zu erteilenden Hinweisen (OLG Schleswig
SchlHA 2003, 228. Zöller/Philippi aaO § 256 FamFG Rn. 3. Keidel/Giers aaO § 256 FamFG Rn. 1). Insoweit kann
der Antragsgegner im Beschwerdeverfahren zwar zulässigerweise vorbringen, dass ihm der Festsetzungsantrag
nicht zugestellt worden sei. seine Rüge erweist sich indessen als unbegründet.
b) Ausweislich der Postzustellungsurkunde wurde dem Antragsgegner die gerichtliche Mitteilung vom 18. April 2011
am 27. April 2011 im Wege der Ersatzzustellung durch Einlegen des Poststückes in den zur Wohnung gehörenden
Briefkasten zugestellt. Gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 FamFG i.V.m. § 418 Abs. 1 ZPO erbringt die
Postzustellungsurkunde als öffentliche Urkunde den vollen Beweis der in ihr bezeugten Tatsachen. Im Hinblick auf §
418 Abs. 2 ZPO genügt es dabei nicht, dass der Zustellungsadressat schlicht behauptet, das Schriftstück nicht
erhalten zu haben. Vielmehr muss auch in den Fällen der Ersatzzustellung nach § 180 ZPO der volle Beweis der
Unrichtigkeit der in der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen geführt werden, so dass die Beweiswirkung der
Zustellungsurkunde vollständig entkräftet und jede Möglichkeit der Richtigkeit der in ihr niedergelegten Tatsachen
ausgeschlossen ist (BGH Urteil vom 10. November 2005 - III ZR 104/05 - NJW 2006, 150, 151 m.w.N.). Das dazu
gehaltene Vorbringen des Antragsgegners genügt diesen Anforderungen nicht, da es sich auf das schlichte
Bestreiten des Zugangs beschränkt.
3. Da das Verfahren des Amtsgerichts aus den benannten Gründen nicht beanstandet werden kann und der
Antragsgegner vor Verfügung des Festsetzungsbeschlusses insbesondere die Erfüllung und Bedarfsermittlung bzw.
Leistungsfähigkeit betreffenden Einwendungen nicht in der gemäß § 252 Abs. 2 FamFG vorgeschrieben Form im
erstinstanzlichen Verfahren angebracht hat, bleibt er mit diesen Einwendungen auch im Beschwerdeverfahren
ausgeschlossen. Zur materiellen Überprüfung des Unterhaltsanspruches ist der Antragsgegner insoweit auf einen
Abänderungsantrag nach § 240 FamFG zu verweisen.
II.
Der Antragstellerin kann keine Verfahrenskostenhilfe bewilligt werden, weil sie gehalten ist, sich die bei einem
Verfahrenswert von 5.791 € mit voraussichtlich
1,6 Verfahrensgebühr VVRVG Nr. 3200 540,80 €
Telekommunikationspauschale VVRVG Nr. 7002 20,00 €
19 % Umsatzsteuer 106,55 €
667,35 €
ins Gewicht fallenden Kosten der Rechtsverteidigung im Wege eines Prozesskostenvorschusses von ihrer Mutter zu
beschaffen. Der Mutter der Antragstellerin könnte - wäre sie selbst hilfebedürftige Beteiligte - Verfahrenskostenhilfe
nur gegen Raten bewilligt werden, wie sich aus nachstehender Übersicht ergibt:
Nettoeinkommen mind. 1573
Kindergeld Shana 184
./. Versicherungen, Beiträge 87
./. Freibetrag Erwerbstätige 182
./. Freibetrag Partei 400
./. Kosten der Unterkunft (1/2) 295
./. Heiz und Betriebskosten (1/2) 95
./. Freibetrag Danielle 316
Eigeneinkommen Danielle (Kindergeld) 184
Einzusetzendes Einkommen 566
Der Freibetrag für die 12jährige Antragstellerin in Höhe von derzeit 276 € ist nicht abzusetzen, weil der
Antragsgegner im Jahre 2011 im Monatsdurchschnitt Kindesunterhalt mindestens in dieser Höhe gezahlt hat und aus
dem gezahlten Kindesunterhalt darüber hinaus auch noch Beträge verbleiben, um die als besondere Belastung
geltend gemachten Ratenzahlungen für die kieferorthopädische Behandlung zu bestreiten. Das Kindergeld für die
Antragstellerin ist deshalb als Einkommen der Mutter zu behandeln. Wasser und Stromkosten gehören nicht zu den
Unterkunftskosten im Sinne von § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 ZPO und sind deshalb aus den Freibeträgen der
Bewohner zu tragen (BGH Beschluss vom 8. Januar 2008 – VIII ZB 18/06 – FamRZ 2008, 781 [Tz. 8]). Die danach
verbleiben Wohnkosten von rund 780 € sind kopfanteilig zwischen der Mutter der Antragstellerin und ihrem
Lebensgefährten aufzuteilen.
Bei einem einzusetzenden Einkommen von 566 € hätte die Kindesmutter der Antragstellerin monatliche
Vorschussraten von 225 € zur Verfügung zu stellen. Die Kosten der Rechtsverteidigung im Beschwerdeverfahren
wäre daher in vier Monatsraten aufgebracht worden (§ 115 Abs. 4 ZPO), so dass Verfahrenskostenhilfe für die
Beschwerdeinstanz insgesamt nicht zu bewilligen ist.
B. V. Dr. B.