Urteil des OLG Celle vom 25.02.2011

OLG Celle: faires verfahren, jugendamt, befangenheit, anhörung, eltern, trennung, kaufmann, erfahrung, verfahrensordnung, rechtsschutz

Gericht:
OLG Celle, 10. Zivilsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 10 WF 48/11
Datum:
25.02.2011
Sachgebiet:
Normen:
FamFG § 6, FamFG § 30, ZPO § 42 ff, ZPO § 406
Leitsatz:
In Kindschaftssachen (hier: einstweilige Anordnung zur Umgangsregelung) kommt eine Ablehnung
von Mitarbeitern des Jugendamtes oder des Jugendamtes selbst wegen Befangenheit nicht in
Betracht.
Volltext:
10 WF 48/11
610 F 5436/10 Amtsgericht Hannover
Beschluß
In der Familiensache
betreffend den Umgang mit
1. MA B,
2. L Z B,
3. E D B,
Beteiligte:
1. B B,
Antragsteller und Beschwerdeführer,
Verfahrensbevollmächtigte:
Rechtsanwälte T & I,
2. J B,
Antragsgegnerin,
Verfahrensbevollmächtigte:
Rechtsanwältin K F,
3. Landeshauptstadt Hannover Kommunaler Sozialdienst,
hat der 10. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am
Oberlandesgericht W., den Richter am Oberlandesgericht H. und die Richterin am Amtsgericht C. am 25. Februar
2011 beschlossen:
Die Beschwerde des Antragstellers wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 1.500 €.
Gründe:
I.
Im vorliegend geführten einstweiligen Anordnungsverfahren um eine Regelung des Umgangs will der Antragsteller
eine - namentlich benannte - zuständige Mitarbeiterin des Jugendamtes Hameln wegen Besorgnis der Befangenheit
ablehnen und sie ´von der weiteren Mitwirkung in diesem Verfahren ausschließen´. Zur Begründung macht er
geltend, die Mitarbeiterin habe durch die Äußerung gegenüber einer anderen Behördenmitarbeiterin sowie ´durch die
selektive Stellungnahme … vom 14. Dezember 2010´ Anlaß zu Mißtrauen gegen eine unparteiische Amtsausübung
gegeben.
Das Amtsgericht hat mit Beschluß vom 20. Januar 2011 den Befangenheitsantrag als unzulässig zurückgewiesen,
da ein solcher nur gegenüber Gerichtspersonen oder Sachverständigen in Betracht komme, nicht jedoch gegenüber
den Jugendämtern oder deren Mitarbeitern.
Dagegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, der sich gegen die Annahme der Unzulässigkeit seines
Befangenheitsantrages wendet. Er macht ergänzend geltend, das Jugendamt Hameln sei in Ermangelung eines
entsprechenden Antrages nicht Verfahrensbeteiligter nach § 7 FamFG. insofern sei die Stellung des Jugendamtes
bzw. seiner konkreten Mitarbeiterin mit der eines Sachverständigen vergleichbar, so daß die Vorschriften bezüglich
der Ablehnung von Sachverständigen jedenfalls entsprechend anzuwenden seien.
II.
Die Beschwerde des Antragstellers kann in der Sache keinen Erfolg haben. Zutreffend hat das Amtsgericht den
gegen die Mitarbeiterin des Jugendamtes Hameln gerichteten Befangenheitsantrag als unzulässig zurückgewiesen.
1. Eine Ablehnung wegen Befangenheit gemäß § 6 FamFG i.V.m. §§ 41 ff. ZPO kommt schon nach dem
ausdrücklichen Wortlaut in § 6 FamFG ausschließlich gegenüber Gerichtspersonen in Betracht, also gegenüber
Richtern, Rechtspflegern oder Urkundsbeamten. Eine derartige Ablehnungsmöglichkeit ist Ausfluß des
verfassungsmäßig garantierten Rechts der Beteiligten auf einen gesetzlichen, unparteiischen und neutralen Richter
sowie auf ein faires Verfahren (vgl. nur Zöller28Vollkommer, Vor § 41 ZPO Rz. 1 m.w.N.). Eine entsprechende
Anwendung kommt daher allein insoweit in Betracht, als innerhalb eines justizförmigen Verfahrens Amtsträger oder
Stellen vergleichbar tätig sind (vgl. Zöller aaO Rz. 3 a.E.). im übrigen hat der Gesetzgeber die
Ablehnungsmöglichkeit allein auf ganz eng begrenzte Fälle - jeweils durch ausdrückliche gesetzliche Regelung -
ausgeweitet, und zwar auf Sachverständige in § 406 ZPO und auf Dolmetscher in § 191 GVG (jedoch nicht einmal
auf Gerichtsvollzieher, für die nach § 155 GVG allein die objektiven Ausschließungsgründe gelten). Mithin ist im
Verfahren über Kindschaftssachen die Ablehnung einer Jugendamtsmitarbeiterin über § 6 FamFG i.V.m. §§ 41 ff.
ZPO ausgeschlossen.
2. Eine Ablehnung der Jugendamtsmitarbeiterin kommt auch nicht gemäß § 30 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 406 ZPO -
also eine direkte oder entsprechende Anwendung der für Sachverständige geltenden Regelungen - in Betracht.
a. Insofern übersieht der Antragsteller im Rahmen seiner Beschwerde bereits, daß das Amtsgericht im vorliegend
betriebenen einstweiligen Anordnungsverfahren eine förmliche Beweisaufnahme nach den Vorschriften der ZPO -
also im Wege des Strengbeweises - schon nicht ersichtlich angeordnet oder durchgeführt hat und ein solcher
Strengbeweis für die summarische Prüfung im Rahmen eines einstweiligen Anordnungsverfahrens auch regelmäßig
nicht angezeigt sein wird, so daß es bereits an der Grundlage für einen Rückgriff auf die nur in einem solchen Falle
maßgeblichen ZPOVorschriften, hier namentlich § 406 ZPO und die darin eröffnete Möglichkeit der Ablehnung eines
gerichtlich bestellten Sachverständigen, fehlt.
b. Unabhängig davon ist die Stellung des Jugendamtes bzw. der Jugendamtsmitarbeiter in Kindschaftssachen aber
ohnehin weder diejenige eines Sachverständigen noch mit der eines Sachverständigen vergleichbar, so daß eine
direkte oder analoge Anwendung von §§ 30 Abs. 1 FamFG, 406 ZPO auf die Ablehnung von Mitarbeitern des
Jugendamtes in keinem Fall in Betracht kommt.
Das Jugendamt ist in die Person des Kindes betreffenden Kindschaftssachen gemäß § 162 FamFG anzuhören.
diese Anhörung dient der Aufklärung des Sachverhaltes (Zöller28Philippi, FamFG § 162 Rz. 1.
Prütting/HelmsStößer, FamFG § 162 Rz. 2. Keidel16Engelhardt, FamFG § 162 Rz. 2. so auch bereits OLG Köln -
Beschluß vom 28. März 1978 - 4 WF 88/78 - Der Amtsvormund 1978, 800f. [zur früheren Rechtslage bei einer
Anhörung des Jugendamtes gemäß § 48a JWG]) und gehört zu der durch das Gericht von Amts wegen
vorzunehmenden Materialsammlung (vgl. OLG Bamberg - Beschluß vom 24. Februar 1988 - 2 WF 296/87 - FamRZ
1988, 1080 [TZ 20]), deren Bewertung und Verwendung allein Sache des Familiengerichts ist (vgl. Bayerischer VGH
- Beschluß vom 7. April 2005 - 12 CE 04.3375 - juris). insofern entsprach es auch ganz herrschender Auffassung,
daß die Anhörung des Jugendamtes in derartigen Verfahren nicht etwa die vormalige gesonderte Beweisgebühr
auslöste (vgl. OLG Bamberg, a.a.O. m.w.N.).
Auch wenn das Jugendamt durchaus eigene Sachkunde und Erfahrung in das Verfahren einzubringen hat,
unterscheidet sich seine Stellung in ganz entscheidenden Punkten von der eines Sachverständigen: Während der
Sachverständige vom Gericht ausgewählt und ggf. ersetzt wird (§ 404 ZPO) und dieses seine Tätigkeit bis hin zur
Erteilung von Weisungen anleitet (§ 404a ZPO), ist das jeweils zuständige Jugendamt gesetzlich in §§ 87b, 86 SGB
VIII festgelegt und ist diesem in § 50 SGB VIII eine eigenständige unterstützende Mitwirkung zugewiesen. bei dieser
ist es nicht etwa aus gerichtlicher Anordnung sondern aus eigener gesetzlicher Verpflichtung und nicht als Hilfsorgan
des Gerichtes sondern selbständig neben diesem tätig (vgl. OLG Frankfurt - Beschluß vom 28. Oktober 1991 - 5 WF
182/91 - FamRZ 1992, 206. OLG Schleswig - Beschluß vom 14. Januar 1994 - 10 WF 114/93 und 10 WF 124/93 -
FamRZ 1994, 1129 [beide zur - sachlich unverändert gebliebenen - Lage nach seinerzeitigem KJHG und FGG]).
Schließlich ist auch die Stellungnahme des Jugendamtes nicht geeignet, dem Gericht selbst fehlende besondere
Sachkunde zu vermitteln, die gegebenenfalls im Einzelfall erforderliche Einholung eines
Sachverständigengutachtens kann also nicht durch die Stellungnahme des Jugendamtes ersetzt werden (vgl. etwa
BVerfG - Beschluß vom 10. September 2008 - 1 BvR 1248/09 - FamRZ 2009, 1897).
Auf dieser Grundlage ist eine unmittelbare oder entsprechende Anwendung von §§ 30 Abs. 1 FamFG, 406 ZPO auf
die Ablehnung von Mitarbeitern des Jugendamtes ausgeschlossen (so etwa auch Kaufmann, Eltern und
Jugendämter bei Trennung und Scheidung, FamRZ 2001, 7, 9).
Völlig zutreffend hat etwa das - in einem isolierten Verwaltungsrechtsstreit gegen das Tätigwerden eines vermeintlich
voreingenommenen Jugendamtsmitarbeiters im Rahmen eines familiengerichtlichen Verfahrens angerufene -
Verwaltungsgericht Aachen (Beschluß vom 18. März 2010 - 2 L 77/10 - juris) darauf hingewiesen, daß es dem
jeweiligen Elternteil vielmehr obliegt, in dem familiengerichtlichen Verfahren etwaige tatsächliche Unrichtigkeiten
aufzuzeigen oder die vom Jugendamt vorgenommenen Wertungen und Schlüsse sowie den dort zum Ausdruck
kommenden Sachverstand des Jugendamtes ggfls. durch geeigneten Vortrag so in Zweifel zu ziehen, daß das
Familiengericht Veranlassung sieht, durch Einholung entsprechender Gutachten den Sachverhalt weiter aufzuklären
oder die vom Elternteil durch konkreten Vortrag als falsch angezweifelten Angaben des Jugendamtes in der
gerichtlichen Entscheidungsfindung entsprechend zu würdigen. Der verfassungsrechtlich nach Art. 19 Abs. 4 GG
gebotene Rechtsschutz der Eltern gegen Stellungnahmen der Jugendämter nach § 50 SGB VIII als unselbständiger
Teile des familiengerichtlichen Erkenntnisprozesses ist dadurch gewährleistet, daß sie - im Rahmen der jeweiligen
Verfahrensordnung - Rechtsbehelfe gegen die Entscheidungen der Familiengericht ergreifen können (vgl. OVG
Münster - Beschluß vom 24. Oktober 2007 - 12 B 1570/07, zitiert nach VG Aachen aaO).
III.
Die verfahrensrechtlichen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 84 FamFG, 45 Abs. 1 Nr. 2, 41 FamGKG.
W H C