Urteil des OLG Celle vom 21.05.2004

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Gericht:
OLG Celle, 11. Zivilsenat
Typ, AZ:
Urteil, 11 U 7/04
Datum:
21.05.2004
Sachgebiet:
Normen:
WA Art. 26, HGB § 438 Abs. 4, GVG § 119
Leitsatz:
Die Notwendigkeit einer schriftlichen Anzeige kann nicht dadurch ersetzt werden, dass Mitarbeitern
des Transporteurs vor Ort Kenntnis vom Schadensfall gegeben wird.
Volltext:
Oberlandesgericht Celle
Im Namen des Volkes
Urteil
11 U 7/04
541 C 14/03 Amtsgericht Hannover Verkündet am
21. Mai 2004
#######,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
In dem Rechtsstreit
#######,
Klägerin und Berufungsklägerin,
Prozessbevollmächtigte:
#######
gegen
#######,
Beklagte und Berufungsbeklagte,
Prozessbevollmächtigte:
#######
hat der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 6. Mai 2004 durch den
Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht #######, den Richter am Oberlandesgericht ####### und die Richterin
am Oberlandesgericht ####### für Recht erkannt:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 13. November 2003 wird auf ihre Kosten
zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Beschwer der Klägerin übersteigt nicht 20.000 EUR.
Gründe
I.
Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche wegen des behaupteten Verlusts von fünf Mikrofonen aus einer
im Wesentlichen per Luftfracht von Hannover nach Singapur zu transportierenden Ladung.
Die Klägerin hat behauptet, berechtigt zu sein, für die Transportversicherer einer in der W. ansässigen
Elektronikherstellerin Ansprüche aus übergegangenem sowie aus abgetretenem Recht geltend machen zu können.
Die Elektronikherstellerin beauftragte die Beklagte, drei Packstücke mit einem Gesamtgewicht von 572 kg per
Luftfracht zu ihrer asiatischen Tochtergesellschaft nach Singapur zu transportieren. Über die Einzelheiten der
Auftragserteilung ist näheres nicht bekannt. Die Waren standen im Eigentum einer ####### GmbH, die dem
Elektronikkonzern als abhängige Gesellschaft mit einem Beherrschungs und Gewinnabführungsvertrag verbunden
ist. Über den Transport wurde ein Airwaybill ausgestellt, der die deutsche Elektronikgesellschaft als Versender,
deren asiatische Tochtergesellschaft als Empfänger und die Beklagte als Transporteur ausweist. Wegen dessen
Einzelheiten wird auf die zu den Akten gelangte Ablichtung GA 7 Bezug genommen. Die am 3. August 2001 in die
Obhut der Beklagten gelangten drei Packstücke wurden am 8. August 2001 bei der Empfängerin in Singapur
angeliefert und gegen reine Quittung entgegengenommen; wegen der Quittung wird auf die zu den Akten gelangte
Ablichtung Bl. 28 Bezug genommen.
Die Klägerin hat behauptet, zwei Mitarbeiter der Empfängerin, auf deren Zeugnis sie sich bezieht, hätten beim
Auspacken der Packstücke festgestellt, dass fünf Mikrofone des Typs KMS 105 im Wert von 227,80 EUR/Stück
gefehlt hätten. Die beiden Angestellten hätten nach Bemerken des Fehlens von Ware bei näherer Untersuchung des
Packstückes festgestellt, dass das Klebeband des Packstückes mit sehr viel Vorsicht abgezogen und alsdann
wiederverwandt worden sei.
Die Klägerin berechnet ihre vermeintliche Forderung aus dem Wert der fünf Mikrofone zuzüglich Frachtkosten der
Ersatzlieferung, zu denen sie näheres nicht vorgetragen hat.
Die Beklagte ist dem entgegengetreten. Sie hat die Aktivlegitimation der Klägerin bestritten. Sie hat insbesondere
darauf hingewiesen, dass die Klägerin aus abgetretenem Recht aufgrund der vermeintlichen Abtretungserklärung der
deutschen Elektronikfirma vom 3. April 2002 nichts erworben haben könne, weil die Muttergesellschaft trotz des
Abhängigkeitsverhältnisses im Konzern Ansprüche der abhängigen Gesellschaft nicht habe abtreten können. Die
Beklagte hat darauf hingewiesen, dass eine schriftliche zeitnahe Schadensanzeige des vermeintlichen Verlustes
nicht erfolgt sei. Sie hat schließlich mit Nichtwissen bestritten, dass die Mikrofone während der Dauer ihrer Obhut
über die Packstücke abhanden gekommen seien.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat gemeint, die Klägerin sei nach Art. 26 Abs. 4 des Warschauer
Abkommens 1955 mit ihrer Klage gegen die Beklagte als Luftfrachtführer ausgeschlossen. Auf den durchgeführten
Transport sei das Warschauer Abkommen anzuwenden, weil die Abholung der Pakete in der W. und die Auslieferung
in der Stadt Singapur lediglich Zubringerdienste betroffen, nicht aber einen kombinierten Land/Lufttransport
ausgemacht hätten, wie sich aus den jeweiligen geringen Entfernungen zum Flughafen ergebe. Das nach Ablieferung
und Öffnen der Kartons festgestellte Fehlen von fünf Mikrofonen sei als Beschädigung der Sendung zu qualifizieren,
weshalb eine schriftliche Beanstandung gegenüber der Beklagten erforderlich gewesen sei, an der es gefehlt habe.
Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die Klägerin mit ihrer form und fristgerecht eingereichten Berufung.
Mit ihr macht sie im Wesentlichen geltend, der streitgegenständliche Schadensfall sei nicht nach den Regeln des
Warschauer Abkommens zu beurteilen. Vielmehr müsse § 435 HGB zur Anwendung gelangen, weil der in Auftrag
gegebene Transport, zu dem die Abholung der Packstücke in W. und die Auslieferung in Singapur gehört habe, einen
multimodalen Land/Lufttransportvertrag dargestellt habe. Nach § 435 HGB hafte die Beklagte wegen groben
Verschuldens uneingeschränkt. Die Beklagte sei nämlich ihrer sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen. Sie
habe keinerlei Vortrag dazu gehalten, wie sie in ihre Obhut übergebene Packstücke dagegen schütze, dass
unberechtigt Gegenstände aus ihnen entnommen würden.
Auf das Fehlen einer schriftlichen Schadensanzeige könne sich die Beklagte nicht mit Erfolg berufen.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des am 13. September 2003 verkündeten, am 21. September 2003 zugestellten Urteils des
Amtsgerichts Hannover - 541 C 14/03 - die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.211,75 EUR + 5 % Zinsen ab
dem 12. März 2002 bis 12. April 2002 und weitere 5 % Zinsen über dem Basiszins der Europäischen Zentralbank ab
dem 13. April 2004 zu zahlen.
Die Klägerin regt wegen grundsätzlicher Bedeutung die Zulassung der Revision zum Bundesgerichtshof an.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt unter Erweiterung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens das angefochtene Urteil.
Sie weist insbesondere darauf hin, dass die Klägerin keinen zureichenden Vortrag dazu halte, dass der vermeintliche
Verlust im Gewahrsam der Beklagten eingetreten sei. Sie betont ferner, dass nicht nachvollziehbar erläutert werde,
wie die Mitarbeiter der Empfängerin festgestellt haben wollen, dass die Klebebänder Spuren eines Öffnens und
Wiederverschließens während des Transports aufgewiesen hätten, nachdem die Mitarbeiter selbst die Kartons zuvor
zum Auspacken geöffnet hätten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten
Schriftsätze nebst deren Anlagen Bezug genommen.
II.
Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.
1. Die Berufung ist in zulässiger Weise erhoben. Sie ist insbesondere beim richtigen Gericht eingereicht. Durch das
Verklagen der Beklagten unter Benennung ihrer deutschen Zweigniederlassung ändert sich nichts daran, dass die
Berufung gegen ein Urteil des Amtsgerichts gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1 b GVG im Streitfall zum Oberlandesgericht
hat erhoben werden müssen. Auch wenn ein Kaufmann unter dem Sitz seiner Zweigniederlassung verklagt werden
kann, so ist diese doch nicht selbständige juristische Person; Prozesspartei bleibt vielmehr die juristische Person
selbst, im Streitfall also die USamerikanische Gesellschaft, deren Zweigniederlassung in Deutschland den Auftrag
auszuführen hatte.
2. Der mit der Klage geltend gemachte Anspruch der Klägerin ist jedoch nicht begründet.
Dabei kann, anders als die Klägerin meint, offen bleiben, welches Haftungsregime im Streitfall letztlich anzuwenden
ist; ein Schadensersatzanspruch besteht weder bei einer Haftung nach dem Warschauer Abkommen von 1955 noch
im Falle einer Haftung nach den Vorschriften des Handelsgesetzbuches.
a) Für den Fall, dass die Einstandspflicht der Beklagten nach dem Warschauer Abkommen zu bestimmen ist, ist sie
der Klägerin nicht aus Art. 17 WA einstandspflichtig, weil - wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat - ein
solcher Anspruch daran scheitert, dass die Klägerin entgegen Art. 26 Abs. 2 und 3 nicht binnen 14 Tagen nach
vorbehaltloser Annahme der Ware eine schriftliche Beanstandung erhoben hat. Die Klägerin ist damit gemäß Art. 26
Abs. 4 WA mit ihren Ansprüchen ausgeschlossen.
Anhaltspunkte für ein arglistiges Verhalten der Beklagten hat die Klägerin nicht dargetan.
Eine Arglist der Beklagten ergibt sich nicht daraus, dass, wie die Mitarbeiter der Rechtsvorgängerin der Klägerin in
Singapur festgestellt haben wollen, das Klebeband vorsichtig gelöst und wieder aufgeklebt worden sein soll,
nachdem fünf Mikrofone entnommen worden sind. Insoweit steht, selbst wenn dieser Vortrag bewiesen werden
sollte, nicht fest, dass sich der Vorgang im Obhutsbereich der Beklagten zugetragen haben muss. Er kann genauso
gut vor Abgang der Ware bei der Absenderin stattgefunden haben und ebenso gut vor dem Auspacken, bei dem das
Fehlen der Mikrofone bemerkt worden sein soll, im Obhutsbereich der Empfängerin, die vorbehaltlos quittiert hatte.
Genauen Vortrag zu den zeitlichen Abläufen hält die Klägerin insoweit nicht.
Die Klägerin kann einer Berufung der Beklagten auf den Anspruchsausschluss gemäß Art. 26 Abs. 4 WA auch nicht
mit Erfolg entgegenhalten, dass sie Mitarbeiter der Beklagten vor Ort zur Besichtigung des Packstückes
herbeigeholt haben will. Die Klägerin vermag mit diesem Vorgang, sollte sich dergleichen tatsächlich zugetragen
haben, die Notwendigkeit einer schriftlichen Anzeige nicht zu ersetzen. Das Erfordernis der schriftlichen Anzeige
dient u. a. der Absicherung dahin, dass der später geltend gemachte Schaden mit dem zeitnah tatsächlich
bemerkten Schaden am Frachtgut identisch bleibt. Diesen Sicherungsmechanismus vermag die Klägerin nicht mit
Erfolg dadurch zu ersetzen, dass sie Mitarbeiter der Beklagten vor Ort geholt hat, zumal nicht feststeht, wer
überhaupt vor Ort gewesen sein soll und welche Vollmachten diese Personen gehabt haben mögen.
b) Nicht anders stellte sich die Rechtslage dar, wenn mit der Klägerin davon auszugehen wäre, dass der vorliegende
Schadensfall nach dem Haftungsregime des Handelsgesetzbuches abzuwickeln wäre. Die Klägerin meint, dies sei
gemäß § 452 Satz 1 HGB i. V. m. § 435 HGB der Fall, weil nach ihrer Darstellung der Schaden auf den
Landtransportstrecken zwischen Abholung des Gutes in der
W. und dem Erreichen des Flughafens oder zwischen der Flughafengrenze in
Singapur und dem Empfangsort eingetreten sei. Selbst wenn dies so wäre, was allerdings gemäß § 452 a HGB die
Klägerin darzulegen hätte, weil es ihr günstig ist und gemäß Art. 18 Abs. 3 WA ebenfalls die Klägerin darzulegen
hätte, um der Vermutung zu entgehen, dass bei einem gemischten Transport der Schaden auf der Luftstrecke
entstanden ist, gelangte man im der Klägerin günstigsten Fall zur Anwendung des ersten Unterabschnitts der
Allgemeinen Vorschriften des Handelsgesetzbuches über das Frachtgeschäft. Auch hiernach müsste, gemäß § 438
Abs. 4 HGB, da ein Schaden erst nach der Ablieferung bemerkt worden ist, eine Schadensanzeige in Textform von
der Klägerin erstattet worden sein. Hieran fehlt es ebenso wie an einer Schadensanzeige nach dem Warschauer
Abkommen.
Auf dieses Erfordernis musste die Klägerin auch richterlicherseits nicht etwa hingewiesen werden, denn die Beklagte
hatte ihrerseits auf Bl. 3 des Schriftsatzes vom 12. Juni 2003 noch in erster Instanz darauf hingewiesen, dass die
Erfordernisse nach dem Handelsgesetzbuch insoweit nicht leichter sind.
Diesem Erfordernis entgeht die Klägerin als vermeintliche Rechtsnachfolgerin der Absenderin auch nicht mit dem
Hinweis darauf, dass die Beklagte ihrer sekundären Darlegungslast über den Hergang des Transportes im Einzelnen
und darüber, welche Personen mit den Packstücken in Berührung gekommen seien, nicht gerecht geworden sei.
Eine Berufung des Anspruchstellers auf eine Verletzung der sekundären Darlegungslast des Transportunternehmers
und damit eine Beweiserleichterung für den grundsätzlich für den Schadenseintritt und den Schadensumfang
darlegungs und beweispflichtigen Anspruchsteller hat zur Voraussetzung, dass feststehen muss, dass ein Schaden
während der Obhut des Transportunternehmers eingetreten ist. Wie oben dargelegt, vermag die Klägerin dies für den
Transport im Streitfall jedoch angesichts der von ihr erteilten reinen Quittung und angesichts des Unterlassens
einfacher Vorkehrungen zur Vermeidung der Entnahme von Einzelteilen aus Packstücken in ihrem Hause nicht
ausreichend darzulegen. Hierbei fällt insbesondere ins Gewicht, dass durch ein Wiegen der einzelnen Packstücke
bei Übergabe an den Transportunternehmer und bei Ablieferung derartige Entnahmen in einfacher Weise festgestellt
werden könnten. Gewichtsfeststellungen hinsichtlich der einzelnen Packstücke haben jedoch weder Absenderin
noch Empfängerin getroffen, sodass auch Verluste im Hause der Absenderin bzw. Empfängerin nicht
ausgeschlossen worden sind.
III.
Angesichts des Umstandes, dass eine Haftung im Streitfall nach keinem der in Betracht kommenden
Haftungsregime mangels der jeweils binnen kurzer Frist zu erstattenden Schadensanzeige in schriftlicher Form bzw.
in Textform in Betracht kommt, erscheint eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache
nicht geboten. Dies gilt - entgegen der Anregung der Klägerin - umso mehr, als die Parteien übereinstimmend
mitgeteilt haben, dass sie die Verklebung von Packstücken inzwischen geändert haben und eine sorgfältigere
Verklebung mit speziellem Klebeband der Absenderin vornehmen, welches durch Überkleben mit besonderen
Klebestreifen der Beklagten zusätzlich gesichert wird.
IV.
Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Klägerin vom 10. Mai 2004 gibt dem Senat keinen Anlass, erneut in die
mündliche Verhandlung einzutreten.
V.
Die prozessualen Nebenentscheidungen gründen sich auf § 97 Abs. 1 ZPO hinsichtlich der Kosten des
Berufungsrechtszuges sowie auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit.
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