Urteil des OLG Celle vom 19.10.2011

OLG Celle: stimmabgabe, wähler, stimme, stimmzettel, geldstrafe, vorsorge, niedersachsen, gemeindeverwaltung, strafzumessung, kennzeichnung

Gericht:
OLG Celle, 02. Strafsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 32 Ss 61/11
Datum:
19.10.2011
Sachgebiet:
Normen:
StGB § 107 a Abs 1, STGB § 13, NKWG § 30 a Abs 2 S 2, NKWO § 53 Abs 3
Leitsatz:
1.
Wer als Betreiber eines Alten oder Pflegeheims anlässlich einer politischen Wahl eine zentrale
Abgabe der Briefwahlstimmen von Heimbewohnern organisiert, dabei jedoch keinen Sichtschutz für
die Wähler einrichtet, so dass ihnen eine unbeobachtete Kennzeichnung ihrer Stimmzettel nicht
möglich ist, führt ein unrichtiges Ergebnis eine Wahl nach § 107a Abs. 1 StGB herbei, wenn die so
abgegebenen ungültigen Stimmen bei der späteren Auszählung berücksichtigt werden.
2.
Für eine Kommunalwahl in Niedersachsen enthält § 53 Abs. 3 NKWO – wonach in Alten und in
Pflegeheimen der jeweilige Betreiber Vorsorge dafür zu treffen hat, dass ein Stimmzettel bei der
Briefwahl unbeobachtet gekennzeichnet werden kann – eine wesentliche Verfahrensvorschrift für die
Briefwahl im Sinne des § 30a Abs. 2 S. 2 NKWG mit der Folge, dass bei einem Verstoß dagegen die
Stimmabgabe ungültig ist.
3.
§ 53 Abs. 3 NKWO begründet für die Heimleitung eine gesetzliche Garantenstellung im Sinne des §
13 StGB.
Volltext:
Oberlandesgericht Celle
32 Ss 61/11
20a Cs 22/08 AG Celle
39 Ns 70/08 LG Lüneburg
5101 Js 4901/07 StA Lüneburg
B e s c h l u s s
In der Strafsache
gegen C. B.,
geboren am xxxxxx 1943 in O.,
wohnhaft in W., S.,
– Verteidiger: Rechtsanwalt Dr. B., H.,
Rechtsanwalt B., B.,
Rechtsanwalt C., C. –
wegen Wahlfälschung
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft durch den
Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht xxxxxxxxx, den Richter am Oberlandesgericht xxxxxxxxx und den
Richter am Landgericht xxxxxxxx am 19.10.2011 einstimmig beschlossen:
Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil der 9. kleinen Strafkammer des Landgerichts Lüneburg vom
14.12.2010 wird als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO) mit der Maßgabe, dass die Liste der angewendeten
Strafvorschriften um § 13 StGB ergänzt wird.
Die Angeklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
G r ü n d e :
I.
Das Amtsgericht Celle hat die Angeklagte am 29.07.2008 wegen Wahlfälschung in Tateinheit mit Verletzung des
Wahlgeheimnisses zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung
ausgesetzt hat.
Auf die dagegen gerichtete Berufung der Angeklagten hat das Landgericht Lüneburg – unter Verwerfung des
Rechtsmittels im Übrigen – das angefochtene Urteil aufgehoben und die Angeklagte wegen Wahlfälschung mit einer
Geldstrafe von 240 Tagessätzen zu je 200, EUR belegt. Zudem hat es angeordnet, dass 60 Tagessätze als
Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer als vollstreckt gelten.
1.
Zur Person der 67jährigen, verheirateten Angeklagten hat die Kammer unter anderem festgestellt, dass sie über ein
monatliches Nettoeinkommen von 6.000,EUR verfügt und nicht vorbestraft ist.
2.
Zur Sache hat das Landgericht im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
Vorgeschichte:
Die Angeklagte betreibt seit mehreren Jahrzehnten in W. zwei Alten und Pflegeheime mit insgesamt 150 Plätzen.
Dort ist es, wenn eine politische Wahl ansteht, seit vielen Jahren Praxis, dass die Heimbewohner ihre
Briefwahlunterlagen an einem bestimmten Tag in einem eigens dafür eingerichteten Raum in dem jeweiligen Heim
ausfüllen können. Dabei wird ihnen von der Angeklagten und Heimmitarbeitern Hilfe geleistet.
Der Ehemann der Angeklagten war seit 1996 Mitglied des Rates der Gemeinde W. Bei der Kommunalwahl 2006 trat
er erneut zur Wahl an, und zwar für den Gemeinderat in W. sowie für den Ortsrat in H. Auch einer ihrer Söhne
kandidierte 2006 für diesen Ortsrat.
Im Rahmen der Vorbereitung der Kommunalwahl 2006 wies die Gemeinde W. alle lokalen Altenheimbetreiber auf die
Möglichkeit der Inanspruchnahme eines mobilen Wahlvorstands (§ 8 NKWO) hin. In diesem Fall hätten sich
Mitarbeiter der Gemeindeverwaltung in die Heime begeben, und dort die Stimmabgabe der Bewohner vor Ort
durchgeführt. Von diesem Angebot machte die Angeklagte für die beiden von ihr betriebenen Heime jedoch keinen
Gebrauch. Stattdessen wurde dort – wie bereits in den Vorjahren – in Eigenregie eine zentrale Abgabe der
Briefwahlstimmen der Bewohner organisiert.
Die Vorbereitung dieser Briefwahlveranstaltung in den beiden Häusern mit den Standorten B. und K. oblag den
beiden Pflegedienstleiterinnen. Eine von ihnen verteilte die eingegangenen Wahlbenachrichtigungskarten an die
Bewohner. Daraufhin forderten insgesamt 62 von ihnen bei der Gemeinde ihre Briefwahlunterlagen an.
Die Angeklagte bestimmte den Briefwahltag für die Bewohner des Heims B. auf den 24.08. und für die des Heims K.
auf den 28.08.2006. Für diese Tage bestellte der Ehemann der Angeklagten – in Absprache mit ihr – zudem ein mit
ihnen bekanntes Ehepaar, die Eheleute H., ein. Diese sollten vor Ort anwesend sein, um den ordnungsgemäßen
Ablauf der Wahl bezeugen zu können. Hintergrund war, dass nach einer oder mehrerer der vorangegangenen
Kommunalwahlen in der Gemeinde Stimmen laut geworden waren, die eine Verquickung der Kandidatur des
Ehemanns der Angeklagten mit den in ihren Heimen organisierten Briefwahlen monierten.
Tatgeschehen:
a) Am 24.08.2006 fand wie geplant die Briefwahlveranstaltung im Heim B. statt. In dem hierfür hergerichteten Raum
befand sich ein Tisch, an dessen Stirnseite ein Sitzplatz für die Wähler vorbereitet war. Die Angeklagte unterließ es
jedoch, Vorsorge dafür zu treffen, dass dort ein Sichtschutz für die Wähler eingerichtet wird. Ein Sichtschutz war zu
keinem Zeitpunkt vorhanden.
An den Längsseiten des Tisches saßen sich die Angeklagte und eine der Pflegedienstleiterinnen gegenüber, und
zwar jeweils nur etwa eine Stuhlbreite vom Platz des Wählers entfernt. In dessen Rücken in einer Zimmerecke
saßen die Eheleute Hoffmann. All diese Personen waren während der gesamten Wahlveranstaltung ununterbrochen
im Raum anwesend. Hinzu kam die zweite Pflegedienstleiterin, die sich zeitweise in dem Zimmer aufhielt und
währenddessen ebenfalls am Tisch saß.
Unter diesen Bedingungen wurden die Wählerinnen und Wähler jeweils einzeln und nacheinander in den Raum
hereingebeten oder geführt. Sie nahmen an der Stirnseite des Tisches auf dem für sie vorgesehenen Stuhl Platz. Die
Angeklagte händigte ihnen ihre auf dem Tisch bereit gelegten Wahlunterlagen aus, erklärte ihnen, wie viele Kreuze
auf welchem Wahlzettel gemacht werden dürfen und las ihnen zum Teil auch die dort angegebenen Namen der
Parteien und Kandidaten vor. Anschließend trafen die Bewohner ihre Wahl.
Dabei war ihnen aufgrund der im Raum anwesenden Personen und mangels Sichtschutz eine unbeobachtete
Kennzeichnung ihrer Stimmzettel nicht möglich. Die Angeklagte unterließ es, sowohl selbst den Raum während der
Stimmabgabe der Bewohner zu verlassen, als auch dafür Sorge zu tragen, dass die anderen Anwesenden dies
taten.
Unter diesen Bedingungen gaben drei der Bewohner des Heims B. ihre Stimme ab, deren Stimmabgabe der
Verurteilung durch das Landgericht zugrunde liegt. Sie alle benötigten aufgrund ihrer körperlichen Verfassung keine
Wahlhilfe, was die Angeklagte wusste.
Hinsichtlich zehn weiterer Heimbewohner aus dem B., die ebenfalls auf diese Weise an der Briefwahl teilnahmen, hat
die Staatsanwaltschaft die Strafverfolgung gem. § 154a StPO beschränkt.
Dass die Angeklagte die Absicht hatte, sich auch Kenntnis davon zu verschaffen, für wen die Bewohner ihre Stimme
abgaben, konnte die Kammer nicht feststellen.
b) Am 28.08.2006 fand unter im Wesentlichen gleichen Umständen die Briefwahl im Heim K. statt. Insbesondere
unterließ es die Angeklagte auch dort, dafür zu sorgen, dass ein Sichtschutz für die Wähler aufgestellt wird. Und
auch dort verließ weder sie den Raum, während die Bewohner ihre Stimme abgaben, noch forderte die Angeklagte
hierzu die ebenfalls ununterbrochen anwesenden Eheleute Hoffmann und eine der Pflegedienstleiterinnen auf. Eine
unbeobachtete Wahl war so auch bei der Veranstaltung im Heim K. nicht möglich.
Dort gaben wiederum drei Bewohner unter diesen Bedingungen ihre Stimme ab, deren Stimmabgabe ebenfalls Inhalt
der Verurteilung ist.
Hinsichtlich dreizehn weiterer Teilnehmer der Briefwahl im K., hat die Staatsanwaltschaft die Strafverfolgung gem. §
154a StPO beschränkt.
c) Zu einem späteren Zeitpunkt an einem nicht mehr feststellbaren Tag, jedoch noch vor dem eigentlichen
Kommunalwahltermin – dem 06.09.2006 – ließ die Angeklagte eine Bewohnerin des Heims K., die noch nicht an der
Briefwahl teilgenommen hatte, in das Dienstzimmer der dortigen Pflegedienstleiterin kommen. Dort hielt sich zu
diesem Zeitpunkt nur die Angeklagte auf. Sie händigte der Bewohnerin die Briefwahlunterlagen aus, woraufhin die
Bewohnerin in Anwesenheit der Angeklagten ihre Stimme abgab, wozu sie ohne fremde Hilfe in der Lage war. Für
das Vorhandensein eines Sichtschutzes hatte die Angeklagte auch in diesem Fall nicht gesorgt.
d) Die Wahlumschläge mit den Stimmzetteln unter anderem der sieben Wähler wurden an die Gemeindeverwaltung
W. gesandt, wo sie rechtzeitig vor dem 06.09.2006 eingingen und bei der Auszählung der Stimmen berücksichtigt
wurden.
Der Ehemann der Angeklagten wurde sowohl in den Rat der Gemeinde W. als auch in den Ortsrat H. gewählt. Auch
der Sohn der Angeklagten, der lediglich für den Ortsrat kandidiert hatte, wurde gewählt. In allen drei Fällen überwog
die Anzahl der Briefwahlstimmen, die für diese Bewerber abgegeben worden waren, denen ihrer Urnenstimmen
deutlich.
3.
Den Strafrahmen hat die Kammer dem § 107a Abs. 1 StGB entnommen, der Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu 5
Jahren vorsieht.
Bei der Strafzumessung im engeren Sinne hat das Landgericht zu Gunsten der Angeklagten bedacht, dass sie
bislang unbestraft ist und derzeit von der Gemeinde W. im Rahmen einer Zivilklage auf Schadensersatz in Anspruch
genommen wird wegen der Kosten für eine Wiederholung der Kommunalwahl 2006. Hinzu komme, dass die
Angeklagte durch die elfmonatige Berufungshauptverhandlung sowie die regelmäßige Berichterstattung hierüber in
der Presse erheblichen Belastungen ausgesetzt war.
Vor dem Hintergrund der langen Verfahrensdauer hat die Kammer einen Zeitraum von neun Monaten in der
Berufungsinstanz als rechtsstaatswidrig verfahrensverzögert angesehen, in der die Sache vom Gericht nicht
hinreichend gefördert wurde, ohne dass die Angeklagte dies zu vertreten hatte. Als Kompensation hierfür hielt die
Kammer es für angemessen, 60 Tagessätze der verhängten Geldstrafe von 240 Tagessätzen als vollstreckt
anzusehen.
4.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Angeklagte mit ihrer Revision, mit der sie die Verletzung formellen und
materiellen Rechts rügt. Sie begehrt, das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache an
eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Revision gem. § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.
II.
Die Revision hat weder mit den ausgeführten Verfahrensrügen noch mit der Sachrüge Erfolg. Ergänzend zu den
zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft bemerkt der Senat lediglich
Folgendes:
1.
Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zur Sache tragen den Schuldspruch wegen Wahlfälschung gem. §
107a Abs. 1 StGB. Danach wird bestraft, wer unbefugt ein unrichtiges Ergebnis einer Wahl herbeiführt. Die Vorschrift
schützt das Interesse der Allgemeinheit an ordnungsgemäßen Wahlen (Fischer, StGB, 58. Aufl., 2011, § 107a, Rdnr.
1. LKBauer/Gmel, StGB, 12. Aufl., 2007, § 107a, Rdnr. 1, MüKoMüller, StGB, 2005, § 107a, Rdnr. 1).
a) Zu Recht stellt die Kammer darauf ab, dass der Tatbestand erfüllt ist, wenn unter der Form einer gesetzmäßig
vollzogenen Wahl die Wahlausübung tatsächlich in ungesetzlicher Weise stattgefunden hat und das dadurch
herbeigeführte Stimmverhältnis ein anderes geworden ist, als es beim ordnungsgemäßem Vollzug der Wahl gewesen
wäre (RGSt 20, 420. Fischer, a.a.O., Rdnr. 2. SKRudolphi, StGB, 8. Aufl., 2007, § 107a, Rdnr. 3. MüKoMüller,
a.a.O., Rdnr. 14). Jeder unerlaubte Eingriff, der das Stimmenverhältnis ändert, genügt (LKBauer/Gmel, a.a.O, Rdnr.
4. Schönke/SchröderEser, StGB, 28. Aufl., 2010, § 107a, Rdnr. 5. MüKoMüller, a.a.O., Rdnr. 14). Dabei kommt es
weder darauf an, ob durch den Eingriff das Gesamtergebnis der Wahl geändert wurde noch ob ein betroffener
Wahlberechtigter bei ordnungsgemäßer Durchführung der Wahl in gleicher Weise gestimmt hätte, denn das
Wahlergebnis ist bereits unrichtig im Sinne des § 107a Abs. 1 StGB, wenn im Rahmen der Auszählung auch nur
eine ungültige Stimme als gültig gewertet und mitgezählt wird (OLG Zweibrücken, NStZ 1986, 554. BGH, NJW 1981,
588). Dies folgt aus der Zielsetzung des § 107a StGB, wonach im Vordergrund der Schutz des Interesses der
Allgemeinheit an ordnungsgemäßen Wahlen steht (OLG Zweibrücken, a.a.O.).
Ungültig ist die Stimmabgabe bei einer Briefwahl im Bundesland Niedersachsen, wenn wesentliche
Verfahrensvorschriften für die Briefwahl nicht eingehalten worden sind (§ 30a Abs. 2 S. 2 NKWG). Das Verfahren für
Kommunalwahlen regelt in Niedersachsen die NKWO. § 53 NKWO sieht besondere Vorschriften für die Briefwahl
vor. Danach kennzeichnet, wer durch Briefwahl wählt, seinen Stimmzettel unbeobachtet (§ 53 Abs. 1 Nr. 1 NKWO).
In Alten und in Pflegeheimen hat die jeweilige Einrichtung Vorsorge zu treffen, dass der Stimmzettel unbeobachtet
gekennzeichnet werden kann (§ 53 Abs. 3 NKWO).
Dabei handelt es sich um eine wesentliche Verfahrensvorschriften im Sinne des § 30a Abs. 2 S. 2 NKWG. Dies folgt
aus der hohen Bedeutung des Grundsatzes der geheimen Wahl, der Verfassungsrang hat, und zwar sowohl auf
Bundesebene (Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG, Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG) als auch im Landesrecht (Art. 8 Abs. 1 VerfND).
Dementsprechend sieht auch § 4 Abs. 1 NKWG vor, dass die Wahl geheim ist. Der Grundsatz der geheimen Wahl
bedeutet, dass jeder Wähler seine Stimme abgeben kann, ohne Dritten die Möglichkeit der Beobachtung zu bieten
(Neumann, Die Niedersächsische Verfassung, 3. Aufl., 2000, Art. 8, Rdnr. 9). Das Prinzip der Geheimhaltung von
Wahlen bietet den wichtigsten institutionellen Schutz der Freiheit der Wahl (BVerfGE 123, 39. Leibholz/Rinck, GG,
56. EGL, 2011, Art. 38, Rdnr. 455. Trute in von Münch, GG, 5. Aufl., 2001, Art. 38, Rdnr. 65). Es soll den Wähler vor
jeglichem sozialen Druck schützen (Achterberg/Schulte in Mangoldt/Klein/Starck, GG, 6. Aufl., 2010, Art. 38, Rdnr.
151). Das Wahlverfahren und der Akt der Stimmabgabe sind daher so auszugestalten, dass die Wahlentscheidung
niemandem anders als dem Wähler aus eigener Anschauung kenntlich wird. Bei der Wahlhandlung selbst darf der
Wähler nicht nur geheim wählen, sondern es muss geheim gewählt werden. Auf die Wahrung des Wahlgeheimnisses
kann also bei der Stimmabgabe selbst nicht verzichtet werden, denn sie liegt nicht nur im Individualinteresse,
sondern auch im staatlichen Interesse einer unbeeinflussten und unbeeinflussbaren Wahlentscheidung. Wegen der
besonderen Bedeutung des Wahlgeheimnisses ist der Staat nicht nur verpflichtet, die Geheimheit der Wahl zu
ermöglichen, sondern darüber hinaus auch verpflichtet, sie zu gewährleisten (Trute in von Münch, a.a.O., Rdnr. 66,
69 und 70. Klein in Maunz/Düring, GG, 60. EGL, 2010, Rdnr. 110). Dazu gehört auch das Erfordernis einer
Mindestschutzvorrichtung bei der Stimmabgabe in Gestalt einer sichtschützenden Wahlzelle (Trute in von Münch,
a.a.O., Rdnr. 70).
Dem trägt die Vorschrift des § 53 Abs. 3 NKWO unter Berücksichtigung der besonderen Umstände in Alten und
Pflegeheimen Rechnung. Diese Regelung begründet eine gesetzliche Garantenstellung im Sinne des § 13 StGB für
die Leitung eines solchen Heimes, also im konkreten Fall die Angeklagte als verantwortliche Betreiberin und Leiterin
der beiden Altenheime.
Ihre Strafbarkeit liegt darin begründet, dass sie es unterlassen hat, Vorsorge für das Vorhandensein eines
Sichtschutzes in dem Wahlraum zu treffen oder alternativ – wenn ein solcher schon fehlte – Sorge dafür zu tragen,
dass die Anwesenden und auch sie selbst während der Stimmabgabe der Bewohner den Raum verlassen. Ob die
Wähler mit den vorgefundenen Umständen einverstanden waren und dies mit ihrer Stimmabgabe in Anwesenheit der
Angeklagten und der anderen ´Wahlbeobachter´ konkludent erklärt haben, kann dahinstehen. Denn der Wähler kann
auf das Prinzip der geheimen Abgabe seiner Stimme nicht verzichten.
Auf diesem Verstoß gegen § 53 Abs. 3 NKWO und der daraus folgende Ungültigkeit der entsprechenden
Stimmabgaben nach § 30a Abs. 2 S. 2 NKWG beruht das unrichtige Wahlergebnis.
b) Die Entscheidung des hiesigen 1. Strafsenats vom 08.09.1959 (Nds. RPfl. 1961, 134) in einem ähnlich gelagerten
Fall steht der Auffassung des Senats nicht entgegen. Dort ging es um eine – freigesprochene – Angeklagte, die als
ehrenamtliche Helferin in einem Altenheim tätig war und anlässlich der Bundestagswahl 1957 Heimbewohnern bei der
Briefwahl ´zur Hand ging´ und ihnen bei der Stimmabgabe zusah. Der maßgebliche Unterscheid zu der hier
verfahrensgegenständlichen Fallkonstellation liegt zum einen darin, dass die Angeklagte dort als Privatperson und
nicht – wie hier – als verantwortliche Heimleiterin gehandelt hat. Zudem enthielten die dort anzuwendenden
Bundeswahlvorschriften seinerzeit kein an Dritte, also an NichtWahlorgane, gerichtetes Gebot des Inhalts, dass dem
Briefwähler in Heimen Gelegenheit zu unbeobachteter Stimmabgabe zu gewähren ist. Im Ansatz allerdings hat der 1.
Strafsenat bereits damals darauf abgestellt, dass im Falle des Vorhandenseins einer solchen Vorschrift eine
Strafbarkeit wegen eines Wahldelikts nach § 107 ff. StGB aus Rechtsgründen in Betracht gekommen wäre.
c) Die Vorschrift des § 107a StGB und seine Anwendung im konkreten Fall begegnet keinen verfassungsrechtlichen
Bedenken.
Die Bestimmtheit des Straftatbestands des § 107a StGB wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass seine
Anwendung die Beurteilung von wahlrechtlichen Vorfragen erfordert, die nicht im Strafgesetzbuch, sondern in den
Vorschriften des niedersächsischen Kommunalwahlrechts geregelt sind. Zudem durfte der Bund im Rahmen seiner
Gesetzgebungskompetenz für das Strafrecht den Tatbestand der Wahlfälschung auch für Volkswahlen in den
Kommunen unter Strafe stellen und damit eine Ahndung von Verstößen gegen das Landesrecht vorschreiben
(BVerfG, NVwZ 1993, 55).
2.
Auf der Nichterörterung des § 13 Abs. 2 StPO im Rahmen der Strafzumessung beruht das angefochtene Urteil nicht.
Die Kompensation der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung von neun Monaten durch Anrechnung von 60 der
verhängten 120 Tagessätze ist überaus großzügig bemessen. Angesichts dessen sowie im Hinblick darauf, dass
das gefundene Strafmaß noch im unteren und jedenfalls nicht im mittleren oder gar im oberen Bereich des
Strafrahmens des § 107a Abs. 1 StGB (Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren) liegt, kann der Senat
ausschließen, dass bei Erörterung von § 13 Abs. 2 StPO insgesamt auf eine mildere Geldstrafe erkannt worden
wäre. Da der Senat zudem ausschließen kann, dass sich die Angeklagte anders als geschehen hiergegen hätte
verteidigen können, bedufte es auch keines Hinweises gem. § 265a StPO.
Danach war lediglich die Liste der angewendeten Strafvorschriften um die des § 13 StGB zu ergänzen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.
xxxxxxxxx xxxxxxxxx xxxxxxxx