Urteil des OLG Celle vom 02.06.2008

OLG Celle: widerklage, gericht erster instanz, bindungswirkung, hauptsache, abgabe, zustellung, rechtshängigkeit, verfahrensablauf, anhörung, darlehensvertrag

Gericht:
OLG Celle, 04. Zivilsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 4 AR 39/08
Datum:
02.06.2008
Sachgebiet:
Normen:
ZPO § 114, ZPO § 281, ZPO § 506
Leitsatz:
Beantragt die beklagte Partei in einem beim Amtsgericht anhängigen Verfahren Prozesskostenhilfe für
einen im Wege der Widerklage beabsichtigten Zahlungsantrag über 5.000,00 EUR, entfaltet ein
Verweisungsbeschluss für das angegangene Landgericht nur dann Bindungswirkung, wenn die
Verweisung zur Entscheidung über die Bewilligung der Prozesskostenhilfe erfolgt. hierfür ist das
Landgericht zuständig. Einer auf § 506 ZPO gestützten Verweisung kommt keine Bindungswirkung
zu.
Volltext:
4 AR 39/08
4 O 113/08 Landgericht Lüneburg
39 C 457/06 Amtsgericht Lüneburg
B e s c h l u s s
In dem Verfahren
über die Bestimmung des zuständigen Gerichts
E. AG, ...
Klägerin,
Verfahrensbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Dr. B., ...
gegen
1. A. W., ...
2. P. W., ...
Beklagte,
Verfahrensbevollmächtigte zu 1, 2:
Rechtsanwälte Frhr. v. d. B., ...
hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den
Richter am Oberlandesgericht ... und die Richterin am Landgericht ... am 2. Juni 2008 beschlossen:
Das Landgericht Lüneburg ist für die Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag der Beklagten zu 2 für die
beabsichtigte Widerklage zuständig.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.
Gründe:
I.
Die Klägerin nimmt die Beklagten aus einem Darlehensvertrag auf Zahlung von 1.362,41 EUR in Anspruch. Die
Beklagte zu 2 beabsichtigt mit der angekündigten Widerklage, die Klägerin zu Schadensersatz und Schmerzensgeld
von insgesamt über 5.000 EUR verurteilen zu lassen.
Die Klägerin hat nach vorangegangenem Mahnverfahren die Abgabe des Verfahrens an das Amtsgericht Lüneburg
beantragt. Diesem Antrag wurde entsprochen. Die Beklagte zu 2 hat im Verlauf des Verfahrens einen Antrag auf
Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Widerklage eingereicht und gleichzeitig einen Antrag auf
Verweisung an das Landgericht gestellt. Das Amtsgericht hat durch Beschluss vom 25. März 2008 nach Anhörung
der Klägerin den Rechtsstreit gemäß § 281 ZPO an das sachlich zuständige Landgericht Lüneburg verwiesen.
Dieses hat nach Klärung der Frage, ob eine bedingte oder unbedingte Widerklage erhoben werden sollte, mit
Verfügung vom 14. Mai 2008 das Verfahren an das Amtsgericht Lüneburg zurückgesandt. Zur Begründung hat das
Landgericht angegeben, dass die Voraussetzungen des § 506 ZPO nicht vorgelegen hätten, da die angekündigte
Widerklage nur unter der Bedingung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe erhoben werden sollte und hierüber das
Landgericht mangels eigener Zuständigkeit nicht entscheiden könne. Mit Beschluss vom 19. Mai 2008 hat sich das
Amtsgericht Lüneburg im PKHVerfahren betreffend die von der Beklagten zu 2 beabsichtigte Widerklage für sachlich
unzuständig erklärt und den Verweisungsbeschluss vom 25. März 2008 aufrecht erhalten. Die Abgabe erfolge
zunächst im Rahmen des PKHVerfahrens. für diesen Prozesskostenhilfeantrag sei das Amtsgericht sachlich
unzuständig, weil der Wert der beabsichtigten Widerklage zur Zuständigkeit des Landgerichts gehöre. Mit Beschluss
vom 21. Mai 2008 hat sich das Landgericht Lüneburg für sachlich unzuständig erklärt und gemeint, seine
Zuständigkeit ergebe sich auch nicht aus der nur bedingt erhobenen Widerklage. Allein durch Stellen eines Antrags
auf Gewährung von Prozesskostenhilfe würden die Voraussetzungen des § 506 ZPO nicht erfüllt, da es an der
Rechtshängigkeit der Widerklage fehle.
Das Amtsgericht Lüneburg hat das Verfahren dem Oberlandesgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts
vorgelegt.
II.
1. Der Senat ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO zur Entscheidung über die Zuständigkeit berufen. Amts und
Landgericht Lüneburg haben sich rechtskräftig für unzuständig erklärt, obwohl eines von ihnen für die Entscheidung
zuständig ist.
2. Das Oberlandesgericht hat das Landgericht Lüneburg als das für die Entscheidung über den
Prozesskostenhilfeantrag für die beabsichtigte Widerklage zuständige Gericht bestimmt.
a) Allerdings ist das Landgericht nicht aufgrund des Verweisungsbeschlusses vom 25. März 2008 zuständig. Dieser
Beschluss entfaltet keine Bindungswirkung, da ihm die rechtliche Grundlage fehlt (vgl. hierzu BGH NJWRR 1990,
708. BGH NJW 2004, 3201. MusielakFoerste, ZPO, 5. Aufl., § 281 Rn. 17. ZöllerGreger, ZPO, 26. Aufl., § 281 Rn.
17). Zutreffend weist das Landgericht darauf hin, dass eine Verweisung nach § 506 ZPO nicht in Betracht kommt. §
506 ZPO setzt die Erhebung der Widerklage voraus, wofür gem. § 253 Abs. 1 ZPO die Zustellung der Klageschrift
erforderlich ist. Dies ist bislang nicht erfolgt, da die Erhebung abhängig von der Bewilligung der Prozesskostenhilfe
sein soll. Insoweit ist das Landgericht Lüneburg - noch - nicht für die Entscheidung dieses Rechtsstreits zuständig.
b) Allerdings ist das Landgericht nunmehr zuständig aufgrund des Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts vom
19. Mai 2008 für die Prüfung im Prozesskostenhilfeverfahren, ob die beabsichtigte Widerklage gem. § 114 ZPO
hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Hiermit ist das Verfahren im Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren bindend
vom Amtsgericht an das Landgericht verwiesen worden. Eine Verweisung i. S. v. § 506 ZPO liegt nach Ansicht des
Senats nicht vor.
Generell findet § 281 ZPO - analog - im Prozesskostenhilfeverfahren Anwendung. hierbei genügt die formlose
Mitteilung der Antragsschrift an den Antragsgegner (BGH NJWRR 1992, 59. NJWRR 1994, 706). Eine solche
Verweisung entfaltet allerdings nur für das Prozesskostenhilfeverfahren Bindungswirkung, nicht jedoch für das
Hauptsacheverfahren (BGH NJWRR 2004, 1437). Die Bindungswirkung entfällt nur, wenn dem
Verweisungsbeschluss jegliche rechtliche Grundlage fehlt und er objektiv willkürlich zustande gekommen ist. Ein
solcher Fall liegt hier nicht vor. Vielmehr ist das Amtsgericht mit dem Beschluss vom 19. Mai 2008 zutreffend davon
ausgegangen, dass das Landgericht für die Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag hinsichtlich der
beabsichtigten Widerklage zuständig ist. Hierfür spricht folgendes:
Wird Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage auf Zahlung von über 5.000 EUR beantragt, so ist das
Amtsgericht hierfür nicht zuständig. der Antrag wäre zurückzuweisen, sofern kein Verweisungsantrag an das
zuständige Landgericht gestellt würde. Umgekehrt darf das Landgericht als Gericht erster Instanz nicht
Prozesskostenhilfe für eine auf Zahlung von 5.000 EUR oder weniger gerichtete Klage bewilligen, sondern müsste
entweder das Verfahren an das Amtsgericht verweisen oder aber den Antrag als unbegründet zurückweisen, weil die
Entscheidung über den Betrag, für den eine hinreichende Erfolgsaussicht besteht, in die Zuständigkeit des
Amtsgerichts fiele. Nicht anders ist die Situation im Rahmen eines Prozesskostenhilfeantrags für die Erhebung einer
Widerklage zu werten, solange das Verfahren wegen der Klage noch beim Amtsgericht rechtshängig ist. Der
Verfahrensablauf könnte dieser sein, dass das Landgericht nach Eingang über die Prozesskostenhilfe entscheidet
und das Verfahren dann - sofern Prozesskostenhilfe für die Widerklage vor dem Landgericht bewilligt wird - das
Verfahren an das Amtsgericht zurück gibt, dieses die Klage zustellt und dann gemäß § 506 ZPO an das Landgericht
verweist (so auch MusielakFischer, a. a. O., § 114 Rn. 25).
Nach Ansicht des Senats spricht für die Zuständigkeit des Landgerichts auch der Umstand, dass das Amtsgericht
sinnvollerweise nicht über einen Prozesskostenhilfeantrag entscheiden soll, bei dessen Gewährung das Landgericht
unmittelbar für die Hauptsache zuständig wird. Es erschient nicht praktikabel, dass das Landgericht auf eine
Verweisung gemäß § 506 ZPO für ein Verfahren und die Entscheidung hierüber zuständig ist, wenn die Erhebung der
Widerklage von der Bewilligung von Prozesskostenhilfe abhängig gemacht wurde, das nunmehr in der Hauptsache
zuständige Landgericht nicht zuvor selbst über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe entscheiden konnte und jetzt
die Rechtslage möglicherweise anders beurteilt. Wird zunächst der Prozesskostenhilfeantrag beim Landgericht
eingereicht, bewilligt das Landgericht nicht Prozesskostenhilfe für das Verfahren beim Amtsgericht, sondern verneint
die Begründetheit des Antrags auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für einen Rechtsstreit vor dem Landgericht,
sofern die Zuständigkeit des Landgerichts nicht - mehr - vom Umfang der Bewilligung umfasst werden würde, oder
verweist das Verfahren auf Antrag an das Amtsgericht. In beiden Fällen kann und muss das Amtsgericht daraufhin
in eigener Zuständigkeit über den Antrag auf Prozesskostenhilfebewilligung entscheiden, wobei es dann in der
Hauptsache ggf. selbst zuständig ist. Warum dieser Ablauf bei einer auf Zahlung von über 5.000 EUR beabsichtigten
Widerklage in einem beim Amtsgericht anhängigen Verfahren anders sein sollte, ist nicht ersichtlich.
Aus diesen Gründen ist eine bei der oben skizzierten Verfahrensweise möglicherweise eintretende
Verfahrensverzögerung - insbesondere für die Klägerin - nach Auffassung des Senats hinnehmbar.
3. Einer Vorlage an den Bundesgerichtshof im Hinblick auf die vom Landgericht Lüneburg zitierte Entscheidung des
Kammergerichts (Beschluss vom 19. Juli 2007, Az: 2 AR 23/07 - nach juris) bedarf es nicht. Der dem
Kammergerichtsbeschluss zugrunde liegende Sachverhalt ist anders gelagert. Dort hatte das Amtsgericht bereits
über einen Teil der bedingt erhobenen Widerklage entschieden und sodann den Rechtsstreit wegen der „erhobenen“
Widerklage an das Landgericht verwiesen. Der vom Kammergericht formulierte Satz, dass über einen bei einem
Amtsgericht eingereichten Prozesskostenhilfeantrag, der sich auf eine den Wert von 5.000 EUR übersteigende
Widerklage bezieht, zunächst das angerufene Gericht zu befinden hat, war jedenfalls für die dem Kammergericht
unterbreitete Entscheidung nicht maßgebend.
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