Urteil des LSG Sachsen-Anhalt vom 18.02.2009

LSG San: schutzwürdiges interesse, angemessenheit der kosten, trennung von verfahren, heizung, verfahrensmangel, wohnung, nachzahlung, fehlbetrag, toilette, beteiligter

Landessozialgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss vom 18.02.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht Dessau-Roßlau S 2 AS 347/08
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt L 5 AS 85/08 NZB
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 6.
Mai 2008 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beschwerdeführer und Kläger beantragen die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts
Dessau-Roßlau (SG) vom 6. Mai 2008 und die Durchführung des Berufungsverfahrens. In der Sache begehren sie von
der Beklagten im Wesentlichen die Übernahme höherer Kosten der Unterkunft und Heizung nach § 22 des Zweiten
Buches des Sozialgesetzbuches – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Der am geborene Kläger zu 1.
bewohnt mit seiner am geborenen Ehefrau, der Klägerin zu 2., eine 70,4 qm große Wohnung in Dessau-Roßlau. Beide
Kläger beziehen seit 1. Januar 2005 von der Beklagten Grundsicherungsleistungen. Mit Bescheid vom 22. Oktober
2007 bewilligte sie ihnen für den Zeitraum vom 1. November 2007 bis 30. April 2008 Leistungen i.H.v. 867,66
EUR/Monat. Als Kosten der Unterkunft und Heizung bewilligte sie ihnen 434,53 EUR /Monat. Den von den Klägern am
29. Oktober 2007 gegen diesen Bescheid eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom
31. Januar 2008 als unbegründet zurück. Die Stadt Dessau als zuständiger Träger der Leistungen habe die
Angemessenheit bei einem Zweipersonenhaushalt auf 60 qm Wohnungsgröße, 318 EUR Nettokaltmiete und 63 EUR
Heizkosten bestimmt, insgesamt 381 EUR. Die Gesamtmiete der Kläger übersteige die Angemessenheitsgrenze um
53,53 EUR. Im angefochtenen Bewilligungsbescheid sei auf die Unangemessenheit der Kosten der Unterkunft
hingewiesen und mitgeteilt worden, dass diese nur für sechs Monate anerkannt werden würden. Hinsichtlich der
Einkommensanrechnung wies sie darauf hin, dass sie vorläufig ein Nettoeinkommen i.H.v. 350,67 EUR zu Grunde
gelegt habe, wie es die Klägerin zu 2. von Januar bis Juni 2007 und im September 2007 erzielt habe. Am 11. Februar
2008 haben die Kläger zur Weiterverfolgung ihres Begehrens gegen diesen Widerspruchsbescheid Klage beim SG
erhoben. Das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt habe in einem Beschluss vom 12. April 2006 (L 2 B 87/05 AS ER)
festgestellt, dass die Größe ihrer Wohnung angemessen sei, weshalb die Beklagte einen monatlichen Betrag i.H.v.
weiteren 44,72 EUR für die Kosten der Unterkunft und Heizung an die Kläger zu leisten habe. Im Übrigen sei das
Einkommen der Klägerin zu 2. falsch berechnet worden. So habe sie im März 2007 nicht 143,87 EUR netto wie von
der Beklagten zu Grunde gelegt, sondern nur 132,71 EUR netto erhalten. Die Leistungshöhe müsse neu berechnet
werden. In der mündlichen Verhandlung vom 6. Mai 2008 hat die Beklagte, zusätzliche Kosten der Unterkunft für den
streitgegenständlichen Bewilligungsabschnitt i.H.v. 1,76 EUR/Monat anerkannt, da der vorgenommene Abzug für die
Kosten der Warmwasseraufbereitung zu hoch gewesen sei. Das SG hat mit Urteil vom 6. Mai 2008 die Klage im
Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, den Klägern fehle ein schutzwürdiges Interesse an einer
Sachentscheidung des Gerichts. Die Beklagte gewähre unter Berücksichtigung ihres Anerkenntnisses bereits mehr
als die beantragten 434,53 EUR/Monat für die Kosten der Unterkunft und Heizung. Auch hinsichtlich der Anrechnung
des Einkommens der Ehefrau bestehe kein schutzwürdiges Interesse, da die Klägerin zu 2. durchgängig 350,67 EUR
netto verdient habe. Diesen Betrag habe die Beklagte in ihren Verwaltungsentscheidungen in Ansatz gebracht. Soweit
z. B. auf Grund einer Kündigung abweichend von der Bewilligungsentscheidung kein Einkommen mehr zufließe,
könnten die Kläger höhere Leistungen - gegebenenfalls auch im Rahmen eines Eilverfahrens - erhalten. Das SG hat
die Berufung nicht zugelassen. Gegen die ihnen am 30. Mai 2008 zugestellte Entscheidung haben die Kläger am 11.
Juni 2008 Nichtzulassungsbeschwerde erhoben. Sie begehren einen Betrag, der über 750 EUR liege. So sei bei einem
Zweipersonenhaushalt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nur ein Abzug von 5,60 EUR/Monat für die
Kosten der Wassererwärmung möglich. Die Differenz pro Monat liege bei 7,36 EUR nicht bei 1,76 EUR. Es fehlten
mithin bezogen auf den streitgegenständlichen Bewilligungsabschnitt 33,60 EUR. Das gleiche gelte für den neuen
Zeitraum (gemeint wird der Bewilligungsabschnitt von Mai bis November 2008 sein). Weiterhin hätten sie nach der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts einen Anspruch gegen die Beklagte auf Übernahme der von ihnen zu
zahlenden monatlichen Stromkosten, die einen Betrag in Höhe von 18,68 EUR (90% von 20,74 EUR) überstiegen,
denn nur der Betrag in Höhe von 20,74 EUR sei nach dieser Rechtsprechung mit im Regelsatz enthalten. So ergebe
sich von November 2007 bis April 2008 ein Fehlbetrag von insgesamt 184,92 EUR, für die Monate Mai bis Oktober
2008 ein weiterer Fehlbetrag in Höhe von 199,92 EUR. Zudem hätten sich die Kabelgebühren seit Januar 2008 um
einen monatlichen Betrag von 3,60 EUR erhöht. Bei den Kosten der Unterkunft sei ihnen aufgefallen, dass sie bis
jetzt nur die Kosten der Kaltmiete für 60 qm bekämen. Da die Wohnung aber 70,04 qm groß sei, fehle eine Summe
von 44,72 EUR zur Kaltmiete pro Monat. Im Übrigen habe die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung. Das Urteil
weiche von dem Beschluss des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt L 2 B 87/05 AS ER ab. Auch liege ein
Verfahrensmangel vor. Es sei unzulässig gewesen, "das Eilverfahren S 2 AS 801/08 ER vom Hauptverfahren weiter
getrennt zu halten, nachdem der Eilantrag nicht genehmigt worden sei". Es sei zudem "unzulässig gewesen, über den
Eilantrag im Zusammenhang mit dem Hauptverfahren zu entscheiden. Das SG hätte das vorliegende Verfahren mit
dem Verfahren S 2 AS 1101/08 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbinden können". Dann wäre der
Berufungsstreitwert in jedem Fall erreicht worden. Die Kläger beantragen nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 6. Mai 2008 zuzulassen und das
Berufungsverfahren durchzuführen. Die Beklagte hat Gelegenheit zur Stellungnahme zur Beschwerde erhalten, davon
jedoch keinen Gebrauch gemacht. Wegen des weiteren Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen
wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte verwiesen. Diese waren Gegenstand der
Entscheidungsfindung des Senats.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht gemäß § 145 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes
(SGG) eingelegt worden. Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Berufung gegen das Urteil vom
6. Mai 2008 zu Recht nicht zugelassen. Gemäß § 144 Abs. 1 SGG in der ab 1. April 2008 gültigen Fassung bedarf die
Berufung der Zulassung in einem Urteil des Sozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 1. bei einer
Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 EUR oder 2. bei
einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000,00 EUR
nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr
betrifft. Da der Gesetzgeber eine ausdrückliche Übergangsregelung nicht getroffen hat, ist hinsichtlich der Frage,
welche prozessrechtlichen Vorschriften in einer bestimmten Verfahrenslage anzuwenden sind, auf den Grundsatz des
"intertemporalen Prozessrechts" abzustellen. Er besagt, dass eine Änderung des Verfahrensrechts grundsätzlich
auch anhängige Rechtsstreitigkeiten erfasst (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Juli 1992, 2 BvR 1631/90, 2 BvR
1728/90, BVerfGE 87, 48 mit zahlreichen Nachweisen). Dem Gesetzgeber ist es nicht verwehrt, den Zugang zu einem
an sich eröffneten Rechtsmittel von neuen, einschränkenden Voraussetzungen abhängig zu machen, hier der
Erhöhung des Berufungsstreitwertes. Zum Zeitpunkt der Zustellung des Urteils des SG am 30. Mai 2008 war die
Neuregelung des § 144 Abs. 1 SGG bereits in Kraft. Der Wert der Beschwer liegt vorliegend unter 750,00 EUR.
Streitgegenstand sind der Bewilligungsabschnitt vom 1. November 2007 bis 30. April 2008 und eine begehrte
Nachzahlung für den Monat März 2007. Bezogen auf den Streitgegenstand liegt der Wert der Beschwer unter 750,00
EUR, auch wenn den Berechnungen der Kläger gefolgt wird. Nach ihren Berechnungen ergebe sich ein
Beschwerdewert in Höhe von 518,60 EUR (Nachzahlung Kaltmiete: 44,72 EUR x sechs Monate, Nachzahlung
Warmwasserkosten: 5,60 EUR x sechs Monate, Fehlbetrag Strom: 184,92 EUR für 6 Monate, Erhöhung
Kabelgebühren: 3,60 EUR x sechs Monate, Falschberechnung Einkommen im März 2007: 11,16 EUR). Eine etwaige
Einbeziehung des Bewilligungsabschnitts für die Monate Mai bis Oktober 2008 berührt im Berufungsverfahren nicht
den Wert des Beschwerdegegenstandes. Der streitgegenständliche Leistungszeitraum bildet einen eigenen, vom
Bewilligungsabschnitt für Mai bis Oktober 2008 selbstständigen Bewilligungsabschnitt (vgl. BSG, Urteil vom 23.
November 2006, B 11b AS 9/06 R, SozR 4-4300 § 428 Nr. 3). Nur auf diesen bezog sich nach eigenen Angaben der
Kläger die Klage, da sie sich gegen den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 31. Januar 2008
(Bewilligungszeitraum 1. November 2007 bis 30. April 2008) wehren wollten. Zudem war streitig eine
Einkommensanrechnung für den Monat März 2007. Der Wert der Beschwer muss bei Einlegung des Rechtsmittels
vorliegen und kann nicht erst durch eine Klageerweiterung im Berufungsverfahren begründet werden (vgl. Meyer-
Ladewig in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, vor § 143 Rn. 10). Die Berufung war auch nicht nach §
144 Abs. 2 SGG zuzulassen. Danach ist die Berufung zuzulassen, wenn 1. die Rechtssache grundsätzliche
Bedeutung hat, 2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des
Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf
dieser Abweichung beruht oder 3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend
gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Der Zulassungsgrund des § 144 Abs. 2 Nr. 1
SGG liegt nicht vor, da die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat. Maßgebender Zeitpunkt für die Prüfung der
Zulassungsgründe ist der Zeitpunkt der Entscheidung über die Beschwerde (vgl. Meyer-Ladewig in Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 144 Rn. 19, § 160a, Rn. 19b). Die Streitsache wirft keine ungeklärte
Rechtsfrage auf, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die
Weiterentwicklung des Rechts zu fördern. Wie die Kläger selbst angegeben haben, hat das BSG die hier streitigen
Rechtsfragen bereits höchstrichterlich entschieden. Ob und wie diese Entscheidungen auch bei den Leistungsträgern
umgesetzt werden, hat keine grundsätzliche Bedeutung, sondern betrifft einen Einzelfall. In diesem Zusammenhang
ist anzumerken, dass das Bundessozialgericht zwar im Urteil vom 27. Februar 2008 (B 14/11b AS 15/07 R)
ausgeführt hat, dass in der Regelleistung 20,74 EUR für die Haushaltsenergie enthalten seien. Dies führt aber nicht
dazu, dass darüber hinausgehende Beträge als Kosten der Unterkunft vom Leistungsträger zu erstatten sind. Es
besteht auch keine Divergenz im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG. Diese liegt nur dann vor, wenn das
anzufechtende Urteil von einer Entscheidung des Berufungsgerichts oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht
(Meyer-Ladewig, aaO, § 144, Rn. 30, 30a). Dieses ist vorliegend nicht gegeben. Der von den Klägern zitierte
Beschluss 2. Senats des LSG betrifft ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Es kann dahinstehen, ob eine
Divergenzlage zwischen einem Urteil und einem Beschluss in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren überhaupt
möglich ist. Der 2. Senat des LSG hat die im zitierten Beschluss zu Grunde gelegte Wohnflächenberechnung
(Flächenberechnung ohne Küche, Bad, Toilette und Nebenräume) in weiteren Beschlüssen nicht aufrecht erhalten. Er
hat vielmehr zur Prüfung der Frage der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung die im Mietvertrag zu
Grunde gelegte Wohnfläche herangezogen. Diese beinhaltet i. d. R. die Gesamtfläche der Wohnung einschließlich der
Küche, des Bades und sonstiger Nebenräume (vgl. nur Beschluss vom 20. Mai 2008, L 2 B 422/07 AS ER). Auch ein
Zulassungsgrund im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG liegt nicht vor. Dieser ist nur dann gegeben, wenn ein
Verfahrensmangel geltend gemacht wird, dieser vorliegt und die Entscheidung auf ihm beruht (Meyer-Ladewig aaO, §
144, Rn. 31). Unter einem Verfahrensmangel ist ein Verstoß gegen eine Vorschrift, die das sozialgerichtliche
Verfahren regelt, zu verstehen. Ein Verstoß des SG gegen § 113 SGG liegt nicht vor. Danach kann das Gericht durch
Beschluss mehrere bei ihm anhängige Rechtsstreitigkeiten derselben Beteiligten zur gemeinsamen Verhandlung und
Entscheidung verbinden, wenn die Ansprüche, die den Gegenstand dieser Rechtsstreitigkeiten bilden, in
Zusammenhang stehen oder von vornherein in einer Klage hätten geltend gemacht werden können. Es liegt im
Ermessen des Gerichts, hier des SG, Verfahren zu verbinden. Wegen der Vielfalt der berücksichtigungswerten
Umstände hat der Gesetzgeber davon abgesehen, das Gericht zwingend zu verpflichten, bei Vorliegen der
Voraussetzungen des § 113 SGG Rechtsstreite miteinander zu verbinden. Kein bei der Verbindung zu
berücksichtigender wesentlicher Umstand kann es sein, die Statthaftigkeit einer späteren Berufung durch Verbindung
zweier Verfahren herbeizuführen. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, die Prozessverbindung als Instrument zur
Veränderung des Rechtsmittelsystems zu benutzen (vgl. BSG, Beschluss vom 2. August 1973, 6 RKa 15/73, SozR §
113 SGG Nr. 5). Die Verbindung oder Trennung von Verfahren gemäß § 113 SGG kann allenfalls dann einen
Verfahrensmangel darstellen, wenn sie willkürlich, ohne sachlich vernünftigen Grund beschlossen wurde, oder wenn
ein Beteiligter hierdurch in der Wahrung seiner Rechte beeinträchtigt worden ist (vgl. BSG, Beschluss vom 29. Juli
2005, B 7a AL 162/05 B, juris). Dafür gibt es hier aber keine Anhaltspunkte. Die Beschwerde war daher
zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. Gegen diese
Entscheidung ist das Rechtsmittel der Beschwerde nicht zulässig (§ 177 SGG).