Urteil des LSG Sachsen-Anhalt vom 25.11.2008

LSG San: aufschiebende wirkung, hauptsache, mahnung, beschränkung, entlastung, verfahrensmangel, rechtsschutz, niedersachsen, gerichtsakte, zwangsvollstreckung

Landessozialgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss vom 25.11.2008 (rechtskräftig)
Sozialgericht Dessau-Roßlau S 6 AS 2410/08 ER
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt L 5 B 341/08 AS ER
Die Beschwerde wird als unzulässig verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I. Der Antragsteller und Beschwerdeführer begehrt die Feststellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs
gegen einen Bescheid der Antragsgegnerin.
Der Antragsteller bezog im Jahr 2008 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch
Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Nachdem der Antragsgegnerin ein Einkommen aus
Krankentagegeld bekannt geworden war, hob sie mit Bescheid vom 28. Mai 2008 ihren maßgeblichen
Bewilligungsbescheid vom 14. Februar 2008 teilweise auf und forderte den Antragsteller zur Erstattung der im
Zeitraum vom 1. April bis 31. Mai 2008 gezahlten Leistungen in Höhe von 463,58 EUR auf. Der Bescheid, der über
den Rechtsbehelf des Widerspruchs belehrte, enthielt folgenden Hinweis: "Zahlungen sind an die Kasse der
Regionaldirektion Berlin-Brandenburg zu leisten. Die Kasse teilt Ihnen die Zahlungsweise, die Fälligkeit, das
Kassenzeichen und die Bankverbindung noch gesondert mit. Bitte beachten Sie, dass sich die Zwangsbeitreibung der
gesamten Forderung nicht vermeiden lässt, wenn Zahlungsverpflichtungen trotz Mahnung nicht eingehalten werden.
Mit der Einleitung von Vollstreckungsmaßnahme gelten eingeräumte Zahlungserleichterungen als widerrufen."
Dagegen legte der Antragsteller mit Schreiben vom 26. Juni 2008 Widerspruch ein.
Mit Schreiben vom 27. Juli 2008 forderte die Regionaldirektion Berlin-Brandenburg den Antragssteller zur Zahlung der
Forderung einschließlich Mahngebühren von 466,18 EUR auf und bezeichnete die Forderung als sofort fällig. Auf der
Rückseite enthielt das Schreiben folgenden Hinweis: "Es wurde Widerspruch eingelegt, der aufschiebende Wirkung
entfaltet. "
Mit Schriftsatz vom 8. August 2008, der am selben Tag bei dem Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG) eingegangen ist,
hat der Antragsteller durch seinen Prozessbevollmächtigten "wegen Eilbedürftigkeit" die Feststellung der
aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs vom 26. Juni 2008 gegen den Bescheid vom 28. Mai 2008 beantragt.
Aufgrund der Mahnung sei mit der Zwangsvollstreckung zu rechnen.
Am 10. August 2008 hat die Antragsgegnerin mitgeteilt, aufgrund des Widerspruchs sei die Forderung "mit
aufschiebender Wirkung gekennzeichnet".
Daraufhin hat der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers mit Schreiben vom 11. August 2008 mitgeteilt, die
internen Vorgänge bei der Antragstellerin seien nicht geeignet seien, den Antragsteller vor der Vollstreckung zu
schützen. Ein Anerkenntnis habe die Antragsgegnerin nicht abgegeben, so dass eine Prozesserklärung nicht
abgegeben werden könne.
Mit Beschluss vom 19. August 2008 hat das SG den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt
und zur Begründung ausgeführt, es bestehe kein Rechtsschutzbedürfnis mehr, denn die Antragsgegnerin beachte die
aufschiebende Wirkung. Die Gefahr eines faktischen Vollzugs bestehe nicht (mehr). Der Beschluss sei gemäß § 172
Abs. 3 Nr.1 i.V.m. § 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) unanfechtbar.
Gegen den Beschluss hat der Antragsteller am 28. August 2008 Beschwerde eingelegt. Zur Begründung hat er
vorgetragen, der Beschluss sei nicht unanfechtbar, denn in der Hauptsache wäre die Berufung zuzulassen, weil das
SG in seiner Entscheidung von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts abgewichen sei, nach der bei
Nichtannahme eines Anerkenntnisses die anerkennende Partei verurteilt werden könne. Hier liege noch nicht einmal
ein Anerkenntnis der Antragsgegnerin vor. Die Rechtssache habe zudem grundsätzliche Bedeutung.
Auf den Hinweis des Senats vom 13. Oktober 2008 zur Unzulässigkeit der Beschwerde wegen Nichterreichen des
Beschwerdewertes von 750 EUR hat der Antragsteller nicht reagiert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die vorliegenden
Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin ergänzend Bezug genommen. Die genannten Unterlagen waren
Gegenstand der Beratung.
II.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des SG vom 19. August 2008 ist unzulässig und daher zu verwerfen.
Nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG in der hier maßgeblichen, seit 1. April 2008 gültigen Fassung ist die Beschwerde in
Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausgeschlossen, wenn in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig
wäre. Die ohne Übergangsregelung in Kraft getretene Ausschlussregelung ist auf das vorliegende Verfahren, welches
erst am 8. August 2008 rechtshängig geworden ist, anzuwenden.
Die nach ihrem Wortlaut nicht völlig eindeutige Regelung des § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ist nach ihrem Wortlaut und
ihrer Systematik dahingehend zu verstehen, dass die Beschwerde dann ausgeschlossen – unzulässig – ist, wenn die
Berufung in der Hauptsache nicht kraft Gesetzes ohne Weiteres zulässig wäre, sondern erst noch der Zulassung
bedürfte (so auch: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 29. September 2008, Az.: L8 SO 80/08 ER; LSG
Hamburg, Beschluss vom 1. September 2008, Az.: L 5 AS 79/08 NZB, Hessisches LSG, Beschluss vom 1. Juli
2008, Az.: L 7 SO 59/08 AS ER; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 2. Juli 2008, Az.: L 7 B 192/08 AS ER;
alle zit. n. juris; ebenso: 4. Senat des LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 10. Oktober 2008, Az.: L 4 B 17/08 KR
ER).
Nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers ist die zum 1. April 2008 in Kraft getretene Beschränkung der
Beschwerdemöglichkeit im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zur Entlastung der Landessozialgerichte erfolgt.
Dieser Zweck sollte durch Anheben des Schwellenwertes auf 750 EUR und durch die Einschränkung der Beschwerde
in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erreicht werden. Es entspräche daher dem Entlastungswillen des
Gesetzgebers nicht, wenn man ein fiktive Prüfung möglicher Zulassungsgründe und eine hierauf gestützte Zulassung
der Beschwerde durch die Sozialgerichte oder eine Nichtzulassungsbeschwerde, über deren Zulässigkeit dann die
Landessozialgerichte zu befinden hätten, unter Geltung des neuen Rechts anerkennen würde. Der erstrebte
Entlastungseffekt wird nur dann erreicht, wenn sich die Zulässigkeit der Beschwerde im einstweiligen
Rechtsschutzverfahren ohne Weiteres aus dem Beschwerdewert oder der Art und Dauer der im Streit stehenden
Leistungen ergibt (§ 144 Abs. 1 SGG). Hinzu kommt, dass die in § 144 Abs. 2 SGG aufgeführten Zulassungsgründe
erkennbar auf das Hauptsacheverfahren zugeschnitten und auf das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht
übertragbar sind. Eine fiktive Prüfung ist schon deshalb nicht sinnvoll, weil nicht klar ist, ob es ein
Hauptsacheverfahren geben wird und wie dieses gegebenenfalls entschieden würde. Die Zulassungsgründe Divergenz
(§ 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG) und Verfahrensmangel (§ 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG) sind bereits tatsächlich nicht möglich.
Auch eine fiktive Prüfung der grundsätzlichen Bedeutung der Hauptsache (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG) ist wegen der
unterschiedlichen Funktion von Hauptsache- und Eilverfahren nicht sachgerecht, denn die Entscheidungen sind weder
in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht deckungsgleich. Da es im einstweiligen Rechtsschutz maßgeblich darum
geht, "vorläufige" Regelungen zu treffen, werden Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung gerade nicht
abschließend beantwortet.
Schließlich wird in der Regelung des § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG auch nicht auf die Zulassungsbedürftigkeit der Berufung
oder die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde (§§ 144, 145 SGG) verwiesen, was auch regelungssystematisch
gegen deren Anwend-barkeit spricht.
Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG ist die Berufung zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 750 EUR
übersteigt. Hier geht es um eine Erstattungsforderung von 463,58 EUR. Es geht hier nicht um wiederkehrende oder
laufende Leistungen (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Der Wert des Beschwerdegegenstands liegt unter 750 EUR. Die
Beschwerde ist daher unzulässig.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).