Urteil des LSG Sachsen-Anhalt vom 24.09.2009

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Landessozialgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss vom 24.09.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Halle (Saale) S 16 KR 123/08 ER
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt L 10 KR 33/09 B ER
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 9. Juni 2009 wird als
unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin (ASt) wendet sich mit der am 7. Juli 2009 beim Landessozialgericht eingegangenen Beschwerde
gegen den Beschluss des Sozialgerichts vom 9. Juni 2009, soweit dieser es ablehnt, die Antragsgegnerin (AG), eine
Krankenkasse, im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, einen Bescheid über im Jahre 2008
vorgenommene Zuzahlungen und Erstattungen nach den §§ 61, 62 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche
Krankenversicherung (SGB V) für das Jahr 2008 bzw. einen Teil dieses Jahres zu erlassen, der nach
buchhalterischen Grundsätzen eine lückenlose Zuordnung von Einnahmen und Ausgaben ermöglicht. Zuvor hatte die
AG die Belastungsgrenze für das Jahr 2008 auf 158,21 EUR festgesetzt und geleistete Zuzahlungsbeträge iHv.
insgesamt 205,93 EUR erstattet.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der AG sowie die
Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist als nicht statthaft zu verwerfen.
Nach § 172 Abs 3 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in seiner ab 1. April 2008 geltenden Fassung ist die Beschwerde
in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausgeschlossen, wenn in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig
wäre. Das ist hier der Fall.
1. Nach § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG in der ab 1. April 2008 geltenden Fassung ist die Berufung zulässig, wenn der
Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf
gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro übersteigt. Der Beschwerdewert gilt gemäß § 144 Abs 1 Satz 2 SGG
nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft. Keine dieser
Voraussetzungen ist hier erfüllt.
Zum einen handelt es sich bei der begehrten Erteilung eines Bescheides über vorgenommene Zuzahlungen und
Erstattungen, der nach buchhalterischen Grundsätzen eine lückenlose Zuordnung von Einnahmen und Ausgaben
ermöglicht, um eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung iSv. § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG. Die Klage auf Befreiung von
der Zuzahlungspflicht nach § 61 Abs 1 SGB V betrifft einen auf eine Geldleistung gerichteten Verwaltungsakt iS des §
144 Abs 1 S 1 Nr 1 SGG (BSG vom 19.11.1996 – 1 RK 18/95, SozR 3-1500 § 158 Nr 1). Der hier begehrte, nach
buchhalterischen Grundsätzen erstellte Bescheid über vorgenommene und erstattete Zuzahlungen ist lediglich eine
denkbare Nebenleistung zu einem solchen auf Geldleistung gerichteten Verwaltungsakt. Für ihn gilt daher ebenfalls
der für ein Rechtsmittel maßgebliche Wert des Beschwerdegegenstandes iHv. 750,00 EUR. Da insgesamt nur
vorgenommene und erstattete Zahlungen iHv. 364,14 EUR in Rede stehen (158,23 EUR + 205,93 EUR), ist der Wert
des Beschwerdegegenstandes von 750,00 EUR nicht erreicht. Dabei ist noch nicht berücksichtigt, dass der
wirtschaftliche Wert des begehrten Bescheides gemäß § 202 SGG iVm. §§ 3-9 Zivilprozessordnung (ZPO) nur mit
einem Bruchteil des vorgenannten Betrages bemessen werden kann, da er einer transparenten Abrechnung dient und
somit bloße Unterstützungsfunktion für ein etwaiges Zahlungsbegehren oder sonstige damit verfolgte wirtschaftliche
Interessen hat.
Zum anderen ist die begehrte Bescheiderteilung nicht auf eine laufende Leistung iSv. § 144 Abs 1 Satz 2 SGG
gerichtet. Es geht der ASt um eine nachvollziehbare Abrechnung über einen vergangenen Zeitraum. Zudem ist dieser
Zeitraum nicht länger als ein Jahr.
2. Die Beschwerde ist gemäß § 172 Abs 3 Nr 1 SGG auch nicht deshalb zulässig, weil möglicherweise in der
Hauptsache gemäß § 144 Abs 2 SGG die Berufung zuzulassen wäre. Nach dieser Vorschrift ist unter bestimmten
Voraussetzungen eine sonst nicht zulässige Berufung durch das Sozialgericht oder – auf so genannte
Nichtzulassungsbeschwerde (§ 145 SGG) – durch das Landessozialgericht zuzulassen. Eine fiktive Prüfung, ob eine
Zulassung nach § 144 Abs 2 SGG im Hauptsacheverfahren zu erfolgen hätte, kommt nach Auffassung des Senats im
Rahmen von § 172 Abs 3 Nr 1 SGG jedenfalls in Fällen der vorliegenden Art nicht in Betracht, in denen über
Zulassungsgründe iSv. § 144 Abs 2 SGG nur spekuliert werden könnte. Damit folgt er aus den nachfolgend
zusammengefassten Gründen insoweit der ganz herrschenden Meinung (vgl. etwa LSG Hamburg vom 16. Januar
2009 – L 5 B 1136/08 ER, Bayerisches LSG vom 16. März 2009 – L 11 AS 101/09 B ER, LSG Nordrhein-Westfalen
vom 10. April 2008 – L 9 B 74/08 AS ER, Hessisches LSG vom 11. August 2008 – L 7 AS 213/08 B ER; LSG
Niedersachsen-Bremen vom 8. September 2008 – L 13 AS 178/08 ER, jeweils mwN – zitiert nach Juris; aA – soweit
ersichtlich – nur LSG Niedersachsen-Bremen vom 21. Oktober 2008 – L 6 AS 458/08 ER, NdsRpfl 2009, 32-35).
Bereits der Wortlaut des § 172 Abs 3 Nr 1 SGG deutet darauf hin, dass eine Beschwerde nur dann zulässig sein soll,
wenn in der Hauptsache die Berufung nicht erst "zuzulassen", sondern ohne weiteres "zulässig" wäre.
Sinn und Zweck der seit dem 1. April geltenden Regelung sprechen ebenfalls für diese Auslegung. Nach dem
ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers dient die Beschränkung der Beschwerdemöglichkeit im einstweiligen
Rechtsschutzverfahren ebenso wie die Anhebung des Schwellenwertes der Berufung für natürliche Personen auf 750
EUR der Entlastung der Landessozialgerichte (BT-Drs. 16/7716 S. 22 zu Art 1 Nr 29 Buchstabe b). Diesem Ziel wird
es deutlich besser gerecht, wenn sich die Zulässigkeit einer Beschwerde ohne weiteres aus dem Beschwerdewert
oder der Art und Dauer der im Streit stehenden Leistungen, d. h. aus § 144 Abs 1 SGG ergibt.
Zudem sind die in § 144 Abs 2 SGG aufgeführten Zulassungsgründe erkennbar auf das Hauptsacheverfahren
zugeschnitten und passen daher aus systematischen Gründen nicht zum Verfahren des einstweiligen
Rechtsschutzes. Die fiktive Prüfung, ob im Hauptsacheverfahren ein Zulassungsgrund gegeben wäre, ist schon
deshalb nicht sinnvoll, weil im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes oft nicht klar und mitunter auch sachlich
unerheblich ist, welche tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Erwägungen der Hauptsacheentscheidung
möglicherweise zugrunde liegen werden. Die in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes anzustellenden
Erwägungen entsprechen oft weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht denen des Verfahrens der Hauptsache
(etwa bei nur überschlägiger Prüfung der Sach- und Rechtslage oder bei bloßer Folgenabwägung). Die Prüfung des
Zulassungsgrundes des Verfahrensmangels (§ 144 Abs 2 Nr 3 SGG) ist dann bereits tatsächlich nicht möglich und
wäre rein spekulativ.
Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus der Gesetzeshistorie und insbesondere nicht aus einem Vergleich
mit den Regelungen der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die dort in den Jahren 1996 bis 2002 erfolgten
mehrfachen Änderungen der Zulässigkeit von Beschwerden im einstweiligen Rechtsschutzverfahren standen jeweils
im Zusammenhang mit Änderungen des allgemeinen Rechtmittelrechts dieser Gerichtsordnung. Sie haben keine
Aussagekraft für die Auslegung des § 172 Abs 3 Nr 1 SGG (vgl. näher LSG Hamburg vom 16.01.2009 – L 5 B
1136/08 ER AS, Juris). In der seit 2002 und damit auch am 1. April 2008 gültigen Fassung der VwGO ist auch dort
eine Beschwerde im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz jedenfalls nicht mehr von der Zulassung der Berufung
in der Hauptsache abhängig.
3. Auf die Unanfechtbarkeit der Entscheidung haben sowohl das SG (im Beschluss vom 07.01.2009) als auch der
Senat (im Schreiben vom 15. Juli 2009) hingewiesen.
4. Im Übrigen hätte die Beschwerde auch im Falle ihrer Zulässigkeit keine Aussicht auf Erfolg gehabt, da jedenfalls
für eine Eilbedürftigkeit, also einen Anordnungsgrund, nichts ersichtlich ist. Die Frage, ob der begehrte transparente
Bescheid zu erteilen ist, kann ohne weiteres im Hauptsacheverfahren entschieden werden.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).