Urteil des LSG Sachsen-Anhalt vom 17.03.2009

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Landessozialgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss vom 17.03.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht Stendal S 1 AS 458/07
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt L 5 B 262/08 AS
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt L 5 B 262/08 AS S 1 AS 458/07 (Sozialgericht Stendal) Aktenzeichen Beschluss
in dem Beschwerdeverfahren – Klägerin und Beschwerdeführerin – Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt gegen
Arbeitsgemeinschaft SGB II Landkreis Stendal, vertreten durch die Geschäftsführer, Stadtseeallee 71, 39576 Stendal
– Beklagte – Der 5. Senat des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt in Halle hat am 17. März 2009 durch den
Vorsitzenden Richter am Landessozialgericht Schäfer, die Richterin am Landessozialgericht Bücker und die Richterin
am Landessozialgericht Exner beschlos-sen: Der Beschluss des Sozialgerichts Stendal vom 6. Mai 2008 wird aufge-
hoben. Der Klägerin wird für die Durchführung des erstinstanzlichen Verfahrens Prozesskostenhilfe ohne
Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsan-walt , bewilligt.
Gründe:
I.
Die Klägerin begehrt in einem sozialgerichtlichen Klageverfahren, in dem sie sich in der Sache gegen einen
Aufhebungs- und Erstattungsbescheid der Beklagten wendet, die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter
Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten. Die Beklagte hatte mit Bescheid vom 20. September 2006 der Klägerin
Grundsiche-rungsleistungen für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) in Höhe
von 568,36 EUR/Monat für den Zeitraum vom 1. November 2006 bis 30. April 2007 bewilligt. Nachdem die Klägerin die
Einkommensbescheinigung ihres Lebenspartners bei der Beklagten eingereicht hatte, hob diese mit Bescheid vom 18.
Januar 2007 die Bewilligung der Leistungen für November und Dezember 2006 ganz auf und forderte Leistungen in
Höhe von 797,28 EUR zurück. Den hiergegen seitens der Klägerin eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit
Widerspruchsbescheid vom 6. August 2007 als unbegründet zurück. Am 6. September 2007 hat die Klägerin Klage
beim Sozialgericht Stendal (SG) erho-ben. Der angefochtene Bescheid genüge nicht dem in § 33 Abs. 1 des Zehnten
Buches des Sozialgesetzbuches - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) normierten
Bestimmtheitsgrundsatz, denn die Beklagte habe nicht dargelegt, wie sich der Rückforderungsbetrag konkret
zusammensetze. Das zu berücksichtigende Einkommen des Lebenspartners sei zudem fehlerhaft errechnet worden.
Sie hat gleichzeitig beantragt, ihr unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten Prozess-kostenhilfe zur
Durchführung des erstinstanzlichen Klageverfahrens zu bewilligen und hat unter dem 1. Oktober 2007 die
erforderlichen Unterlagen eingereicht. Das SG hat diesen Antrag mit Beschluss vom 6. Mai 2008 im Wesentlichen mit
der Begründung abgelehnt, die Klage sei wahrscheinlich nur zu 42,06% erfolgreich. Bisher seien überschlägig
Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 357,00 EUR angefallen. Hiervon sei ein Betrag in Höhe von 150,15 EUR
(42,06%) über die Prozesskostenhilfe abdeckbar. Nach den von der Klägerin gemachten Erklärungen zu ihren
Einkünften und Ausgaben habe sie Anspruch auf Prozesskostenhilfe nach § 115 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO)
nur unter Zahlung einer monatlichen Rate von 60,00 EUR. Die im Rahmen der Pro-zesskostenhilfe maßgeblichen
Kosten der Prozessführung von bisher 150,15 EUR über-stiegen nicht vier Monatsraten à 60 EUR, sodass ein
Anspruch auf Prozesskostenhilfe nach § 115 Abs. 4 ZPO derzeit nicht bestehe. Der Beschluss sei nach § 172 Abs. 3
Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) unanfechtbar. Gegen diesen Beschluss hat die Klägerin am 15. Mai 2008
Beschwerde eingelegt. Der Beschluss sei nicht gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG unanfechtbar, da die Begründung für
die Ablehnung der beantragten Prozesskostenhilfe nicht ausschließlich auf ihre per-sönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnisse gestützt werde, sondern auf eine Prognose über die voraussichtlichen Erfolgsaussichten der Klage. Eine
teilweise Bewilligung von Prozesskostenhilfe komme nicht in Betracht, sodass auch eine Quotelung der Rechts-
verfolgungskosten nach der prozentualen Wahrscheinlichkeit der Erfolgsaussichten des sozialgerichtlichen
Klageverfahrens über § 115 Abs. 4 ZPO nicht gedeckt sei. Die Klägerin beantragt, ihr für die Durchführung des
erstinstanzlichen Klageverfahrens unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgericht Stendal vom 6. Mai 2008
Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten zu bewilligen. Die Beklagte hat Gelegenheit zur
Stellungnahme zur Beschwerde erhalten, davon je-doch kein Gebrauch gemacht. Des SG hat die Sache zur
Entscheidung dem LSG vorgelegt. Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die Gerichts- und Be-
schwerdeakte Bezug genommen. II. 1. Die Beschwerde gegen den Beschluss des SG vom 6. Mai 2008 ist zulässig.
Die Zulässigkeit des Rechtsmittels der Beschwerde gegen die Ablehnung von Anträ-gen auf Bewilligung von
Prozesskostenhilfe richtet sich nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO; die Regelungen sind
Prozesskostenhilfe richtet sich nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO; die Regelungen sind
durch das Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008
(BGBl. I S. 444) mit Wirkung vom 1. April 2008 durch Einfügung von § 172 Abs. 3 Ziffer 2 SGG modifiziert worden.
Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG gelten die Vorschriften der ZPO über die Prozesskos-tenhilfe entsprechend. Die
Verweisung bezieht sich auf alle in dem Buch 1, Abschnitt 2, Titel 7 der ZPO enthaltenen Vorschriften über die
Prozesskostenhilfe, soweit das SGG nicht ausdrücklich - etwa in § 73a Abs. 1 Satz 2 SGG - etwas anderes regelt
(vgl. May-er-Ladewig/Kel-ler/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 9. Aufl., § 73a, Rdnr. 2). Die "ent-sprechende
Anwendung" fordert allerdings eine Anpassung der jeweils maßgeblichen Vorschriften der ZPO auf das
sozialgerichtliche Verfahren, soweit prozessuale Beson-derheiten bestehen. Dies betrifft insbesondere die Ersetzung
des dem sozialgerichtli-chen Verfahren fremden Rechtsmittels der "sofortigen Beschwerde" durch die "Be-schwerde",
ferner die Bestimmung des Beschwerdegerichts, nämlich des LSG statt eines höherinstanzlichen Zivilgerichts, sowie
die Anpassung des maßgeblichen Werts des Beschwerdegegenstandes für die Berufung. Dieser liegt in Zivilverfahren
gemäß § 511 Abs. 2 Ziffer 1 ZPO bei 600,00 EUR, während hier der seit dem 1. April 2008 in § 144 Abs. 1 Satz 1
Ziffer 1 SGG geregelte Wert des Beschwerdegegenstandes von 750,00 EUR maßgeblich ist. Nach der bis zum 31.
März 2008 geltenden Rechtslage war gemäß § 73a SGG i. V. m. § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO die Beschwerde gegen die
Ablehnung von Prozesskostenhil-fe grundsätzlich statthaft, es sei denn, der maßgebliche Beschwerdewert wurde
nicht überschritten. Ausnahmsweise war die Beschwerde aber in diesem Fall doch zulässig, wenn ausschließlich die
persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe verneint wurden. Mit Wirkung zum 1.
April 2008 ist mit der Einfüh-rung von § 172 Abs. 3 Ziffer 2 SGG die Beschwerde gegen die Ablehnung von Pro-
zesskostenhilfe - unabhängig vom Wert des Beschwerdewerts - nunmehr "zusätzlich" und damit immer
ausgeschlossen worden, wenn das Gericht ausschließlich die persön-lichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen
verneint (so auch: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15. Juli 2008, L 12 B 18/07 AL, Rn. 25). Daher ist
seit dem 1. April 2008 die Beschwerde bei einem Wert des Beschwerdege-genstandes über 750,00 EUR nur noch
zulässig, wenn Prozesskostenhilfe (auch) wegen mangelnder Erfolgsaussicht abgelehnt worden ist. Dies folgt aus §
73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 2 Satz 2 erster Halbsatz ZPO. Das gleiche gilt, wenn wieder-kehrende oder
laufende Leistungen für mehr als ein Jahr im Sinne von § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG im Streit sind. Die Beschwerde ist
hingegen ausgeschlossen, wenn das Gericht in diesen Fällen ausschließlich die persönlichen und wirtschaftlichen
Voraus-setzungen verneint (vgl. zur Begründung ausführlich den Beschluss des erkennenden Senats vom 20. Februar
2009, L 5 B 305/08 AS und L 5 B 304/08 AS). Der Streitwert des Verfahrens liegt mit 797,28 EUR über dem
Berufungsstreitwert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 1 SGG. Die Klägerin begehrt die Aufhebung des Aufhe-bungs- und
Erstattungsbescheides vom 18. Januar 2007 i. d. F. des Widerspruchsbe-scheides vom 6. August 2007. Das SG hat,
worauf die Klägerin zu Recht hingewiesen hat, die Ablehnung der Prozesskostenhilfe auch nicht ausschließlich auf
ihre persönli-chen und wirtschaftlichen Verhältnisse gestützt. Es hat sich vielmehr eingehend mit den
Erfolgsaussichten der Klage auseinander gesetzt und ist zu dem Ergebnis ge-kommen, dass die Klage wahrscheinlich
nur zu 42,06% erfolgreich sei. Auf dieser Grundlage hat es dann nach § 115 Abs. 4 ZPO festgestellt, dass keine
Prozesskosten-hilfe zu gewähren sei. 2. Die Beschwerde ist auch begründet. Nach § 73a Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 114
ff. ZPO ist auf Antrag Prozesskostenhilfe zu bewilligen, soweit die Klägerin nach ihren persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnis-sen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann,
wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder -verteidigung hinreichende Aus-sicht auf Erfolg bietet und nicht
mutwillig erscheint. Dabei hat die Klägerin gemäß § 115 ZPO für die Prozessführung ihr Einkommen und Vermögen
einzusetzen, soweit ihr dies nicht aufgrund der dort genannten Tatbestände unzumutbar ist. Als hinreichend sind die
Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels einzuschätzen, wenn der Erfolg in der Hauptsache zwar nicht gewiss, eine
Erfolgschance jedoch nicht un-wahrscheinlich ist (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 13. März
1990, 1 BvR 94/88, NJW 1991, S. 413 f.). Prozesskostenhilfe kommt hingegen nicht in Betracht, wenn ein Erfolg in
der Hauptsache zwar nicht gänzlich ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist
(Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 17. Februar 1998, B 13 RJ 83/97 R, SozR 3-1500 § 62 Nr. 19). Im
sozialgerichtlichen Verfahren ist es ausreichend, wenn die Klage nur teilweise Aussicht auf Erfolg hat. Auch dann ist,
sofern die übrigen Voraussetzungen vorliegen, Prozesskostenhilfe vol-lem Umfang zu gewähren. Zwar sind aus den
oben genannten Gründen die Regelungen über die Prozesskosten-hilfe im Rahmen der ZPO auch im
sozialgerichtlichen Verfahren anzuwenden, jedoch nur in dem Umfang, in dem keine Besonderheiten im
sozialgerichtlichen Verfahren be-stehen. Eine solche Besonderheit ergibt sich vorliegend aus § 3 Rechtsanwaltsvergü-
tungsgesetz (RVG). Für alle Verfahren, in denen sich die Rechtsanwaltsgebühren nach der Höhe des Streitwertes
bemessen (§ 2 RVG), gilt: Ergibt die Erfolgsprüfung, dass ein Anspruch nur teilweise Erfolg versprechend ist, dass
von mehreren Ansprüchen nur einer oder dass die Rechtsverfolgung bei mehreren Beklagten nur einem gegenüber
durchgreifen kann, dann ist Prozesskostenhilfe grundsätzlich nur zur Geltendmachung dieser be-schränkt Erfolg
versprechenden Rechtsverfolgung zu gewähren. Ein solches Vorgehen setzt die Kostenberechnung auf Grund eines
bestimmten Streitwertes voraus. Denn nur im Fall der Abhängigkeit des Vergütungsanspruchs vom Streitgegenstand
führt eine Beschränkung der Prozesskostenhilfe auf einen Teil des geltend gemachten An-spruchs dazu, dass sich
der Vergütungsanspruch des beigeordneten Rechtsanwalts gegen die Landeskasse auch nur nach dem
Teilgegenstandswert bemisst, hinsichtlich dessen die Prozesskostenhilfe bewilligt wurde. Nach § 3 Satz 1 RVG
entstehen jedoch in Verfahren vor den Gerichten der Sozialge-richtsbarkeit Betragsrahmengebühren, in denen das
Gerichtskostengesetz nicht anzu-wenden ist. Dies betrifft die Verfahren, die nach § 183 SGG für Versicherte,
Leistungs-empfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren
Sonderrechtsnachfolger nach § 56 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil (SGB I) kostenfrei sind,
soweit sie in dieser jeweiligen Eigenschaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind. Diese Rahmengebühren bemessen
sich nicht nach dem Streitwert. Bei Rahmengebühren bestimmt der Rechtsanwalt nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG die
Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der
anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der An-gelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des
Auftraggebers, nach billigem Ermessen. Eine nur teilweise Bewilligung von Prozesskostenhilfe kann nicht zu einer
Verminderung der Rahmengebühr führen, denn der sich aus der Rah-mengebühr ergebende Vergütungsanspruch ist
nicht abhängig davon, in welchem Um-fang das Rechtsmittel Erfolg hat. Vielmehr gibt § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG die
Kriterien für die Bestimmung der Rahmengebühr vor. Dazu gehören nicht Erwägungen hinsichtlich der
Erfolgsaussichten des Rechtsmittels (Hartmann, Kostengesetze, 38. Aufl. 2008, § 14 RVG, Rn. 2 f.). Die
Berücksichtigung eines voraussichtlichen Teilerfolgs bei der Bewilligung von Pro-zesskostenhilfe in der vom SG
vorgenommen Weise würde bei einer möglichen Be-schränkung des Klagegegenstandes auf den Erfolg
versprechenden Teil der Klage zu dem Ergebnis führen, dass nunmehr die Prozesskostenhilfe auf "100%" der
Rahmen-gebühr erweitert werden müsste, da der Kläger mit der nunmehr beschränkten Klage voll durchdringen würde.
Das Ziel der Bewilligung der PKH nur für den Erfolg verspre-chenden Teil der Klage – die Entlastung der Landeskasse
– kann im sozialgerichtli-chen Verfahren auf Grund der o.g. Besonderheiten nicht erreicht werden. 3. Die Klägerin ist
nicht in der Lage, auch nicht zu einem Teil, die Prozesskosten zu tra-gen. Nach Abzug der Freibeträge nach § 115
Abs. 2 Nr. 2 ZPO für sich und ihr Kind und der Unterkunftskosten, verbleibt von den Einkünften i.H.v. 527,80 EUR
netto kein Be-trag, den sie zur Prozessführung einsetzten könnte. Vermögen ist nicht vorhanden. 4. Nach alledem war
der Beschluss des SG vom 6. Mai 2008 aufzuheben und wie teno-riert zu entscheiden. Die Kostenentscheidung
beruht auf § 193 SGG. Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).