Urteil des LSG Saarland vom 14.09.2005

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LSG Saarbrücken Urteil vom 14.9.2005, L 2 KR 17/04
Fehlendes Rechtsschutzbedürfnis für Klage gegen Krankenkasse auf Kostenerstattung -
Sachleistungsprinzip
Leitsätze
Für eine Klage eines Versicherten gegen die Krankenkasse auf Übernahme der Kosten
einer ambulanten Behandlung fehlt das Rechtsschutzinteresse, wenn der Versicherte als
Kassenpatient behandelt und ein privater Behandlungsvertrag mit dem Kassenarzt nicht
geschlossen wurde (hier: LDL-Apherese).
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom
28.4.2004 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger von der Beklagten, bei der er gesetzlich
krankenversichert ist, Kostenersatz für LDL-Apheresen für die Jahre 2002 und 2003
beanspruchen kann.
Der 1937 geborene Kläger beantragte bei der Beklagten im November 1995 die
Kostenübernahme für Behandlungen in Form von LDL-Apheresen. Untermauert durch eine
ärztliche Stellungnahme von Dr. B. gab er an, an einer familiär bedingten
Hypercholesterinämie mit extrem erhöhtem Risikofaktor Lipoprotein (a) sowie einem
Zustand nach Myokardinfarkt zu leiden und auf die Behandlung durch Dr. B. angewiesen zu
sein. Nach Gutachten des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung im Saarland
(MDK) vom Dezember 1995, Juli 1996 und September 1996 übernahm die Beklagte mit
Schreiben vom 1.10.1996 die Kosten für einen Therapieversuch von zunächst sechs
Monaten. Sie verlängerte die Apherese-Behandlungen im März 1997 und Oktober 1997, im
letzten Schreiben für weitere 12 Monate. Nach einem weiteren Gutachten des MDK vom
Juni 1999 sowie Stellungnahmen der Qualitätssicherungskommission für
Blutreinigungsverfahren der kassenärztlichen Vereinigung des Saarlandes (KVS) vom
September 1999 und Mai 2000, in der die Qualitätssicherungskommission eine zwingend
vorgeschriebene lipidologische Beurteilung vermisste und ausführte, eine
Hypercholesterinämie sei nicht dokumentiert und eine Kostenübernahme könne nicht
empfohlen werden, erklärte sich die Beklagte zunächst mit Schreiben vom 24.5.2000
bereit, die Kosten bis 31.8.2000 zu tragen. Sie beschied den Kläger am 12.2.2001 dahin,
man sei mit einer Kostenübernahme bis längstens 28.2.2001 einverstanden.
Der Kläger legte gegen diesen Bescheid Widerspruch ein, den die Beklagte mit
Widerspruchsbescheid vom 15.6.2001 unter Hinweis darauf zurückwies, dass die
Unterlagen mehrfach zur Beurteilung beim MDK vorgelegt worden seien; die KVS müsse
aber eine Genehmigung erteilen, bevor die Behandlung im Rahmen der vertragsärztlichen
Versorgung ausgeführt und abgerechnet werden dürfe. Die KVS habe mehrfach mitgeteilt,
dass nach Prüfung und Beratung durch die Qualitätssicherungskommission für
Blutreinigungsverfahren an Hand der Unterlagen eine Indikation zur ambulanten
Durchführung der Apherese nicht gegeben sei.
Im anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht für das Saarland (SG)
Sachverständigengutachten von Dr. H. vom 15.2.2002 und Prof. Dr. E. vom 18.11.2002
(letzteres nach § 109 SGG) eingeholt. Ferner reichte die Beklagte ein Gutachten des MDK
vom 20.8.2003 ein. Der Kläger legte ein Schreiben von Dr. B. vom 26.1.2004 vor. In
diesem Schreiben wies Dr. B. darauf hin, dass 43 Behandlungen von 2002 und 2003, die
ohne Honorierung durchgeführt worden seien, noch nicht bezahlt seien. Er habe noch keine
Informationen, ob diese Behandlungen von der Beklagten beglichen würden, und er bitte
den Kläger, dies zu klären. Es handele sich um hohe Kosten, für die er in Vorlage getreten
sei; er könne auf die Beträge nicht verzichten und bitte den Kläger um Kontaktaufnahme.
Auf entsprechende Anfrage des SG teilte der Kläger mit Schreiben vom 24.3.2004 mit, er
sei nicht als Privatpatient behandelt worden und habe auch keinen Behandlungsvertrag als
Privatpatient abgeschlossen.
Daraufhin wies das SG die Klage durch Urteil vom 28.4.2004 im Wesentlichen mit der
Begründung ab, der Kläger sei als Kassenpatient behandelt worden; dies sei auf
vertragsärztlicher Grundlage erfolgt und somit auf Krankenschein. Für eine derartige
Behandlung habe der Kläger keine Vergütung zu zahlen. Es sei vielmehr Angelegenheit von
Dr. B., die von ihm als Vertragsarzt erbrachte Leistung über die KVS abzurechnen. Der
Kläger habe die Leistung als Sachleistung erhalten und für eine entsprechende Klage fehle
ihm bereits das Rechtsschutzbedürfnis.
Der Kläger hat gegen das am 18.5.2004 zugestellte Urteil am 14.6.2004 Berufung
eingelegt und diese im Wesentlichen damit begründet, er sei nur dann von der
Zahlungsverpflichtung befreit, wenn die Beklagte die Kosten für die streitgegenständlichen
Behandlungen übernehme. Die Apherese sei unabdingbar und erforderlich gewesen. Ihm
seien zwar keine Kosten entstanden, die Beklagte müsse ihn aber von Kosten freistellen.
Sie habe im Übrigen nach dem Gutachten von Prof. Dr. E. die Leistungen zu Unrecht
abgelehnt. Schließlich verweise er auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom
28.4.2005, in dem ausgeführt sei, bei fehlender Behandlungsübernahme durch die
Krankenversicherung komme ein Dienstvertrag mit dem Arzt zu Stande, aus dem er von
Dr. B. in Anspruch genommen werden könne. Dies belege sein Rechtsschutzinteresse an
einer Sachentscheidung ebenso wie die Tatsache, dass gegen ihn negative Entscheidungen
in der Sache ergangen seien.
Der Kläger beantragt
das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 28.4.2004 sowie den Bescheid der
Beklagten vom 12.2.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.6.2001
aufzuheben und festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Kosten der im Jahr
2002 und 2003 durchgeführten LDL-Apheresen bei Dr. B. zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtenen Bescheide und das Urteil des SG.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden
erklärt.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der
beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung, über die mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung
durch Urteil entschieden werden konnte (§ 124 Abs. 2 SGG), ist zulässig, aber nicht
begründet.
Sowohl die Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) als auch die Feststellungsklage (§
55 Abs. 1 Nr. 1 SGG) des Klägers sind unzulässig, weil dem Kläger ein rechtlich
schützenswertes Interesse an einer Sachentscheidung des Gerichts fehlt. Folglich hat das
SG die Klage zu Recht mangels Zulässigkeit abgewiesen.
Der Kläger kann die Aufhebung des Bescheids vom 12.2.2001 in Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 15.6.2001 schon deshalb nicht verlangen, weil sich dieser
Bescheid erledigt hat und auf den Kläger keine negativen Rechtsfolgen dieses Bescheids
mehr einwirken. Der Kläger hat nämlich die Leistungen in Form der LDL-Apheresen, die er
weiterhin über den 28.2.2001 hinausgehend erhalten wollte, auch für die Jahre 2002 und
2003, folglich für den hier streitigen Zeitraum, durch Dr. B. erhalten. Sein Antrag auf
Gewährung dieser Sachleistung hat sich damit unabhängig von dem ablehnenden und vom
Kläger angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 12.2.2001 durch Erfüllung seitens
eines Kassenarztes erledigt. Die ablehnende Entscheidung der Beklagten hat für ihn keine
unmittelbaren negativen Wirkungen mehr.
Dem Kläger geht es mit dem Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Bescheids in
Gestalt des Widerspruchsbescheids folglich nicht darum, seinem Leistungsantrag zum
Erfolg zu verhelfen, sondern nur noch darum, zu klären, ob die Beklagte verpflichtet
gewesen wäre, die LDL-Apheresen zu bezahlen. Diesem Ziel kommt er aber mit einer
Aufhebung der angefochtenen Bescheide nicht näher, denn mit einem Ausspruch auf
Aufhebung bliebe der „überholte" Antrag des Klägers auf Gewährung der Sachleistung LDL-
Apherese unentschieden. Es bedurfte somit nach Erledigung seines Leistungsbegehrens
keiner Anfechtungsklage. sondern allenfalls einer Feststellungsklage, die der Kläger auch
zusätzlich erhoben hat.
Aber auch diese Feststellungsklage ist unzulässig, weil der Kläger ein besonderes
Feststellungsinteresse (§ 55 Abs. 1 SGG) nicht hat. Ein stattgebendes Feststellungsurteil
hätte nämlich ebenfalls keine günstigen Auswirkungen auf seine Rechtsposition, denn der
Kläger ist keinem Kostentragungsrisiko ausgesetzt. Er ist zweifelsohne von Dr. B. als
Kassenpatient behandelt worden. Damit scheidet unabhängig davon, dass ein solcher
Anspruch ein zivilrechtlicher wäre, eine finanzielle Inanspruchnahme des Klägers durch Dr.
B. aus (BSG, Urteil vom 9.10.2001, B 1 KR 6/01 R).
Im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung herrscht das Sachleistungsprinzip. Mit dem
Begriff des Zurverfügungstellens in § 2 Abs. 1 SGB V sowie durch § 2 Abs. 2 SGB V
unmittelbar bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass dem Versicherten die
vertragsärztliche Behandlung als Sachleistung, d.h. für ihn unentgeltlich zur Verfügung
gestellt werden soll (vgl. hierzu zum insoweit nicht geänderten alten Recht BSG, Urteil vom
21.11.1991, 3 RK 32/89). Soweit der Versicherte lediglich die Sachleistung der
gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch nimmt und nehmen will, entsteht ihm keine
Zahlungsverpflichtung gegenüber dem Leistungserbringer, aufgrund derer er – sofern er
sich an den rechtlich gesetzten Rahmen hält - einen Kostenerstattungsanspruch gegen die
Kasse erwirbt (BSG aaO.).
Der Kläger hat die begehrte Sachleistung erhalten und damit ist sein geltend gemachter
Anspruch gegen die Beklagte erfüllt. Er befürchtet allein, von der Beklagten oder von Dr. B.
für die Gewährung dieser Sachleistung finanziell in Anspruch genommen zu werden.
Während ein solcher Anspruch der Beklagten gegen den Kläger auch nicht ansatzweise
ersichtlich ist, könnte Dr. B. den Kläger allenfalls dann in Anspruch nehmen, wenn er mit
ihm einen privaten Behandlungsvertrag abgeschlossen hätte, aus dem ein
Vergütungsanspruch des Arztes bestehen könnte. Eine solche Konstellation ist aber
eindeutig nicht gegeben, sodass die Rechtsposition des Klägers durch eine sozialgerichtliche
Entscheidung nicht tangiert werden könnte. Der Kläger selbst hat vorgetragen, nie einen
solchen privaten Behandlungsvertrag mit Dr. B. geschlossen zu haben. Auch nach der
Aktenlage ist ein solcher Vertrag nicht gegeben. Das Schreiben von Dr. B. vom 26.1.2004
lässt keinen anderen Schluss zu. Dr. B. weist den Kläger nur darauf hin, dass er für die
Behandlungen der Jahre 2002 und 2003 noch keine Honorierung erhalten habe, und er
habe keine Informationen, ob die Beklagte die Behandlungen bezahle; er bitte den Kläger,
dies zu klären. Hieraus ergibt sich zum einen, dass Dr. B. lediglich eine Honorierung durch
die Beklagte geltend macht, und zum andern, dass auch er nicht von einem privaten
Behandlungsvertrag mit dem Kläger ausgeht, denn er stellt keine Zahlungsansprüche an
den Kläger, sondern schickt diesen quasi vor, die Frage seiner Vertragsarztvergütung mit
der Beklagten zu klären. Da dies aber kein eigenes Recht des Klägers ist, kann er diesen
vermeintlichen Anspruch von Dr. B. gegen die Beklagte auch nicht geltend machen. Eine
finanzielle Beanspruchung des Klägers ist damit ausgeschlossen (BSG, Urteil vom
9.10.2001 aaO.).
Es handelt sich somit auch nicht um eine sog. selbstbeschaffte Leistung des Klägers im
Sinne von § 13 Abs. 3 SGB V, die unter bestimmten Voraussetzungen die Krankenkasse zu
bezahlen oder von deren Bezahlung diese den Kläger freizustellen (BSG, Urteil vom
24.9.2002, B 3 KR 15/02 R) hätte. Eine solche selbstbeschaffte Leistung kann nur
außerhalb der öffentlich-rechtlichen Rechtsbeziehungen mit der Krankenkasse auf
privatrechtlicher Ebene mit dem behandelnden Arzt, also auf Grund eines
Behandlungsvertrags erbracht werden. Da ein solcher – wie ausgeführt – im Fall des
Klägers ausscheidet, kann er auch keinen Freistellungsanspruch gegenüber der Beklagten
haben (BSG, Urteil vom 9.10.2001 aaO.).
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem vom Kläger ins Verfahren eingebrachten
Urteil des BGH vom 28.4.2005 (III ZR 351/04). Zum einen betrifft diese Entscheidung das
Rechtsverhältnis zwischen Krankenhaus und Versichertem und nicht zwischen Kassenarzt
und Versichertem. Zum andern bestand unabhängig davon, ob die vertragliche Gestaltung
zwischen Krankenhaus und Versichertem auch auf das Verhältnis zwischen der Beklagten
und dem Kläger im Bereich der ambulanten Versorgung Anwendung finden kann, im
Gegensatz zum Sachverhalt, der der Entscheidung des BGH zu Grunde lag, kein Irrtum
über die kassenärztliche Versorgung des Klägers, denn es stand fest, dass trotz des
eingeleiteten Rechtsmittelverfahrens des Klägers die Beklagte über den 28.2.2001 hinaus
keine LDL-Apheresen mehr bezahlen würde und dass damit jede auf Krankenschein und
damit ohne privatrechtlichen Vertrag erbrachte Behandlung durch Dr. B. von der Beklagten
an Dr. B. nicht gezahlt würde. Von einem Irrtum oder vom Wegfall einer
Geschäftsgrundlage kann daher keine Rede sein. Schließlich bestand anders als im Fall des
BGH beim Kläger zweifelsohne Krankenversicherungsschutz.
Steht somit fest, dass eine finanzielle Beanspruchung des Klägers nicht zu befürchten ist,
fehlt ihm ein rechtlich schützenswertes Interesse an einer Sachentscheidung durch
Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit (BSG aaO.).
Die Berufung hat daher keinen Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.