Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 06.05.2010

LSG Rpf: hauptsache, entlastung, erlass, zivilprozessrecht, anwendungsbereich, niedersachsen, zivilprozessordnung, ausschluss

Landessozialgericht Rheinland-Pfalz
Beschluss vom 06.05.2010 (rechtskräftig)
Sozialgericht Koblenz S 12 SO 45/10 ER
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz L 1 SO 52/10 B ER
1. Die Beschwerden des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Koblenz vom 29.03.2010 - S 12 SO
45/10 ER - werden als unzulässig verworfen.
2. Außergerichtliche Kosten für das Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.
3. Der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe:
Gegenstand des Verfahrens ist das Begehren des Antragstellers auf Gewährung von vorläufigen Leistungen zur
Grundsicherung in Höhe von 111,- EUR für März 2010. Außerdem wendet sich der Antragsteller gegen die Versagung
von Prozesskostenhilfe im Verfahren des ersten Rechtszuges.
Die Beschwerde gegen die Ablehnung einer einstweiligen Anordnung ist unzulässig. Nach § 172 Abs. 2 Nr. 1 SGG ist
die Beschwerde in Sachen des einstweiligen Rechtsschutzes nicht statthaft, wenn in der Hauptsache die Berufung
nicht zulässig wäre. Dies ist vorliegend der Fall, weil der anwaltlich vertretene Antragsteller nach seinem
Beschwerdevorbringen die einstweilige Gewährung von Grundsicherungsleistungen nur für den Monat März 2010 und
nur in Höhe von insgesamt 111,- EUR begehrt. In der Hauptsache wäre deshalb die Berufung gemäß § 144 Abs. 1 Nr.
1 SGG nicht zulässig; der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 750,- EUR nicht.
Die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe ist nach §§ 172 Abs.
1, 73a Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuches (SGG) in entsprechender Anwendung des § 127 Abs. 2 Satz 2
Halbsatz 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. der gesetzlichen Wertung des § 172 Abs. 2 Nr. 1 SGG ebenfalls
unstatthaft.
Der Ausschluss der Beschwerde folgt nicht bereits aus § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG weil das Sozialgericht (SG) den
Antrag des Antragstellers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) nicht wegen des Fehlens der persönlichen
oder wirtschaftlichen Voraussetzungen verneint hat, sondern wegen der fehlenden hinreichenden Erfolgsaussicht des
Begehrens.
Nach § 172 Abs. 1 SGG findet gegen die Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile und gegen
Entscheidungen der Vorsitzenden dieser Gerichte die Beschwerde an das Landessozialgericht (LSG) statt, soweit
nicht in diesem Gesetz etwas anderes bestimmt ist. Eine "andere Bestimmung" in diesem Sinne enthält § 73a Abs. 1
Satz 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO. Gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG gelten die Vorschriften
der ZPO für die PKH entsprechend. Nach § 127 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 ZPO findet gegen die Ablehnung von PKH
die sofortige Beschwerde statt. Dies gilt nach dem zweiten Halbsatz der Vorschrift nicht, wenn der Streitwert der
Hauptsache den in § 511 ZPO genannten Betrag nicht übersteigt, es sei denn, das Gericht hat ausschließlich die
persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die PKH verneint. In § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ist geregelt,
dass die Berufung nur zulässig ist, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,- EUR übersteigt. Alternativ ist
die Berufung auch zulässig, wenn das Gericht des ersten Rechtszuges die Berufung im Urteil ausdrücklich
zugelassen hat (§ 511 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4 ZPO). Eine Nichtzulassungsbeschwerde zum Berufungsgericht sieht die
ZPO hingegen nicht vor.
In der Rechtsprechung umstritten ist bislang, inwieweit § 127 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO auch im
sozialgerichtlichen Verfahren anwendbar ist (vgl. zum aktuellen Meinungsstand: LSG Niedersachsen-Bremen,
Beschluss vom 06.01.2010 - L 2 R 527/09 B -, Juris). Jedenfalls spricht das Gesetz nur von einer "entsprechenden
Geltung". Dies bedeutet, dass gegen die Versagung der PKH nicht die in der ZPO vorgesehene sofortige Beschwerde,
sondern allenfalls die Beschwerde nach § 172 Abs. 1 SGG statthaft ist, und dass nicht der Wert des
Beschwerde¬gegenstandes des § 511 ZPO (600,- EUR), sondern allenfalls der des § 144 SGG bzw. für das Verfahren
des einstweiligen Rechtsschutzes § 172 Abs. 3 Nr.1 SGG i.V.m. § 144 SGG maßgeblich sein kann. Die
zivilprozessualen PKH-Vorschriften sind unstreitig lediglich insoweit heranzuziehen, wie nicht gesetzlich normierte
Besonderheiten des sozialgerichtlichen Verfahrens Abweichungen sachlich gebieten (LSG Niedersachen-Bremen,
a.a.O.).
Für die PKH-Beschwerde als Nebenverfahren zu einem Klageverfahren hält der Senat uneingeschränkt daran fest,
dass die Regelungen der §§ 127 Abs. 2 Satz 2, 511 ZPO nicht über § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG entsprechend
angewendet werden können (vgl. Beschluss vom 09.07.2009 - L 1 AY 6/09 B -, Juris; ebenso: LSG Rheinland-Pfalz,
Beschluss vom 16.06.2008 - L 5 B 163/08 AS -). Wie zuletzt der 6. Senat des LSG Rheinland-Pfalz ausführlich und
überzeugend dargelegt hat (Beschluss vom 29.03.2010 - L 6 AS 122/10 B -, Juris), gebieten die gesetzlich normierten
Besonderheiten des sozialgerichtlichen Verfahrens insoweit eine Abweichung von den zivilprozessualen PKH-
Vorschriften: Das SGG kennt keine dem § 511 ZPO sachlich vergleichbare Einschränkung der
Rechtsbehelfsmöglichkeiten, sondern eröffnet den Instanzenzug auch im Wege der Nichtzulassungsbeschwerde (§
145 SGG). Überdies kann sich die Zulassungsfähigkeit einer Berufung abweichend von § 511 Abs. 4 ZPO auch aus
einem erstinstanzlichen Verfahrensfehler ergeben (vgl. § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG). Es sind mithin bei Nichterreichnung
der Berufungssumme des § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG in erheblich weiterem Umfang Rechtsbehelfsmöglichkeiten als im
Anwendungsbereich des § 511 Abs. 4 ZPO gegeben. Angesichts der unterschiedlich ausgestalteten
Rechtsbehelfsmöglichkeiten im Hauptsacheverfahren ist bislang keine Wertung des Gesetzgebers in dem Sinne
erkennbar, dass auch im sozialgerichtlichen Verfahren eine Beschwerde gegen die Versagung von PKH in jedem Falle
ausgeschlossen sein soll, wenn die Berufung im Hauptsacheverfahren zulassungsbedürftig ist. Stattdessen hat der
Gesetzgeber durch die Einführung weitergehender Rechtsschutzmöglichkeiten in §§ 144, 145 SGG zum Ausdruck
gebracht, dass er bei sozialgerichtlichen Verfahren mit geringen Streitwerten den Rechtsschutzinteressen des Bürgers
größeres Gewicht als im zivilgerichtlichen Verfahren beimisst (LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 29.03.2010,
a.a.O.). Der erkennende Senat teilt diese Auffassung.
Anders stellt sich die Sach- und Rechtslage allerdings im PKH-Verfahren als Nebenverfahren zu einem Verfahren zur
Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nach § 86b SGG dar, wenn die Beschwerdesumme nicht erreicht wird und
keine wiederkehrende oder laufende Leistung für mehr als ein Jahr begehrt wird. In diesem Fall ist die Beschwerde
gegen die Hauptsacheentscheidung des SG gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ausgeschlossen, ohne dass das SG oder
das LSG sie zulassen können (vgl. Bayerisches LSG, Beschluss vom 16.11.2009 - L 8 AS 715/09 B ER -, Juris).
D.h. in diesem Fall sind die Rechtsschutzmöglichkeiten des Betroffenen stärker eingeschränkt, als dies nach § 511
Abs. 4 ZPO der Fall wäre, so dass der entsprechenden Anwendung § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO keine wesentlichen
Besonderheiten des sozialgerichtlichen Verfahrens entgegenstehen. Vielmehr spricht die gesetzliche Wertung des §
172 Abs. 3 Nr. 1 SGG für eine entsprechende Geltung des § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO, um so eine Privilegierung von
Nebenverfahren gegenüber dem Verfahren zur Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zu vermeiden. Es würde dem
Willen des Gesetzgebers, Beschwerden bei wirtschaftlich nicht relevanten Kostengrundentscheidungen und sonstigen
Nebenentscheidungen sowie in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes und der PKH zur Entlastung der
Landessozialgerichte auszuschließen (vgl. BTDrs. 16/7716 S. 22), zuwiderlaufen, wenn eine Beschwerde gegen die
Entscheidung über PKH statthaft wäre, obwohl in der dazu gehörigen Hauptsache, dem Verfahren auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung, wegen Nichterreichens des Beschwerdewertes, eine Entscheidung durch das LSG
ausgeschlossen wäre (LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 29.10.2008 - L 3 B 312/08 AS - Juris; a.A. LSG
Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 10.06.2008 - L 5 ER 91/08 AS, L 5 B 107/08 AS -, Juris). So kann auch verhindert
werden, dass Instanz- und Rechtsmittelgericht im abgeschlossenen Hauptsacheverfahren und mehrstufigen
Nebenverfahren zu einander sich widersprechenden Entscheidungen gelangen können.
Auch § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG steht der entsprechenden Geltung von § 127 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO in den
Fällen des § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG nicht entgegen. Soweit der Gesetzgeber in § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG einen
Beschwerdeausschluss gegen die Ablehnung von PKH normiert hat, wenn das Gericht ausschließlich die
persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse für die PKH verneint, handelt es sich um einen zusätzlichen
Ausschlussfall, der als sozialgesetzliche Spezialregelung die §§ 73a SGG, 127 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO
ergänzt, da das Zivilprozessrecht auch bei Unterschreitung des Beschwerdewertes die PKH-Beschwerde eröffnet,
wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die PKH verneint (vgl.
Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 04.11.2009 - L 9 B 50/09 AS PKH -, Juris). Eine planwidrige
Regelungslücke muss im Übrigen nicht gegeben sein, da § 127 Abs. 2 Satz 2 (Halbsatz 1) ZPO bereits dann
entsprechend gilt, wenn nicht gesetzlich normierte Besonderheiten des sozialgerichtlichen Verfahrens Abweichungen
sachlich gebieten.
Auch für die Beschwerdeverfahren war der Antrag auf Gewährung von PKH abzulehnen. Die auf eine Gewährung
einstweiligen Rechtsschutzes gerichtete Beschwerde bot keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 73a Abs. 1 Satz 1
SGG i.V.m. § 114 ZPO). Für das PKH-Verfahren selbst kann PKH nicht gewährt werden (BGH, Beschluss vom
30.05.1984 - VIII ZR 298/83 -, Juris; Leitherer, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 9. Aufl. 2008, § 73a Rn. 2b);
dies hat auch für das Beschwerdeverfahren gegen die Versagung von PKH zu gelten (Musielak, ZPO, 7. Aufl. 2009, §
118 Rn. 7).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Für die PKH-Beschwerde gilt §
127 Abs. 4 ZPO entsprechend.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).