Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 07.07.2008

LSG NRW: aufschiebende wirkung, hauptsache, mutwillige prozessführung, entlastung, ausnahme, auflage, versicherung, vollstreckung, niedersachsen, bestandteil

Landessozialgericht NRW, L 1 B 17/08 AS
Datum:
07.07.2008
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 1 B 17/08 AS
Vorinstanz:
Sozialgericht Aachen, S 9 AS 38/08 ER
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers (Bf.) wird der Beschluss
des Sozialgerichts Aachen vom 06. Mai 2008 geändert: Dem Bf. wird für
das einstweilige Rechtschutzverfahren ab dem 25. April 2008
Prozesskostenhilfe (PKH) ohne Ratenzahlung bewilligt und
Rechtsanwalt N aus E beigeordnet. Kosten sind im
Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
1
I.
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Die Beteiligten streiten im Beschwerdeverfahren darüber, ob dem Bf. für seinen Antrag
auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung PKH zusteht.
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Mit Leistungsbescheid vom 24. Oktober 2007 in der Fassung des Änderungsbescheids
vom 28. Januar 2008 gewährte die Beschwerdegegnerin (Bg.) dem Bf. ab dem 01.
November 2007 bis zum 30. April 2008 Arbeitslosengeld II (347,00 EUR Regelsatz zzgl.
Kosten der Unterkunft). Im Rahmen einer Eingliederungsvereinbarung verpflichtete sich
der Bf. am 11. Januar 2008, der Bg. bis zum 15. Februar 2008 eine Bewerbungsmappe
(aktueller Lebenslauf, aktuelles Bewerbungsfoto, Arbeitszeugnisse,
Ausbildungszeugnisse, beispielhaftes Bewerbungsschreiben) vorzulegen.
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Mit Sanktionsbescheiden vom 20. Februar 2008 senkte die Bg. die Regelleistung ab
dem 01. März 2008 für die Dauer von drei Monaten um 30 vom Hundert (v.H.) auf 243,00
EUR, weil der Bf. die "Bewerbungsunterlagen nicht wie vereinbart bis zum 15.02.2008
eingereicht" habe. Für dieses (Fehl-) Verhalten gebe es keinen "wichtigen Grund".
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Dem widersprach der Bf. am 25. Februar 2008 und behauptete, "den Zettel mit den
durchgeführten Bewerbungen am 10. oder 11.02.2008 in der job-com abgegeben" zu
haben. Die Zeugin U K aus T habe ihn dorthin begleitet und im Auto auf ihn gewartet.
Mit Widerspruchsbescheid vom 02. April 2008 wies die Bg. den Widerspruch zurück,
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weil der Bf. die Abgabe der Bewerbungsunterlagen nicht belegt habe.
Dagegen hat dieser am 15. April 2008 vor dem Sozialgericht (SG) Aachen (S 9 AS
35/08) Klage erhoben und zwei Tage später um einstweiligen Rechtschutz
nachgesucht. Im Eilverfahren hat er beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage
anzuordnen und ihm PKH zu gewähren. Gleichzeitig hat er eidesstattlich versichert, die
Bewerbungsunterlagen "mit Frau K am 10. oder 11.02.2008 ... bei der Job-Com direkt
am Empfang abgegeben" zu haben. Aufgrund des Sanktionsbescheids könne er seine
Wohnungsmiete nicht mehr bezahlen, so dass die Kündigung drohe. Da er fällige
Bußgelder nicht begleichen könne, drohe ihm die Vollstreckung einer
Ersatzfreiheitsstrafe.
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Mit Beschluss vom 06. Mai 2008 hat es das SG abgelehnt, dem Bf. PKH zu bewilligen
und ihm einen Rechtsanwalt beizuordnen: Der angefochtene Sanktionsbescheid sei
"offensichtlich rechtmäßig". Denn der Bf. könne mit seiner eidesstattlichen Versicherung
nicht beweisen, dass er seine Pflicht aus der Eingliederungsvereinbarung erfüllt habe.
Im Übrigen biete sein Vortrag "keinerlei Ermittlungsansätze".
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Dagegen hat der Bf. am 09. Mai 2008 Beschwerde eingelegt und darauf hingewiesen,
dass die Zeugin K seinen Sachvortrag bestätigen könne. Diesem Beweisangebot
müsse das SG nachgehen.
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II.
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Die zulässige (A.) Beschwerde ist begründet (B.).
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A. Die Beschwerde ist gem. § 172 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft
und damit zulässig. Nach dieser Vorschrift findet gegen Entscheidungen der
Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile und gegen Entscheidungen der Vorsitzenden
dieser Gerichte die Beschwerde an das Landessozialgericht (LSG) statt, soweit das
SGG nichts anderes bestimmt. Der angefochtene Beschluss, den der
Kammervorsitzende erlassen hat, ist somit beschwerdefähig. Die Beschwerde ist weder
nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG (1.) in der Fassung (n.F.) des Gesetzes zur Änderung des
SGG und des Arbeitsgerichtsgesetzes (SGGArbGG-Änderungsgesetz) vom 26. März
2008 (BGBl. I S. 444) noch nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 2 Satz 2 der
Zivilprozessordnung (ZPO) in der Fassung des Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses
(ZPO-RG) vom 27.07.2001 (BGBl. I S. 1887) ausgeschlossen (2.):
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1. In Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes schließt § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG die
Beschwerde aus, wenn die Berufung in der Hauptsache unzulässig wäre. Da der Wert
des Beschwerdegegenstandes vorliegend (312,00 EUR = 3 x 104,00 EUR) die
Berufungssumme von 750,00 EUR nicht übersteigt (§ 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG n.F.),
wäre die Berufung in der Hauptsache zulassungsbedürftig. Gleichwohl ist die PKH-
Beschwerde des Bf. statthaft. Denn § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG n.F. gilt im einstweiligen
Rechtsschutzverfahren nur für Beschwerden in der Hauptsache und keinesfalls für
Beschwerden, die sich gegen die Ablehnung der PKH richten. Dies ergibt die
Auslegung nach Wortlaut, Systematik, Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck
(sog. teleologische Interpretation) der Norm.
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Der Wortlaut des § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ist weit formuliert und erfasst auch PKH-
Beschwerden, die in Eilverfahren erhoben werden. Dagegen ergeben sich aus dem
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systematischen Zusammenhang zwischen § 172 Abs. 1 und 3 erste Anhaltspunkte für
eine enge Interpretation: Absatz 3 normiert den Beschwerdeausschluss als Ausnahme
von dem gesetzessystematischen Regelfall in Absatz 1, wonach PKH-Beschlüsse
grundsätzlich beschwerdefähig sind. Ausnahmevorschriften sind aber in aller Regel eng
auszulegen (singularia non sunt extendenda = Sonderbestimmungen dürfen nicht
ausgedehnt werden; vgl. dazu: Wank, Die Auslegung von Gesetzen, 2. Aufl. 2001, § 5
II). Vergleicht man zudem die Nrn. 1 und 2 des § 172 Abs. 3 SGG, so lassen sich weitere
Argumente für eine enge Auslegung gewinnen. Denn der Gesetzgeber hat in der Nr. 2
den Beschwerdeausschluss für ablehnende PKH-Entscheidungen eigenständig
geregelt und ausdrücklich auf Fälle beschränkt, in denen das Gericht nur die
persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen verneint. Im Umkehrschluss
bedeutet dies, dass die Ablehnung der PKH auf jeden Fall mit der Beschwerde
angegriffen werden kann, wenn das Gericht seine Ablehnungsentscheidung - wie hier -
auf fehlende Erfolgsaussichten stützt. Zu diesem Ergebnis ist auch die Bundesregierung
in ihrer Begründung zum Entwurf des SGGArbGG-Änderungsgesetzes gekommen (BT-
Drs. 16/7716, S. 22 re. Sp. oben), wonach die Ablehnung von PKH mit der Beschwerde
angefochten werden kann, wenn die Erfolgsaussichten in der Hauptsache vom Gericht
verneint wurden. Dieser Schlussfolgerung ist im anschließenden
Gesetzgebungsverfahren niemand entgegengetreten, und auch das LSG Niedersachen-
Bremen hat sich diese Lesart bereits zu eigen gemacht (Beschluss vom 06. Mai 2008, L
6 B 48/08 AS).
Die teleologische Interpretation führt dabei zu keinem anderen Ergebnis. Zwar besteht
der Normzweck des § 172 Abs. 3 SGG n.F. darin, die Landessozialgerichte durch den
Ausschluss der Beschwerde zu entlasten. Dieses Ziel hat die Bundesregierung in ihrer
Begründung zum Gesetzentwurf herausgestellt (BT-Drs. 16/7716, S. 22 li. Sp. unten),
und auch der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme "eine nachhaltige Entlastung der
Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit für dringend geboten" gehalten (BR-Drs. 820/07, S.
2). Überdies hat der Ausschuss für Arbeit und Soziales in seinem Bericht und der
Beschlussempfehlung hervorgehoben, dass der Gesetzentwurf "die
Sozialgerichtsbarkeit nachhaltig" entlasten "und zugleich eine Straffung der
sozialgerichtlichen Verfahren herbeiführen" solle (BT-Drs. 16/8217, S. 1). In gleicher
Weise haben sich die Bundestagsabgeordneten Paul Lehrieder (CDU/CSU), Anette
Kramme (SPD), Heinz-Peter Haustein (FDP), Katja Kipping und Jörn Wunderlich (Die
Linke), Jerzy Montag und Markus Kurth (Bündnis 90/Die Grünen) sowie der
Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Soziales Klaus
Brandner in der 136. bzw. 145. Sitzung des Deutschen Bundestages geäußert. Es ist
daher zulässig, die Entlastung der Gerichte und die Straffung des sozialgerichtlichen
Verfahrens als "gesetzgeberisches Ziel" zu bezeichnen. Dieses Ziel ließe sich eher
erreichen, wenn § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG n.F. neben der Beschwerde in der Hauptsache
auch die Beschwerde im PKH-Verfahren ausschlösse. Allerdings können bei der
Auslegung und Anwendung der Gesetze nur die Motive und Vorstellungen des
Gesetzgebers berücksichtigt werden, die im Normtext ihren Niederschlag gefunden
haben (vgl. dazu: Bundesverwaltungsgericht [BVerwG], Urteil vom 29. Juni 1992, Az.: 6
C 11/92, NVwZ 1993 S. 270, 271f.). Denn verfassungsrechtlich muss jedes
Rechtsbehelfssystem so genau gefasst sein, dass der Bürger klar erkennen kann, unter
welchen Voraussetzungen er welches Rechtsmittel einlegen kann (vgl.
Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschlüsse vom 09. August 1978, Az.: 2 BvR
831/76, BVerfGE 49 S. 148, 164 und vom 07. Juli 1992, Az.: 2 BvR 1631/90, 2 BvR
1728/90, BVerfGE 87 S. 48, 65). Dies gebietet der Grundsatz der Rechtssicherheit, der
Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes [GG]) ist.
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Deshalb muss jede Verfahrensordnung genau beschreiben, ob, wie und unter welchen
Voraussetzungen der Rechtsuchende gerichtliche Entscheidungen überprüfen kann
(BVerfG, Beschluss des Plenums vom 30. April 2003, Az.: 1 PBvU 1/02, BVerfGE 107 S.
395, 416; Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 21. Mai 2007, Az.: B 1 KR 4/07 S,
SozR 4-1500 § 160a Nr. 17). Wer mit Überlegungen zu Sinn und Zweck, die sich nicht
im Normtext, sondern allenfalls in den Gesetzesmaterialien wiederfinden, den
Anwendungsbereich einer Beschwerdeausschlussnorm erweitert, provoziert damit
erhebliche Unsicherheiten. Denn der Bürger kann dann nicht mehr klar erkennen, ob er
die (einfache) Beschwerde vor dem LSG oder - um Rechtsverluste zu vermeiden -
gleichzeitig auch Verfassungsbeschwerde vor dem BVerfG einlegen muss. Derartige
Zwänge illustrieren die rechtsstaatlichen Defizite einer Gesetzesanwendung, die sich an
tatsächlichen oder vermeintlichen Motiven und Vorstellungen des Gesetzgebers
orientiert. Zugleich führen sie zu einer unnötigen Belastung der Bürger und der Gerichte,
was das gesetzgeberische Ziel wieder konterkarieren würde. Deshalb kann die weite
Auslegung des § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG n.F. auch nicht mit der Überlegung begründet
werden, dass der Rechtsmittelzug im PKH-Verfahren bei einem Beschwerdeausschluss
genauso weit wie im Hauptsacheverfahren reichen würde und Entscheidungen des LSG
im PKH-Verfahren den Beschlüssen des SG im Hauptsacheverfahren nicht
widersprechen könnten. Dass der Rechtszug im PKH-Verfahren weiter als im
Hauptsacheverfahren reicht, ist nämlich nicht ungewöhnlich und der Rechtsordnung
keinesfalls fremd. Denn in allen sozialgerichtlichen Klageverfahren, in denen die
Berufung zulassungsbedürftig wäre, kann Beschwerde gegen ablehnende PKH-
Beschlüsse eingelegt werden. Dies ist auch sachgerecht. Denn der PKH-Antrag ist in
der Regel vor dem Hauptsacheverfahren entscheidungsreif, und kein PKH-Beschluss
präjudiziert die Entscheidung in der Hauptsache.
2. Schließlich ist die Beschwerde auch nicht gem. § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§
127 Abs. 2 Satz 2, 2. Teilsatz ZPO ausgeschlossen. Danach ist die sofortige
Beschwerde gegen die Entscheidung über die Ablehnung der Prozesskostenhilfe
unstatthaft, wenn der Streitwert der Hauptsache den in § 511 ZPO genannten Betrag
nicht übersteigt, es sei denn, das Gericht hat ausschließlich die persönlichen oder
wirtschaftlichen Voraussetzungen für die PKH verneint. Da § 144 SGG die
Zulassungsbedürftigkeit der Berufung im sozialgerichtlichen Verfahren abschließend
regelt und deshalb § 511 ZPO verdrängt, kann § 127 Abs. 2 ZPO allenfalls analog
angewendet werden. Die dafür erforderliche planwidrige Regelungslücke fehlt jedoch
(vgl. zum Ganzen: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. Mai 2007, Az.: L 10 B
217/07 AS PKH; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 18. und 19. April 2007, Az.:
L 19 B 42/06 AL und L 16 B 9/07 KR, Breithaupt 2007 S. 812; LSG Baden-Württemberg
vom 02. Januar 2007, L 13 AS 4100/06 PKH-B; Krasney/Udsching, Handbuch des
sozialgerichtlichen Verfahrens, 4. Auflage 2005, Kap. VI Rn. 72; Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 8. Aufl. 2005, § 172 Rn. 1 und 4;
Peters/Sautter/ Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Auflage, Stand: April
2007, § 172 Rn 23; a.A. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 06. September 2005,
Az.: L 8 AL 1862/05 PKH-B und LSG Niedersachsen, Beschluss vom 06. Dezember
2005, Az.: L 8 B 147/05 AS sowie LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 13.
September 2007, Az.: L 13 B 7/07 SF, Nds Rpfl 2008 S. 62). Dies hat der Gesetzgeber
mit der Schaffung des § 172 Abs. 3 SGG n.F. nochmals verdeutlicht und damit einer
analogen Anwendung des § 127 Abs. 2 ZPO endgültig den Boden entzogen (so jetzt
ausdrücklich unter Aufgabe seiner gegenteiligen Rechtsprechung: LSG Niedersachen-
Bremen, Beschluss vom 06. Mai 2008, Az.: L 6 B 48/08 AS).
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B. Die somit statthafte Beschwerde ist begründet.
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Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 Satz 1 (ZPO) erhalten Beteiligte auf Antrag
PKH, wenn sie nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten
der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen können, die
beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht
mutwillig erscheint. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.
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Der Bf. hat Anspruch auf PKH, weil seine Antrag auf Anordnung der aufschiebenden
Wirkung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann
das Gericht der Hauptsache in Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage -
wie hier (§ 86a Abs. 2 Nr. 4 i.V.m. § 39 Nr. 1 des Zweiten Buches des
Sozialgesetzbuches [SGB II]) - keine aufschiebende Wirkung haben, auf Antrag die
aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Dies setzt nach § 86a Abs. 3
Satz 2 SGG, der auf das gerichtliche Verfahren entsprechend anzuwenden ist (Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 86b Rn. 12), voraus, dass ernstliche Zweifel an der
Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Im PKH-Verfahren
dürfen die Anforderungen an die Zweifelhaftigkeit allerdings nicht überspannt werden,
weil sonst das Tatbestandsmerkmal der hinreichenden Erfolgsaussicht durch den
Maßstab des tatsächlichen Erfolgs ersetzt würde. PKH ist daher zu gewähren, wenn
eine gute Möglichkeit besteht, dass der Antragsteller in der Hauptsache siegen wird,
sein Rechtsstandpunkt also vertretbar und die Beweisführung möglich ist; entfernte
Erfolgschancen genügen nicht (BVerfG, Beschluss vom 13. März 1990, a.a.O.; BSG,
Beschluss vom 04. Dezember 2007, Az: B 2 U 165/06 B; Hartmann in: Baumbach/
Lauterbach/ Albers/ Hartmann, ZPO, 66. Aufl 2008, § 114 Rn. 80 ff; Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 73a Rn. 7 bis 7b).
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Für den Erfolg des Eilverfahrens bestehen gute Möglichkeiten: Denn der Bf. hat
behauptet und immerhin mit einer eidesstattlichen Versicherung bekräftigt, dass er seine
Bewerbungsmappe am 10. oder 11. Februar 2008 in der job-com abgegeben habe.
Träfe dies zu, wäre der angefochtene Sanktionsbescheid rechtswidrig und aufzuheben,
weil der Bf. seine Pflichten aus der Eingliederungsvereinbarung ordnungsgemäß erfüllt
hätte (§ 362 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches [BGB] analog). Zudem hat der Bf.
seine Behauptung unter Beweis gestellt, indem er Frau U K aus T als Zeugin benannt
hat. Das SG wird diese Zeugin von Amts wegen vernehmen müssen. Ferner wird das
SG zu prüfen haben, ob der angefochtene Sanktionsbescheid wegen eines
Anhörungsfehlers (§ 24 Abs. 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches [SGB X])
formell rechtswidrig (gewesen) ist und dieser Fehler ggf. im Widerspruchs- oder
anschließenden Klageverfahren rückwirkend (vgl. hierzu: Steinwedel in: Kasseler
Kommentar, SGB X, § 41 Rn. 8f.; Littmann in: Hauck/Noftz, SGB X, § 41 Rn. 6; Wiesner
in: von Wulffen, SGB X, 5. Aufl. 2008, § 41 Rn. 4) geheilt werden kann oder konnte (§ 41
Abs. 1 Nr. 3 SGB X). Soweit das SG im Hauptsacheverfahren die widerstreitenden
öffentlichen und privaten Interessen gegeneinander abzuwägen hat, wird es zu prüfen
haben, ob und ggf. wie konkret dem Bf. die Wohnungskündigung und die Vollstreckung
einer Ersatzfreiheitsstrafe drohen bzw. gedroht haben. Darüber hinaus wird das SG zu
erwägen haben, welche Auswirkungen der mutmaßliche Anhörungsfehler auf die
Kostenentscheidung des Hauptsache- und Eilverfahrens hat (vgl. dazu Steinwedel in:
Kasseler Kommentar, SGB X, § 41 Rn. 9 a.E.).
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Anhaltspunkte für eine mutwillige Prozessführung liegen nicht vor. Der Bf. hat auch
glaubhaft gemacht, dass er die Kosten für die Prozessführung nicht aufbringen kann.
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Die Bewilligung erfolgt ab 25. April 2008, weil der PKH-Antrag und die erforderlichen
Belege erst an diesem Tag komplett vorlagen.
Dem Bf. ist Rechtsanwalt N gem. § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 121 Abs. 2 ZPO
antragsgemäß beizuordnen. Denn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erscheint
aufgrund der komplexen Zusammenhänge notwendig.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.
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Der Beschluss ist gem. § 177 SGG unanfechtbar.
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