Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 14.01.2005

LSG NRW: aussetzung, rente, rentner, aussetzen, anpassung, eingriff, konsolidierung, beitrag, eigentumsschutz, entlastung

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Vorinstanz:
Nachinstanz:
Sachgebiet:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Rechtskraft:
Landessozialgericht NRW, L 4 RA 60/04
14.01.2005
Landessozialgericht NRW
4. Senat
Urteil
L 4 RA 60/04
Sozialgericht Gelsenkirchen, S 8 RA 13/04
Bundessozialgericht, B 4 RA 9/05 R
Rentenversicherung
nicht rechtskräftig
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts
Gelsenkirchen vom 20.08.2004 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche
Kosten der Klägerin werden auch im Berufungsverfahren nicht erstattet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt eine Rentenanpassung um 2,66 % mit Wirkung zum 01.07.2004.
Seit dem 01.02.1996 bezieht die 1944 geborene Klägerin eine Rente wegen
Erwerbsunfähigkeit. Mit Schreiben vom 27.12.2003 erhob Sie Klägerin "Widerspruch"
gegen die von der Beklagten beabsichtigte Aussetzung der Rentenanpassung im Jahr
2004. Die Beklagte fasste das Schreiben als Antrag auf Anpassung der Rente zum
01.07.2004 auf, den sie mit Bescheid vom 17.02.2004 ablehnte. Durch Art. 2 des Zweiten
Gesetzes zur Änderung des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches und anderer
Gesetze (2. SGB VI-ÄndG) vom 27.12.2003 (BGBl. I. S. 3013) sei festgelegt worden, dass
sich der aktuelle Rentenwert zum 01.07.2004 nicht verändere. Dies habe zur Folge, dass
eine Erhöhung des Zahlbetrages mit Wirkung zum 01.07.2004 nicht eintreten werde. Die
Aussetzung der Rentenanpassung sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der mit
der Aussetzung der Rentenanpassung verbundene finanzielle Beitrag zur Konsolidierung
der Finanzsituation in der Rentenversicherung stelle keinen unverhältnismäßigen Eingriff
in die Eigentumsrechte von Rentner dar. Bei den Renten aus der gesetzlichen
Rentenversicherung handele es sich um Dauerleistungen, die im besonderen Maße den
sich ändernden Verhältnissen unterworfen seien. Versicherte und Rentnern in der
gesetzlichen Rentenversicherung könnten von vornherein nicht erwarten, dass die
gesetzlichen Vorschriften über die Leistungen der Rentenversicherung auf Dauer
unverändert fortbestünden. Die gesetzliche Rentenversicherung sei eine
Solidargemeinschaft, deren Rechte und Pflichten im Laufe der Zeit vielfachen
Veränderungen unterliegen könnten. So würden Veränderungen der Wirtschaftslage oder
auch des Verhältnisses zwischen Rentnern und der die Versicherung durch ihre Beiträge
tragenden, noch im Erwerbsleben stehenden Generation vielfach Anpassungen
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ermöglichen oder erfordern. Wer einer solchen Solidargemeinschaft beitrete, erwerbe nicht
nur die mit einem solchen System verbundenen Chancen, sondern trage mit den anderen
Versicherten auch ihre Risiken.
Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Die Rente sei ab dem 01.04.2004 aufgrund
der Verpflichtung, den vollen Pflegeversicherungsbeitrag zu zahlen um 0,85 % gekürzt
worden, während die Beamtenpensionen 2004 um insgesamt 0,92 % zuzüglich einer
Einmalzahlung von 50,- Euro erhöht worden seien. Unter Berücksichtigung einer weiteren
steuerlichen Entlastung der Beamtenpensionen von durchschnittlich 1,74 % würden die
Beamtenpensionen 2004 insgesamt um 2,66 % ansteigen. Während Beamte und
Versorgungsempfänger an der allgemeinen Einkommensentwicklung 2004 teilnähmen, sei
sie als Rentnerin durch die faktische Rentenkürzung zum 01.04.2004 und der Aussetzung
der Rentenanpassung zum 01.07.2004 von der allgemeinen Einkommensentwicklung
abgekoppelt. Dies widerspreche der verfassungsrechtlich gebotenen faktischen
Gleichstellung von Renten und Pensionen. Am 18.03.2004 wies die Beklagte den
Widerspruch als unbegründet zurück.
Am 29.03.2004 hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen mit dem
Begehren erhoben, die Beklagte zu verpflichten, ihre Rente wegen Erwerbsunfähigkeit mit
Wirkung zum 01.07.2004 um 2,66 % zu erhöhen. Sie hat vorgetragen, dass die Aussetzung
der Rentenanpassung und damit das Abkoppeln von der Entwicklung der Tariflöhne, die im
Vergleich zum Jahre 2003 um 2,5 % gestiegen seien, gegen Art. 2 Abs. 1, 3 Abs. 1 und 14
Abs. 1 und 2 Grundgesetz (GG) verstoße. Der mit dem Aussetzen der Rentenanpassung
verbundene finanzielle Beitrag zur Konsolidierung der Finanzsituation in der
Rentenversicherung stelle einen unverhältnismäßigen Eingriff in ihre Eigentumsrechte dar
und verstoße gegen ihren Vertrauensschutz. Die Konsolidierung der Finanzsituation der
Rentenversicherung obliege allein dem Bund, sie sei nicht Aufgabe der Rentner. Der Bund
sei verpflichtet Verluste in der Rentenversicherung auszugleichen. Art. 120 Abs. 1 Satz 4
GG ordne als dauerhafte Regel der Finanzverfassung dem Bund die Leistung von
Zuschüssen an die Rentenversicherung zu. Er besitze auch die Kompetenz zur Regelung
der Finanzen der Sozialversicherung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG). Die Rentenversicherung
sei keine Solidargemeinschaft mehr, weil Leistungen ohne volle Beitragszahlungen
Versicherten gewährt würden und der Bund erhebliche Transferleistungen in die
Rentenversicherung zahle. Durch die Ökosteuererträge trügen die Rentner ohne
finanziellen Ausgleich im Jahr 2004 wesentlich zur Stabilisierung des
Rentenversicherungsbeitrags bei. Das Aussetzen der Rentenanpassung sei willkürlich,
weil die tariflichen Grundlöhne und - Gehälter im Jahr 2003 gegenüber dem Vorjahr um
durchschnittlich 2,5 % gestiegen seien. Die Erhöhung der Beamtenpensionen betrage 2,66
%. Die Ungleichbehandlung von Pensionären und Rentnern im Jahr 2004 sei mit den
beiden europäischen Antidiskriminierungs-Richtlinien, die unter anderem bestimmten, dass
niemand wegen seines Alters benachteiligt werden dürfe, nicht vereinbar.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Gerichts ohne mündliche
Verhandlung einverstanden erklärt.
Mit Urteil vom 20.08.2004 hat das SG Gelsenkirchen die Klage abgewiesen und zur
Begründung ausgeführt, die Bestimmung des § 65 SGB VI, die eine Neuanpassung der
Renten zum 01. Juli eines jeden Jahres vorsehe, finde aufgrund des Art. 2 Abs. 2 des 2.
SGB VI-ÄndG für das Jahr 2004 keine Anwendung. Das Aussetzen der Rentenanpassung
zum 01.07.2004 verletze die Klägerin nicht in ihren Grundrechten. Ein Verstoß gegen das
Eigentumsrecht aus Art. 14 GG liege nicht vor. Der Eigentumsschutz nach Art. 14 GG
erstrecke sich zwar grundsätzlich auch auf die Versichertenrenten und Anwartschaften aus
Versichertenrenten aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Das
Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe es jedoch bislang offen gelassen, ob und
inwieweit auch die Anpassung der Renten vom Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG erfasst
werde. Selbst wenn die kontinuierliche Rentenanpassung dem vollen Eigentumsschutz
des Art. 14 Abs. 1 GG unterfalle, bestehe für den Gesetzgeber nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2
GG die Möglichkeit, beschränkend in eigentumsgeschützte Rechtspositionen einzugreifen.
Dies sei zulässig, wenn der Eingriff im öffentlichen Interesse liege und den Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit wahre. Hierbei habe der Gesetzgeber einen weiten gesetzgeberischen
Gestaltungsspielraum (Jäger, Die Positionen in den gesetzlichen Sozialversicherungen im
Spiegel der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, NZS 2003, 225 ff.). Dies
gelte umso mehr für Bestimmungen, die dazu dienten, die Funktionsfähigkeit des Systems
der gesetzlichen Rentenversicherung im Interesse der Gemeinschaft der Versicherten zu
erhalten, zu verbessern oder veränderten wirtschaftlichen Verhältnissen anzupassen. Die
Finanzierung der Rentenleistungen stehe in einer Wechselwirkung zur Wirtschaftskraft der
Beitrags- und Steuerzahler, des Staates und der gesamten Volkswirtschaft und damit unter
einem permanenten Anpassungszwang an die sich verändernden wirtschaftlichen und
gesellschaftlichen Verhältnisse (Wiechmann, Verfassungsmäßigkeit der Rentenanpassung
2003, die Angestelltenversicherung 2003, 307 ff). Der Gesetzgeber müsse gerade bei der
Entscheidung über eine Anpassung des aktuellen Rentenwertes die Belange der Rentner
mit denjenigen der Beitragszahler (Generationenvertrag) vor dem Hintergrund der
wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten (Umlageverfahren) abwägen. Dabei dürfe der
Gesetzgeber aus Gründen der Entlastung der Beitragszahler und der Finanzierbarkeit der
gesetzlichen Rentenversicherung auch eine Abkoppelung der Rentenanpassung von der
allgemeinen Lohn- und Gehaltsentwicklung oder eine Aussetzung der Rentenanpassung
vornehmen (BSG, Urteil vom 31.07.2002, B 4 RA 120/00 R). Verfassungsrechtlich
problematisch könne es allenfalls sein, wenn künftige Rentenanpassungen kontinuierlich
über einen längeren Zeitraum unterhalb der Geldentwertung (Inflation) lägen oder
ausgesetzt würden. Mit Blick auf das aktuelle geringe wirtschaftliche Wachstum verbunden
mit der bestehenden hohen Arbeitslosigkeit und der daraus resultierenden Finanzlücke in
der gesetzlichen Rentenversicherung sei die vom Gesetzgeber verfügte Aussetzung der
Rentenanpassung für 2004 als verfassungsrechtlich probates Mittel anzusehen, die
Funktionsfähigkeit und den Erhalt des gesetzlichen Rentenversicherungssystems sicher zu
stellen. Das Aussetzen der Rentenanpassung stelle einen notwendigen Beitrag der
Rentner zur Beibehaltung des Beitragssatzes von 19,5 % im Jahr 2004 und damit zur
Stabilisierung des Rentenversicherungssystems dar. Entgegen der Auffassung der
Klägerin könne aus den Regelungen der Art. 74 Abs. 1 Nr. 12, 20 Abs. 1 Satz 4 GG nicht
die verfassungsrechtliche Aufgabe des Bundes entnommen werden, die gesetzliche
Rentenversicherung ohne Inanspruchnahme der Versichertengemeinschaft umfassend zu
sanieren. Sowohl Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG wie auch Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG gewährten
keine Ansprüche gegen den Bund auf bestimmte Zahlungen in die Sozialversicherung,
weder für die einzelnen Versicherten noch für die sozialen Versicherungsträger
(Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland § 120 Rdr. 1). Auch
könne die Klägerin aus den von ihr hervorgehobenen Unterschieden im
Versorgungsniveau von Rentnern und Ruhestandsbeamten unter Beachtung des
allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes des Art. 3 Abs. 1 GG keinen Anspruch auf
Rentenanpassung in Höhe von 2,66 % herleiten. Bei den von der Klägerin zum Vergleich
gestellten Lebenssachverhalten der Versorgung durch die gesetzliche Rentenversicherung
einerseits und der Beamtenversorgung andererseits handele es sich nicht um
vergleichbare Sachverhalte i.S.v. Art. 3 Abs. 1 GG, da beide Versorgungssysteme von
erheblichen Unterschieden geprägt seien. Ein bloßer Vergleich der Bezugshöhe der
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gesetzlichen Renten und eines entsprechenden Ruhegehaltes bzw. der jeweiligen
jährlichen Renten- bzw. Pensionsanpassung verbiete sich im Hinblick auf die
systembedingten Unterschiede. Es obliege allein dem Gesetzgeber zu entscheiden, ob er
die sich von einander unterscheidenden sozialen Sicherungssysteme in ihrer Existenz
aufrecht erhalte oder ob und wie er die Systeme aneinander angleichen wolle, wobei er die
systembedingten Unterschiede zu berücksichtigen habe.
Gegen das am 07.09.2004 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 01.10.2004 Berufung
eingelegt.
Sie wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen. Ergänzend hat sie vorgetragen, die
Rentendynamik unterfalle dem Eigentumsschutz des Art. 14 Abs. 1 GG, da es sich um eine
dem Einzelnen in "Art eines Ausschließlichkeitsrecht" als privatnützig zugeordneten und
auf nicht unerhebliche Eigenleistung des Berechtigten beruhenden der Existenzsicherung
dienenden Rechtsposition handele. Das Aussetzen der Rentenanpassung im Jahr 2004
stelle damit einen Eingriff in das Eigentumsrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG und keine zulässige
Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums i.S.v. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dar. Sie
habe durch die Abführung von Beiträgen ein Anrecht auf eine Rente erworben, die sich
alljährlich an die allgemeine Lohn- und Gehaltsentwicklung anpasse. Die Verlässlichkeit
der Vorschriften über die Rentenanpassung habe deshalb für sie überragende Bedeutung.
Das Vertrauen in die Verlässlichkeit des Rentensystems werde durch das Aussetzen der
Rentenanpassung nachhaltig erschüttert, insbesondere im Hinblick darauf, dass schon in
der jüngeren Vergangenheit wiederholt Eingriffe in die lohn- und gehaltsbezogene
Rentenanpassung vom Gesetzgeber vorgenommen worden seien. Aufgrund der in den
Jahren 2000, 2001 und 2004 vorgenommenen Eingriffe des Gesetzgebers sei davon
auszugehen, dass solche, lediglich als Ausnahmen vorgesehene Eingriffe, die Regel
würden und der Gesetzgeber jederzeit mit dem Hinweis auf finanzielle Schwierigkeiten -
die erwartungsgemäß künftig auch nicht abnehmen würden - derartige Eingriffe vornehmen
könne. Dies werde zu einer Aushöhlung der eigentumsrechtlich geschützten
Rentendynamik führen. Deshalb sei der durch das Aussetzen der Rentenanpassung im
Jahr 2004 bedingte Eingriff in die Rentendynamik auch unter Berücksichtigung der vom
Gesetzgeber angeführten Gründen - finanzielle Entlastung und Sicherung der
Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung - verfassungsrechtlich nicht
gerechtfertigt. Eine Rechtfertigung des Eingriffes könne sich auch nicht daraus ergeben,
dass sich im Falle einer Rentenanpassung zum 01.07.2004 aus der entsprechenden
Formel nach § 68 SGB VI allenfalls eine geringe Steigerung der Zahlbeträge - ca. 0,57 % -
ergeben hätte. Zur Stützung ihres Begehrens hat die Klägerin eine gutachtliche
Stellungnahme von Prof. Dr. I zur Ver fassungsmäßigkeit der Aussetzung der
Rentenanpassung für das Jahr 2004 durch Art. 2 des 2. SGB VI-ÄndG, erstattet für den
Sozialverband Deutschland, zu den Akten gereicht.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 20.08.2004 zu ändern und die Beklagte
unter Aufhebung des Bescheides vom 17.02.2004 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 18.03.2004 zu verurteilen, ihre Rente wegen
Erwerbsunfähigkeit mit Wirkung ab dem 01.07.2004 unter Vornahme einer
Rentenanpassung in Höhe von 2,66 %, hilfsweise von mehr als 0,0 %, neu festzustellen.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung
einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der beigezogenen Akte des SG Gelsenkirchen S 8 RA 14/04 ER Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche
Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten sich mit einer Entscheidung ohne mündliche
Verhandlung einverstanden erklärt haben.
Die zulässige Berufung ist unbegründet
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, eine
Anpassung des Zahlbetrages der Rente nach §§ 65,68 SGB VI mit Wirkung zum 1.07.2004
vorzunehmen. Dabei kann dahinstehen, ob die Klägerin, unterstellt es sei eine
Rentenanpassung entsprechend §§ 65,68 SGB VI zum 1.7.2004 vorzunehmen, einen
Anspruch auf Erhöhung der Rente um 2, 66 % hat. Das SG hat zutreffend ausgeführt, dass
Art. 2 Abs. 2. des 2. SGB VI-ÄndG die Aussetzung der in § 65 SGB VI vorgesehenen
Anpassung der Renten zum 1. Juli eines jeden Jahres für das Jahr 2004 anordnet. Art. 2
des Abs. 2 2. SGB VI-ÄndG stellt eine Sonderregelung zu § 65 SGB VI dar.
Die Aussetzung der Rentenanpassung ist mit dem Verfassungsrecht vereinbar. Insoweit
nimmt der Senat Bezug auf die Ausführungen in der erstinstanzlichen Entscheidung, die er
sich nach Prüfung zu eigen macht und sieht von einer weiteren Darstellung der
Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend weist der Senat auf folgendes
hin: Die Aussetzung der Rentenpassung verletzt weder die Eigentumsgarantie des Art. 14
Abs. 1 GG noch Art. 3 Abs. 1 GG. Die in §§ 65, 68 SGB VI geregelte lohn- und
gehaltsorientierte Rentenanpassung unterfällt dem Eigentumsschutz des Art. 14 GG
insoweit, als sie innerhalb der Systemgrenzen der gesetzlichen Rentenversicherung dem
Schutz bereits erworbener geldwerter Rechte vor inflationsbedingten Einbußen, also dem
Schutz des realen Geldwerts des Rechts auf Rente zu dienen bestimmt ist (BSG, Urteil vom
31.07.2002, B 4 RA 120/00 R, SozR 3-2600, § 255c Nr. 1). Die konkrete Reichweite der
Bestandsgarantie der Rentenanpassung ergibt sich aus den Bestimmungen über Inhalt und
Schranken des Eigentums, deren Erlass Aufgabe des Gesetzgebers ist (Art. 14 Abs. 1 S. 2
GG). Durch die Bestimmungen des Art. 2 des 2. SGG-ÄndG wird den Rentnern das
eigentumsgeschützte Rechte auf Rentenanpassung nicht auf Dauer entzogen, sondern die
Rentenanpassung wird nur für die Dauer eines Jahres ausgesetzt. Wegen des befristeten
Charakters der Aussetzung handelt es sich bei der Bestimmung des Art. 2 des 2. SGG-
ÄndG um eine Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums i.S.v. Art. 14 Abs. 1 S. 2
GG.
Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG verleiht dem Gesetzgeber die Befugnis, den Inhalt und die
Schranken eigentumsrechtlich geschützter Positionen zu beschränken, zu kürzen oder
umzugestalten, wenn dies durch Gründe des öffentlichen Interesses und unter
Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt ist (BVerfG,
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Beschluss vom 28.04.1999, 1 BvL 32/95, BVerfGE 100, 1 (37)). Dabei steht dem
Gesetzgeber eine weite Gestaltungsfreiheit zu, da auch in den Renten die Möglichkeit von
Änderungen in gewissen Grenzen angelegt ist. Das Rentenversicherungsverhältnis beruht
nicht auf dem reinen Versicherungsprinzip, sondern auf dem Gedanken der Solidarität und
des sozialen Ausgleiches (BSG, Urteil vom 24.02.1999, B 5 RJ 28/98 R, SozR 3-2600 §
300 Nr. 14; Urteil vom 18.04.1999, 4 RA 36/94, SozR 3-2600 § 71 Nr. 1) Regelungen, die
dazu dienen, die Funktions- und Leistungsfähigkeit des Systems des gesetzlichen
Rentenversicherung im Interesse aller zu erhalten, zu verbessern oder an veränderte
wirtschaftliche Verhältnisse anzupassen, sind im Hinblick auf den sozialen Bezug des
Rentenversicherungsverhältnisses grundsätzlich im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG
zulässig. Damit sind Beschränkungen des Rechts auf Rentenanpassung zum Zwecke des
Allgemeinwohls unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit möglich.
Durch die im 2. SGB VI-ÄndG getroffenen Maßnahmen zur Dämpfung des Beitragssatzes
sollte die Funktions- und Leistungsfähigkeit des Systems der gesetzlichen
Rentenversicherung erhalten und durch die Vermeidung des weiteren Anstiegs von
Lohnzusatzkosten in Folge von Beitragsersatzerhöhungen mittelbar auf die Sicherung und
den Ausbau von Beschäftigungen mit wiederum positiven Auswirkungen auf die
nachhaltige Sicherung der Finanzierungsgrundlagen eingewirkt werden. (BT-Drucks.
15/1830 S. 1, 8).
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist gewahrt. Als Mittel der Ausgabenkürzung ist die
vorübergehende Aussetzung der Rentenanpassung geeignet und erforderlich, um eine
Erhöhung des Beitragssatzes zu vermeiden und die Finanzierungsgrundlagen des
Systems der gesetzlichen Rentenversicherung zu sichern. Durch eine Minderung des
Anstiegs der Leistungsausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung entsteht im
Umlageverfahren direkt ein geringerer Finanzierungsbedarf. Jede Leistungskürzung
bewirkt unmittelbar eine Senkung der Beitragslast und damit eine Erhöhung der Anteile der
Arbeitgeber an den Roherträgen der Unternehmen. Die Kürzung von Rechten auf
Geldleistungen ist stets geeignet, die Geldschulden der Schuldner vorliegend der
Rentenversicherungsträger zu verringern. (BSG, Beschluss vom 30.03.2004, B 4 RA 24/02
R). Die Aussetzung der Rentenanpassung ist zur Sicherung der Finanzierungsgrundlagen
der gesetzlichen Rentenversicherung im Sinne der Wahl des schonendsten Mittels
erforderlich. Ein Abwägungsdefizit des Gesetzgebers ist nicht erkennbar (zu den
Anforderungen an die Abwägung siehe: BSG, Beschluss vom 30.03.2004, B 4 RA 24/02 R
m.w.N.). Es liegt in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, ob und wie er notwendige
Einsparungen vornimmt. Er kann frei wählen, ob er zur Konsolidierung der
Rentenversicherung auf das Mittel der Ausgabenkürzung, der Beitragserhöhung oder der
Erweiterung des Kreises der Beitragspflichtigen zurückgreift. Der vom Gesetzgeber
angeführte Gesichtspunkt, dass ein weiterer Anstieg der Lohnzusatzkosten durch eine
ansonsten erforderliche erhebliche Beitragserhöhung und die damit verbundene
Gefährdung von Arbeitsplätzen zu vermeiden ist und die erwerbstätigen Versicherten
schon durch die vorangegangenen Rentenreformen, die zu Kürzungen der künftigen
Leistungsansprüche geführt haben, eine Beitrag zur Konsolidierung der gesetzlichen
Rentenversicherung getragen haben, ist nicht zu beanstanden. Des weiteren behandelt
eine Verzögerung der Anpassung der Renten an die Lohnentwicklung der aktuellen
Arbeitnehmer alle Rentner gleich und trifft nicht nur eine Gruppe der Rentner. Der aktuelle
Rentenwert, der bei der Anpassung der Rente nach § 65 SGB VI durch einen neuen Wert
ersetzt wird, ist das dem Gesetzgeber bei systembezogenen Eingriffen bevorzugt zur
Verfügung stehende Mittel, um in der gesamtwirtschaftlichen Lage sowie in der
Einzelsituation der Rentenversicherung wurzelnde Problemlagen mit Wirkung für alle
Mitglieder der Versichertengemeinschaft unter Achtung ihrer individuellen, durch gesetzlich
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anerkannte Vorleistungen erworbenen Teilhabeberechtigungen Rechnung zu tragen (BSG,
Beschluss vom 30.03.2004, B 4 RA 24/02 R m.w.N.). Neben der Aussetzung der
Rentenanpassung, also der Belastung der Leistungsempfänger, hat der Gesetzgeber
weitere Maßnahmen im 2. SGB VI-ÄndG - Absenkung der Schwankungsreserve und
Rückgängigmachung der Kürzung des Bundeszuschusses zur gesetzlichen
Rentenversicherung - ergriffen, um die Stabilität des Beitragssatzes von 19,5 % im Jahr
2004 zu sichern. Die Aussetzung der Rentenanpassung ist der Klägerin als
Leistungsempfängerin auch zumutbar. Denn der Eingriff in ihr Recht auf Rentendynamik ist
auf die Dauer eines Jahres begrenzt. Auch wird durch diese Maßnahme ihr
eigentumsrechtlich geschütztes Recht auf Rentenanpassung nicht so ausgehöhlt, dass es
nur noch eine Hülse ohne Inhalt darstellt. Es handelt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt um
eine einmalige Maßnahme, die nur geringe wirtschaftliche Auswirkungen hat. Die Klägerin
hat selbst eingeräumt, dass eine Rentenanpassung entsprechend den Vorgaben des § 68
SGB VI nur eine geringe Erhöhung des Zahlbetrags zur Folge gehabt hätte. Nach
Darlegung von Prof. Dr. I, auf dessen Feststellungen sich die Klägerin beruft, hätte die
Renten in Westdeutschland um rund 0,57 % nach den Vorgaben des § 68 SGB VI
angehoben werden müssen.
Das SG hat zutreffend dargelegt, dass Art. 3 Abs. 1 GG nicht gebietet, die Altersversorgung
der Rentner und Beamtenpensionäre nach den gleichen Grundsätzen zu regeln. Dabei
kann offen stehen, ob die von der Klägerin aufgestellte Berechnung der Erhöhung der
Beamtenpensionen um 2,66 % im Jahr 2004 zutrifft oder nicht.
Der Senat nimmt auf die Gründe des angefochtenen Urteils Bezug.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision wird nach § 160 Abs. 2 SGG zugelassen.