Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 16.03.2005

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Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urteil vom 16.03.2005 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hannover S 2 KR 960/00
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 4 KR 17/02
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Rechtsstreit betrifft die Kostenübernahme für Behandlungen nach der Methode Dr. Kozijavkin wegen Multipler
Sklerose.
Der im März 1965 geborene Kläger ist Mitglied der Beklagten. Er leidet an Multipler Skle-rose. Mit Schreiben vom 9.
Oktober 1998 beantragte er bei der Beklagten die Kosten-übernahme für eine Behandlung bei Dr. Kozijavkin vom 20.
Juli bis 3. August 1998. Er machte für Flug, Unterkunft, Verpflegung und Behandlung einen Gesamtbetrag von
9.339,00 DM geltend. Mit Bescheid vom 16. Oktober 1998 lehnte die Beklagte den An-trag ab. Hiergegen erhob der
Kläger Widerspruch. Am 13. August 1999 stellte der Kläger einen weiteren Antrag auf Kostenübernahme in
Gesamthöhe von 9.585,00 DM für eine Behandlung bei Dr. Kozijavkin vom 22. Juni bis 6. Juli 1999, den die Beklagte
mit Be-scheid vom 30. August 1999 ablehnte. Auch hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Schließlich lehnte die
Beklagte auch den Kostenübernahmeantrag des Klägers vom 14. August 2000 in Gesamthöhe von 9.516,20 DM für
die Behandlung bei Dr. Kozijavkin vom 30. Mai bis 13. Juni 2000 ab (Bescheid vom 23. August 2000). Den
Widerspruch dage-gen wies die Beklagte zusammen mit den beiden zuvor erhobenen Widersprüchen mit
Widerspruchsbescheid vom 22. November 2000 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 12. Dezember 2000 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hannover erhoben. Das SG hat
die drei Rechtsstreitigkeiten zur gemeinsamen Verhand-lung und Entscheidung unter dem führenden Aktenzeichen: S
2 KR 960/00 verbunden. Es hat die Klagen sodann durch Gerichtsbescheid vom 20. Dezember 2001 abgewiesen: Ein
Anspruch des Klägers auf Kostenübernahme nach § 18 Abs. 1 und 2 Fünftes Sozial-gesetzbuch (SGB V) bestehe
nicht. Verfahren zur Behandlung von Multipler Sklerose, die dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse
entsprächen, gäbe es auch im Inland. Das ergebe sich aus dem von der Beklagten eingeholten Gutachten des
Medizini-schen Dienstes der Krankenversicherung Niedersachsen. Im Übrigen entspreche die Methode nach Dr.
Kozijavkin nicht dem allgemein anerkannten Stand medizinischer Er-kenntnisse. Das habe das Bundessozialgericht
(BSG) in seinem Urteil vom 14. Februar 2001, Az.: B 1 KR 29/00 R entschieden.
Gegen den ihm am 28. Dezember 2001 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 22. Januar 2002 Berufung
eingelegt und zahlreiche medizinische Unterlagen übersandt. Nach Ansicht namhafter Mediziner in der Bundesrepublik
Deutschland gebe es bis heute keine mit der Behandlung nach Dr. Kozijavkin vergleichbare Methode, die in ähnlich
kur-zer Zeit einen solchen Erfolg bringe. Die komplexe Behandlung bei Dr. Kozijavkin werde daher auch von
anerkannten deutschen Spezialisten empfohlen. Bei ihm – dem Kläger – habe die Behandlung zu hervorragenden
Ergebnissen geführt. Das werde von der Ergo-therapeutin C. und von dem Krankengymnasten D. bestätigt.
Der Kläger beantragt,
1. den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 20. Dezember 2001 sowie die Bescheide der Beklagten
vom 16. Oktober 1998, 30. August 1999 und 23. August 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbe-scheides vom 22.
November 2000 aufzuheben,
2. die Beklagte zu verurteilen, die im Zusammenhang mit der Behandlung durch Dr. Kozijavkin in den Zeiträumen vom
20. Juli bis 3. August 1998, vom 22. Juni bis 6. Juli 1999 und vom 30. Mai bis 13. Juni 2000 ent-standenen Kosten zu
übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Der Senat hat zahlreiche Unterlagen in das Verfahren eingeführt, u.a. aus dem Verfahren vor dem LSG
Niedersachsen-Bremen: L 4 KR 46/01, das die Behandlung der Infantilen Zerebralparese mit der Methode Dr.
Kozijavkin betrifft. Der Senat hat ferner eine gutach-terliche Stellungnahme des Chefarztes der Klinik für Manuelle
Therapie e.V. in Hamm Dr. E. vom 26. April 2004 eingeholt.
Die Verwaltungsakten der Beklagten, die Akten im Parallelverfahren L 4 KR 101/04 nebst Beiakten, die Akten des
Sozialgerichts Hannover S 2 KR 961/00 und S 2 KR 962/00 ha-ben mit den Prozessakten des vorliegenden
Rechtsstreits vorgelegen und sind Ge-genstand der Entscheidung gewesen. Wegen der Einzelheiten des
Sachverhaltes und des Vortrages der Beteiligten wird auf diese Akten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs 2
Sozialgerichtsgesetz – SGG -).
Die Berufung des Klägers ist zulässig.
Sie ist jedoch unbegründet.
Dem Kläger steht kein Anspruch auf Verurteilung der Beklagten zur Übernahme der Kosten zu, die anlässlich seiner
Behandlung durch Dr. Kozijavkin in der Ukraine entstan-den sind. Er hat auch keinen Anspruch auf Neubescheidung.
Ein Anspruch auf Verurteilung der Beklagten zur Kostenübernahme ergibt sich nicht aus zwischenstaatlichem Recht.
Denn zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Ukraine bestehen keine Vereinbarungen über die Gewährung
von Krankenversiche-rungsleistungen.
Es besteht auch kein Anspruch auf Verurteilung der Beklagten zur Kostenübernahme nach deutschem Recht.
Nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 SGB V in Verbindung mit Europäischem Gemeinschaftsrecht ruht ein Anspruch auf
Leistungen aus der deutschen Krankenversicherung, solange sich ein Versicherter im Ausland aufhält, das nicht zum
Vertragsgebiet der Europäischen Union (EU) gehört. Die Ukraine ist kein Mitgliedsstaat der EU. Ansprüche des
Klägers nach dem SGB V haben während seiner Aufenthalte in der Ukraine daher grundsätzlich ge-ruht.
Eine Ausnahme hiervon besteht für den Anspruch des Klägers auf Verurteilung der Be-klagten zur Kostenübernahme
nicht. Zwar hat der Gesetzgeber in § 18 SGB V von dem grundsätzlichen Ruhen eines Leistungsanspruches bei
Auslandsaufenthalt Ausnahmen vorgesehen. § 18 SGB V gewährt jedoch lediglich Ermessensleistungen. Der Kläger
hat daher keinen Rechtsanspruch auf Leistungsgewährung.
Ihm steht aber auch kein Anspruch auf Neubescheidung durch die Beklagte nach § 18 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 SGB zu.
Die Frage, ob die Methode Dr. Kozijavkin die Voraussetzungen des § 18 Abs. 1 Satz 1 SGB V erfüllt, war bereits
Gegenstand höchstrichterlicher Rechtsprechung. Das BSG hat in seinem Urteil vom 14. Februar 2001 (B 1 KR 29/00
R in SozR 3-2500 § 18 Nr. 6) ent-schieden, dass die Behandlungsmethode Dr. Kozijavkin bis einschließlich August
1999 nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse im Sinne des § 18 Abs. 1 Satz 1 SGB
V entsprochen hat. Nach Ansicht des BSG war die Methode bis zu diesem Zeitpunkt wissenschaftlich nicht
anerkannt. Das Therapiekonzept von Dr. Kozi-javkin sei in den seinerzeit verfügbaren Äußerungen deutscher
Wissenschaftlicher und sozialpädiatrischer Ärzte überwiegend skeptisch bis ablehnend beurteilt worden. Das könne
sich jedoch geändert haben, nachdem das Behandlungskonzept Dr. Kozijavkin und die mit dieser Methode erzielten
Ergebnisse auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin im September
1999 einem Fach-publikum vorgestellt und veröffentlicht worden seien. Damit ist höchstrichterlich entschie-den, dass
die Tatbestände des § 18 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 SGB V für Behandlungen bei Dr. Kozijavkin bis August 1999 nicht
erfüllt sind. Der Kläger hat daher schon aus diesem Grund für seine Behandlungen im Sommer 1998 und im Sommer
1999 keinen Anspruch auf Neubescheidung durch die Beklagte.
Ihm steht auch kein Anspruch auf Neubescheidung nach § 18 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 SGB V für die Behandlungen
vom 30. Mai bis 13. Juni 2000 zu.
Nach § 18 Abs. 1 Satz 1 SGB V kann die Krankenkasse die Kosten der erforderlichen Behandlung im Ausland ganz
oder teilweise übernehmen, wenn eine dem allgemein an-erkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse
entsprechende Behandlung einer Krankheit nur im Ausland möglich ist. Liegen diese Voraussetzungen vor, kann die
Kran-kenkasse darüber hinaus weitere Kosten für den Versicherten und für eine erforderliche Begleitperson ganz oder
teilweise übernehmen (§ 18 Abs. 2 SGB V). Nach der Recht-sprechung des BSG entspricht eine
Behandlungsmethode dann dem allgemein aner-kannten Stand der medizinischen Erkenntnisse, wenn sie nicht nur
von einzelnen Ärzten, sondern von der großen Mehrheit der einschlägigen Fachleute, also von Ärzten und Wis-
senschaftlern, befürwortet wird. Von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstim-men abgesehen muss über die
Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens bestehen (BSG, Urteil vom 14. Februar 2001, aaO). Dem schließt sich der
erkennende Senat an. Er ver-steht die Definition des BSG allerdings in dem Sinne, dass nur diejenige Methode medi-
zinischer Standard ist, deren Wirksamkeit belegt ist.
Die Behandlung von Multipler Sklerose mit der Methode Dr. Kozijavkin hat auch im Jahre 2000 nicht dem allgemein
anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspro-chen. Der Kläger kann sich insoweit nicht auf die
Rechtsprechung des erkennenden Se-nat berufen.
Zwar hat der erkennende Senat wiederholt entschieden, dass die Methode Dr. Kozijavkin seit September 1999 dem
allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse im Sinne von § 18 Abs. 1 SGB V entspricht (LSG Niedersachsen-
Bremen, Urteile vom 24. Sep-tember 2003 – L 4 KR 204/00 – und vom 16. Juni 2004 – L 4 KR 101/04 -). Beide Ent-
scheidungen des Senats betrafen jedoch die Behandlung der Infantilen Zerebralparese. Nur bezüglich dieser
Erkrankung hat der Senat das Vorliegen der Voraussetzungen des § 18 Abs. 1 Satz 1 SGB V bejaht. Im vorliegenden
Fall geht es aber nicht um die Be-handlung einer Infantilen Zerebralparese. Der im Behandlungszeitraum bereits 35-
jährige Kläger leidet vielmehr an Multipler Sklerose. Die Urteile des Senats vom 24. September 2003 und 16. Juni
2004 sind daher nicht einschlägig.
Aufgrund der gutachterlichen Stellungnahme des Chefarztes der Klinik für Manuelle The-rapie e.V. in Hamm Dr. E.
vom 26. April 2004 hat der Senat die Überzeugung gewonnen, dass die Anwendung der Methode Dr. Kozijavkin bei
Multipler Sklerose nicht dem allge-mein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht.
Nach den Bekundungen von Dr. E. beruht die Methode Dr. Kozijavkin auf einem multi-modalen Behandlungskonzept.
Im Vordergrund der Therapie steht der manualtherapeuti-sche und multimodale Therapieansatz. Dr. E. führt in seiner
Stellungnahme wiederholt aus, dass die Behandlung der Multiplen Sklerose mit einem manualtherapeutischen An-satz
neu ist. Es gibt – so Dr. E. - nur sehr wenige Therapeuten, die Multiple Sklerose-Patienten mit Manualtherapie
behandeln. Außer seiner eigenen Klinik, der Klinik für Ma-nuelle Therapie, hat Dr. E. keine andere Einrichtung und
keinen anderen Therapeuten nennen können, die einen manualtherapeutischen Ansatz bei der Behandlung von Mul-
tipler Sklerose verfolgen. Aus der schlüssigen und folgerichtigen Darstellung von Dr. E. ergibt sich daher zur
Überzeugung des Senats, dass die Methode Dr. Kozijavkin für die Behandlung der Multiplen Sklerose daher nicht
allgemein akzeptiert ist. Damit entspricht sie nicht – wie auch Dr. E. ausführt – dem Stand der medizinischen
Erkenntnisse.
Die Voraussetzungen des § 18 Abs. 1 Satz 1 SGB V sind für die Behandlung des Klägers bei Dr. Kozijavkin im Jahre
2000 daher nicht erfüllt, auch wenn die Behandlung bei ihm nach der Beurteilung seiner Ergotherapeutin und seines
Krankengymnasten positiv ge-wirkt hat. Die Berufung kann keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Zur Zulassung der Revision besteht kein gesetzlicher Grund (§ 160 Abs. 2 SGG).