Urteil des LSG Hessen vom 30.10.2008

LSG Hes: private krankenversicherung, krankenkasse, behandlung im ausland, künstliche befruchtung, krankheit, ivf, ermessen, verursacherprinzip, verfassungskonform, drucksache

Hessisches Landessozialgericht
Urteil vom 30.10.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Gießen S 9 KR 458/04
Hessisches Landessozialgericht L 1 KR 143/07
Bundessozialgericht B 1 KR 2/09 B
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 12. Oktober 2005 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Erstattung von 50% der Kosten für die Maßnahmen, die an seiner Ehefrau
im Rahmen einer künstlichen Befruchtung mittels intrazytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI) durchgeführt
worden sind.
Der 1968 geborene Kläger ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Seine Ehefrau ist privat
krankenversichert. Aufgrund der eingeschränkten Zeugungsfähigkeit des Klägers unterzog sich das Ehepaar im Jahr
2004 einer künstlichen Befruchtung mittels ICSI. Die Beklagte übernahm dabei zunächst nur die Kosten für die
Maßnahmen, die an dem Körper des Klägers selbst durchgeführt werden mussten. Mit Schreiben vom 3. März 2004
beantragte der Kläger unter Vorlage eines Behandlungs- und Kostenplans von Prof. Dr. T. bei der Beklagten auch die
Übernahme der Kosten in Höhe von 3.491,3 EUR pro Zyklusfall, die im Rahmen der Sterilitätsbehandlung an dem
Körper seiner Ehefrau durchzuführen waren.
Die Beklagte lehnte die Kostenübernahme mit Bescheid vom 22. März 2004 ab. Mit seinem dagegen erhobenen
Widerspruch machte der Kläger geltend, die Beklagte habe die Kosten für die Durchführung von Maßnahmen an
seiner Ehefrau zu übernehmen, da deren private Krankenversicherung die Kostenübernahme mit dem Hinweis auf das
Verursacherprinzip abgelehnt habe. Die Beklagte half dem Widerspruch teilweise ab, indem sie sich bereit erklärte,
auch die Kosten für die im Rahmen der ICSI-Behandlung durchzuführenden extrakorporalen Maßnahmen zu
übernehmen. Im Übrigen wies sie den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 9. August 2004 zurück. Der
Versicherte habe zwar Anspruch gegen seine Krankenkasse auf die Kostenübernahme für Maßnahmen die im
Rahmen der Sterilitätsbehandlung an seinem eigenen Körper durchgeführt werden müssten sowie auch für die
durchzuführenden extrakorporalen Maßnahmen; Maßnahmen, die unmittelbar am Körper des - nicht versicherten -
Ehegatten erfolgen müssten, würden indes nicht in ihre Leistungspflicht fallen.
Der Kläger hat am 7. September 2004 Klage beim Sozialgericht Gießen erhoben und geltend gemacht, er sei der
alleinige Verursacher der Kinderlosigkeit. Sowohl die Beihilfe wie auch die private Krankenversicherung hätten die
Übernahme der Behandlungskosten für seine Ehefrau mit dem Hinweis auf das Verursacherprinzip abgelehnt. Erst die
Behandlung seiner Ehefrau ermögliche indes seine eigene Behandlung. Sofern die Beklagte nicht zur Übernahme der
Kosten für die notwendigen Maßnahmen an dem Körper der Ehefrau verpflichtet sei, würden gerade die wesentlichen
Teile der Behandlung von der Leistungspflicht der Krankenkasse ausgeschlossen. Eine Aufteilung der Kosten sei nur
für den Fall geboten, dass beide Ehegatten gesetzlich versichert seien, indes nicht Mitglied derselben Krankenkasse
seien. Dies lasse sich nicht auf die hier vorliegende Konstellation übertragen, dass die private Krankenversicherung
des einen Ehegatten überhaupt nicht zur Kostenübernahme verpflichtet werden könne.
Mit Urteil vom 12. Oktober 2005 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und den Bescheid der Beklagten
bestätigt. Der Kläger habe keinen Anspruch auf die Übernahme der Kosten für die Maßnahmen an dem Körper seiner
Ehefrau im Rahmen der ICSI-Behandlung. Zur Leistungspflicht der Beklagten gehörten nicht die Maßnahmen, die
unmittelbar und ausschließlich am Körper des nicht bei ihr versicherten Ehegatten ihres Versicherten ausgeführt
würden.
Gegen das ihm am 8. Dezember 2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 16. Dezember 2005 Berufung beim
Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt eingelegt. Er trägt vor, entgegen der vorherigen Planung und seinem
Antrag im Verwaltungsverfahren sei in Deutschland nur ein Versuch nach der ICSI-Methode durchgeführt worden.
Dieser sei im Mai 2004 abgeschlossen worden. Mit seiner Ehefrau habe er sodann eine Behandlung im Ausland
vornehmen lassen, die zum Erfolg geführt habe. Für die eine in Deutschland durchgeführte Sterilitätsbehandlung habe
die Beklagte auch die Kosten im gesetzlichen Umfang von 50% für die Maßnahmen zu erstatten, die ausschließlich
am Körper seiner nicht bei der Beklagten versicherten Ehefrau durchzuführen gewesen seien. § 27a Abs. 3 S. 3
Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - SGB V sehe zwar nur die Übernahme von
Kosten für Maßnahmen vor, die "bei ihrem Versicherten" durchgeführt werden. Das Bundessozialgericht habe indes in
seinem Urteil vom 3. April 2001 (B 1 KR 22/00 R) zutreffend ausgeführt, dass die Vorschrift über ihren Wortlaut hinaus
nach Sinn und Zweck dahingehend auszulegen sei, dass ein teilweiser Leistungsausschluss mit der Regelung nicht
beabsichtigt gewesen sei. Die Vorschrift wolle lediglich die Kostenlast unter den beteiligten Kassen aufteilen,
allerdings nicht zu einer Begrenzung der Leistungszuständigkeit führen. Im Übrigen sei die Konstellation, dass die
Ehefrau von ihrer privaten Krankenversicherung keine Leistungen erhalten könne, höchstrichterlich bisher nicht
entschieden worden.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 12. Oktober 2005 aufzuheben und die Beklagte unter
Änderung der Bescheide vom 22. März 2004 und vom 7. Juli 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9.
August 2004 zu verurteilen, 50 % der Kosten für die Maßnahmen zu erstatten, die im Rahmen der im Jahre 2004
durchgeführten IVF-ICSI-Behandlung am Körper der Ehefrau des Klägers laut Behandlungs- und Kostenplan von Prof.
Dr. T. vorgenommen worden sind, hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist weiterhin der Auffassung, dass sie nicht leistungspflichtig im Hinblick auf Maßnahmen sei, die nicht
unmittelbar und ausschließlich am Körper des bei ihr nicht versicherten Ehegatten ihres Versicherten ausgeführt
würden.
Zum Sach- und Streitstand im Übrigen wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsvorgänge der Beklagten
Bezug genommen, die zum Verfahren beigezogen worden sind.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist erfolglos. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Gießen sowie die Bescheide der
Beklagten vom 22. März 2004 und 7. Juni 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. August 2004 sind zu
Recht ergangen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung der von ihm geltend gemachten Kosten für die am
Körper seiner privat krankenversicherten Ehefrau im Jahr 2004 durchgeführten Maßnahmen im Rahmen der IVF-ICSI-
Behandlung.
Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Erstattungsanspruch ist § 13 Abs. 3 S. 1 1. Alt. SGB V. Nach dieser
Vorschrift sind dem Versicherten die Kosten für eine selbstbeschaffte Leistung zu erstatten, wenn diese Leistung
notwendig gewesen ist und die Kosten dadurch entstanden sind, dass die Krankenkasse die Leistung zu Unrecht
abgelehnt hat. Der in Betracht kommende Kostenerstattungsanspruch reicht dabei nicht weiter als ein entsprechender
Sachleistungsanspruch; er setzt voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die
Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl. BSG, Urteil vom 24.
September 1996 - 1 RK 33/95 - juris).
Die Beklagte hat die Übernahme der Leistungen für die Ehefrau des Klägers nicht zu Unrecht abgelehnt. Diese
Maßnahmen fallen nicht in ihre Leistungspflicht.
Die Leistungen der Krankenbehandlung umfassen nach § 27a SGB V in der ab dem 01.01.2004 geltenden Fassung
des GKV-Modernisierungsgesetzes vom 14.11.2003 (BGBl. I S. 2190) unter bestimmten Voraussetzungen auch
medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft, wobei nicht die Krankheit, sondern die
Unfähigkeit eines Paares, auf natürlichem Wege Kinder zu zeugen und die daraus resultierende Notwendigkeit einer
künstlichen Befruchtung den Versicherungsfall bildet (BSG, Urteil vom 3. April 2001 – B 1 KR 40/00 R – juris).
Hinsichtlich des Umfangs bestimmt § 27 a Abs. 3 S. 3 SGB V, dass die Krankenkasse 50 vom Hundert der mit dem
Behandlungsplan genehmigten Kosten der Maßnahmen übernimmt, die bei ihrem Versicherten durchgeführt werden.
Nach dem Wortlaut von § 27 a Abs. 3 S. 3 SGB V gehören zur Leistungspflicht einer (gesetzlichen) Krankenkasse
damit nur diejenigen Maßnahmen, die "bei ihrem Versicherten", d.h. an seinem Körper, durchgeführt werden. Unter
Berücksichtigung des Gesetzeszwecks geht das Bundessozialgericht (vgl. Urteile vom 3. April 2001 a.a.O. und vom
2. März 2005 – B 1 KR 11/03 R – juris) davon aus, dass der Versicherte gegen seine Krankenkasse auch Anspruch
auf die medizinischen Leistungen bei der künstlichen Befruchtung hat, die nicht an seinem Körper, sondern außerhalb
des Körpers in einem Kulturgefäß erbracht werden sowie für evtl. Nebenleistungen (z. B. Kosten der Unterrichtung
usw.). Zu solchen von der Krankenkasse des gesetzlich Versicherten zu übernehmenden Nebenleistungen gehören
aber gerade nicht die von dem Kläger hier geltend gemachten Leistungen, die unmittelbar und ausschließlich am
Körper des anderen, nicht bei der Krankenkasse versicherten Ehegatten ausgeführt werden. Der Ausschluss dieser
Leistungen, deren Erbringung bereits mit dem Wortlaut des § 27a Abs. 3 S. 3 SGB V nicht vereinbar ist, ergibt sich
aus der Gesetzesbegründung (BT Drucksache 11/6770, S. 15). Danach sollte durch die Regelung "klargestellt werden,
dass - für den Fall, dass die Ehegatten nicht in derselben Krankenkasse versichert sind oder dass nur einer der
Ehegatten in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert ist - die Leistungen für den anderen Ehegatten keine
"Nebenleistungen" zu den Leistungen an dem versicherten Ehegatten und daher nicht von seiner Krankenkasse zu
übernehmen sind. Unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung hat auch das Bundessozialgericht (Urteile vom 3. April
2001 und vom 22. März 2005 jeweils a.a.O. sowie Urteil vom 17. Juni 2008 - B 1 KR 24/07 R -juris)
unmissverständlich ausgeführt, dass die Krankenkasse gegenüber ihrem Versicherten nicht leistungspflichtig ist für
Maßnahmen an dem Körper des nicht bei ihr versicherten Ehegatten.
Entgegen der Auffassung des Klägers lässt sich der von ihm geltend gemachte Anspruch nicht damit begründen,
dass die an dem Körper seiner Ehefrau durchzuführenden Maßnahmen von deren privaten Krankenkasse nicht
übernommen würden. Dies rechtfertigt es auch aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht, der Solidargemeinschaft die
Kosten für nicht gesetzlich krankenversicherte Ehegatten aufzuerlegen und § 27 a Abs. 3 S. 3 SGB V entsprechend
verfassungskonform auszulegen.
Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz (GG) – in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip – kann nicht entnommen werden, dass
der Gesetzgeber die Entstehung einer Familie durch medizinische Maßnahmen der künstlichen Befruchtung mit den
Mitteln der gesetzlichen Krankenversicherung fördern muss; eine solche Förderung steht vielmehr in seinem
Ermessen (vgl. BVerfG, Urteil vom 28. Februar 2007 - 1 BvL 5/03 - juris).
Auch Art. 3 Abs. 1 GG gebietet es nicht, mit den hier geltend gemachten Kosten für die privat versicherte (gesunde)
Ehefrau die gesetzliche Krankenkasse des Ehemannes zu belasten. Es widerspricht nicht dem allgemeinen
Gleichheitsgrundsatz, wenn Eheleute, bei denen nur einer gesetzlich und der andere privat krankenversichert ist,
anders behandelt werden, als dies bei Eheleuten der Fall ist, bei denen beide Mitglieder gesetzlicher Krankenkassen
sind und bei denen die Kosten entsprechend den Richtlinien über künstliche Befruchtung unter den beiden
Krankenkassen aufgeteilt werden. Für die Ungleichbehandlung von Personen, die privat versichert sind, gegenüber
gesetzlich Versicherten bestehen hinreichende sachliche Gründe. Sie ist Folge der Entscheidung des Gesetzgebers
für zwei Systeme der Krankenversicherung (vgl. BSG, Beschluss vom 2. November 2006 – B 1 KR 111/06 B – juris
und LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 6. Dezember 2007 - L 16 KR 132/07 - juris). Die Rechtslage in
der privaten Krankenversicherung oder im Beihilferecht unterscheidet sich wesentlich von derjenigen in der
gesetzlichen Krankenversicherung. Es gibt dort für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung keine gesonderte
Regelung; sie können deshalb nur beansprucht werden, soweit sie sich als medizinisch notwendige Heilbehandlung
einer versicherten bzw. beihilfeberechtigten Person wegen Krankheit darstellen (BGH, Urteil vom 12. November 1997
– IV ZR 58/97 – juris). Die Entscheidung des Gesetzgebers für zwei verschiedene Sicherungssysteme steht unter
Geltung des Sozialstaatsprinzips in dessen Ermessen (BSG, Beschluss vom 2. November 2006 – a.a.O.). Der
Gesetzgeber ist trotz seiner Bindung an Art. 3 Abs. 1 GG weitgehend frei, Versicherungspflicht und
Versicherungsberechtigung in der gesetzlichen Krankenversicherung festzulegen, soweit er nicht gleichheitswidrig
bestimmte Gruppen ausschließt (BVerfG, Entscheidung vom 27. Mai 1964 - 1 BvL 4/59 - juris). Für solche
Überlegungen besteht keinerlei Anlass, zumal die Gewährung von Leistungen zur künstlichen Befruchtung nicht zum
Kernbereich der gesetzlichen Krankenversicherung gehört.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen. Zulassungsgründe liegen angesichts der bereits ergangenen
Entscheidungen des Bundessozialgerichts und des Bundesverfassungsgerichts nicht vor.