Urteil des LSG Hamburg vom 30.08.2006

LSG Ham: wirtschaftlichkeit der behandlung, ambulante behandlung, stadt hamburg, stationäre behandlung, psychotherapie, krankengeschichte, dokumentation, krankenkasse, krankenversicherung, missbrauch

Landessozialgericht Hamburg
Urteil vom 30.08.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hamburg L 32 KR 248/03
Landessozialgericht Hamburg L 1 KR 10/06
1. Die Berufung wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass Prozesszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz zu zahlen sind. 2. Die Beklagte hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. 3. Die
Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Im Streit ist die Kostenübernahme für die teilstationäre Behandlung der bei der Beklagten krankenversicherten
Susanne R. (im Folgenden: Versicherte) für die Zeit vom 17. Oktober 2001 bis 4. Januar 2002 sowie für zwei
nachstationäre Behandlungen am 11. und 18. Januar 2002 in Höhe von insgesamt 8.799,53 EUR.
Am 9. Juli 2001 gingen bei der Beklagten Aufnahmeanzeige und Kostenübernahmenantrag hinsichtlich der seit 28.
Mai 2001 durchgeführten tagesklinischen Behandlung der Versicherten im zur Klägerin - damals noch in der
Rechtsform einer Anstalt des öffentlichen Rechts - gehörenden Klinikum Nord (im Folgenden: Klägerin) ein. Mit
Schreiben vom 16. Juli 2001 gab die Beklagte zunächst eine Kostenübernahmeerklärung bis 17. Juli 2001 ab,
verbunden mit der Bitte um zeitnahe Aufnahmemitteilungen in der Zukunft.
Mit Schreiben vom 5. November 2001 wurde von der Klägerin ein Verlängerungsantrag bis etwa 30. November 2001
unter Angabe einer schweren Depression und Persönlichkeitsstörung als Diagnose und der Erforderlichkeit einer
sorgfältigen Entlassungsvorbereitung als Begründung gestellt.
Auf die Bitte der Beklagten vom 23. November 2001, zwecks Vorlage beim medizinischen Dienst der Krankenkassen
(MDK) einen ausführlichen ärztlichen Befundbericht zu übersenden, erfolgte zunächst keine Reaktion seitens der
Klägerin. Stattdessen erinnerte diese mit Schreiben vom 11. Dezember 2001 und 15. Januar 2002 an die beantragte
weitere Kostenübernahme und übersandte schließlich unter dem 18. Januar 2002 eine Mitteilung über die Entlassung
der Versicherten am 4. Januar 2002.
Nach Erhalt eines Arztberichts im Februar 2002 befürwortete die Ärztin für Psychiatrie, Psychotherapie und
Sozialmedizin Priv. Doz. Dr. M. vom MDK in einer für die Beklagte erstellten Stellungnahme vom 19. März 2002 die
Kostenübernahme lediglich bis Ende August 2001.
Nach Abgabe der entsprechenden Erklärung durch die Beklagte machte die Klägerin mit einem erneuten
Verlängerungsantrag vom 18. April 2002 geltend, dass die Versicherte im August 2001 noch nicht ansatzweise in der
Lage gewesen sei, sich selbst um eine ambulante Psychotherapie zu kümmern. Jene habe auf Grund einer starken
Selbstwertstörung bei einer traumatischen Vorgeschichte nur langsam Kontakte zu Behandlern und Mitpatienten
entwickeln können.
Daraufhin erstellte Dr. M. nach Einsicht in die Krankengeschichte der Versicherten für die Beklagte unter dem 24. Juli
2002 eine ausführliche Stellungnahme, in der sie ausführte, dass sich aus den Unterlagen u. a. ergebe, dass die
Versicherte vom 29. Januar bis 28. Mai 2001 wegen einer schweren depressiven Episode bei ängstlich-vermeidender
Persönlichkeitsstörung stationär behandelt worden sei mit anfänglicher Suizidalität nach aktueller depressiver
Dekompensation bei privaten Problemen, Konflikten am Arbeitsplatz und nach einer Operation. Nach der Entlassung
mit der Empfehlung einer längerfristigen ambulanten Psychotherapie sei die Versicherte zur Stabilisierung in die
Tagesklinik verlegt worden. Dr. M. rügte die aus ihrer Sicht dürftige Aktenführung der Klägerin. So fehlen aus ihrer
Sicht z. B. Verlaufseintragungen, in denen die Erfahrungen der einzelnen Therapeuten in einer integrierten Form
festgehalten werden, sowie die strukturierte Wiedergabe aktueller Therapieergebnisse und Therapieziele. Pflegerische
Beobachtungen würden nicht dokumentiert wie auch nicht die Beobachtungen der einzelnen Therapeuten. Auf der
Grundlage der vorliegenden Informationen und in Zusammenschau mit dem Widerspruchschreiben der Behandler vom
27. Mai 2002 sei davon auszugehen, dass die Versicherte Anfang Oktober 2001 in der Lage gewesen sei, sich einer
ambulanten Therapeutin vorzustellen. Spätestens ab Mitte Oktober fänden sich keine Eintragungen mehr, die auf eine
den schützenden Rahmen der Tagesklinik begründende psychiatrische Symptomatik hinweisen. Insofern könne eine
Kostenübernahme bis Mitte Oktober 2001 befürwortet werden. Danach wären gebündelte ambulante Maßnahmen
ausreichend und zweckmäßig gewesen. Sie habe ohnehin Bedenken, was den zu langen Einsatz von engmaschigen
Unterstützungs- und Betreuungsmaßnahmen bei neurotischen Störungen anbelange. Daraufhin erklärte die Beklagte
die Übernahme der Kosten bis 16. Oktober 2001 und übernahm die angefallenen Kosten mit Ausnahme von 8.799,57
EUR.
Die leitende Krankenhausärztin und der Oberarzt gaben für die Klägerin unter dem 7. August 2002 eine ausführliche
Stellungnahme zum Sachverhalt unter Auseinandersetzung mit dem MDK-Gutachten ab, die der Beklagten zugeleitet
wurde. Hierin verwahrte sich die behandelnde Tagesklinik insbesondere gegen den Vorwurf der unzureichenden
Dokumentation und verwies darauf, dass es sich nicht um eine stationäre, sondern bloß teilstationäre Behandlung
gehandelt habe. Es wurde auf grundsätzlich andere Auffassungen zu Therapieansätzen hingewiesen, als sie von der
MDK-Gutachterin Dr. M. vertreten werden, der unter Hinweis auf frühere Streitfälle fehlende Kenntnis von der
praktischen Arbeit in der Psychiatrie vorgeworfen wurde.
Dennoch blieb die Beklagte bei ihrer ablehnenden Haltung.
Daraufhin hat die Klägerin am 18. Februar 2003 Klage erhoben, der das Sozialgericht nach Einholung eines
medizinischen Sachverständigengutachtens des Arztes für Nervenheilkunde, Neurologie, Psychiatrie und
Psychotherapie sowie für psychotherapeutische Medizin Dr. B. vom 13. Januar 2004 mit Urteil vom 3. Februar 2006,
der Beklagten zugestellt am 21. Februar 2006, im wesentlichen stattgegeben hat. Es hat die Beklagte verurteilt, an
die Klägerin 8.799,53 EUR nebst 5% Zinsen über dem Basissatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen, und die Klage
lediglich hinsichtlich der Zinsforderung für Zeiträume vor Rechtshängigkeit abgewiesen.
Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, dass sich der Vergütungsanspruch aus § 109 Abs. 4 Satz 3
Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) ergebe und die Zahlungsverpflichtung unabhängig vom Vorliegen einer
Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch die Versicherte entstanden sei. Die
Krankenkasse sei beim zugelassenen Krankenhaus als Korrelat zu dessen Behandlungspflicht auch ohne zusätzliche
vertragliche Vereinbarung verpflichtet, die normativ festgelegten Entgelte zu zahlen. Dabei korrespondiere der
Zahlungsanspruch mit dem Anspruch des Versicherten auf Behandlung, so dass beim Versicherten bei der Aufnahme
in das Krankenhaus grundsätzlich die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von
Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung und Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit vorliegen müssen, wobei
unter Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit ein Krankheitszustand zu verstehen sei, dessen Behandlung den Einsatz
der besonderen Mittel des Krankenhauses erforderlich mache. Bei einer psychiatrischen Erkrankung könne der
Einsatz krankenhausspezifischer Geräte ganz in den Hintergrund treten und allein der Einsatz von Ärzten,
therapeutischen Hilfskräften und Pflegepersonal sowie die Art der Medikation die stationäre Behandlung
kennzeichnen. Begrenze die Krankenkasse ihre Kostenübernahmeerklärung und schalte zur Klärung der
Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit der Behandlung den MDK ein, so bleibe es Sache des Krankenhauses, die
Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit der Behandlung als Voraussetzung des Vergütungsanspruchs darzutun und
notfalls zu beweisen, wobei allerdings im Sinne eines Entscheidungsspielraums des einweisenden Arztes zu
berücksichtigen sei, dass eindeutig objektiv richtige Maßnahmen im Bereich ärztlichen Handelns oft nicht existieren
und dass ärztliches Handeln gerade bei der Behandlung schwerwiegender psychiatrischer Erkrankungen auf
unterschiedliche, auch wechselnde therapeutische Ansätze angewiesen sei. Diesen Beweis habe die Klägerin
vorliegend geführt. Der Sachverständige Dr. B. habe nach sorgfältiger Sichtung der umfangreichen Unterlagen
schlüssig und gut begründet ausgeführt, dass die Versicherte unter einer schweren, bereits mit den Charakteristika
der Chronizität behafteten Erlebnisstörung mit hoher somatoformer Ausprägung gelitten habe, welches ihre
Lebensqualität in schwerer Weise beeinträchtigte habe und unter anderem mit einer erhöhten Rückfallgefahr
verbunden gewesen sei. Die Krankheit habe ein multimodales Vorgehen mit ausreichenden Maßnahmen im Hinblick
auf das gesamte Beziehungsgefüge erfordert. Im Falle der Versicherten habe die Therapie auf eine Sicherung der
sozialen und existenziellen Stabilität in den zwischenmenschlichen Beziehungen sowie die Schaffung eines stabilen
Vertrauens in die betreuenden Bezugspersonen, die Institution und das soziale Milieu gezielt. Ein zu früher Austausch
der Bezugspersonen und des Betreuungspersonals führe bekanntermaßen zu erneuten Retraumatisierungen mit zum
Teil irreversiblen Folgen. Daher seien schonungsvolle Übergänge in der Betreuung krankheitsbedingt notwendig und
nicht ersetzbar. Die streitige teil- sowie nachstationäre Behandlung sei daher nach den damaligen
Erkenntnismöglichkeiten vertretbar und auf eine langfristige Wirtschaftlichkeit der Behandlung ausgerichtet gewesen.
Auch die Beklagte bzw. der MDK habe nicht behauptet, dass die Einschätzung der behandelnden Ärzte ersichtlich
verfehlt oder unter Verstoß gegen ärztliche Standards zu Stande gekommen sei. Gerade im Bereich schwerer psycho-
sozialer Erkrankungen werde man, insbesondere wenn, wie vorliegend, Anzeichen für eine Suizidgefahr bestehen,
diesen Einschätzungsspielraum als besonders weit erachten müssen.
Mit ihrer am 28. Februar 2006 eingelegten Berufung trägt die Beklagte weiterhin vor, dass sich aus der aus ihrer Sicht
nicht ausreichenden Dokumentation nicht die Erforderlichkeit der teilstationären Behandlung über den 16. Oktober
2001 hinaus herleiten lasse. Der schützende Rahmen der Klinik sei nicht mehr notwendig gewesen. Angesichts der
Überversorgung im psychotherapeutischen Bereich in der Stadt Hamburg wäre eine konkrete ambulante Behandlung
möglich gewesen. Ein konkreter Verweis durch die Beklagte sei durch die Klägerin wegen der zögerlichen Mitteilungen
vereitelt worden. Die Beweislast für die Erforderlichkeit der teilstationären Behandlung liege auf Seiten der Klägerin,
die sonst durch bloße Untätigkeit eine Beweislosigkeit herbeiführen und damit Ansprüche begründen könnte.
Hinsichtlich des Zinsanspruches meint die Beklagte, dass der Klägerin gemäß § 191 (gemeint ist wohl § 291) i. V. m.
§ 288 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) allenfalls 4% Zinsen zustünden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 3. Februar 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die auf Anforderung des Gerichts von der Klägerin übersandte
Krankengeschichte der Versicherten, die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten sowie den weiteren Inhalt der
Gerichts- und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG)
eingelegte Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Die Klägerin hat einen
Anspruch auf Vergütung der teilstationären Behandlung der Versicherten auch über den 16. Oktober 2001 hinaus bis
zu deren Abschluss am 4. Januar 2002 sowie der nachstationären Behandlungen am 11. und 18. Januar 2002 und
ebenso auf Prozesszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten (nicht nur 5 %, insoweit war der Urteilstenor klarzustellen)
über dem Basiszinssatz analog § 291 BGB i.V.m. § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.
Der Senat nimmt zunächst auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug und sieht
insoweit von einer weiteren Darstellung ab (§ 153 Abs. 2 SGG).
Ergänzend und klarstellend bleibt auszuführen, dass es dahingestellt bleiben kann, ob weiter an der Rechtsprechung
des 3. Senats des Bundessozialgerichts festzuhalten ist, wonach allein maßgebend ist, ob die Entscheidung der
Krankenhausärzte nach dem Erkenntnisstand ex ante vertretbar war (vgl. nur BSG 7. Juli 2005 – B 3 KR 40/04 R, KH
2006, 48) oder ob entsprechend dem Anfragebeschluss des 1. Senats vom 4. April 2006 – B 1 KR 32/04 R (mit
nachgehendem Vorlagebeschluss an den Großen Senat des BSG vom 7. November 2006), an dieser Rechtsprechung
zumindest in bestimmten Fallkonstellationen nicht mehr festzuhalten ist.
Denn zum einen stellt auch der 1. Senat unter Hinweis auf seine eigene frühere Rechtsprechung in dem Beschluss
vom 4. April 2006 klar, dass die Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit bei psychiatrisch behandlungsbedürftigen
Versicherten stets nur mit Blick auf die objektiv tatsächlich in Betracht kommenden Behandlungsalternativen beurteilt
werden kann, so dass nur rein theoretisch vorstellbare, besonders günstige Behandlungsmöglichkeiten im ambulanten
Bereich dem Anspruch auf weitere Krankenhauspflege im Sinne von § 39 SGB V nicht schon entgegenstehen; im
Streitfall muss dann vielmehr die Krankenkasse, welche die Notwendigkeit weiterer stationärer Behandlung in Frage
stellt, im Einzelfall konkret zur Verfügung stehende Alternativen der Krankenbehandlung aufzeigen, um so die
kontinuierliche medizinische Versorgung des Versicherten zu gewährleisten, was vorliegend nicht geschehen ist.
Zum anderen ist, selbst wenn man die Beweislast auf Seiten der Klägerin sähe - ob nun wegen behaupteter
Vereitelung einer früheren Einschaltung des MDK oder wegen der für den Senat nicht nachvollziehbar behaupteten
dürftigen Dokumentation -, mit dem Sozialgericht die entsprechende Beweisführung zu bejahen. Die Erforderlichkeit
der teilstationären und nachstationären Behandlungen steht nach dem schlüssigen Gutachten des Dr. B. in
Zusammenschau mit der Krankengeschichte der Versicherten fest.
Hierin befindet sich die insgesamt elfseitige persönliche Therapiebilanz der Versicherten vom 8. Oktober 2001 - also
kurz vor dem Zeitpunkt erstellt, zu dem die Beklagte eine ambulante Weiterbehandlung für ausreichend erachtet hätte
-, in der sie - die Versicherte -unter anderem schildert, dass sie noch die Stabilität, den Alltag bewältigen und arbeiten
zu können, erreichen müsse. Sie leide nach wie vor unter Kopfschmerz, Schwindel, Magenbeschwerden, Müdigkeit,
Albträumen, fühle sich angespannt und unruhig, leide unter Zittern, Traurigkeit, Hilflosigkeit, Schüchternheit,
Minderwertigkeitsgefühlen, Konzentrationsstörungen und könne keine Entscheidungen fällen.
Aus der Verlaufsdokumentation ergibt sich, dass die Versicherte bis Ende Dezember 2001 an einer Vielzahl von
Therapieangeboten teilgenommen hat, so an einer Bezugsgruppe, einer Therapiegruppe, einer weiteren Bezugsgruppe
, "Kochen mit Lust und Laune", Bewegungsmeditation, Tanztherapie, "psyched." Gruppe "Du darfst", Entspannung,
Frauengruppe, Trommelwerkstatt, Rhythmus und Stimme sowie einer Frühstücksgruppe. Die Verlaufsberichte
schildern unter anderen am 26. Oktober: "Lebensfreude und Humor begannen sich zwischen depressiven/resignativen
Stimmungen zu zeigen, die Patientin wechselte öfter von der passiven in die aktive Rolle. Die Kontakte zu
Mitpatientinnen haben einen höheren Stellenwert bekommen." Am 9. November ist die Rede von starken
Entwertungsgefühlen nach der Ablehnung durch die Therapeutin. Am 23. November werden zunehmende
Schlafstörungen und Ängste erwähnt, die zu einer ergänzenden Medikation und der Erhöhung der Dosis eines Angst
mindernden Medikaments geführt haben. Beim Einkleben alter Fotos sei die Erinnerung an den Missbrauch durch
einen Busfahrer während einer Urlaubsfahrt 1983 aufgetaucht und gleichzeitig die Erinnerung an einen Missbrauch im
jugendlichen Alter und 1990. Die Versicherte habe sehr verstört reagiert, habe noch nie über den Missbrauch
gesprochen. Am 7. Dezember heißt es, dass die Versicherte unter häufiger Überflutung von Trauma-erinnerungen
leide. Die Distanzierungstechniken seien nicht ausreichend wirksam. Die ambulante Therapeutin habe für die ab
Februar geplante Psychotherapie zugesagt. Unter dem 14. Dezember wird mitgeteilt, dass die Therapeutin fest
zugesagt habe. Diese Woche sei die Versicherte entspannter, die belastenden flash-backs haben deutlich
abgenommen und sie sei ausgeglichener, nehme offener die Kontakte auf, die sie sonst vermieden habe. Am 21.
Dezember wird u. a. mitgeteilt, dass die noch zeitweise auftretenden Angstattacken mit der Bedarfsmedikation
beherrscht würden. Sie zittere aber noch oft, die Augen schmerzten abends, sie könne nicht lesen, weil "vielleicht
etwas hochkomme". Unter dem 28. Dezember heißt es, die Entlassungsvorbereitungen laufen wie geplant, der
Abschied falle der Versicherten schwer. Am letzten Tag der teilstationären Behandlung, dem 4.Januar 2002, ist
eingetragen, dass die Versicherte zwar Ängste vor der nächsten Woche äußere, aber entspannter wirke, ihre früher
stark hochgezogenen Schultern habe lockern können. Sie sei offener und selbstbewusster geworden, habe gelernt,
depressive Stimmungseinbrüche zu begrenzen. Da jetzt eine ausreichende Stabilität für die ambulante Therapie
erreicht sei, erfolge die Entlassung aus der Tagesklinik.
Aus den vorgenannten Auszügen aus der Krankengeschichte ergibt sich nach Überzeugung des Senats, dass auch
über Mitte Oktober hinaus erhebliche, zum Teil neue Krisen auftraten, die ein weiteres physisches und
organisatorisches Einbinden in das spezifische Versorgungssystem eines Krankenhauses im Unterschied zur rein
ambulanten Behandlung (vgl. hierzu Wagner in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung – Pflegeversicherung,
Loseblattkommentar, § 39 SGB V Rz. 4 mit Nachweisen) erforderlich erscheinen ließen. Dabei ist den behandelnden
Krankenhausärzten ein Einschätzungsspielraum zuzugestehen. Die Ausführungen der Beklagten und der MDK-
Gutachterin Dr. M. vermögen hieran nichts zu ändern, da diese grundsätzliche und nicht substantiiert vorgetragene
Vorbehalte deutlich werden lassen, die Zweifel an der medizinischen Richtigkeit der Auffassung der behandelnden
Ärzte nicht begründen können.
Im Übrigen ergibt sich aus der Dokumentation, dass im Oktober 2001 die ambulante Weiterbetreuung nicht gesichert
war. Erst im Februar 2002 konnte die Weiterbetreuung bei unstreitig vorhandener ärztlicher Behandlungsbedürftigkeit
unter weiterer intensiver Einbindung der Versicherten erfolgen. Noch aus den Verlaufsberichten Ende Dezember geht
hervor, dass die Stabilität durch die physische und organisatorische Einbindung gerade beim Krankheitsbild der
Versicherten von großer Wichtigkeit war.
Darauf, dass selbst der lange Zeitraum teilstationärer Behandlung - deren Notwendigkeit ohnehin nur schwer
gegenüber ambulanter Behandlung abzugrenzen ist - unter Umständen nicht ausreichend war, mag das Erfordernis
weiterer stationärer Behandlung ab 28. Mai 2002 hindeuten.
Der Prozesszinsenanspruch ergibt sich dem Grunde nach in entsprechender Anwendung des § 291 BGB (vgl. zum
Anspruch des Leistungserbringers in der gesetzlichen Krankenversicherung auf Prozesszinsen: BSG 4. März 2004 –
B 3 KR 4/03 R, BSGE 92, 223; noch weitergehend zum Anspruch jedenfalls in den von § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG
erfassten Streitigkeiten: LSG Hamburg L 1 R 41/06 - 16. August 2006, noch nv). Die Höhe ergibt sich aus § 291 Satz
2 BGB i.V.m. § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB analog. Dem Einwand der Beklagten, dass sich hieraus nur eine
Zinsanspruchshöhe von vier Prozent ergebe, vermag der Senat vor dem Hintergrund nicht zu folgen, dass die jetzige
Fassung des § 288 BGB seit dem 1. Februar 2002 gilt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht
vorliegen.