Urteil des LSG Hamburg vom 24.02.2011

LSG Ham: selbstbehalt, krankenversicherung, prämie, satzung, genehmigung, tarif, verwaltungsrat, wahlfreiheit, entstehungsgeschichte, transparenz

Landessozialgericht Hamburg
Urteil vom 24.02.2011 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hamburg
Landessozialgericht Hamburg L 1 KR 38/08 KL
Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung ihres Bescheides vom 7. Juli 2008 verpflichtet, den vom Verwaltungsrat
der Klägerin am 9. April 2008 beschlossenen 45. Nachtrag zur Satzung bezüglich Art. I § 13a zu genehmigen. Die
Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten. Die Revision
wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Genehmigung einer Satzungsregelung für einen Wahltarif mit Selbstbehalt.
Die Klägerin ist eine geöffnete Betriebskrankenkasse. Art. I § 13a ihrer geltenden Satzung enthält eine Regelung,
wonach freiwillige Mitglieder, die die vollständige Kostenerstattung gewählt haben, jeweils für ein Kalenderjahr einen
Tarif mit Selbstbehalt wählen können, wobei der Selbstbehalt gestaffelt nach der Höhe der gezahlten Beiträge EUR
300, EUR 600 beziehungsweise EUR 900 jährlich beträgt. Für die Dauer der Entscheidung für den Selbstbehalt erfolgt
eine Beitragserstattung an den Versicherten, die der Höhe nach der jeweiligen Höhe des Selbstbehalts entspricht.
Am 9. April 2008 beschloss der Verwaltungsrat der Klägerin den 45. Nachtrag zur Satzung und legte ihn der Beklagten
zur Genehmigung vor. Inhalt dieses Nachtrags war unter anderem eine Änderung von Art. I § 13a der Satzung, der
folgende Fassung erhalten soll:
"1. Mitglieder können für sich und ihre familienversicherten Angehörigen abhängig von der Höhe ihrer jährlichen
beitragspflichtigen Einnahmen jeweils für ein Kalenderjahr einen Teil der von der S. BKK zu tragenden Kosten
übernehmen (Selbstbehalt). Dabei gelten folgende Staffelungen: - Mitglieder, deren beitragspflichtige Einnahmen über
der Beitragsbemessungsgrenze liegt, können einen Selbstbehalt von EUR 600 jährlich übernehmen - Mitglieder, die
gemäß § 240 SGB V Abs. 4 Satz 1 den Mindestbetrag bezahlen, können einen Selbstbehalt von EUR 200 jährlich
übernehmen - Mitglieder, die einen Beitrag oberhalb des Mindestbeitrags und unterhalb der
Beitragsbemessungsgrenze bezahlen, können einen Selbstbehalt von EUR 400 jährlich übernehmen. (.) 3. Für die
Dauer der Entscheidung für den Selbstbehalt erstattet die S. BKK dem Mitglied einen Teil der für den
Erstattungszeitraum gezahlten Beiträge als Prämie. Dabei gilt folgende Höhe der Erstattungsbeiträge: - Der
Erstattungsbetrag beträgt EUR 600 bei einem Selbstbehalt von EUR 600 - Der Erstattungsbetrag beträgt EUR 400 bei
einem Selbstbehalt von EUR 400 - Der Erstattungsbetrag beträgt EUR 200 bei einem Selbstbehalt von EUR 200 Die
Zahlung erfolgt halbjährlich nachträglich in Höhe von jeweils der Hälfte des jährlichen Erstattungsbetrags. (.)"
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 7. Juli 2008 unter anderem die Genehmigung der Satzungsänderung bezüglich
Art. I § 13a ab, da die Regelung nicht im Einklang mit § 53 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche
Krankenversicherung (SGB V) stehe. Die unter Ziffer 3 vorgesehene Prämie in Höhe des dazugehörigen Selbstbehalts
widerspreche dem Wesen des Selbstbehalts, da der Teilnehmer kein Risiko trage, wenn er Leistungen in Anspruch
nehme. Gemäß § 53 Abs. 1 SGB V müsse jedoch mindestens das Risiko beim Teilnehmer verbleiben, dass ein Teil
der entstandenen Leistungskosten nicht von der Kasse übernommen werde.
Die Klägerin hat dagegen am 7. August 2008 Klage erhoben. Sie trägt vor, die Versagung der Genehmigung beruhe
auf der nicht näher begründeten Auffassung der Beklagten, dass beim Versicherten ein Restrisiko bestehen müsse.
Dafür gebe aber weder der Wortlaut von § 53 Abs. 1 SGB V noch dessen Entstehungsgeschichte etwas her. Der
Gedanke des Selbstbehalts stamme aus der privaten Krankenversicherung. In das Recht der gesetzlichen
Krankenversicherung sei er über das Zweite Gesetz zur Neuordnung von Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in
der gesetzlichen Krankenversicherung (2. GKV-Neuordnungsgesetz) gekommen. Die Regelung sei damals aufgrund
ihrer Verwandtschaft zur privaten Krankenversicherung auf freiwillig Versicherte beschränkt gewesen, die
Kostenerstattung gewählt hätten. Auch damals habe die Selbstbehaltsregelung aber mit Beitragsrückzahlungen
verbunden sein können. § 53 Abs. 1 SGB V in seiner geltenden Fassung habe das Selbstbehaltsrecht auf alle
Mitglieder der Krankenkasse ausgedehnt und es auch vom Kostenerstattungsprinzip abgekoppelt. Aus der
Entstehungsgeschichte sei daher nicht zu entnehmen, dass der Versicherte die ihm aus dem Selbstbehalt
erwachsenden Kosten auch endgültig tragen beziehungsweise einem entsprechenden Kostenrisiko ausgesetzt sein
müsse. Sinn und Zweck des § 53 Abs. 1 SGB V sei, die Wahlfreiheit für Versicherte in der gesetzlichen
Krankenversicherung zu steigern und damit Transparenz und mehr Wettbewerb zwischen den Kassen zu schaffen,
was auf eine weitgehende Gestaltungsfreiheit der Kassen schließen lasse. Die Auffassung der Beklagten sei im
Übrigen auch deshalb nicht nachvollziehbar, weil sie die aktuell in Art. I § 13a enthaltene Satzungsregelung für
freiwillige Mitglieder, die Kostenerstattung gewählt haben, nicht beanstandet habe, obwohl auch danach die
Beitragserstattung in Höhe des Selbstbehalts erfolge.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter teilweiser Aufhebung ihres Bescheides vom 7. Juli 2008 zu verpflichten, den vom Verwaltungsrat
der Klägerin am 9. April 2008 beschlossenen 45. Nachtrag zur Satzung bezüglich Art. I § 13a zu genehmigen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor, die von der Klägerin beabsichtige Regelung führe dazu, dass Versicherte, die Leistungen in Höhe des
Selbstbehalts oder darüber in Anspruch nehmen, zwar keine Prämie erhielten, andererseits aber auch keinen Verlust
erleiden könnten. Im für sie ungünstigsten Fall werde die Prämie durch den Selbstbehalt aufgezehrt mit der Folge,
dass die Teilnehmer in keinem Fall ein Kostenrisiko trügen. Dies stehe mit § 53 Abs. 1 SGB V nicht in Einklang. Zwar
treffe der Wortlaut dazu keine Aussage, aus einer historischen, systematischen und teleologischen Auslegung müsse
aber gefolgert werden, dass dieser Wahltarif eine angemessene Differenz zwischen Prämie und Selbstbehalt im Sinne
eines Verlustrisikos für den Versicherten voraussetze. Mit der Einführung der Selbstbehaltstarife habe ein
gesundheitsbewussteres Verhalten sowie die rationalere Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen durch das
Eigeninteresse der Versicherten an möglichst geringen Kosten gefördert werden sollen. Ohne den Versicherten einem
gewissen Kostenrisiko auszusetzen, ließen sich diese Ziele nicht realisieren. Wenn der für den Versicherten
ungünstigste Fall darin bestehe, keinen Bonus zu erhalten, sei nicht zu erwarten, dass sich die Gewohnheiten
änderten. Es müsse daher ein angemessenes Verhältnis zwischen Selbstbehalt und Prämie bestehen. Die
Wahlfreiheit der Versicherten und der Gestaltungsspielraum der Kassen würden hierdurch nicht über Gebühr
eingeschränkt. Selbst wenn die Prämie nicht in voller Höhe des Selbstbehalts vorgesehen werden dürfe, gebe es noch
genug Möglichkeiten, den Tarif kassenindividuell und versichertenattraktiv zu gestalten.
Etwas anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass die Beklagte die aktuelle Regelung zum Selbstbehaltstarif
genehmigt habe. Seinerzeit sei sichergestellt gewesen, dass der Erstattungsbetrag den Selbstbehalt nicht erreichen
könne, da der Versicherte zur Teilnahme an diesem Tarif zwingend die Kostenerstattung habe wählen müssen.
Dadurch sei er aber von vornherein einem Kostenrisiko ausgesetzt gewesen, da im Rahmen des
Kostenerstattungsverfahrens nur die Kosten erstattet würden, die bei einer Sachleistung entstanden wären. Zudem
seien die Erstattungsbeträge stets um den Abschlag für fehlende Wirtschaftlichkeitsprüfung und Verwaltungskosten
zu kürzen. Auch in ihrer übrigen Genehmigungspraxis habe die Beklagte stets darauf geachtet, dass ein Kostenrisiko
bei dem Versicherten verbleibe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte und die ausweislich der
Sitzungsniederschrift vom 24. Februar 2011 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht erhobene Klage (§§ 87, 90 Sozialgerichtsgesetz – SGG) ist zulässig. Die Zuständigkeit des
erkennenden Gerichts folgt aus § 29 Abs. 2 Nr. 2 SGG. Die Durchführung eines Vorverfahrens war gemäß § 78 Abs. 1
S. 2 Nr. 2 SGG entbehrlich. Die Klage ist auch begründet, denn die Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt, die
streitige Satzungsbestimmung zu genehmigen.
Nach § 195 Abs. 1 SGB V bedarf die Satzung einer Krankenkasse der Genehmigung der Aufsichtsbehörde. Dies gilt
auch für Satzungsänderungen. Ist eine verfahrensmäßig ordnungsgemäß zustande gekommene Satzungsänderung
mit höherrangigem Recht vereinbar, besteht ein Anspruch auf Genehmigung (BSG, Urteil vom 22.06.2010 – B 1 A
1/09 R – Juris). Anhaltspunkte dafür, dass das für Satzungsänderungen vorgesehene Verfahren nicht eingehalten
worden wäre, sind weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Die Satzungsänderung ist auch im Einklang mit
höherrangigem Recht und steht insbesondere nicht im Widerspruch zu § 53 Abs. 1 SGB V.
Gemäß § 53 Abs. 1 S. 1 SGB V in seiner aufgrund des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen
Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz) vom 26. März 2007 (BGBl. I S. 378) ab 1. April 2007
geltenden Fassung kann die Krankenkasse in ihrer Satzung vorsehen, dass Mitglieder jeweils für ein Kalenderjahr
einen Teil der von der Krankenkasse zu tragenden Kosten übernehmen können (Selbstbehalt). Die Krankenkasse hat
für diese Mitglieder Prämien vorzusehen (§ 53 Abs. 1 S. 2 SGB V). Dem Wortlaut der Vorschrift ist nicht zu
entnehmen, dass zwischen der Höhe des Selbstbehalts und der Höhe der Prämie ein bestimmtes Verhältnis bestehen
müsste. Er lässt daher keinerlei Rückschlüsse auf die von der Beklagten vertretene Auffassung zu.
Auch aus der Entstehungsgeschichte lässt sich hierfür keine Begründung herleiten. Die früheren Fassungen des § 53
Abs. 1 SGB V aufgrund des 2. GKV-Neuordnungsgesetzes vom 23. Juni 1997 (BGBl. I S. 1520) und des Gesetzes
zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz) vom 14. November 2003
(BGBl. I S. 2190) sahen Selbstbehaltstarife nur für freiwillige Mitglieder vor, die Kostenerstattung gewählt hatten, und
enthielten ebenfalls keine Regelungen über das betragsmäßige Verhältnis von Selbstbehalt und Beitragsermäßigung.
Es hieß dort jeweils nur, die Beiträge seien "entsprechend" zu ermäßigen. Auch in den Gesetzesmaterialien (BT-Drs.
13/6087 S. 24 bzw. BT-Drs. 15/1525 S. 91) finden sich keine Hinweise darauf, dass bei dem Versicherten ein
Kostenrisiko im Sinne eines Verlustrisikos verbleiben müsse.
Die von der Beklagten vertretene Auslegung lässt sich auch nicht aus Sinn und Zweck der Regelungen über den
Selbstbehaltstarif ableiten. Bereits die nur für freiwillige Mitglieder geltenden Vorgängerregelungen wurden eingeführt,
um den Versicherten mehr Möglichkeiten einzuräumen, eigenverantwortlich an der Höhe ihrer Beiträge mitzuwirken
(BT-Drs. 13/6087 und BT-Drs. 15/1525, jeweils a.a.O.). Durch ihre aufgrund des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes
mit Wirkung zum 1. April 2007 erfolgte Ausdehnung auf Pflichtversicherte sowie ihre Loslösung vom
Kostenerstattungsprinzip sollte die Wahlfreiheit für Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung erhöht
werden und mehr Transparenz und Wettbewerb zwischen den Krankenkassen geschaffen werden (BT-Drs. 16/3100 S.
108). Die Erweiterung der bisherigen Regelung ist im Zusammenhang mit der ebenfalls durch das GKV-
Wettbewerbsstärkungsgesetz – wenn auch erst zum 1. Januar 2009 – erfolgten Einrichtung des Gesundheitsfonds zu
sehen. Damit wurden Beitragsunterschiede zwischen den Kassen weitgehend – das heißt abgesehen von dem
Zusatzbeitrag nach § 242 SGB V – beseitigt, sodass der Beitragssatz als Anreiz für einen Kassenwechsel seitdem
ausscheidet. Als Gegengewicht dazu erhielten die Kassen erweiterte Möglichkeiten zur Einführung von Wahltarifen,
um sich von anderen Kassen abzuheben und das Kassenwahlrecht des Versicherten beeinflussen zu können
(Schlegel in jurisPK-SGB V, § 53 Rn. 11, 12; Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 53 SGB V, Rn. 38).
Selbstbehaltstarife werden in der Regel von jüngeren, gesunden und leistungsfähigen Mitgliedern gewählt. Ein für die
Versicherten attraktiver Selbstbehaltstarif ist daher im Hinblick auf das Bemühen der Krankenkassen um eine
günstige Mitgliederstruktur geeignet, den Wettbewerb zwischen den Kassen zu stärken.
Des Weiteren bezwecken Selbstbehaltstarife, die Versicherten durch finanzielle Anreize zu einem wirtschaftlichen und
sparsamen Umgang mit Gesundheitsleistungen zu veranlassen (Schlegel, a.a.O., Rn. 20). Entgegen der Auffassung
der Beklagten wird dieses Ziel aber auch durch die von der Klägerin beschlossene Satzungsregelung erreicht. Wer
einen Selbstbehaltstarif wählt, möchte hierdurch einen finanziellen Gewinn erreichen, der nur möglich ist, wenn die
Aufwendungen für die in Anspruch genommenen Leistungen unterhalb der Selbstbehaltsgrenze bleiben. Allein hierin
liegt schon der Anreiz, möglichst wenig Leistungen in Anspruch zu nehmen, sodass die Versicherten auch ohne das
Risiko eines finanziellen Verlusts zu einem sparsamen Umgang mit medizinischen Leistungen angehalten werden.
Auch systematische Gründe sprechen gegen die Auslegung der Beklagten. § 53 Abs. 8 S. 4 SGB V enthält
Höchstgrenzen für die Prämienzahlungen. Danach darf von Kassen ohne Zusatzbeitrag nach § 242 SGB V maximal
eine Prämie von 20 v.H., jedoch nicht mehr als EUR 600 der vom Mitglied im Kalenderjahr getragenen Beiträge
gezahlt werden. Von Kassen mit Zusatzbeitrag darf die maximale Prämienzahlung 30 v.H., jedoch nicht mehr als EUR
900 der vom Mitglied im Kalenderjahr getragenen Beiträge betragen. Für die maximale Höhe der Prämienzahlung
spielt es keine Rolle, ob der Versicherte nur einen Wahltarif gewählt hat oder eine Kumulation von mehreren
Wahltarifen vorliegt. Weitere Einschränkungen hinsichtlich der Höhe der Prämienzahlungen sieht das Gesetz nicht
vor. Auch die Gesetzesbegründung (BT-Drs. 16/3100 S. 109) enthält lediglich die Aussage, dass durch die
Höchstgrenzen Missbrauchsmöglichkeiten, z.B. für Versicherte mit geringen Beiträgen, verhindert werden sollten. Der
Selbstbehalt müsse damit in einem angemessenen Verhältnis zur Prämienrückzahlung stehen und es solle verhindert
werden, dass Prämienzahlungen in der Kumulation außer Verhältnis zu den gezahlten Beiträgen stehen. Es ist nicht
erkennbar, dass eine Prämienzahlung in gleicher Höhe wie der Selbstbehalt nach diesen Maßstäben unangemessen
wäre. Hätte der Gesetzgeber nur Prämien unterhalb des Betrags des Selbstbehalts für zulässig gehalten, hätte es
vielmehr nahe gelegen, dies in Abs. 8 ausdrücklich festzulegen.
Schließlich stellt der von der Klägerin beabsichtigte Tarif auch keine Umgehung von § 53 Abs. 2 SGB V dar. Nach
dieser Regelung kann die Satzung einer Krankenkasse eine Prämienzahlung an Mitglieder vorsehen, die im
Kalenderjahr keine Leistungen zu Lasten der Krankenkasse in Anspruch genommen haben. Nach der Rechtsprechung
des Bundessozialgerichts (Urteil vom 22.06.2010, a.a.O.) berechtigt hiernach nur die völlige ganzjährige
Nichtinanspruchnahme von Leistungen zu Prämienzahlungen; Teilprämienzahlungen bei nur teilweiser
Inanspruchnahme von Leistungen sind dagegen nicht zulässig. Selbst wenn man davon ausginge, dass die streitige
Satzungsbestimmung mangels eines Verlustrisikos für den Versicherten einem derartigen Tarif gleichkomme, wäre
ein Wertungswiderspruch zu § 53 Abs. 2 SGB V nicht gegeben. Einen finanziellen Gewinn macht der Versicherte nur
dann, wenn er Gesundheitsleistungen unterhalb der Selbstbehaltsgrenze in Anspruch genommen hat. In diesem Fall
hat aber bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise die Krankenkasse auch keinerlei Leistungen erbracht. Etwas anderes
folgt nicht daraus, dass bei Versicherten, die Sachleistungen erhalten, in der Praxis auch Leistungen unterhalb der
Selbstbehaltsgrenze zunächst auf Kosten der Krankenkasse erbracht werden und der Selbstbehalt erst später – durch
Zahlungen des Versicherten an die Krankenkasse oder durch Aufrechnung gegen den Prämienanspruch – realisiert
werden kann. Die Schwerfälligkeit dieses Verfahrens und seine Systemfremdheit im Bereich der Sachleistungen mag
zur Kritik an der Erweiterung des § 53 Abs. 1 SGB V auf Sachleistungsempfänger berechtigen (vgl. Schlegel, a.a.O.,
Rn. 40 f.), sie beruht jedoch auf der Entscheidung des Gesetzgebers. Das Sachleistungssystem bringt es mit sich,
dass der Versicherte zunächst keine eigenen Aufwendungen hat, sondern der Selbstbehalt erst durch seine spätere
Zahlung an die Krankenkasse beziehungsweise im Wege der Aufrechnung realisiert wird. Insofern kann aber in diesen
Fällen auch bei der Frage, ob die Krankenkasse Leistungen gegenüber dem Versicherten erbracht hat, nur auf eine
wirtschaftliche und nicht auf eine rein formale Betrachtungsweise abgestellt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 VwGO. Die Beklagte ist durch § 2
Abs. 1 Gerichtskostengesetz von der Zahlung von Gerichtskosten befreit.
Der Senat hat die Revision gegen das Urteil zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG –
grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache – vorliegen.